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Marcus Wadsak, ORF

Der Wetter- und Klimaexperte hält regelmäßig Vorträge zu den Themen Umwelt & Umweltschutz bzw. Klima & Klimawandel. Zu letzteren erschien 2020 sein Buch Klimawandel: Fakten gegen Fake & Fiction.

Marcus Wadsak
Foto: irene schaur

Zum Kurzvideo mit Marcus Wadsak.

BUSINESSART: Wie sind Sie dazu gekommen, Meteorologie zu studieren und  Wetterexperte zu werden?

Marcus Wadsak: Vor der Matura hatte ich überhaupt keinen Plan, was ich machen will, außer etwas rund um Naturwissenschaften zu studieren: Mathematik und Physik, das waren meine Leidenschaften. Erst auf einer Berufsberatungsmesse habe ich erfahren, dass man Meteorologie studieren kann. Das hat mich umgeworfen. Denn das Wetter hat mich schon als Kind interessiert. Mein Opa hatte so ein Minimum-Maximum-Thermometer und Wetter-Aufzeichnungen gemacht. Und ich habe zugeschaut – die Wolken, die Gewitter, das war eine gewisse Faszination. Also habe ich mich für Meteorologie entschieden. Die Berufsberater haben mir gratuliert „das ist ein super Studium!“ „Aber einen Job bekommen Sie damit nicht.“ Das war mir damals nicht so wichtig. Im Laufe des Studiums hat sich dann herausgestellt, dass ich weniger in die Theorie sondern mehr in die Praxis gehen möchte, in die Wettervorhersage.

Vom Wetter zum Klima: Wann haben Sie realisiert, dass mit der Klimaerwärmung eine der größten Herausforderungen der Menschheit auf uns zukommt?

Ich habe in den 1990-er Jahren meinen ersten Kontakt zu wissenschaftlichen Arbeiten über die globale Erwärmung gehabt. Die Fakten und Prognosen lagen bereits auf unseren Universitätstischen. Wir haben gewusst, dass das passieren wird, was wir heute erleben. Die Prognosen hatten recht.

Auch wenn ich dann in die Wettervorhersage gegangen bin – das Interesse hört ja nicht auf. Du fragst dich, hat es diese Regenmengen schon einmal gegeben, oder diese Temperatur. Du versuchst das aktuelle Wetter mit den letzten 30, 50, 100 Jahren zu vergleichen. Damit bist du beim Klima: Wie ungewöhnlich ist das Wetter zum Klima, das bei uns vorherrscht?

Dass sich hier etwas ändert war bereits in den 1990-er Jahren zu spüren. Ich habe in den Ferien als Bademeister gearbeitet. 1992 und 1994 waren die ersten äußerst ungewöhnlichen Sommer. Sehr lange, sehr heiß, sehr trocken. Ich konnte unendlich viele Überstunden machen und habe wahnsinnig viel Geld verdient (lacht).

Ab dem Jahr 2000 ist die Temperatur im Sommer radikal in die Höhe gegangen. Zum Vergleich: Als ich klein war gab es einen Sommer in Wien, in dem es nie 30 Grad hatte. Wir haben mittlerweile Sommer, wo es 42 Tage mit mehr als 30 Grad gibt.

Vom Wahrnehmen zum persönlichen Engagement ist es noch ein großer Schritt. Was war für Sie der Auslöser selbst aktiv zu werden?

Da gab es viele Anstöße. Der erste war, dass ich 2006 gefragt wurde, einen Vortrag zu halten. In diesem Jahr ist auch der Film von Al Gore „die unbequeme Wahrheit“ ins Kino gekommen. Der hat das richtig gut gemacht. Die Vorträge sind immer mehr geworden.

Dann haben wir im Rahmen der EU versucht, Wissen über Meteorologen und Meteorologinnen zu bündeln. Das hat nicht ganz so gut funktioniert, aber ich haben die richtigen Leute kennengelernt. Wir haben dann viele Jahre später die internationale Plattform für Klimakommunikation – Climate Without Borders – gegründet.

Dann ist die Nachfrage nach Vorträgen explodiert – ich musste erstmals welche absagen und habe mir die Frage gestellt, wie das Wissen besser in die Breite kommen kann und daher ein Buch geschrieben (das ein Bestseller wurde – Anm. der Redaktion). Aber das hat die Nachfrage nach Vorträgen erst recht weiter befeuert (lacht). Und das ist auch gut. Mittlerweile sind meine Vorträge richtig gut geworden.

Veranlasst haben mich sicher auch meine Kinder. Ich bin mit ihnen schon vor fünf Jahren auf Klimamärschen mitgegangen, schon vor Greta Thunberg.

