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Ulfert Höhne, OurPower
Energie­genossenschaft

Ein Online-Marktplatz für Ökostrom: Auf ourpower.coop verkauft Susi ihren Solarstrom vom eigenen Dach an Nachbar*innen und Freund*innen. Und Willi bezieht seinen Strom direkt von Susi, vom Windrad im Nachbarort und von Klaras Kleinwasserkraftwerk.

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Foto: privat

Der Online-Marktplatz ourpower.coop macht‘s möglich: Jede/r kann Ökostrom direkt von regionalen Stromerzeuger*innen kaufen bzw. ab Dach verkaufen.

BUSINESSART: Ulfert, du bist einer der Pioniere in Sachen Ökostrom in Österreich. Du hast vor fast 25 Jahren den Bundesverband Erneuerbare Energie gegründet und vor rund 20 Jahren mit der oekostrom AG den Energiemarkt aufgemischt. Was waren für dich im Rückblick die positiven Entwicklungen und was ist falsch gelaufen?

Ulfert Höhne: Positiv ist der Erfolg der Idee. Nie hätte ich geglaubt, dass einmal fast alle Stromhändler mit 100 Prozent Ökostrom werben. Schmerzhaft ist, dass noch immer die großen Konzerne den Energiemarkt bestimmen, und dass die Öko-Kraftwerke und die Regionen nichts von den vielen Ökostrom-Käufer*innen spüren, weil die Stromhändler alle mit Öko-Zertifikaten abspeisen. Der Zertifikate-Markt ist die größte Fehlentwicklung – er hat uns Bürger*innen den Ökostrom-Markt gestohlen. Großartig ist, dass immer mehr Leute draufkommen, dass es auch anders geht.

Wie ordnest du dein aktuelles Engagement mit der Plattform OurPower in dieser Kette ein? Was hat am Energiemarkt konkret gefehlt?

OurPower setzt jetzt um, was die Digitalisierung heute möglich macht: Bürger*innen zum Zentrum des Strommarktes erheben. Jede und jeder kann heute Strom erzeugen und ihn an Nachbar*innen, Freund*innen und Interessierte verkaufen, und auch den Preis selbst bestimmen. Aber es geht dabei nicht primär um den Preis. Es geht um Engagement, um die Gestaltung der Energiewende und unserer Zukunft. 

Wer sind deine Kund*innen? Wie wird das Angebot angenommen?

Unsere Kund*innen, sind Leute wie du und ich: Alle, die zustimmen, dass die Zeit der passiven Konsument*innen vorbei ist. Was bei Lebensmitteln schon fast normal ist, dass ich selbst entscheide, von welchem Biohof ich mein Gemüse kaufe und welche Art der Produktion ich finanziere, das geht jetzt auch beim Strom. Seit April ist unser Marktplatz online. Jetzt müssen wir bekannt werden und viele Menschen zu Mitgliedern und Nutzer*innen von OurPower.coop machen.

Welche Hindernisse gibt es? Wie überwindet ihr sie?

Das größte Hindernis ist die Struktur des Strommarktes, der nach wie vor fest in der Hand politiknaher Konzerne ist. Sie mystifizieren die Stromversorgung, sodass sich sehr viele Leute nicht trauen, ihren Strom einfach bei Nachbarn zu kaufen, obwohl es ganz leicht ist. OurPower zeigt, dass es geht und dass es einfach und sicher ist, weil OurPower alle Formalitäten abnimmt. Wir leisten Pionierarbeit, schaffen Vertrauen und setzen dabei auf starke regionale Partner – etwa mit dem Energiebezirk Freistadt und der Helios Sonnenstrom GmbH, die seit vielen Jahren hunderte PV-Anlagen mit Beteiligung von Bürger*innen bauen. Das Überwinden der Hindernisse geht mit dem alten Prinzip der Genossenschaft: Was einer nicht schaffen kann, gelingt vielen zusammen.

