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Wie Kinder zu Unternehmer*innen des eigenen Lebens werden

Jeden Tag begleitete Berta, die Glückskuh, ein anderes Volksschulkind nach Hause. Gemeinsam machen sich Kind und Kuh auf die Suche nach persönlichen Glücksmomenten. „Ich war glücklich, weil meine Oma drei kleine Kätzchen bekommen hat, ein grau-weißes, ein weiß-schwarz-geflecktes und ein weiß-oranges“, erzählt Laurenz begeistert am nächsten Tag in der Klasse. Ein anderes berichtet ausführlich vom gemeinsamen Baumhausbau mit dem Vater.

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Foto: Valentin Mayerhofer (IFTE)

Beobachten, die eigenen Gefühle wahrnehmen, mitmachen, das Erlebte aufschreiben, zeichnen und anderen erzählen. Das steht unter anderem hinter einem in Österreich entwickelten Entrepreneurship-Programm. „Wir geben den Kindern Werkzeuge in die Hand, wie sie sich selbst regulieren. Dass sie nach einem Streit nicht schlagen müssen, sondern dass es auch eine Option sein kann durchzuatmen oder einen Schluck Wasser zu trinken“, erzählt Volksschullehrerin Tanja Schindlauer aus Salzburg. Das fördert die Resilienz – nicht nur in der Volksschule, sondern auch für das spätere Leben.

Kinder sind gerne Erfinder*innen

Besonders beliebt sind bei den Volksschulkindern die Themen „Armut“, „Leben im Wasser“ und „Leben an Land“, Themen, die im Rahmen der Community Challenge WILMA – Wir lernen durch Machen“ bearbeitet werden. Dipl.-Päd. Andrea Bisanz, MA, Volksschullehrerin und Lehrbeauftragte an der KPH Wien: „Die Kinder lieben es, etwas zu erfinden, mit dem sie einen Beitrag zur Verbesserung der Mitwelt leisten können. In Gruppen entscheiden sie sich für eine Idee, die schließlich gebastelt und den anderen vorgestellt wird“ So haben sie zum Beispiel Modelle entwickelt, die im Meer herumfahren und Plastik herausfischen.

Eine ökonomische Challenge ist der Markttag in Kooperation mit der WU, der im Mai bereits zum dritten Mal stattfinden wird. Die Volksschüler*innen erfinden Produkte, die im Unterricht geplant, produziert und schließlich an Studierende, Eltern und Großeltern verkauft werden – an Ständen in der WU. Das Angebot reicht von bemalten Blöcken, selbst genähten Handytaschen, Schlüsselanhängern, Lesezeichen, Sukkulenten im Glas über Wutbälle, die im Fall des Falles intensiv geknetet werden können, bis hin zu Dienstleistungen – wie z.B. ein Spiel mit einem Kind spielen. So erhalten die Kids ganz nebenbei einen Einblick in wirtschaftliche Themen und an den Ort, wo das auch gelehrt wird.

Wesentlicher Bestandteil jeder Challenge ist das Finden einer Idee, die Planung (Was brauche ich dafür? Wo bekomme ich das? Wer kann mir dabei helfen?), die Umsetzung und die Reflexion: Was habe ich gelernt? Wo habe ich mir schwer getan? Was kann ich nächstes Mal anders machen? Und natürlich das Feiern, dass man es durchgehalten und geschafft hat. Denn das fehlt laut Bisanz in unserer Kultur viel zu oft und motiviert gerade die Kinder, gerade auch in schwierigen Phasen durchzuhalten. Und genau das braucht man schließlich im „wirklichen“ Leben auch.

Unternehmer*in des eigenen Lebens werden

Die dafür nötige soziale Kompetenz wird gezielt gefördert. „Viele Kinder können ihre Gefühle nicht ausdrücken. Es fehlt ihnen die Sprache dafür“, erklärt Bisanz. In der Volksschule werden, um die Fähigkeit die eigenen Gefühle zu kennen und auch verbalisieren zu können, zahlreiche Übungen und Spiele verwendet: Gefühle werden gewürfelt und dargestellt „Wir gehen alle traurig durch den Raum, dann wütend, dann glücklich. Danach besprechen wir, was im Körper passiert, wo man das Gefühl spürt und was man sieht: hängende Schultern, Fäuste ballen, durch den Raum hüpfen. Das macht die Kinder sensibel für ihre eigene Gefühlswelt, aber auch für die Menschen in ihrer Umgebung.“ Ganz wesentlich sei zudem, mit den Kindern Wege zu finden, wie sie aus einer Konfliktsituation wieder herauskommen können. „Was brauchst du, damit es dir wieder gut geht?“ Wie zum Beispiel einen Freund zum Spielen suchen oder die Jause teilen.

Auch debattieren will gelernt werden: Wie kann ich die Meinung des anderen wertschätzen und trotzdem meine eigene Meinung vertreten? Was hat der andere gesagt, was hat er gemeint? „Wir hören nur das, was wir hören wollen. Das ist bei Kindern genauso wie bei vielen Erwachsenen“, sagt Bisanz. „Wenn wir das geübt haben, werden die Kinder deutlich sensibler und merken: Hoppla, ich kann nachfragen. Und sie kommen drauf: Der andere hat das anders gemeint. Oder ich ärgere mich, und der andere findet das lustig.“ In der Auseinandersetzung damit verbessere sich die Qualität der Kommunikation.

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Foto: valentin-mayerhofer-ifte

Ausbildung mit Nebenwirkungen

Die Ausbildung wurde nicht nur in Österreich, sondern in allen teilnehmenden Ländern evaluiert. Die Ergebnisse:

  • Die Kinder haben Freude am Lernen, sie werden in ihren Stärken, in ihrer Selbstwirksamkeit und in ihrem Selbstwertgefühl gestärkt.
  • Der Umgang miteinander, im Team, in der Schule und mit den Eltern verbessert sich durch die empathische und achtsame Kommunikation.
  • Die Lehrer*innen unterstützen einander, sie werden entlastet und haben mehr Freude am Unterrichten. Ihr Blick auf die Schüler*innen verändert sich: Sie haben größeres Vertrauen in die Kompetenzen der Kinder, nehmen ihr Engagement und ihre Freude beim eigenständigen Arbeiten (allein und im Team) wahr.
  • Die Schule erhält viel positives Feedback durch die Eltern und eine positive Zuschreibung durch die Außenwelten durch Ausstellungen, Plakate etc.

Ãœber die Youth Start Entrepreneurial Challenges

Die Themen der Challenges sind im österreichischen Lehrplan verankert und lassen sich daher ohne Probleme integrieren. Die Lehrer*innen können sich die maßgeschneiderten Unterrichtsmaterialien kostenlos downloaden und durch begleitende Workshops und externe Referent*innen unterstützen lassen. Wichtig für den Erfolg ist die interne Weitergabe des Wissens bei Konferenzen, Teambesprechungen und informellen Gesprächen zwischen den Lehrer*innen und die Information der Eltern.

2015 wurden Lehrer*innen rund um Johannes Lindner, Ingrid Teufl und Eva Jambor von der EU eingeladen, ein Wirtschafts- und Entrepreneurship-Programm zu entwickeln, das in allen Schulstufen – von der Volksschule, über die Neue Mittelschule (NMS) bis hin zu Höheren Schulen – eingesetzt werden kann. In Österreich wurde das Programm seit 2015 in mehr als 200 Schulen durchgeführt, parallel dazu aber auch in Luxemburg, Portugal und Slowenien.

http://youthstart.eu/de/challenges

Von Roswitha M. Reisinger