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Weniger Lebensmittelabfall durch neues Bestellsystem

Bestellsysteme sind die entscheidende Stellschraube für weniger Lebensmittelabfall in Krankenhäusern und Pflegeheimen.

Gründe für übrig gebliebenes Essen sind kein Appetit, wollte Bestandteile des Menüs nicht, Portion war zu groß, Essen hat nicht geschmeckt, Patient war abwesend, falsches Essen geliefert.
United Against Waste (2021): Mitarbeiter:innenbefragung „Lebensmittelabfallvermeidung durch optimierte Bestellsysteme in Krankenhäusern & Pflegeheimen (CARE-Betriebe)“

Der Bedarf an unterschiedlichen Kostformen, die hohe Fluktuation in Krankenhäusern und der unterschiedliche Gesundheitszustand von Patient:innen und Pflegeheim-Bewohner:innen machen die Verpflegungslogistik in CARE-Betrieben (Krankenhäuser und Pflegeheime) herausfordernd. Die Folgen: Überdurchschnittlich viele noch genießbare Lebensmittel müssen am Ende des Tages entsorgt werden. Rechnet man den durchschnittlichen vermeidbaren Lebensmittelabfall pro Jahr auf alle 264 Krankenhäuser in Österreich hoch, so fallen geschätzt zwischen 15.000 bis 25.000 Tonnen Lebensmittelabfall an. Optimierte Essensbestellsysteme können helfen, Lebensmittelabfall in CARE-Betrieben zu reduzieren. Das zeigt ein Forschungsprojekt der Initiative United Against Waste.

Die durchschnittlichen Verlustgrade von österreichischen Krankenhäusern lagen 2020 bei 30 %, in Pflegeheimen bei durchschnittlich 22 %. Die Gründe dafür sind vielfältig:  Patient:innen oder Bewohner:innen ist es oftmals nur möglich, ganze Menus statt einzelner Gänge (Suppe, Hauptspeise, Salat…) zu bestellen. Gesundheitseinrichtungen passen Portionsgrößen in der Praxis nicht dem Gesundheitszustand oder Alter ihrer Patient:innen an. Die Stationen bestellen zu viele Reserve-Essen, die oftmals automatisch im IT-System mitlaufen. Am Ende des Tages landen dadurch entstandene Tellerreste, unangetastete Menükomponenten wie Suppen oder Salate oder Reserve-Essen auch aus hygienerechtlichen Gründen oftmals direkt im Abfall.

Die Abfall-Zahlen sprechen für sich: Der durchschnittliche Warenverlust durch Lebensmittelabfall liegt in Krankenhäusern bei rund € 359.000, in Pflegeheimen bei rund € 90.000. Und rechnet man den durchschnittlichen vermeidbaren Lebensmittelabfall pro Jahr auf alle 264 Krankenhäuser und circa 900 Alten- und Pflegeheime hoch, so fallen geschätzt zwischen 15.000 bis 25.000 Tonnen Lebensmittelabfall pro Jahr in Krankenhäusern (große Schwankungen bei der Größe der Standorte) und 20.000 bis 25.000 Tonnen in Pflegeheimen an.

United Against Waste hat gemeinsam mit Partnerbetrieben in der Gemeinschaftsverpflegung über die Jahre zahlreiche Lösungsansätze entwickelt, die Großküchen aus CARE-Betrieben als Hilfestellung im Kampf gegen Lebensmittelabfall dienen. Als wesentliche Stellschraube erwies sich dabei der Essensbestellprozess – ein komplexes System, in dem Patient:innen/Bewohner:innen, Pflegepersonal, Diätologie, Küche und IT-Systeme ineinandergreifen. Im Forschungsprojekt nahm United Against Waste deshalb das Thema genauer unter die Lupe. 821 Mitarbeiter:innen, vorwiegend aus der Pflege, wurden befragt und bewerteten Lösungsansätze rund um Bestellprozesse und Lebensmittelabfallvermeidung. Die Lösungsansätze wurden zuvor anhand einer Analyse des Status quo erarbeitet und neben der Befragung auch in einem Stakeholder-Workshop diskutiert. Ein erstes Ergebnis, das besonders überraschte: 70 % gaben an, ausreichend Zeit für ihre Aufgaben rund um die Essensversorgung ihrer Patient:innen/Bewohner:innen zu haben. Das sind gute Voraussetzungen, um die folgenden Lösungen umzusetzen.

