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A few degrees more

Das Leopold Museum hängt ausgewählte Gemälde von Klimt, Schiele und Co. schief, um auf den Klimawandel aufmerksam zu machen.

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Museumsdirektor Hans-Peter Wipplinger & CCCA Geschäftsstellenleiterin Claudia Michl vor dem Bild von Egon Schiele "Die Häuser am Meer". Foto: leopold-museum-andreas-jakwerth

Seit einer Woche sorgen zahlreiche schief gehängte Werke namhafter Künstler*innen im Leopold Museum für Gesprächsstoff. Nun klärt das Museum auf: Die weltberühmten Landschaftsgemälde wurden bewusst in Schräglage versetzt, um auf die dramatischen Auswirkungen der Erderwärmung im Zuge des Klimawandels aufmerksam zu machen. Denn eine dauerhafte Temperaturerhöhung um nur wenige Grade kann unsere Lebensqualität drastisch verschlechtern.

Mit dem mahnenden Kampagnenmotto A Few Degrees More (Will Turn the World into an Uncomfortable Place) veranschaulicht das Leopold Museum in Kooperation mit dem Klimaforschungsnetzwerk CCCA (Climate Change Centre Austria) – eine der führenden Instanzen auf dem Gebiet der Klimaforschung in Österreich – die teils katastrophalen Auswirkungen von nur ein paar Temperatur-Graden mehr auf die Umwelt. Nach aktuellen Berechnungen der Wissenschaftler*innen und Klimaexpert*innen sorgen diese dafür, dass die Naturlandschaften, die vor mehr als hundert Jahren von Künstler*innen wie Gustave Courbet, Tina Blau, Gustav Klimt, Koloman Moser oder Egon Schiele in ihren Gemälden verewigt wurden, in ihrer vertrauten Form bald verschwunden sein könnten. Dazu wurden weltberühmte Landschaftsgemälde der Sammlung um genau jenen Grad-Wert geneigt, um welchen die Temperatur in den gezeigten Gebieten, etwa der Atterseeregion, den Voralpen oder der Atlantikküste, steigen könnten, wenn nicht rechtzeitig tiefgreifende Gegenmaßnahmen gesetzt werden.

Leopold Museum-Direktor Hans-Peter Wipplinger ist überzeugt, dass man anhand unterschiedlichster Museumsobjekte über die Folgen des Klimawandels aufklären kann: „Die Auseinandersetzung mit den drängendsten Problemen unserer Gesellschaft ist uns im Leopold Museum als Bildungs- und Vermittlungsinstitution ein zentrales Anliegen. Schon die Künstler*innen der Avantgarde waren Seismograf*innen ihrer Zeit und haben den Zustand der Welt und des Individuums visionär betrachtet. Kunstmuseen sind Orte, in denen Menschen die Welt durch den gefilterten Blick der Künstler*innen erfahren können und mit Themen, Denkweisen und Weltsichten konfrontiert werden, die auch unbequem, fordernd oder provokant sein können. Museen nehmen per se eine nachhaltige Rolle in der Gesellschaft ein, indem sie das kulturelle Erbe für die nächsten Generationen bewahren und vermitteln. Sie verstehen sich als Räume der Inspiration und Reflexion über unser Dasein und haben das Potential, unser zukünftiges Handeln durch das Bewusstmachen gesellschaftlicher Phänomene positiv zu beeinflussen. In diesem Sinne erklären wir uns solidarisch mit den Bestrebungen der Klimabewegung.“

In Zusammenarbeit mit dem CCCA ermittelte ein Team aus 12 renommierten Wissenschaftler*innen verschiedener Fachbereiche – von Meteorologie über Agrarwissenschaft bis zu Sozialwissenschaft –die Auswirkungen, welche durch die Klimaerwärmung auf die in den ausgewählten Gemälden dargestellten Motive in den kommenden Jahrzehnten zukommen könnten. Grundstein dazu bilden die jeweils angegebenen möglichen Gradzahlen des Temperaturanstieges. Zusätzlich wird auf den Bildtafeln dazu animiert, auch im eigenen Lebensbereich sowie auf struktureller und politischer Ebene Maßnahmen gegen diese Entwicklungen zu setzen.

Für CCCA Vorstandsmitglied und Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb ist die Aktion ein gelungener Beitrag um abstrakte Daten intuitiv und anschaulich begreifbar zu machen und Menschen in einem völlig neuen Kontext mit einer unbequemen Wahrheit zu konfrontieren: „Seit Jahrzehnten warnen Wissenschaftler*innen vor einem vom Menschen verursachten globalen Temperaturanstieg um mehr als 1,5 Grad mit enormen Folgen für die Menschheit. Aber diese Daten sind schwer zu fassen. Wir wollen zeigen, was für einen Unterschied ein paar Grad mehr machen. Global gesehen, aber auch in unserer unmittelbaren Umgebung – im Alpenraum, den Seeregionen oder in Wien, die mehrmals zur lebenswertesten Stadt der Welt gekürt wurde.”

„Es hat sich gezeigt, dass reine Wissensvermittlung nicht zum notwendigen Ausmaß an Handlungen führt. Die Kooperation mit Künstler*innen und Kultureinrichtungen kann hier allerdings Brücken bauen, da diese pointiertere, und auch provokantere Formen und Möglichkeiten der Auseinandersetzung bieten.“ ergänzt Claudia Michl, Leiterin der CCCA Geschäftsstelle.

Im Leopold Museum möchte man mit dieser kuratierten Intervention im Rahmen der Dauerpräsentation Wien 1900. Aufbruch in die Moderne ein Signal an unsere Gesellschaft senden. Direktor Hans-Peter Wipplinger unterstreicht: „Mit A Few Degrees More wollen wir proaktiv einen konstruktiven Beitrag liefern, in der Hoffnung, dass sich andere Museen und Galerien dieser Bewegung anschließen, indem sie mit einem behutsamen Eingriff auch ihre Kunst- und Kulturschätze zu Klimabotschafter*innen machen.“

Die außergewöhnliche Idee für diese Aktion entstand mit der Kreativagentur Wien Nord Serviceplan. Deren Kreativgeschäftsführer Christian Hellinger erläutert den Anspruch der Intervention: „Gemeinsam mit dem Leopold Museum und unseren wissenschaftlichen Partner*innen, den Klima-Expert*innen des CCCA, generieren wir Aufmerksamkeit für mehr Klimabewusstsein, ohne ein einziges Plakat oder sonstige Drucksorten zu produzieren. Die Werke von Egon Schiele oder Tina Blau-Lang werden nicht nur zu Sinnbildern einer Umwelt in Schieflage, sondern fungieren auch, ergänzt durch begleitende Texte, als edukative Warnschilder des Klimawandels – und sind damit weit mehr als bloße Projektionsflächen des Protestes.“

Die Intervention A Few Degrees More ist ab Mittwoch, 22. März im Rahmen der Ausstellung Wien 1900. Aufbruch in die Moderne im Leopold Museum erlebbar und wird bis 26. Juni zu sehen sein. Begleitend zur Aktion bietet das Leopold Museum an jedem Sonntag um 14 Uhr kostenlose Sonderführungen zu den 15 Werken von A Few Degrees More sowie 10 kostenlose Schüler*innenführungen, buchbar unter leopoldmuseum.org.

Mehr Infos zu dem aufmerksamkeitsstarken Schulterschluss von Kunst und Klimawissenschaft gibt es auf der Website des Museums, auf den Websiten afewdegreesmore.com sowie auf ccca.at.