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Susanne Formanek, GRÜNSTATTGRAU

Formanek setzt sich auf vielen Ebenen für die Optimierung der bestehenden Gebäude, die Reduzierung des Energieverbrauchs, den Einsatz nachwachsender Rohstoffe, für grüne Stadtgestaltung, Gebäudebegrünungen, Vertical Farming und viele weitere Innovationen ein.

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Foto: Niko Formanek

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GRÜNSTATTGRAU ist das Innovationslabor für grüne Stadttechnologien und Know-how-Träger, Netzwerkplattform und Impulsgeber für mehr als 80 Projekte in den letzten drei Jahren. Es pflegt enge Verbindungen mit den Stakeholdern in der Stadtentwicklung, der Wirtschaft und Wissenschaft. Frau Formanek ist mega-engagiert, lebt leidenschaftlich für die Sache und ist eine großartige Expertin auf dem Gebiet.

BUSINESSART: Sie kommen aus der Bauwirtschaft – wie kommt man von dort zu einem Innovationslabor zur grünen Stadtgestaltung?

Susanne Formanek: Mir ist es immer darum gegangen, dass wir Fortschritte machen. Das war schon in meiner ersten Firma so, dass ich immer Verbesserungen gesucht habe, geschaut habe, wie geht das besser, wie geht das kostengünstiger, wie können wir es umweltgerechter machen, wie können wir weniger CO2 emittieren. Und aufgrund dessen habe ich die Kooperationen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft immer sehr positiv empfunden, deshalb waren die Projekte sehr stark Part Wissenschaft, Part KMU.

In den letzten sieben Jahren, in denen ich unter anderem den Green Building Cluster geleitet habe, haben wir sehr viele Projekte aufgebaut und begleitet. Dabei ist mir immer wieder aufgefallen, dass die Unternehmen in der letzten Phase – also da, wo es wirklich wichtig ist, in den Markt einzutreten – sehr wenig Unterstützung finden. Weder von der Förderschiene, noch von den Clustern, noch von den Ländern. Das ist genauso in der Forschung. Forschung bedeutet auch, Innovationen hochzuskalieren, aber wenn es in den Markt geht, dann muss das Unternehmen das selber stemmen.

Eine Säule fehlt dabei total, und das ist die Bevölkerung. Deshalb habe ich 2016, bevor ich GRÜNSTATTGRAU konzipiert habe, den ersten Entwurf eigentlich für die Bauwirtschaft geschrieben. Weil ich mir gedacht habe, wenn wir Fortschritte machen möchten, dann müssen wir die Bevölkerung in unsere Forschungsprojekte miteinbeziehen. Einerseits, damit sie die Lösungen akzeptieren und andererseits, damit sie ihr Feedback einbringen können. Das Instrument Innovationslabor basiert im Grunde auf der Open Innovation Strategie. Von diesem Ansatz war ich relativ begeistert. Ich habe darin die Basis gesehen, um wirklich alle vier Player – die Wirtschaft, die Wissenschaft, die öffentliche Hand und die Bevölkerung – ins Boot zu holen. Open Access, Open Government, Open Data – das offene Gedankengut ist immens wichtig: Wenn wir Forschung betreiben, wenn wir Innovationen betreiben, dann müssen diese herausposaunt werden. Das Thema Bauwerksbegrünung, EIN Fokus auf der Säule der Baubiologie, hat sich entwickelt, weil Vera Enzi mit mir das Konzept umgeschrieben hat – für einen Bereich, wo auch schon der Verband für Bauwerksbegrünung da war. Dabei geht es nicht nur um Bauen, da geht es um lebenswerte Städte, Biodiversität und Klimawandelanpassung. Das ist ein Thema, das sehr stark zukunftsorientiert ist.

Was ist das Unternehmensziel von GRÜNSTATTGRAU? Was macht ein Innovationslabor?