Mehr Wahlfreiheit für Patient:innen und Bewohner:innen

United Against Waste empfiehlt, Patient:innen oder Bewohner:innen im Bestellprozess vermehrt selbst wählen zu lassen. Rückhalt gibt es hier von vielen der befragten Mitarbeiter:innen. 57 % halten eine freie Gänge-Wahl für sinnvoll, sofern es der Gesundheitszustand zulässt. Suppe, Dessert oder Beilagen-Salat sollen Patient:innen/Bewohner:innen laut den Befragten individuell zu- oder abbestellen können. Zusätzlich sind sich 89 % einig, dass Patient:innen/Bewohner:innen Portionsgrößen selber wählen sollten. Patient:innen/Bewohner:innen sollten generell bereits in der Grundeinstellung auf Portionsgrößen angepasst werden. Ansonsten ist Lebensmittelabfall vorprogrammiert, wenn beispielsweise Kinder eine Standard-Portionsgröße bekommen.

Problematisch sind auch mitbestellte Reserve-Essen (z.B. für ungeplante Aufnahmen) und automatisch fortlaufende Zusatz-Bestellungen wie Gebäck oder Obst. Am Ende des Tages ist dadurch häufig zu viel Essen auf den Stationen, das schlussendlich entsorgt wird. Die Lösungen: Reserve-Essen in der Küche verfügbar halten und erst bei tatsächlichem Bedarf ausliefern oder zumindest automatische Bestellungen deaktivieren und immer wieder manuell im IT-System auswählen.

Digitalisierung für weniger Lebensmittelabfall

Der dahinterstehende Ablauf von Gänge- oder Portionsgrößen-Wahl im IT-Prozess kann für das Personal zeitaufwendig werden, wenn sich Eingabeoberflächen für diesen Zweck nicht verbessern. Erforderlich ist dementsprechend eine moderne und benutzerfreundlichere Eingabeoberfläche, wo Pflegepersonal auf einem Screen Gänge und Komponenten rasch und übersichtlich wählen kann.
Verpflichtende Kurz-Schulungen für das Personal alle 1 bis 2  Jahre sollten darüber hinaus auch zur Regel werden. Denn Einführungen in den Bestellprozess, z.B. für neue Mitarbeiter:innen, werden oft gar nicht oder nur in unregelmäßigen Abständen und von Kolleg:innen statt geschultem Personal durchgeführt. So ist die Informationsweitergabe oft unvollständig und Wissen über Zusatz-Funktionen und Co im System gehen verloren.

Optimierungsbedarf gibt es auch beim Bestell-Rhythmus in Krankenhäusern. Aktuell bestellen die meisten Stationen wöchentlich, besser wären jedoch kürzere Abstände von 1-2 Tagen. Zuspruch gibt es hier zwar nur von 45 % der befragten Mitarbeiter:innen, sinnvoll wäre eine derartige Umsetzung trotzdem, denn: Patient:innen oder Bewohner:innen haben ggf. nach ein paar Tagen ganz anderen Appetit oder verlassen das Krankenhaus im Schnitt schon nach 4 bis 5 Tagen wieder. Abhilfe könnten hier auch digitale Abfragen der Essenswünsche schaffen, wo Patient:innen und Bewohner:innen auf Touchscreens, Smartphone-Apps, etc. selbst ihre Speisen wählen.

