Frühlingserwachen am Naschmarkt
Der Frühling kribbelt gewaltig im Bauch? Nichts wie raus, auf den Markt der Köstlichkeiten!
Genussgrübeleien von Jürgen Schmücking
Es kribbelt gewaltig im Bauch von Wien. Natürlich nicht nur dort. Der Naschmarkt steht hier – obwohl frequenzmäßig längst vom Brunnenmarkt überholt – stellvertretend für alle attraktiven Märkte des Landes, heißen Sie nun Karmeliter-, Kutschker- oder Südbahnhofmarkt.
Alles verändert sich um diese Jahreszeit. Die Tage werden länger, die Ärmel an Blusen und Hemden kürzer, die Natur gewinnt an Saft und Kraft, und wir spüren diese Veränderung in jeder Faser unseres Körpers. Was das mit Kulinarik zu tun hat? Einfach alles. Raus mit Ihnen auf den Markt der Eitel- und Köstlichkeiten. Lassen Sie Ihre farmville-Felder auf facebook einmal ein paar Tage verwildern und schlendern Sie durch Österreichs Märkte. Sie werden das pure Leben schmecken und spüren. Ich werde es Ihnen beweisen.
Beginnen wir bei meinem Leibthema, dem Wein. Das alljährliche Geschäft mit und der Hype um den Jungwein finde ich – gelinde gesagt - seltsam. Es scheint, als würden sich Winzer darin übertreffen, den Wein immer früher auf den Markt zu bringen und jeder will der erste sein. Das Ergebnis sind meist seelenlose Blender, die vor vordergründiger Fruchtigkeit nur so strotzen, aber kaum genüg Rückgrat haben, bis Weihnachten zu halten. Und das obwohl Oktober bis Dezember eigentlich überhaupt nicht die Zeit für diese Art von Wein ist. Da ist der Frühling schon viel interessanter. Jene Weine, die zwar jung abgefüllt wurden, aber Kraft und Eleganz besitzen, profitieren von ein paar Monaten Flaschenreife und präsentieren sich jetzt ruhig und schon viel ausgeglichener. Weine, die in der Wertigkeit der Winzer eine Stufe höher angesiedelt sind, kommen ohnehin erst jetzt „auf die Flasche“ und bereichern unsere kulinarischen Frühlingsfreuden rund um Spargel und Maibock.
Am Naschmarkt (und seiner unmittelbaren Umgebung) finden wir Lokale, die das erkannt haben und eine wunderschöne Auswahl an jugendlichen, aber nicht embryonalen Weinen anbieten. Roberto’s Vinothek zum Beispiel. Der Laden wurde zwar durch den neuen Besitzer neu ausgerichtet, der Biowein-Anteil ist dennoch ganz beachtlich. (Stand-Nr. 121)
Während dieser Zeit des Erwachens und der aufkeimenden Gefühle gibt es eine Handvoll Stände am Naschmarkt, die gerade jetzt ihre großen Stärken ausspielen. Die Biowelt zum Beispiel (Stand Nr. 330) bietet eine beeindruckende Auswahl an heimischen und internationalen Obst- und Gemüsesorten an. Die daraus resultierende Farbenpracht und Aromenvielfalt spiegelt auf außergewöhnliche Weise den Geist wider, der dieser Tage in der Luft hängt.
Ende April fängt dann die Saison jenes Gemüses an, das an erotischer Aufladung kaum zu überbieten ist: der Spargel. Den kauft man am besten am Stand der Familie Brandenstein. Und lassen Sie sich eines gesagt haben: Am Teller hat Spargel sehr viel mehr zu bieten als einfach mit Käse überbacken oder mit Sauce Hollandaise serviert. Nichts gegen die Klassiker, aber gerade im Frühling sollten der Experimentierfreude am Herd keine Grenzen gesetzt werden. Überraschen Sie Ihren Partner mit scharf angebratenem Spargel in Chili-Öl. Die Botschaft kommt garantiert an. Das Phò Sài Gòn hat es schon probiert: sensationell in Geschmack und Wirkung. Wer es weniger scharf haben will, findet übrigens hier auch Exotik vom Feinsten: Im Phò Sài Gòn (Stand Nr. 191) wird Wiens allerbeste Phò (eine vietnamisische Reisnudelsuppe) serviert. Passt auch ganz hervorragend zu den eingangs erwähnten Weintypen.