Wir haben uns das Ziel gesetzt, 20 Prozent der Potenzialflächen in unserem Zielgebiet Favoriten begrünen können. Das war unsere Vision. Wir haben viel bewegt. Aus vielen Hürden und Barrieren gelernt, andere Projekte aufgebaut und überlegt, wie wir Genehmigungsprozesse zusammenziehen oder Förderungen als Incentives vergeben können. Dazu laufen zurzeit 24 Projekte. Wir stellen Fragen wie u.a.: Wie können wir Fassadenbegrünung leistbar machen? Wie können wir mit anerkannten Tools nachweisen, dass Begrünung am Gebäude einen starken Vorteil für die Gebäudeoptimierung hat?

Da sind wir im Thema Energie – wie „performed“ ein Haus? – und geht bis zum Sozialen, ins gemeinsame Garteln und in das Thema Urban Farming: Wie können wir die Lebensmittelbranche einbinden, wie können wir in der Stadt Lebensmittel produzieren? Wir haben ein Vertical Farm Projekt, „Farm Now“, das versucht, weltweit das erste AirBnB für Vertical Farming zu erschaffen.

Das nächste Innovationslabor, RENOWAVE, das Innovationslabor und Netzwerk für klimaneutrale Sanierungen, ist etwas breiter. Das wird eine Genossenschaft! Da haben wir viel gelernt: Wenn wir in einem Thema große Fortschritte machen und unsere Klimaziele erreichen wollen, dann brauchen wir ein Instrument, das komplett anders agiert. Das Ziel von RENOWAVE ist, so viele Häuser wie möglich zu sanieren, so dass sie weniger Energie verbrauchen und weniger CO2 emittieren. Momentan entfallen auf den Gebäudesektor bis zu 40 Prozent des gesamten Energieverbrauchs. 36 Prozent der energiebedingten Treibhausgasemissionen der EU sind auf Gebäude zurückzuführen. Das ist viel. In den nächsten zehn Jahren sollen mindestens 1 Million Wohneinheiten in Österreich saniert werden, um die Grundlagen für ein klimaneutrales Österreich bis 2040 zu schaffen. Das Innovationslabor Sanierung startet ab 1.1.2022. Damit gilt der Gebäudesektor als zentraler Schlüssel einer modernisierten Energieversorgung, ohne den eine Dekarbonisierung insgesamt nicht erreicht werden kann. Die Ziele der Innovationslabore sind mit dem BMK abgestimmt, das diese Instrumente im Programm der Stadt der Zukunft auch zu 50 Prozent fördert.  

Ein Innovationslabor gibt uns die Möglichkeit, große Schritte zu setzen, neue Wege zu gehen und etwas auszuprobieren. Wenn wir es allen zeigen und sagen: „Schauts einmal, das geht!“, wenn die Aufmerksamkeit größer wird, wenn mehr Menschen involviert sind, wenn man ein Mainstream-Thema daraus macht und gemeinsame Ziele setzt, haben wir die Vision zur Mission gemacht. Viele von diesen Schritten brauchen wir, dann würden wir 2030 unsere Klimaziele erreichen. Dass übergeordnete Ziel ist die Klimaneutralität 2050 der EU bzw. die CO2-Reduktion von mindestens minus 55 Prozent bis 2030 zu erreichen.

Was war Ihre größte Herausforderung?

Sich an die Wirtschaftspolitik, an vorhandene Strukturen anzupassen, die nicht mehr adäquat oder sogar hinderlich sind, und trotzdem Neues auszuprobieren und schnelle Entwicklungen voranzutreiben. Natürlich ist Österreich ein gewachsenes Land, man hat mit sehr vielen Strukturen zu tun – nicht nur mit den Gesetzen, den Verordnungen, den Richtlinien, den Normen, sondern auch mit der Politik und der Wirtschaftspolitik – jede*r möchte seine Interessen durchbringen. Wenn man ein Projekt durchsetzen will, dann ist das eine riesige Herausforderung, diesen Dschungel wirklich zu bewerkstelligen und neutral und unabhängig zu bleiben. Darauf lege ich sehr viel Wert. Ich möchte keiner Partei zugehören, sondern wirklich gemeinnützig sein. Aber natürlich trotzdem mit allen zusammenzuarbeiten.