Umsetzung bereits in der Praxis zu beobachten

Das Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser (KWP) setzt ein derartig digitales Abfragesystem bereits um. Dabei wählen die Bewohner:innen, die im Hausrestaurant essen, via Touchscreen selber aus, worauf sie gerade Lust haben – Sonderwünsche inklusive. Die Küche produziert trotzdem nur 80 % vor. Wenn Bewohner:innen doch einmal mehr essen, wird á la minute nachproduziert. Auf den Stationen hat das KWP vom Tablett- zu einem Schöpfsystem umgestellt. Der Vorteil: Das Pflegepersonal portioniert Speisen direkt auf den Teller bei den Bewohner:innen und kann auf etwaige Wünsche individuell eingehen. Außerdem werden langfristige Vorlieben von Bewohner:innen, die bspw. keine Suppe oder Nachspeise möchten, direkt im IT System gespeichert. Auch die gewünschte Portionsgröße ist hier hinterlegt.

Laut KWP ist der springende Punkt im Kampf gegen Lebensmittelabfall aber die Kommunikation: Beim Küchenstammtisch oder mit Smileys können Bewohner:innen Feedback zur Verpflegung geben, bei Küchenführungen zeigen ihnen die Mitarbeiter:innen, was alles an Lebensmittelabfall anfällt und sensibilisieren. Obwohl nicht immer alle Lösungswege umgesetzt werden können – beispielsweise sind einem beim Weiterverwenden der Speisen durch aktuelle Hygienerichtlinien oftmals die Hände gebunden – konnte das KWP seine Lebensmittelabfälle die letzten Jahre halbieren.

Zentrale Lösungswege

wie man in CARE-Betrieben Lebensmittelabfälle reduzieren kann

  • Gänge- oder Komponenten-Wahl statt Menüwahl
  • Grundeinstellung bei Portionsgrößen anpassen; aktive Portionsgrößenwahl
  • Automatisch fortlaufende Bestellungen und Reserve-Essen einschränken
  • Abfrage Essenswünsche: Weiterentwicklung in Richtung täglicher (idealerweise IT-basierter) Abfrage
  • Regelmäßige Schulungen zum Essensbestellsystem: 1-2 jährliche verpflichtende Schulungen (vor allem bei neuen Funktionen im IT-System)

FAKTEN & ZAHLEN

  • Verlustgrad = Verhältnis von vermeidbarem Lebensmittelabfall im Vergleich zum ausgegebenen Essen
  • Durchschnittlicher Verlustgrad österreichischer Krankenhäuser 2020: 30 %
  • Durchschnittlicher Verlustgrad österreichische Pflegeheime 2020: 22 %4
  • Wareneinsatzverlust von österreichischen Krankenhäusern & Pflegeheimen:
    • Krankenhäuser (Basis 2020, 37 Standorte): durchschnittlich € 359.274 pro Krankenhaus
    • Pflegeheime (Basis 2020, 37 Standorte): durchschnittlich € 89.947 pro Pflegeheim
    • Unvermeidbare Zubereitungsreste sind in diesen Zahlen nicht enthalten
  • Durchschnittlicher vermeidbarer Lebensmittelabfall/Jahr auf alle 264 österreichischen Krankenhäuser hochgerechnet: 15.000 bis 25.000 (große Schwankungen bei der Größe der Standorte)
  • Durchschnittlicher vermeidbarer Lebensmittelabfall/Jahr auf alle 900 österreichischen Pflegeheime hochgerechnet: 20.000 bis 25.000

Über das Forschungsprojekt und United Against Waste

United Against Waste ist eine Initiative zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen in der Außer-Haus-Verpflegung und wird von einem breiten Partnernetzwerk aus Wirtschaft, Bund, Ländern, NGOs und Wissenschaft getragen. Die Stadt Wien unterstützt die Initiative United Against Waste und ihre Programme. Das Forschungsprojekt wurde 2021 im Rahmen der Abfallvermeidungsförderung der österreichischen Sammel- und Verwertungssysteme (SVS) durchgeführt.