Wenn man in der täglichen Arbeit sieht wie sich unser Wetter und unser Klima verändert – da kann ich nicht ruhig sitzen und sagen, das passiert, und es wird sich schon irgendwie ausgehen. Wir haben wirklich nicht mehr viel Zeit um die Welt so schön zu belassen, wie wir sie vorgefunden haben.

Das 1,5 ° Ziel. Was meinen Sie? Werden wir es noch erreichen?

Wir haben gar keine andere Möglichkeit, als mit aller Kraft und allen Anstrengungen dieses Ziel zu erreichen. Es ist die letzte Chance unser Klima zu stabilisieren. Wir haben seit der letzten Eiszeit, seit 10.000 Jahren sehr stabile Verhältnisse. Das hat dazu geführt, dass wir uns darauf verlassen können, dass das, was wir in der Landwirtschaft anbauen, das nächste Jahr wieder wächst; wenn wir uns hier niederlassen und hier wohnen, dass die Bedingungen so bleiben wie sie sind.

Aus dieser stabilen Klimaphase katapultieren wir uns gerade durch den menschengemachten Klimawandel heraus. Die Temperatur steigt radikal an. In Österreich ist die Erwärmung schon bei plus 2 Grad. Global liegen wir bei gut einem Grad Erwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Niveau.

Die 1,5 Grad sind die letzte Möglichkeit die Temperaturkurve wieder flach zu kriegen, also wieder in eine stabile Klimazone zu kommen, sonst wird die Erwärmung zum Selbstläufer. Da kommen Kipppunkte und Selbstverstärkungsmechanismen ins Spiel – das ist eine Erwärmung, die wir nicht mehr aufhalten können, in einer Geschwindigkeit, die wir noch nie erlebt haben, mit der wir nicht mehr wirklich klarkommen können.

Wir müssen es schaffen, und das ist auch die positive Nachricht - unter vielen angsteinflößenden – im neuen IPCC Bericht (Bericht des Weltklimarates), dass es aus wissenschaftliche Sicht noch keinen Grund gibt, daran zu zweifeln, dass wir dieses Ziel schaffen. Es liegt nur an uns und unserem Handeln.

Was kann Ihrer Meinung nach jede/r Einzelne (möglichst einfach) dazu beitragen, den Klimawandel einzudämmen?

Das Gute ist, dass wir die globale Erwärmung verursachen. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass wir den Klimawandel bremsen und möglicherweise stoppen können. Ich habe schon so viele Menschen gesehen, die ihre Gewohnheiten geändert haben und viel tun.

Der erste Punkt ist der Verkehr. Da haben wir in Österreich wirklich ein Problem, weil wir noch immer steigende Emissionen haben. Das heißt, wir müssen weg vom Verbrennungsmotor, das Auto stehen lassen und stattdessen zu Fuß gehen, Fahrrad fahren und Öffis nutzen. Das ist wirklich etwas, das jeder machen kann. Und jetzt auch das Klimaticket nutzen – es ist wirklich günstig.

Das zweite ist unsere Ernährung. Wir essen in Österreich viel zu viel Fleisch. Durch die massenhafte Rinderzucht entsteht sehr viel Methan, ein aggressiveres Treibhausgas als CO2. Weniger Fleisch, regional, saisonal und wenn möglich Bioprodukte kaufen. Und wirklich nichts mehr wegwerfen. Produkte, die produziert, verpackt und weggeworfen werden haben einen riesen Anteil am Klimawandel.

Beim Strom sind wir in Österreich halbwegs gut unterwegs. Man kann ganz einfach den Stromanbieter wechseln, sollte er nicht grünen Strom produzieren.

Wir dürfen auch alle paar Jahre wählen gehen, und wir sollten auch darauf schauen welche Rahmenbedingungen wir von der Politik brauchen. Bei jeder Wahl hat man auch die Möglichkeit einen Schritt gegen den Klimawandel zu setzen und die Partei zu wählen, die seiner Meinung nach am meisten für ein gutes Klima in der Zukunft macht.

Die jungen Leute von Fridays for Future machen da gerade ganz viel richtig. Sie gehen auf die Straßen schreien laut: „Hey Leute, wir haben Sorgen“. Das ist ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz.

Welche Maßnahmen halten Sie für sinnvoller? Jene, die große Unternehmen mit viel CO2-Ausstoß betreffen oder jene, die Privatpersonen und damit die große Masse betreffen?