Die andere große Herausforderung ist die Zusammenarbeit mit Menschen. Ich hätte mir das nicht so schwer vorgestellt, Menschen für unser Thema zu motivieren. Wir haben ein super Team – elf ganz tolle Personen, die komplett dahinterstehen, dasselbe Mindset haben – heute, nach fast fünf Jahren. Dazwischen waren Stationen, wo wir immer wieder den Kopf geschüttelt haben: Es kann ja wohl nicht wahr sein, dass meine Generation so desinteressiert ist. Und das so missversteht.

Wie sind Sie damit umgegangen?

Wir sind ein bisschen missionarisch unterwegs. Wenn ich sehe, dass ich Mitarbeiter*innen wie eine Lamatreiberin motivieren muss, dann ist das der falsche Weg für das Innovationslabor. Im Innovationslabor sind wir flexibel, kreativ, selbstmotiviert und mutig. Wir haben da sehr hohe Ansprüche und Ansätze, wie z.B. Holacracy (Anm.: Holokratie, eine Methode der dezentralisierten Organisationsführung). Gerade ein Innovationslabor kann keine ganz starren Strukturen haben und muss auf Möglichkeiten der Innovation schnell und proaktiv reagieren. Wir gehen derzeit wieder in eine Weiterentwicklung und brauchen wirklich Mitarbeiter*innen, die eigenständig denken, die das Gefühl und den Riecher haben, was sie weiter forcieren wollen und wo die Player sind, die wir brauchen. Das zu vermitteln, ist ein breiter Weg. Jeder Mensch ist anders. Meine Generation ist teilweise wirklich starr, die müssen wir bewegen. Die junge Generation, bis 35, hat durch Corona sehr gelitten – sie wurde desillusioniert und hat auch irgendwo ihre Ziele verloren. Jetzt geht es wieder. Das war auch eine sehr große Herausforderung.

Wie würden Sie Ihre Unternehmenskultur beschreiben?

Die leitet sich auch von unseren Werten ab: Innovation, Unabhängigkeit, Kreativität und Sicherheit. Sehr dynamisch und flexibel. Sehr loyal. Ein tolles Team. Wo einer dem anderen hilft. Gerald ist bei uns derjenige, der uns wieder in die Work-Life-Balance zurückholt. Wir sind einfach unheimlich schnell – am Abend schnell etwas schicken, im Chat aktiv sein. Gerald zieht da immer die Grenze und sagt: „So, jetzt machen wir ein Kletterwochenende.“ Das muss auch sein. Dass man sagt: „Jetzt gehen wir essen miteinander. Jetzt machen wir mal Pause.“ Da hat uns Corona schon sehr wehgetan. Nur online zu arbeiten und von den anderen immer nur das Gesicht zu sehen und nicht zu wissen wie sie agieren, wie es den Menschen geht – ich habe das schon als Herausforderung empfunden. Kollegialität ist mir sehr wichtig.

Mir ist auch die Kultur sehr wichtig. Dass da nicht irgendwer auszuckt oder Schimpfwörter in den Mund nimmt, dass Feedback nicht auf Augenhöhe gegeben wird. Das hatten wir auch schon, das haben wir abgedreht. Wenn es eine*r macht, dann machen es alle. Die Sprachkultur ist sehr wichtig und Wertschätzung von Leistung und Einsatzbereitschaft muss immer wieder betont werden.

In den letzten drei Jahren mehr als 80 Projekte. Das ist ganz schön viel. Was war Ihr Highlight?

