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Reinhard Heiserer, Jugend Eine Welt

Bis an die Grenzen der Verwegenheit

Reinhard Heiserer, Jugend Eine Welt
Foto: Jugend Eine Welt

Mitgründer und treibende Kraft: Auszeichnung für das Lebenswerk

Reinhard Heiserer hat die Entwicklungsorganisation „Jugend Eine Welt“ mitbegründet, die seit vielen Jahren Bildungs- und Sozialprojekte für Kinder und Jugendliche in Risikosituationen im Globalen Süden unterstützt. Aktuell steht der Einsatz für Schulbildung in Krisenländern, die Förderung beruflicher Bildung, der Kampf gegen Kinderarbeit und für ein starkes Lieferkettengesetz, das Engagement für den Fairen Handel und das Organisieren qualitativer Freiwilligeneinsätze für Jugendliche und Senior Experts im Mittelpunkt.

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Alfred Strigl, plenum, Laudator, Reinhard Heiserer, Jugend Eine Welt, Roswitha Reisinger, BUSINESSART Foto: feelimage/Matern

Streetwork, Schule und Berufsausbildung – das erlebte Reinhard Heiserer als „Entwicklungshelfer“ zwischen 1991 und 1996 in einem Straßenkinderzentrum in Quito (Ecuador) tagtäglich. Als gelernter Elektrotechniker leitete er die Elektrowerkstätte. Eines Tages brach, aufgrund einer großen Mure, die Energieversorgung des Landes zusammen. Ein Generator hätte eine Lösung sein können. Heiserer stellte einen Förderantrag bei einer deutschen Gebereinrichtung. „Das war kompliziert und es dauerte 1,5 Jahre bis das Geld kam. Zu diesem Zeitpunkt brauchten wir den Generator nicht mehr, wir mussten ihn aber trotzdem kaufen, weil eine Umwidmung nicht möglich war.“ Zurück in Österreich wollte er sein Einsatzprojekt weiter unterstützen: „Aber das sollte einfacher, schneller und unkomplizierter sein.“ So entstand Jugend Eine Welt, als Brückenbauer und Übersetzer zwischen potenziellen Geber*innen und Bedürftigen.

Am Anfang stand viel Freiwilligkeit. Heiserer: „Aber ab einem bestimmten Punkt muss man sich als Hilfsverein entscheiden, ob man klein und informell bleiben will und alles nebenberuflich macht, oder ob man beginnt, professionell Spenden zu sammeln, Förderanträge zu schreiben und Geber*innen zu suchen. Das braucht zusätzliche Mitarbeiter*innen, damit steigen die Fixkosten und natürlich müssen die Einnahmen mitsteigen, damit das Verhältnis Einnahmen zu Ausgaben akzeptabel bleibt.“

Diese Herausforderung sei geblieben, da noch immer viele Spender*innen einem konkreten Projekt und nicht einer Organisation, die sich auch für bessere Rahmenbedingungen, Erhöhung der EZA- Ausgaben, Beratung der Projektpartner*innen, Verbesserung der Gesetze in Österreich (Lieferkettengesetz, Kindersextourismus, …) etc. einsetzt, den Vorrang geben. „Dabei beginnt nachhaltige Entwicklungsarbeit bei uns in Österreich. Wie Jean Ziegler sagt: Es geht mehr darum, den Ländern des Globalen Südens weniger zu stehlen als mehr zu geben.“

Natürlich sei das alles nicht einfach. Gemeinsam mit anderen, mit Vertrauen, Zuversicht und einer Portion Ärger über so manches könne der Motor des Engagements für eine bessere Welt am Laufen gehalten werden. Denn Resignation, Verzweiflung oder Gleichgültigkeit dürften nicht die Oberhand gewinnen: „Mir gefällt der Spruch des Sozialpioniers Don Boscos, unseres Organisationspatrons sehr gut: Für meine Jugendlichen gehe ich bis an die Grenzen der Verwegenheit.“

Alfred Strigl umarmt Reinhard Heiserer
Foto: feelimage/Matern

BUSINESSART: Wie hat sich deine Arbeit bei Jugend Eine Welt in den letzten 25 Jahren verändert?

Reinhard Heiserer: Die Ansprüche der öffentlichen Geber und Stiftungen sind dramatisch gestiegen. Als Übersetzer zwischen engagierten Vorortpartner*innen im Feld und Entscheidungsträger*innen im Büro trifft uns die volle Wucht des Ausgleichs: Jeder Geber will den perfekten Antrag mit den besten Bildern, Texten, Kontrollen, Messungen. „Leave no one behind“ zählt auf Geberseite bei der Projektdokumentation für Projektpartner*innen kaum.
Wir bemühen uns auch, kleinere Partner*innen an größere Geldquellen heranzubringen. Das ist enorm schwierig, da aufwändig und kostenintensiv.
Dazu kommt eine überbordende Verwaltung. Allein die Gehaltskosten müssen wir bei Jugend Eine Welt für die diversen Fördergeber auf sechs verschiedene Arten dokumentieren und erfassen.

Positiv hat sich aber entwickelt, dass EZA, Humanitäre Hilfe, Umwelt, Armutsbekämpfung, Klimafragen etc. näher zusammenrückten und die globalen Anliegen ganzheitlicher angegangen werden. Auch die Kooperationsbereitschaft unter den Organisationen hat zugenommen.