Wie verbessert deine Arbeit die Welt?

Es geht heute darum, unser Wirtschaften wieder auf Regionen und Menschen auszurichten, Konzerne und Werbedruck zurückzudrängen. OurPower kümmert sich um den Strommarkt: Wir holen ihn in die Hände der Bürger*innen zurück und zwar demokratisch kontrolliert. OurPower ist eine Genossenschaft, an der heute über 350 Personen, Firmen, Vereine beteiligt sind, die je eine Stimme haben. Gemeinsam bauen wir in Österreich einen Marktplatz für Energie auf. Jede Stromkäuferin, jeder Stromverkäufer stärkt die Region, die Demokratie und die Bürger-Power – und ist eine lebende Antwort gegen die Klimakrise.

Wie sieht die Zukunft aus, wenn du erfolgreich bist?

In zehn Jahren werden Energie-Genossenschaften die führende Organisationform im neuen kooperativen und demokratischen Marktsystem sein. Stromhändler und mächtige E-Konzerne werden fort sein, Strombörsen spielen längst keine Rolle mehr. Denn über OurPower.coop (und seine Nachahmer*innen) bezieht jede und jeder Strom aus gemeinschaftlichen und eigenen Anlagen, die auf Jahrzehnte stabil laufen. OurPower wird als gemeinnützige Plattform nicht nur Stromaustausch vermitteln, sondern auch Beteiligungen an Gemeinschaftsanlagen, Ideen und Engagement gegen Energieverschwendung.

Wie gelingt es, ein ausreichendes Momentum zu erzielen?

OurPower heißt ja genau das: mit Leuten gemeinsam eine Vision entwickeln, sich große Ziele stecken, Überzeugungsarbeit leisten und mit den Menschen zusammenarbeiten, die irgendwie dasselbe träumen und wollen, und dabei bereit sein, die extra Meile zu gehen für Qualität.

Bekommt die Produktion von Strom aus nachhaltigen Quellen anhand der politischen Vorgaben zum Klimaschutz deiner Meinung nach Flügel? Wenn ja, wann rechnest du mit einer spürbaren Entwicklung in diese Richtung?

Zwei aktuelle EU-Energie-Richtlinien sind Grund für den Optimismus. Sie setzen das Ziel für ein Energiesystem „mit den Bürger*innen im Mittelpunkt, worin die Bürger*innen die Eigentümerschaft und Verantwortung für die Energiewende übernehmen“. Damit der Markt sich ändert und dezentrale Erneuerbare rasant ausgebaut werden, erhalten die Bürger*innen umfassende Rechte. Jede und jeder darf Strom erzeugen, verkaufen oder speichern. Energiegemeinschaften sollen die Kraft der Bürger*innen bündeln und verstärken, um in allen Energiemärkten aktiv zu sein. Bis 1.1.2021 müssen österreichische Gesetze die EU-Vorgaben umsetzen. Auch wenn nicht alles gleich im ersten Anlauf gelingt – dazu sind die Großen zu stark –,kommt hier ganz mächtiger Rückenwind. OurPower ist genau der Verstärker für diese mächtige Energie-Demokratie.

Wenn du einen Wunsch frei hättest – was würdest du dir wünschen?

Heut würd ich mir mehr Klugheit, Ehrlichkeit und Kraft für die Gesetzgeber wünschen. Der Entwurf des Energiegesetzes, den ich grad gelesen hab, strotzt so empörend vom alten Paradigma und von durchsichtigen Interventionen der Industrielobby, als wäre Klimanotstand ein blasser Alptraum. Ja, eine mächtige Wunschfee ist da wirklich dringend nötig.

Welche Rolle spielen Werte für dein Handeln?

Es sind die immateriellen Werte, die mich treiben.

Was sind die wichtigsten Werte für dich?