Für mich ist es immer ein Highlight, wenn die Partner*innen wirklich gut zueinander gefunden haben und das Ergebnis ist, dass dann wie ein Dominoeffekt etwas anderes angestoßen wird. Das habe ich schon oft gehabt. Das Grauwasser war so ein Thema, aus dem die nächsten Projekte gefolgt sind. Wenn sich ein Thema wie ein Lauffeuer bewegt und so schnell weiterentwickelt, dann haben wir mehr als nur die Ziele erreicht. Und es ist ganz wichtig, da manchmal innezuhalten, zurückzuschauen und zu sagen: „Wo kam dieses Thema einmal her? Wie ist es dazu gekommen, wie hat es sich weiterentwickelt, wie ist diese Innovation entstanden und wie viele Unternehmen haben davon profitiert?“

Ich selber habe mich einmal aus einem meiner Projekte herausgenommen. Das war ein Fehler. Man kann eine Vision nicht jemand anderem geben und sagen: „Mach das weiter.“ Das geht nicht. Auch wenn in einem Projekt alles niedergeschrieben ist. Du musst in gewissen Momenten dabei sein und den Moment aufgreifen: „Ich weiß, dort drüben baut jemand sein Dach aus, dort können wir das ausprobieren.“ Das sind einfach Momente, die kann man teilweise nur selber nützen.

Wie schafft man es, dass die Partner*innen gut zusammenfinden?

Das ist einfach. Ich kann es aber nicht richtig erklären, oft habe ich ein Gefühl, wer super dazu passen würde. Manchmal bringt jemand anderer noch jemanden ein – diese Forming-Phase am Anfang. Was ich gerne mache ist, dass ich Newcomer nehme. Menschen, die noch nie in ihrem Leben ein Projekt gemacht haben. Ich bin nicht 100 Prozent davon überzeugt, dass jeder Mensch Projektmanagement-Wissen braucht, weil es manchmal die Kreativität einschränkt. Drei, vier Leute zusammenzusetzen und das Thema durchzudenken, das ist der Beginn einer guten Entwicklung, einer guten Freundschaft. Und wenn sich Menschen verstehen, dann geht was weiter. Das Menschliche ist ganz wichtig dabei.

Worauf achten Sie, wenn Sie neue Kooperationen eingehen?

Auf Zuverlässigkeit. Ich finde es furchtbar, wenn ich jemanden nicht erreiche. Wie es in der Vorprojektphase zugeht, ist ganz entscheidend. So wie es zu Beginn ist, wird es nachher auch sein. Da ändert sich nichts mehr daran. Es wird nur noch anstrengender im Projekt. Am Anfang gibt es ja auch noch keine Regeln. Da kommen dann noch die Kultur und die Sprache dazu. Ich halte es nicht aus, wenn jemand poltert. Auch vom Tonfall her. Das kann jemandem einmal passieren, aber dauerhaft ohne Anrede, nur hingeschmissen und nur mit Vorwürfen zu kommunizieren, das ist ganz schlecht. Das färbt auf meine Kultur ab. Man muss wirklich aufpassen, dass man seine Kultur pflegt.

Was braucht die Stadt der Zukunft?

Das ist ein breites Thema. Ich finde die folgende Kategorisierung sehr gut:

