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„Bio ist keine Nische für Sektierer“

AMA-Geschäftsführer Michael Blass über den Status Quo von Nachhaltigkeit und biologischer Landwirtschaft in Österreich.

Portraitfoto von Dr. Michael Blass, Geschäftsführer AMA. Foto: AMA Marketing
Dr. Michael Blass, Geschäftsführer AMA. Foto: AMA Marketing michael-blass_c-ama-marketing
Nachhaltigkeit ist ein häufig verwendetes Schlagwort. Was bedeutet Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft für Sie und welche Trade-Offs zwischen Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit bestehen?

Blass: Es geht darum, zu überlegen, was bedeuten wirtschaftliche Entscheidungen, die heute getroffen werden, in einer sich verändernden Welt. Systeme, die auf Kreislaufwirtschaft ausgerichtet sind, also auf Gleichgewichtszustände und Balance, funktionieren in aller Regel stabiler, als Systeme, bei denen die Ausrichtung auf einen raschen und ausführlichen wirtschaftlichen Erfolg im Vordergrund stehen. Das wäre für mich die allereinfachste Definition. Wenn man es für die österreichische Landwirtschaft möglichst praktisch sagen möchte: Nachhaltigkeit bedeutet, dass bei uns der überwiegende Teil der Höfe im Familieneigentum steht, dass dieses Familieneigentum erhalten werden soll, weil es Identifikation schafft und damit Verantwortung auf Generationen hinaus. Diese Identifikation und diese Verantwortung sind wiederum kein Selbstzweck, über den sich außer der Landwirtschaft niemand freuen könnte. Sondern ganz im Gegenteil, es bedeutet ein Modell, bei dem die Landwirtschaft in der Lage ist, die Beiträge für die Gesellschaft zu leisten, für die sie geschätzt wird. Damit meine ich gepflegte Landschaften, die Gäste und Touristen aus dem In- und Ausland anlocken, die Lebensrituale, die Lebensmuster, die Feste, die Lieder und die Tänze, wenn Sie so möchten, durchaus auch in einer modernen Übersetzung.  Das hat damit zu tun, dass ländliche Räume belebt sind und eine kreative Spannung zwischen urbanen Zentren und einem ländlich geprägten Umfeld hergestellt wird. Und das ländlich geprägte Umfeld lebt ganz zentral vom Beitrag der Bäuerinnen und Bauern.

Wie sehen Sie die Zukunft der Bio-Landwirtschaft in Österreich? Welche Trends lassen sich erkennen?

Blass: Die biologische Landwirtschaft gehört zu Österreich seit vielen Jahrzehnten. Wichtig ist, dass wir Bio nicht als eine Nische für Sektierer sehen. Ganz im Gegenteil, Bio ist seit langem in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Alle Zahlen zeigen uns: Neun von zehn Haushalten in Österreich kaufen bio. Die Absatzzahlen für biologisch erzeugte Lebensmittel steigen von Jahr zu Jahr, die Menschen kaufen bio aus Gründen der Selbstfürsorge und sie kaufen bio, weil sie ein Gefühl und eine Verantwortung dafür haben, dass mit den biologischen Wirtschaftsweisen ein Beitrag zur Zukunftssicherung geleistet werden kann. All das spricht dafür, dass bio den Erfolgskurs fortsetzen wird, den es die letzten Jahre gefahren ist.

In welchem Bereich liegt noch Potenzial?

Blass: Wir haben hohe Bio-Anteile bei Milch und Milchprodukten, bei Eiern, bei Kartoffeln und akzeptable bei Obst und Gemüse. Die niedrigsten Bio-Anteile finden wir im Fleisch-Sektor. Das hat damit zu tun, dass Fleisch bei uns einer der am billigsten angebotenen Artikel ist. Das Fleisch ist das am intensivsten diskontierten Lebensmittel im Lebensmitteleinzelhandel. Aktionen wie „Minus 50 Prozent“, „Zahl 1 nimm 2“ - das kennen wir alle. Als Konsumentinnen und Konsumenten mögen wir das ja auf der Individualebene auch, aber aus einer größeren Sicht sind das Prozesse, die uns sehr nachdenklich stimmen sollten. Fleisch wird sehr billig angeboten, und von daher ist es für die Fleischwirtschaft auch extrem schwierig, über zusätzliche Werte eine Differenzierung auf dem Markt zu schaffen.
Vor allem bei Schweinen ist es eine große Herausforderung, kostendeckend zu arbeiten. Bio wäre da eine der Marktchancen für die nächsten Jahrzehnte.