Welche Beiträge leistet Jugend Eine Welt für die Erreichung der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) in den verschiedenen Weltregionen?

Ganz vorne stehen bei uns die Armutsbekämpfung (SDG 1) und die Bildung (SDG 4). Unser Slogan lautet: Bildung überwindet Armut. Bildung ist für uns ein Changemaker, der die Armutsspirale durchbrechen kann. Das gilt für Straßenkinder in Ecuador genauso wie für Ziegelkinder in Indien. Aber auch für Berufsbildungsprogramme wie z.B. in Äthiopien oder Uganda, wo wir Solartechniker*innen ausbilden.

Jugend Eine Welt setzt als gemeinnützige Organisation stark auf die Kooperation mit Unternehmen – welchen Mehrwert erlebst du dabei für eure Bildungs- und Sozialprojekte? Welchen Mehrwert haben Unternehmen?

Unternehmen spielen mehrere Rollen: Als Fördergeber für Projekte durch ihre Beiträge im Rahmen der CSR/Sozialverpflichtung; als Wirtschaftsplayer, die es in ihrer Hand haben, soziale und globale Gerechtigkeit umzusetzen und faire Gehälter und faire Preise für Rohstoffe und Produkte zu bezahlen; als Leuchtturmpartner, die mit gutem Beispiel vorangehen, und als Partner*innen für Innovations- und Technologietransfer. Unternehmen können zudem einen ganz konkreten Beitrag für eine bessere Ausbildungsqualität der Projektpartner*innen in Ausbildungswerkstätten des Globalen Südens leisten.

Du gehst den Weg der Innovation. Beispielsweise sammelt Jugend Eine Welt seit kurzer Zeit Spenden in Form von digitalen Bitcoin-Währungen. Welche Kompetenzen und Fähigkeiten braucht es für erfolgreiche Innovationen?
Innovation bei uns ist bedarfsgetrieben. Vor vielen Jahren hat uns ein Projektpartner gebeten, ihm Geld zu borgen, nicht zu schenken. Das war gar nicht so einfach aufgrund der vorhandenen Regulatorien. Aus dieser Anfrage sind dann erfolgreiche Bildungsanleihen entstanden, von denen gerade wieder eine neu aufgelegt wurde – zur Förderung der Entwicklungsorganisation FEPP in Ecuador (5 % Zinsen, 5 Jahre Laufzeit).

Oder jetzt eben Bitcoin-Spenden. Eingerichtet wurde die Spendenmöglichkeit bereits vor sechs Jahren. Aber jetzt – mit den richtigen Partner*innen und einem entsprechenden Marktumfeld – können wir dies in der Community richtig vorantreiben. Wir sammeln Bitcoins und in manchen Fällen hilft es auch, Bitcoins direkt zu den Projekten zu bringen, dort, wo der herkömmliche Geldverkehr stockt.
Großzügige Menschen gibt es Gott sei Dank in allen Gruppen und Communities. Nur gemeinsam schaffen wir es, die Herausforderungen der heutigen Zeit zu meistern. Sei es mit Spenden oder Förderbeiträgen in Euros, Goldmünzen, Aktien oder eben Bitcoins.

Nachhaltigkeit in der Entwicklungszusammenarbeit:

Wo steht die Entwicklungszusammenarbeit auf dem Weg zur Nachhaltigkeit auf einer Skala von 0 (kein einziger Schritt gesetzt) bis 10 (alles geschafft)?
Die Frage ist, was man in die Betrachtung mit hineinnimmt. Das Bewusstsein innerhalb der Organisationen ist sehr groß. Je weiter man den Aktions- und Betroffenheitsradius zieht, desto mehr gibt es noch zu tun. Daher 6.

Was sind die wesentlichen Nachhaltigkeits-Herausforderungen in der Entwicklungszusammenarbeit?

  • Gerechtigkeit/soziale Spannungen bekämpfen (arm/reich);
  • Globale Klimaauswirkungen bei den Ärmsten vermeiden, Flucht/Migration;
  • Ein „Leben in Würde für alle“ zu erreichen;
  • Als NGOs bestehen, im Lobbying mit den Profi-Lobbyist*innen;
  • Finanzierung/Fundraising: immer zuerst dem Geld nachrennen zu müssen, ist sehr unnachhaltig.

Was sind die wichtigsten Maßnahmen, um diese zu meistern?
Engagierte Mitarbeiter*innen, am Ball bleiben, kooperieren, nicht nachlassen, aufmerksam sein, über den Tellerrand schauen, nicht klein-klein. Es geht nicht um uns, sondern um uns alle!

Was bedeutet „gestalten“ für dich?

Nicht mit dem zufrieden zu sein, wie es um uns steht. Dinge auszuprobieren und anzustoßen.

Wie lautet der Leitsatz deines Lebens?

„Bis an die Grenzen der Verwegenheit“, der Spruch Don Boscos im Zusammenhang mit dem Einsatz für seine Jugend. Es braucht heute mehr Mut und Einsatz, als nur zu vermeiden oder mitzuschwimmen.

Reinhard Heiserer im roten Pullover vor blattgrünem Hintergrund zeigt lächelnd beide Daumen hoch.
Foto: Jugend Eine Welt

Jugend Eine Welt, Wien
Branche: Entwicklungszusammenarbeit
Anzahl der Mitarbeiter*innen: 55, 35 VZ
Website: www.jugendeinewelt.at