  1. Eine gute Bürgerbeteiligung und Strukturen, wie man diese forcieren und erschaffen kann.
  2. Governance: Das sind Strukturen, die gewachsen sind. Wir können nicht alles aufheben und heute sagen, dass 8000 Normen in der Bauwirtschaft jetzt obsolet sind und wir alles neu machen. Diese Strukturen müssen ja da bleiben, aber wir können eine Überholspur einbauen. Damit gute Ideen wie ein „Notfall“ behandelt werden, immerhin haben wir unsere Klimaziele schnell und zielgerichtet zu erreichen. Was machen wir beispielsweise, wenn es Starkregenereignisse gibt? Dafür müssen wir unsere Strukturen verändern, müssen schneller sein, müssen hinschauen. Es muss eine Art „Fast Lane“ geben.
  3. Politik, natürlich die Unterstützung.
  4. Finanzierung: Ohne Geld bewegen sich Dinge langsamer. Da kommen wir natürlich auch in alternative Finanzierungsformen hinein, wie u.a. Crowd-Funding, Crowd-Investing. Wie könnte man hier die Beschaffung anders angehen – nicht so strikt, sondern innovativer? Gibt es Incentives für die Menschen, die mehr für die Gesellschaft tun? Wie können wir Menschen, die im Notstand leben, aber vielleicht Zeit haben, einbinden und belohnen? Die dann auch Akzeptanz von DEN Menschen erfahren, die zwar selbst nicht aktiv sein können, aber das Geld in den Topf geben, um diese Mitarbeit, diesen Beitrag für die Gesellschaft zu honorieren. Im Kindergarten funktioniert das teilweise ja auch schon ganz gut, dass Kinder aufgenommen werden, obwohl die Eltern keinen Beitrag leisten können. Eigentlich haben wir ganz gute Strukturen dafür.
  5. Innovation und Technologie: Wo setzen wir mit welcher Technologie an? Wie weit lassen wir Digitalisierung zu? Ich bin skeptisch, dass uns die Digitalisierung allein retten wird. Sie ist ein horizontales Thema, kein Thema für sich. Wir können sie nutzen, aber wir müssen aufpassen, dass wir nicht selber zum Handlager der Digitalisierung werden.

Alle anderen Themen fließen da hinein – von der Mobilität über Gebäudestrukturen, Baukultur, Versorgung, Lebensmittel, Begrünung bis zu sozialen Aspekten, Aufenthaltsqualität und die gesamte Infrastruktur.

Ich bin ja dafür, dass wir die Autos so weit wie möglich aus der Stadt draußen lassen. Wir haben so viele andere Fortbewegungsmöglichkeiten, wir brauchen nicht mit dem Auto durch die Stadt fahren.

Und die Lebensmittelproduktion urban gestalten, die Produkte nicht von weit herholen.

Was sind die wichtigsten Maßnahmen für bestehende Gebäude?

75 Prozent der Gebäude wurden vor 1990 gebaut. Darin liegt enorm viel Potenzial und die Sanierung muss forciert werden Mit einer CO2-Steuer wird das Bauen höchstwahrscheinlich teurer werden. Das kann aber auch zur Folge haben, dass die Sanierung – im Sinn des Wiederverwendens von vorhandenen Ressourcen – vielleicht lukrativ wird. Wahrscheinlich werden wir einmal dort sein, dass der- oder diejenige, die/der Ressourcen verwendet, die schon da sind und den geringeren CO2-Ausstoß belegen kann, in irgendeiner Form eine Vergütung bekommt. Das Sanieren muss hipp werden! Wir können das schwer erzwingen. Warum soll jemand, der 75 ist, sein Heizsystem, zum Beispiel eine Gasheizung, austauschen? Vielleicht gerade noch für seine Kinder. In den 1960er-Jahren sind Ölofen gebaut worden, die halten heute noch – da fällt es schwer, auf Technologien umzusteigen, die gerade mal eine wirtschaftliche Lebensdauer von 20 Jahren haben. Wir müssen auf die Planung und den Betrieb schauen. 80 Prozent der Betriebskosten werden bereits während der Planungsphase bestimmt. Und wenn Bauwerksbegrünung da eingerechnet werden könnte, ist eine gute Synergie möglich. Im Grunde genommen müssen wir sehr schnell den Bestand der Gebäude so sanieren, dass sie a) weniger Energie verbrauchen und diese dann aus erneuerbaren Energien kommt, b) selber Energie erzeugen und speichern und c) selbst in Pandemien oder Extremwettersituationen ein gutes Leben ermöglichen. Dieser letzte Bereich bedeutet, dass ich tagelang in einem Gebäude ausharren können muss, ohne Strom, mich irgendwie versorgen können muss. Das Gebäude wird eine Multifunktion übernehmen. Was ist wenn? Wo bekomme ich meine Lebensmittel her? Meinen Strom? Die Technologien dafür sind alle da, dass wir unsere Gebäude zukunftsorientiert ausstatten. Im Grunde genommen müssen wir uns immer das Worst-Case-Szenario vorstellen und dann zurückgehen und z.B. fragen: Wie baue ich meine Gebäude, wenn es draußen 40 Grad hat, so dass ich mich eine Woche lang auch ohne Klimaanlage drin aufhalten kann, weil aufgrund der Hitze der Strom ausgefallen ist? Denken wir an Australien, denken wir an Griechenland, das ist nicht weit weg. Wir werden es miterleben, dass wir tagelang hintereinander Temperaturen über 37 Grad haben.

