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Europäische Seidenstraße

Eine Schnellzugverbindung zwischen West- und Osteuropa könnte einen wichtigen Beitrag zu den EU-Klimazielen leisten und die wirtschaftliche Integration des Kontinents vorantreiben.

Ein ÖBB-Zug fährt in einen Tunnel ein
Foto: ÖBB

In einer vielbeachteten Studie schlug das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) 2018 den Bau einer "Europäischen Seidenstraße"  vor. Kernstück des Vorschlags ist ein Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnnetz, das die Industriezentren Westeuropas mit dem weniger entwickelten Osten des Kontinents verbinden soll. Ergänzend zur damaligen Machbarkeitsstudie samt der wirtschaftlichen Folgenabschätzung legt das wiiw nun eine Analyse des ökologischen Fußabdrucks vor. Konkret wurde das CO2-Einsparungspotenzial des vorgeschlagenen Kernstücks vom französischen Lyon bis nach Moskau untersucht.

Fazit:
Eine derartige Hochgeschwindigkeits-Zugverbindung könnte den CO2-Ausstoß in der EU über die angenommene Lebensdauer von 60 Jahren kumuliert um 10 Prozent des Emmissionsvolumens eines Jahres senken.
Gegengerechnet sind hier bereits die Emissionen, die bei Bau, Betrieb und Wartung anfallen würden. „Auch wenn das nicht nach viel klingt, haben wir uns nur den Effekt der Verlagerung des Passagierverkehrs vom Flugzeug auf die Schiene angesehen“, sagt Mario Holzner, Direktor des wiiw und Co-Studienautor und ergänzt: „Würde man auch noch den Güterverkehr berücksichtigen, fiele die CO2-Reduktion durch das Projekt wohl doppelt so hoch aus." Zudem gelte es auch zu berücksichtigen, dass bei Verkehrsträgern wie dem Auto und dem Flugzeug die CO2-Emissionen für die Errichtung der Infrastruktur – im Gegensatz zur Bahn – nicht berücksichtigt würden. Nicht zuletzt müssten die ökologischen Vorteile in Kombination mit den wirtschaftlichen betrachtet werden.

Gemeinsam mit den Co-AutorInnen Maximilian Zangl, Katharina Weber und Muhammad Usman Zahid von der Central European University (CEU) geht Holzner beim Bau einer solchen Hochgeschwindigkeitsstrecke von einer massiven Umleitung des Passagieraufkommens vom Flugzeug auf die neuen Schnellzüge aus. Gerade auf den für das Klima besonders problematischen Kurz- und Mittstrecken bis 1000 Kilometer, etwa zwischen Paris und Berlin oder Berlin und Warschau. „Das Projekt könnte daher einen wichtigen Beitrag leisten, um wie von der EU vorgesehen, den Treibhausgasausstoß im Flugverkehr um mindestens 10 Prozent zu reduzieren“, so Co-Autorin Katharina Weber. „Um das Maximum an CO2-Einsparungen zu schaffen, muss die modale Verlagerung vom Flugverkehr hin zur Schiene so groß wie möglich sein“, sagt Co-Autor Maximilan Zangl.

Wachstumsimpulse

Die Baukosten werden mit rund 200 Milliarden Euro beziffert, bei einer Bauzeit von mindestens 10 Jahren. „Aufgeteilt auf 10 Jahre relativiert sich diese auf den ersten Blick doch beträchtliche Summe, zumal das gerade einmal 1,5 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung der EU sind und real momentan Negativzinsen auf entsprechende Anleihen anfielen“, sagt Holzner. Diese Investitionen würden selbstredend auch enorme wirtschaftliche Impulse generieren.
So veranschlagt das wiiw-Konzept für eine "Europäische Seidenstraße" aus dem Jahr 2018 den wirtschaftlichen Effekt bei zwei Routen (die hier diskutierte Route Lyon-Moskau wäre das Rückgrat einer "Europäischen Seidenstraße", dazu käme ihre Erweiterung auf einer südlichen Route) und einem Gesamtinvestitionsvolumen von 1 Billion Euro folgendermaßen: Die daran beteiligten Länder würden über 10 Jahre durchschnittlich und kumuliert um 3,5 Prozent stärker wachsen und 2 bis 7 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Österreichs Wirtschaft profitierte mit 1,5 Prozent an zusätzlichem BIP-Wachstum und mindestens 34.000 neuen Jobs.


Teil des „Global Gateway“ der EU

Die Kombination aus Klimaschutz, Wirtschaftswachstum und sinnvollen Großinvestitionen ins Verkehrssystem steht auch bei „Global Gateway“, der kürzlich von der EU lancierten Infrastruktur-Initiative, im Fokus. Mit 300 Milliarden Euro soll ärmeren Ländern weltweit eine Alternative zu China geboten werden.
Das Reich der Mitte hat sich mit seiner „Belt and Road“-Initiative insbesondere in Ost- und Südosteuropa stark engagiert – sehr oft im Gegenzug für geopolitischen Einfluss. „Hier sollte die EU mit einer 'Europäischen Seidenstraße' ein Angebot machen, um das wirtschaftliche Zusammenwachsen und den Klimaschutz in Europa zu forcieren“, argumentiert Holzner. Allerdings wäre eine "Europäische Seidenstraße" immer nur ein – wenn auch zentrales – Element eines wirklich globalen „Gateways“ für den freien Verkehr von Waren, Personen und Dienstleistungen. Nach Ansicht Holzners müsste der „Global Gateway“ aber größer gedacht werden, vor allem auch
finanziell. Außerdem sollte er nicht nur als EU-Kampfansage an Chinas „Belt and Road“-Initiative verstanden werden, denn: „In vielen Bereichen ergänzen sich die beiden Initiativen. ‚Global Gateway‘ ist eine zusätzliche Option für die Finanzierung dringend benötigter Infrastruktur, wird aber auch die Anbindung an die chinesische Seidenstraße erleichtern“, so Holzner.

Die Studie „Environmental Impact Evaluation of a European High Speed Railway Network along the ‘European Silk Road’" wurde in Kooperation mit der Central European University erarbeitet.
Eine Zusammenfassung der Ergebnisse erschien kürzlich auch als Buchkapitel im Sammelband „The Great Reset: 2021 European Public Investment Outlook“ (Herausgeber Floriana Cerniglia, Francesco
Saraceno and Andrew Watt)