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Corona schubst die Digitalisierung an

Wie Unternehmen ihr Geschäft trotz Lockdown & Co weiterführen konnten.

Beate Steiner

Der Display eines Handys wird gezeigt - im Hintergrund die Fenster des Museums Niederösterreich
Die Museen Niederösterreichs haben vielfältige digitale Angebote entwickelt. foto-museum-niederoesterreich

Drei von vier Unternehmen setzen bereits auf digitale Technologien, schreibt Gunther Reimoser. Der Managing Partner von EY Austria ist überzeugt, dass es in nächster Zeit besonders bei KMUs zu einem digitalen Richtungswechsel kommen wird. Wie nachhaltig die aus der Not entstandene Digitalisierung sein wird, hängt davon ab, wie intensiv sich die Unternehmen mit der ganzheitlichen digitalen Transformation als Change Prozess auseinandergesetzt haben, weiß Doris Kantauer, Studiengangsleiterin Management & Digital Business an der FH St. Pölten. Im Mittelpunkt dieser Veränderung stehen nicht die Technologien, sondern die Menschen. So verlängert etwa das Technologieunternehmen Google das Homeoffice bis Juli 2021, damit die Mitarbeiter*innen, so Konzernchef Sundar Pichai, eine Balance zwischen der täglichen Arbeit und der Sorge für die Angehörigen finden können. „Das zeigt, wohin die Reise geht“, erklärt Doris Kantauer: „Digitalisierung ist in unserem Zeitalter eine Konstante. Wir können davon ausgehen, dass sie stetig voranschreiten wird.“

Das bringt eine Reihe von Vorteilen, für jede*n Einzelne*n und auch gesamtwirtschaftlich. Für Konsument*innen wird vieles schneller, flexibler und bequemer. Für Arbeitnehmer*innen rückt die Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch Work-Life-Blending plötzlich in eine realistische Nähe. Und Unternehmer*innen verhilft die Digitalisierung unter anderem zu einer viel größeren Reichweite, weit über den lokalen Unternehmensstandort hinaus. „Dadurch können wesentlich höhere Umsätze erwirtschaftet werden – und dies wirkt sich wiederum positiv auf die gesamte Volkswirtschaft aus“, betont die Expertin.

Die Früchte dieser raschen Entwicklung können derzeit vor allem jene Unternehmen ernten, die bereits vor Corona eine ganzheitliche Digitalisierungsstrategie erarbeitet hatten. „Sie konnten dadurch Wettbewerbsvorteile ausreizen. Ich denke dabei speziell an Unternehmen, die bevorstehende Umsatzeinbußen durch die Fokussierung auf den Onlinehandel reduzieren konnten“, so Kantauer. Beispiele dafür gibt es viele, aus allen Bereichen und Geschäftsfeldern.

Gesundheit

  • Online-Services der österreichischen Sozialversicherungsträger
    Die App-Services wurden heuer bereits über 144.000 Mal genutzt. Selbstverständlich ist das Einreichen und Bewilligen von Rechnungen und Verordnungen, das Senden von Anträgen oder das Herunterladen von Bestätigungen.
    Die Möglichkeit der kontaktlosen Medikamentenverordnung, also das E-Rezept, das während des Lockdowns eingeführt wurde, wird es weiter geben. Und auch die Übermittlung von Rezepten über die eMedikationsapplikation direkt an die Apotheke ist weiterhin möglich, bestätigt Marie-Theres Egyed, Pressesprecherin der Gesundheitskasse. Allein die telefonische oder digitale Krankschreibung, die im März eingeführt wurde, um die Ansteckungsgefahr für Patient*innen in Ordinationen zu vermindern, wurde mit Ende August ausgesetzt.
  • Die Doctodo-App
    Ursprünglich war diese App konzipiert, um digitale Wartelisten in Restaurants zu erstellen. Jetzt unterstützt sie Arztpraxen dabei, das Wartezimmer möglichst leer zu halten: Angemeldete Patient*innen werden kontaktiert, wenn in der Praxis ein Platz frei ist.
  • Die Corona-App
    Die Corona-App leistet einen wichtigen Beitrag zur Unterbrechung der Infektionskette in Österreich. Sie kann einen Wiederanstieg der Infektionszahlenverhindern, weil sie mögliche Infektionen viel einfacher nachvollziehbar macht.Aus nachhaltiger Sicht besonders sensibel: der Datenschutz. Die App ist so konzipiert, dass sie maximalen Schutz vor Missbrauch bietet (Security by Design): Zur Nutzung der App müssen keine personenbezogenen Daten angegeben werden. Die Kontakte der User werden lediglich auf deren Endgerät gespeichert. Sie sind dem Roten Kreuz nicht zugänglich und es können keine Rückschlüsse auf Begegnungen gezogen werden.