Wo steht die Baubranche in der Entwicklung in Richtung Nachhaltigkeit?

Wir können noch viel tun. Wir stehen nicht am Anfang, aber wir haben noch einen weiten Weg vor uns. Bauen hat mit Menschen zu tun, und die müssen nachhaltig denken und agieren.

Was sind die zentralen Herausforderungen?

Wir haben heuer eine starke Ressourcenknappheit erlebt. Das ist die Globalisierung: Wenn wir unser Holz ins Ausland exportieren und dann im Land keines mehr haben, dann fragt man sich schon, was das für einen Sinn im Bereich Nachhaltigkeit hat. Oder Holzimporte zu tätigen, die durch den Transport wieder sehr viel CO2 verursacht haben. Obwohl die Holzbranche bezüglich ihrer Ressourcennutzung sehr innovativ und ein wachsender Markt ist.

Sich zu fragen, wo die Materialien herkommen, ist wichtig. Im Grunde genommen bräuchten wir da viel mehr Mut und Menschen, die sagen: „Ich denke anders und überlege mir, welche Materialien wie zum Einsatz kommen, wie flexibel ein Gebäude sein kann.“

Ich bin kein Fan davon, dass man die Gebäude einteilt, dass man sagt, das ist jetzt ein Passivhaus, das ist ein Niedrigenergiehaus und wir brauchen Plus-Energie-Gebäude. Energie ist nicht die einzige Kennzahl, die zählt. Nur energieeffiziente Häuser zu schaffen und daneben die Biodiversität aus dem Auge zu lassen, finde ich falsch. Ohne Biodiversität gibt es keine Zukunft für uns Menschen. Denn die Qualität von Luft, Wasser und Nahrung hängt von einer hohen biologischen Vielfalt ab. Einige Wissenschaftler*innen gehen davon aus, dass das sechste Massenaussterben in der Erdgeschichte bereits begonnen hat.

Es ist aber notwendig, Gebäude zu klassifizieren, um gemeinsame Ziele zu definieren und sie messbar zu machen. Es dient dazu, dass wir uns verständigen können, dass wir Zertifizierungen haben und wissen, wann ein Plus-Energie-Gebäude als solches gilt. Das ist in dieser Komplexität nicht schlecht, aber im Grunde genommen brauchen wir Leute, die viel mutiger sind und die hohe Kunst der Nachhaltigkeit anwenden, die bei Plus-Energie-Gebäuden im Quartiergedanken bleiben, Mobilität einbeziehen und schauen, wie sich Gebäude untereinander energietechnisch unterstützen können. Ich finde, da ist noch viel möglich. Wir sehen das selber bei der Bauwerksbegrünung. Wir sind weit davon entfernt, dass das im Quartier ein Standard ist. Das müsste bei jedem Gebäude mit eingeplant werden und u.a. mit einem Biodiversitätsfaktor ausgewiesen werden – und in der Zukunft auch Vertical Farming inkludieren.

Wie könnten wir hier einen schnelleren Fortschritt zu erzielen?