Wir haben gar keine Zeit mehr uns das zu überlegen. Wir werden alles brauchen. Wir haben 2021 noch immer steigende Emissionen, nicht nur in Österreich, sondern weltweit. Wir brauchen Veränderungen von Ihnen und mir genauso wie von den Großen in der Industrie, in der Landwirtschaft. Wir brauchen radikale Veränderungen in allen Bereichen, die wir uns vorstellen können und zwar so schnell wie möglich. Nicht entweder, oder, sondern alles zusammen und noch mehr davon.

Sehen Sie sich als Meteorologe verpflichtet, über den Klimawandel aufzuklären?

Nein, das ist keine Aufgabe des Meterologen. Mein Job ist es, das Wetter vorherzusagen.

Es ist nicht meine Pflicht, aber ich kann nicht anders. Nur wenn wir wirklich verstehen was passiert, dann werden wir auch wirklich handeln. Wir kennen noch immer Menschen die uns weismachen wollen, es ist nicht so schlimm, es wird schon alles gut ausgehen, wir brauchen nichts ändern. Diese Menschen liegen falsch.

Ich arbeite in einem öffentlich-rechtlichen Unternehmen und ich glaube schon, dass es die Kernaufgabe eines öffentlich-rechtlichen Mediums ist, über solche Themen zu sprechen.

Welche Tipps haben Sie, um sich vor Falschinformationen zu schützen beziehungsweise diese zu erkennen?

Das ist für den Laien wahrlich sehr schwierig, denn in Zeiten des Internets, wo jeder alles posten darf, in Zeiten, wo wir vor wenigen Monaten einen Präsidenten in den USA hatten, der gemeint hat, der Klimawandel oder Corona sei eine Erfindung der Chinesen. Das wird gedruckt und ist im Internet nachzulesen.

Das Wichtigste ist, bei solchen Aussagen einen Gegencheck zu machen. Wann immer mir ein Artikel geschickt wird schaue ich sofort, wer hat den geschrieben. Wenn man im Internet zum Namen des Verfassers auch noch das Wort 'Kritik' eingibt bekommt man sehr schnell ein Gefühl, ob es Kritik gibt oder nicht.

Es gibt ein paar gute Bücher um sich das Grundwissen anzueignen. Ich habe in meinem Buch versucht, den Klimawandel ganz einfach verständlich darzulegen. Dabei hatte ich immer meine Kinder vor Augen: Sie müssen es verstehen, dann habe ich es richtig gemacht. Es nützt nichts, wenn wir alles hochtrabend wissenschaftlich abhandeln. Wir müssen Erklärungen finden, Bilder zeichnen und Bücher schreiben, die die Menschen verstehen, nämlich alle. Und wenn man dieses Grundwissen hat, dann kann man Informationen, die einem nicht ganz glaubwürdig vorkommen, gut checken.

Einfach ist es auch, wenn man weiß, an wen man sich auch wenden kann. Mich gibt es auf facebook und Twitter, jeder kann mich dort fragen. Ich beantworte das sehr gerne, weil es wirklich wichtig ist und ich weiß, dass es sehr viel Falschinformation im Netz gibt, in Büchern und Firmen, die noch an Dingen festhalten wollen, deren Zeit abgelaufen ist.

Bei Ihren Vorträgen – wie ist die Stimmung unter den Menschen?

Die Stimmung ist sehr unterschiedlich – es kommt immer darauf an, vor wem man vorträgt, oder mit wem man im Gespräch ist. Ich hatte heuer sogar die große Ehre im Nationalrat sprechen zu dürfen, oder im Burgenländischen Landtag. Da hast du immer besonnene, aber auch Menschen, die im Klimaschutz noch nicht so weit fortgeschritten sind.

In den Vorträgen ist für mich wichtig, dass sie auch unterhaltsam sind. Auch wenn wir über die Klimakrise, so katastrophal sie auch werden kann, sprechen, müssen wir unterhaltend damit umgehen. Dann ist die Aufmerksamkeitsspanne länger und größer. Wir haben nix davon, wenn wir das Publikum mit dem Gefühl hinterlassen „das ist eine Katastrophe und wir können nichts mehr tun“, und sie in die Schockstarre verfallen. Wir müssen sie motivieren.

In den Gruppen, vor denen ich vortrage, sind immer drei bis fünf Menschen, die schon viel machen. Ich staune immer, was es schon gibt, und was alles getan wird. Wir müssen den Menschen vorleben, was es braucht, auch unseren Kindern. Das ist der effektivste Weg für Veränderungen. Meine beiden Großen zeigen mir schon wie es geht – ohne Auto oder mit vegetarischer bzw. veganer Ernährung.