Warum satteln dann nicht noch mehr auf biologische Fleischproduktion um, ist es den Landwirten wirtschaftlich zu riskant?

Blass: Das hat auch damit zu tun, dass nicht alle Fleischteile bei uns gegessen werden. Die Idee „Nose-to-tail“* hat beim Rind noch eine gewisse Realitätsnähe, beim Schwein allerdings gibt es so viele Teile, den Schädel, der Schwanz, die Ohren, die Klauen, die wir in Europa nicht essen. Die müssen nach Asien exportiert werden, wo eine heftige Nachfrage nach diesen Teilen besteht. Aber: wäre das ganze Produkt biologisch hergestellt, müsste man einen Bio-Zuschlag verrechnen, mit dem man auf den asiatischen Märkten im internationalen Wettbewerb nicht konkurrenzfähig wäre. Das heißt, der Bio Zuschlag müsste auf die wenigen Teile umgeschlagen werden, die im Inland oder in Europa vermarktet werden. Diese würden überproportional teurer und treffen dann auf ein Angebot auf den europäischen Märkten, bei dem sich die Konsumentinnen und Konsumenten seit Jahrzehnten daran gewöhnt haben, dass es immer noch billiger geht.

Gerade in der Schweineproduktion ist die Anzahl an Schweinen pro Betrieb stark gestiegen. Gibt es hier eine Spirale, von immer mehr und immer billiger, aus der man schwer herauskommt?

Blass: Ja, da ist schon etwas Wahres dran. Die Betriebe sind aber auch deshalb groß geworden, weil in den größeren Einheiten gewisse Dinge leichter und effizienter abgewickelt werden können, z.B.  das Thema Energieversorgung oder Infrastrukturleistungen, die die gesamte Betreuung der Schweine betreffen, bis hin zu der tierärztlichen Betreuung. Da bedingt das eine das andere, hinzu kommt besonders in Österreich der nachfragemächtige Lebensmitteleinzelhandel, der in der Preisbildung sehr klare Positionen vertritt. Das heißt drei Nachfrager in Österreich - REWE, Spar und Lidl - stehen tausenden Schweinebauern gegenüber. Und selbst wenn man nur die Großen nimmt, dann sind es noch immer hundert Schweinebauern. Also die Abhängigkeit der einzelnen Akteure der landwirtschaftlichen Ebene von den marktmächtigen Strukturen des Lebensmitteleinzelhandels ist schon sehr stark ausgeprägt.

Wie sieht es mit dem Bio-Anteil in der Gastronomie und bei Fertigprodukten aus?

Blass: Da haben wir in vielen Fällen noch blinde Flecken. Im Lebensmitteleinzelhandel ist es gelungen ein stärkeres Regionalbewusstsein, ein stärkeres Österreich-Bewusstsein zu entwickeln. Dieses Bewusstsein ist weg, wenn es darum geht, in ganz anderen Kategorien zu konsumieren und die Außer-Haus-Verpflegung findet leider heute oft nach ganz anderen Maßstäben statt. Auf den Einkäufern in der Gemeinschaftsverpflegung beispielsweise lastet enormer Kostendruck, sie bekommen einen Kostenrahmen vorgeschrieben, mit diesen Beträgen kann man österreichische Waren gar nicht einkaufen, weil sie zu diesen Preisen hier nicht herstellbar sind. Da muss dann auf Ware aus Übersee zurückgegriffen werden oder aus Destinationen, wo die Schweine, die Rinder, das Geflügel unter Bedingungen gehalten werden, wie sie sich in Österreich niemand vorstellen möchte und für die ein österreichischer Erzeuger mit Sanktionen zu rechnen hätte. Das ist leider ein Faktum. Da liegt noch viel Aufklärungsarbeit vor uns allen. Die AMA Marketing möchte sich ja auch an die Spitze derjenigen stellen, die erstens darauf aufmerksam machen und die zweitens darauf hinwirken, dass auch in der Gemeinschaftsverpflegung eine wesentlich stärkere Konzentration auf das stattfindet, was Wertschöpfung in der Landwirtschaft bedeutet: Nämlich dass die Tiere unter Voraussetzungen gehalten werden, die einem das Gefühl geben, dieses Tier hat so gelebt, dass es mir nicht weh tun muss, wenn ich das Schnitzel mit Freude und Genuss esse.

Wie hoch ist der Anteil der Gastronomie am Produktionswert?

Blass: Der Außer-Haus-Verzehr macht gut die Hälfte des Marktes aus und wächst von Jahr zu Jahr.

*Alle Teile eines Tieres, sozusagen von der Nase bis zum Schwanz, werden gegessen.

Das Interview führte Rita Starkl.