In Österreich geht es eigentlich sehr gut mit Anreizsystemen, mit Förderungen. Wir müssen viele Leuchtturmprojekte schaffen, so wie unser BERTA-System. Ein modulares Grünfassadensystem wurde im Rahmen des Forschungsprojektes „50 Grüne Häuser” bereits an über zehn Standorten in dicht verbauten Wiener Stadtgebieten erprobt. Die Begrünung besteht aus langlebigen Faserzement-Trögen mit Wasserreservoir und Spezialsubstrat, individuell auf die jeweilige Fassade angepassten Pflanzen und falls nötig einer Rankhilfe. Die Komponenten sind aufeinander abgestimmt und wurden von Baupolizei, Stadtbild und weiteren Behörden geprüft und der Genehmigungsprozess, der früher 1,5 Jahre dauerte, wurde verkürzt. Die Stadt Wien hat eine Förderung aufgesetzt, und nun können die Umsetzungen mit bis zu 6.880 Euro gefördert werden.

Wir geben unser Wissen hinsichtlich Abstimmung in der Hausgemeinschaft, Kontakt zu neun Magistraten oder die Förderung und Finanzierung weiter. Das ist eine Herangehensweise, die sehr stark in das Thema Governance, aber bis zur Partizipation geht: Wie können wir Menschen abseits von Verzicht ansprechen? Stellen wir uns das einmal real vor, was es heißt: „Wir müssen in Zukunft verzichten, damit wir unsere CO2-Emissionen einsparen.“ Nie und nimmer geht das. Wenn man mit einer bestimmten Welt aufgewachsen ist, dann wird man nicht zurückgehen und sagen: „Ich verzichte jetzt, obwohl es möglich wäre.“ Wir werden uns andere Modelle überlegen müssen.

Was braucht es statt Verzicht?

Andere Technologien. Denken wir an die Mobilität: E-Scooter haben sich in Wien durchgesetzt. Fahrräder haben sich durchgesetzt. Weil sie eine gute Alternative waren. Eigentlich könnten wir ohne Auto auch auskommen, wenn man stattdessen etwas anderes anbietet. Und wenn es keine Verbesserung ist, sondern wirklich eine Verschlechterung, dann muss man das in irgendeiner Form aufwerten. Man muss dafür etwas anderes bekommen. Und sagen: „Ja ich verzichte darauf, aber dafür habe ich dort irgendwo meine Vorteile.“ Das wird akzeptiert werden. Und wenn wir an die Möglichkeiten der CO2-Senken denken, ist noch einiges anderes möglich.

Oft werden Klimaschutz und Wirtschaftlichkeit als entgegengesetzte Kräfte gezeichnet. Wie sehen Sie das?

Ich sehe das gar nicht so. Ich finde, dass wir in Österreich sehr gut sind, gerade in der Umwelttechnik. Viele gute Technologien und Dienstleistungen kommen sogar aus Österreich. Im Bereich Bauwerksbegrünung haben wir heuer den ersten Green Market Report veröffentlicht – wir haben eine Methode entwickelt, wie wir die Umsetzung von Fassaden-, Dach- und Innenraumbegrünung messen können. Da haben wir uns u.a. genau angeschaut, wie viele Förderungen es in Österreich gibt, wie viele Ausführende, wie viel Substrat verlegt wurde oder wie viele Arbeitsplätze geschaffen wurden. Wir wissen, in den letzten 10 Jahren sind 38 Prozent der Firmen, die es heute gibt, dazu gekommen. Mit dem Green Market Report können wir genau sagen, dass es einen dynamischen Markt gibt, mit einer durchschnittlichen Wachstumsrate von neun Prozent pro Jahr. Aktuell wird in Österreich jedes zehnte Flachdach als Gründach ausgeführt. Das ist relativ wenig. Laut dem Green Market Report Austria  könnten allein in Wien 18 Millionen m2 Dachfläche mit geringem Aufwand begrünt werden. Die Forcierung von begrünten Gebäuden könnte mehr Grünraum, Wohlbefinden und Arbeitsplätze schaffen. Pro 8.000 m² Gründachfläche entstehen zehn neue Arbeitsplätze. Würde jedes zweite Gründach im Neubau bis 2030 begrünt ausgeführt, ergäbe das mehr als 33.000 neue Arbeitsplätze.