Die Menschen sind das Wichtigste, ihr Recht, ihre Autonomie, die Freiheit jedes und jeder einzelnen, zu sein und zu leben, wie er oder sie will. Gleichzeitig gilt ihre Selbstverantwortung und Verantwortung für andere und für die Gesellschaft – aus dieser Verantwortung kommt keiner raus.

Daraus leitet sich mein Anspruch, unserer systemischen Ressourcen-Verschwendung und dem Ignorieren der Grenzen unseres Planeten etwas entgegenzusetzen. Das Ziel sind soziale Innovationen, neue Handlungsfelder für viele, Handreichungen zum Aufwachen als aktive Bürger*innen.

Was hat sich durch Corona verändert?

Corona hat der OurPower zuerst einmal rund 50 Veranstaltungen mit unseren Stromverkäufer*innen und mit interessierten Gemeinden und Unternehmen verhagelt. Wir lernen gerade gemeinsam mit unseren Mitgliedern, Fans und Usern, unsere Kontakte ins Digitale zu verlegen, unser Angebot im Internet populär zu machen.

Corona hat aber auch gezeigt, wie wichtig neue Ansätze beim Wirtschaften sind. Regionalität und das Bewusstsein, mit jedem Kauf auch Strukturen, Produzenten, Arbeitsplätze zu sichern, sticht bei immer mehr Menschen den billigsten Preis aus. Das passt zur OurPower-Philosophie.

Welche Werte kann man in Unternehmen leben, welche nicht?

Ich mache da keinen großen Unterschied. Ein Unternehmen ist eine Veranstaltung von Menschen für Menschen. Wir Menschen sind sehr verschieden, und als wär‘ das nicht genug, hat diese Veranstaltung dann noch ihre Spielregeln und Anforderungen von außen.

Welche Herausforderungen kommen 2021 auf uns zu?

Der Klimanotstand wird wieder in den Fokus kommen, hoffentlich nicht zu schmerzhaft. Im Bereich Energie kommt hoffentlich (!) ein ambitioniertes Energiegesetz, das Bürger*innen Handlungsräume öffnet, den Klimafrust in Handlung umzumünzen. Die Herausforderung heißt dann, Zehntausenden Bürger*innen ihre aktiven Chancen im Energiemarkt nahezubringen, die Prozesse zu managen, dass viele selbst Strom erzeugen, speichern, verkaufen, Energiegemeinschaften gründen etc. – und dabei am Puls der Bürger*innen-Beteiligung zu bleiben.

Welche Rolle spielen sie für dich und dein unternehmerisches Handeln?

OurPower ist darauf vorbereitet, sehr flexibel auch auf viele Nachfrager zu reagieren. Jedenfalls wäre uns diese Herausforderung lieber als die eines schwachen Gesetzes, das die Dynamik für Bürger*innen-Energie weiter in die Zukunft schiebt. Allerdings hätte OurPower dann weiterhin eine besondere Stellung: als diejenigen, die schon umsetzen was andere noch träumen. Mit beiden Herausforderungen können wir umgehen, aber klimapolitisch wie auch unternehmerisch wäre mir die „Große Dynamik“ lieber.

Wie begegnest du Herausforderungen?

„Stubborn Optimism“ nennt Christiana Figueres, die Architektin des Pariser Klimaabkommens, dieses Mindset, den Weg des notwendigen Umbaus vorangehen, mit freundlicher Bestimmtheit und gnadenloser Unnachgiebigkeit. Wir lassen uns nicht von den Zweifler*innen und Gegner*innen vom Tun abhalten, sondern kooperieren mit denen, die dasselbe wollen. Je mehr wir sind, umso stärker wird dieser Optimismus und umso größer ist unsere Power. Das sagt schon der Name „OurPower“.

Was ist dein Credo für dein Leben?

Vermeide Dogmen, Floskeln und Credos.

Ulfert Höhne, Mitgründer und Vorstand

OurPower Energiegenossenschaft SCE mbH, Wien

Anzahl der Mitarbeiter*innen:  5

www.ourpower.coop