Ganz wichtig ist es, ein Bild der positiven Zukunft zu zeichnen: Klimaschutz ist NICHT das, was uns alles verbietet, schlechter macht und einschränkt. Es ist das, was uns gewährleistet, dass wir uns alle in einer sehr sauberen, gesunden, sozial gerechteren Zukunft wiederfinden werden, wo wir die Schönheit der Natur, die Schönheit Österreichs, die Schönheit der Welt genießen können, mit allem was dazugehört. Und da steht doch einiges auf dem Spiel, wenn wir nicht handeln.

Was sind die drei wichtigsten Einwände der Menschen? Was begegnen Sie Ihnen?

Viele Menschen sagen „Ich habe keinen Einfluss, ich bin zu klein, ich mache zu wenig“. Diese Ausrede könnte man überall anwenden. Wenn ich daran denke, wie wenig mein Anteil an den Steuern ist - ich muss sie trotzdem zahlen, damit am Ende eine große Summe herauskommt, die alles ermöglicht. Das schönste Beispiel, dass es jeden braucht, ist die Rettungsgasse: Wir kennen das: Vorne ist ein Unfall. Dann ist es egal ob ein riesiger Lastwagen oder ein Mini im Weg steht – die Rettung kommt nicht durch. Es muss jeder auf die Seite fahren, nur dann funktioniert es.

Auch beim Klimaschutz muss jeder etwas tun. Es müssen die großen Nationen – China, Amerika, Deutschland – ihren Beitrag leisten. Aber auch wir in Österreich. Wir haben einen doppelt so hohen Treibhausgasausstoß wie der globale Schnitt.  Wir sind bei den Verursachern vorne dabei und haben damit auch einen klaren Auftrag, etwas zu tun. Jeder kann und jeder muss. Viele kleine Schritte ergeben auch einen großen.

Ein zweiter Einwand ist: „Ein bissl wärmer ist eh super“. Da wird Wetter und Klima verwechselt. Es taugt mir auch, wenn ich im Sommer baden gehen kann und es 30 Grad hat. Aber es geht nicht darum, ob es im Sommer statt 30 Grad 32 Grad hat. Es geht um die globale Temperatur. 1 bis 2 Grad mehr macht in vielen Regionen Leben unmöglich. Mein Beispiel ist immer die Frage „Wie viel kälter war es in der letzten Eiszeit?“ Wir wissen, in der letzten Eiszeit lag halb Europa unter kilometerdickem Eis, da war Leben wie heute überhaupt nicht möglich. Es war nur um 4 Grad kälter als heute. 4 Grad Unterschied machen eine komplett andere Welt. Wenn wir 2 Grad mehr haben wird es in vielen Regionen dramatische Folgen haben, die wir zum Teil auch jetzt schon spüren.

Der Einwand „er ist eh nicht menschengemacht“ ist in den letzten Jahren fast verschwunden, weil es erdrückende wissenschaftliche Beweise gibt.

Einer ist noch, dass das CO2 ist ja ein Spurengas in der Atmosphäre ist, es liegt im Promillebereich – wie kann so wenig überhaupt eine so große Veränderung verursachen? Da gibt es zwei Gegenbeispiele: das eine ist Alkohol. Mit 0,5 Promille darf man nicht mehr Autofahren, ab da gilt man als betrunken. Und viel tragischer – das Beispiel Arsen. Sie brauchen ganz wenig und Sie werden sterben. Eine kleine Menge von etwas Schädlichem kann eine ganz große Auswirkung haben.

Was ist der Leitsatz Ihres Lebens? Ihr Leitmotiv?

Der Leitsatz kommt aus meiner Schulzeit und er heißt „Don't dream it, be it!“ Träume es nicht, sei es. Das ist lustigerweise aus der Rocky Horror Picture Show, wer es kennt, die Jungen wahrscheinlich weniger als ich. Und es gibt es einen schönen zweiten Satz „fake it until you make it“.

„Fake it until you make ist“ - das haben Menschen wirklich ausprobiert. Sie haben ein Buch geschrieben, das sich nicht so gut verkauft hat. Dann haben sie ein Pickerl draufgepickt „Bestseller“ und plötzlich haben es die Leute gekauft.

Für mich bedeutet es, dass man das, was man werden will, innerlich schon sein soll. Dann ist es einfacher, Ziele zu erreichen. Nicht nur träumen, sondern es auch sein. Dann hat man gute Chancen da hineinzuwachsen.

Marcus Wadsak, Leitung & Moderation ORF-Wetter

  • ORF, Wien
  • Branche: Medien
  • Mitarbeiter*innen in der Fernseh-Wetter-Redaktion: 5
  • Website: www.orf.at

Das Interview führten Roswitha M. Reisinger und Lukas Ofenböck.