Das Problem ist nur, dass wir sehr schwer Menschen bekommen, die diese Arbeit verrichten wollen. Der Fachkräftemangel ist derzeit enorm. Das liegt auch daran, dass die Gesellschaft diese Arbeit nicht wertschätzt. Da geht es nicht nur ums Verlegen. Mit Dachbegrünungen hat man eine riesige Wirkung, gesundheits-, wirtschafts-, energie- und umweltpolitische Ziele zu erreichen. Ich glaube, es ist wichtig, dass man die Wirkung hinter diesen Arbeiten auch weitergibt und versteht. Eigentlich müsste unser Ausbildungssystem dazu anders ausschauen. Das geht bis dorthin, dass wir die Bedeutung von Jobs definieren und damit ihren Wert sichtbar machen müssten – die Pflegekräfte, Volkschullehrer*innen und Kindergartenpädagog*innen, die sollten eigentlich eine ganz eine andere Stellung in unserer Gesellschaft haben.

Wie sieht für Sie eine zukunftsfähige Wirtschaft aus?

Innovationen beflügeln die Wirtschaft! Denn sie schaffen Veränderung, auch Wachstum in einer gewissen positiven Sicht und Beschäftigung. Es gibt gute Katalysatoren, wie Kooperationen oder die Digitalisierung. Auch Start-ups sind gute Treiber für neue Produkte und Dienstleistungen am Markt. Innovationen werden durch die Neuartigkeit bestimmt und decken einen Bedarf, der neu entsteht.

Gerade in Österreich sind wir sehr gut mit Ideen und Technologien aufgestellt. Ich fände es schade, wenn diese ins Ausland abfließen würden. Die letzten Diskussionen haben wieder gezeigt, dass wir hohe Personalkosten haben, dass durch das strenge Reglement Firmen überlegen, wie sie abwandern können. Und das ist sehr schade. Allein wenn wir die Sanierungsquote heben – wie viele Arbeitsplätze können dabei generiert werden! Da trifft sich dann auch der Klimaschutz mit der Wirtschaft.

Was möchten Sie anderen Menschen / Unternehmen aus Ihrer Erfahrung mitgeben?

In der heutigen Zeit: sehr flexibel bleiben, nicht starr denken, Zeit für Innovationen einräumen. Und von hinten nach vorne denken. Wir leben in einer sehr dynamischen Zeit, wobei wir angesichts der Klimaszenarien variantenreich denken müssen. Die Veränderungen, die auf uns zukommen werden, werden uns alle treffen – alle Sparten, alle Wirtschaftszweige. Wir alle müssen einen Plan A und einen Plan B denken: Was passiert, wenn der Strom weg ist? Wie es heuer in Griechenland zugegangen ist, ist ein gutes Beispiel. Und die Pandemie ist auch ein gutes Beispiel. Wir waren nicht drauf vorbereitet. Was machen wir in Notfällen? Was machen wir, wenn es anders weitergeht? Und sich dann überlegen, wo Nischen sind, welche Kompetenzen da sind. Flexibel bleiben. Ich denke das ist das Schlagwort der nächsten Jahrzehnte. Sehr flexibel bleiben und schauen, dass man sein Team so interdisziplinär wie möglich aufstellt.

Was ist der Leitsatz Ihres Lebens?

Früher war es: „Augen und Ohren offenhalten, für jede Gelegenheit.“
Das hat sich in den letzten Monaten verändert und konkretisiert ich sage nun: „Ein gesunder Mensch kann nur auf einer gesunden Erde leben.“ Die Pandemie hat es uns bewiesen.

Susanne Formanek, Mitbegründerin und Geschäftsführerin

  • GRÜNSTATTGRAU Forschungs- und Innovations- GmbH, Wien
  • Branche: Baubranche
  • Anzahl der Mitarbeiter*innen: 11 (inkl. Teilzeit)
  • Website: www.gruenstattgrau.at