Kultur & Tourismus

  • Digitales Museum
    Das Museum Niederösterreich fährt schon seit längerer Zeit auch eine digitale Schiene. „Wir mussten also nicht neue Formate schaffen, sondern die vorhandenen Formate auf einer Plattform bündeln“, erklärt Pressesprecher Florian Müller. Besucher*innen können eine Datenbank zur niederösterreichischen Geschichte und auch Kurzvideos entdecken, in denen Objekte des Museums präsentiert werden. Live übertragen werden Veranstaltungen, wenn sich zu viele Besucher*innen angemeldet haben. „All diese Maßnahmen laufen definitiv weiter, wenn auch nicht mehr in der zeitlichen Intensität“, bestätigt Müller. „Wir sind der festen Überzeugung, dass digitale Angebote eine gute Ergänzung sind und auch neue Publikumsschichten ansprechen, dass sie aber kein Ersatz für den Besuch im Museum sind.“  museum-noe.at

  • Kinder entdecken Museen im deutschsprachigen Raum
    MuseumsStars ist eine App, mit der nicht nur Kinder Themen aus Kunst, Kultur, Geschichte, Natur und Technik erleben können. Nutzer*innen erhalten einen spielerischen Zugang zu Sammlungen und Ausstellungen von Museen im deutschsprachigen Raum. museumsstars.com 

  • Interaktive Führungen durch Straß im Straßertal
    Gäste erleben mithilfe einer Smartphone-App das Straßertal und das Museumsgelände auf interaktive Art und Weise, mit einer Aufsteckbrille für das Smartphone sogar in 3D. strassertal.at

Lernen und Coachings

  • Hybridkonferenzen im Retter Bio Natur Resort
    Im biozertifizierten Seminarhotel werden papierlose Konferenzen abgehalten. „We Frame“ nennt sich die Technik, die schon Anfang des Jahres installiert wurde. „Die Krise war dann Beschleuniger“, sagt Geschäftsführerin Ulrike Retter. Teilnehmer*innen können sich vor Ort in ihren Hotelzimmern oder von irgendwo interaktiv an den Veranstaltungen beteiligen. Das bringt nicht nur Zero Waste, sondern auch Zeitersparnis und eine neue Qualität des Informationsaustausches. retter.at

  • Neustart mit digitaler Unterstützung
    Das Südtiroler Terra Institute hat ein Online-Tool entwickelt, das den Neustart von Unternehmen unterstützt. „Reset“ nennt sich das Produkt, das es Handwerksbetrieben genau so wie größeren Unternehmen ermöglicht, grundlegende Veränderungen als Chance zu nutzen, weil es an die Größe und den Bedarf des jeweiligen Betriebs angepasst ist. www.terra-institute.eu

  • Digitalisierte Einschulung für Freiwillige bei „Zeitpolster“
    „Zeitpolster“ ist ein Verein, bei dem ältere Menschen, Familien mit Kindern oder Menschen mit Behinderung von Helfer*innen unterstützt werden. Diese erhalten dafür eine Zeitgutschrift, die sie einlösen können, wenn sie selbst Betreuung benötigen. Der Verein hat während des Lockdowns die Werkstätten für die Einschulung der Freiwilligen komplett digitalisiert. „Wir können österreichweit Freiwilligenteams online schulen, damit diese eine Zeitpolstergruppe in ihrem lokalen Umfeld starten“, erklärt Zeitpolster-Gründer Gernot Jochum-Müller. Dies hilft, der stark steigenden Nachfrage nach Betreuungsleistungen nachzukommen. zeitpolster.com

  • Digitale Sommeruni von OEAD Student Housing
    Die traditionelle Sommeruniversität „Alternative Economic and Monetary Systems“ in Wien fand heuer zum ersten Mal digital statt — mit dem Schwerpunkt „Corona-Finanzierung“. housing.oead.at
  • Online-Coaching
    Veronika Lamprecht hat ihre GAIA-Akademie von einem Tag auf den anderen auf Online-Workshops umgestellt. „Dieses Programm wird in eine Leadership-Weiterbildung gegossen“, erklärt Lamprecht, die auch ihr Naturcoaching-Angebot auf online umgestellt hat. veronikalamprecht.com

Kundenbetreuung

  • Virtuelle Maschinenabnahme von Optima
    Das deutsche Verpackungsunternehmen Optima führte eine komplexe virtuelle Maschinenabnahme in den USA durch, dabei wurde live gestreamt. Chatfunktionen und Audioübertragung ermöglichten die Kommunikation mit den Kund*innen. Neben einer pünktlichen Lieferung bringt diese Variante zusätzliche Vorteile. „Es können bei bestimmten Themen weitere Expert*innen der Kund*innen hinzugezogen werden, die nicht zum Abnahmeteam gehören“, berichtet Heiko Kühne, Vice President Cosmetics & Chemicals bei Optima Consumer. Auch Kernlieferanten wurden zugeschaltet, um Fragen von Kund*innen zu beantworten. Das sorgte für einen interdisziplinären Austausch und vertiefte die Partnerschaft. Außerdem erhält so auch Bedienpersonal, das üblicherweise nicht zur Abnahme anreist, einen detaillierten Einblick.

  • Zentraler Versand & digitale Workshops bei Enjo
    Auch im Direktvertrieb setzen Vorreiter wie der Reinigungsfaserhersteller Enjo immer mehr digitale Tools ein: vom maßgeschneiderten CMS-System bis hin zu virtuellen Workshops, für deren Abhaltung die Berater*innen extra geschult wurden. So konnte in Corona-Zeiten innerhalb einer Woche auf den zentralen Versand der Produkte umgestellt werden, und auch die Beratungen fanden weiterhin statt – über digitale Meetings. „Dadurch konnten wir unseren Umsatz gegenüber dem Vorjahr halten“, sagt Siegfried Zack, Enjo Wien. „Aktuell bauen wir die Online-Services für unsere Kund*innen weiter aus.“

Inhaltsverzeichnis: BUSINESSART 3/2020-Die Wirtschaft hat Corona