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Zukunft der Landwirtschaft 2050

Es braucht eine "smarte Landwirtschaft" in Österreich um die Lebensmittelversorgungssicherheit sicherzustellen. Das zeigt eine Studie des Zukunftsinstituts im Auftrag der Österreichischen Hagelversicherung.

Ein Mann mit Hut und kariertem Hemd geht zwischen den Reihen seines Feldes dem Sonnenaufgang entgegen.
Foto: pixdeluxe/iStock

"An der Zukunft der Landwirtschaft muss jede Österreicherin und jeder Österreicher ein existentielles Interesse haben. Ohne Landwirtschaft kein Essen, ohne Essen kein Leben“, erklärt der Vorstandsvorsitzende der Österreichischen Hagelversicherung, Dr. Kurt Weinberger, die  Beweggründe für die Beauftragung einer Trendstudie beim Zukunftsinstitut. 

Denn schon heute ist die Selbstversorgung bei bestimmten Lebensmitteln wie Getreide, Kartoffeln, Obst und Gemüse nicht mehr ausreichend gegeben. Durch den Krieg in der Ukraine fällt ein wichtiger Exporteur weg. Erste Länder, wie zum Beispiel Ungarn, erlassen Exportbeschränkungen. Das schlägt sich in steigenden Rohstoffpreisen nieder. Zudem ist Österreichs Landwirtschaft von zwei besonderen Spannungslagen betroffen: der globalen Erderwärmung, die zunehmende Unwetterextreme mit sich bringt, und dem zu hohen heimischen Bodenverbrauch. Diese beiden Herausforderungen gefährden die Versorgungssicherheit in den nächsten drei Jahrzehnten. Aus Verantwortung für heutige wie künftige Generationen besteht nur eine sehr knappe Frist, eine Trendumkehr einzuleiten.

Die Österreichische Hagelversicherung will diese Megatrends für den Agrarsektor aufzeigen, damit Entscheidungsträger*innen daraus Maßnahmen ableiten können und hat anlässlich des 75-Jahr-Jubiläums die Studie „Die Zukunft der Landwirtschaft in Österreich 2050+“ beim Zukunftsinstitut beauftragt. In vier Szenarien werden künftige Entwicklungen beleuchtet. Daraus werden konkrete Handlungsempfehlungen für den Erhalt einer smarten und nachhaltigen Landwirtschaft, die unsere Bevölkerung mit ausreichend qualitativ hochwertigen Nahrungsmitteln versorgt, abgeleitet.

Eine neue Ära der Landwirtschaft beginnt

„Die Landwirtschaft hat sich radikal gewandelt. In den vergangenen Jahrzehnten wurde die landwirtschaftliche Produktion stetig automatisiert. Durch den Bodenverbrauch erfolgt auf immer weniger Agrarflächen eine landwirtschaftliche Produktion. Zusätzlich schwebt das Damoklesschwert des Klimawandels mit den einhergehenden Wetterextremen über einem hoffentlich stabilen Ertrag. Zusätzliche Herausforderungen sind Dumpingpreise von Lebensmitteln und der Wegfall von Arbeitskräften in der Landwirtschaft sowie die fehlende Work-Life-Balance, da viele Landwirtinnen und Landwirte 365 Tage im Jahr hart arbeiten. Die Diskussion in der Ernährungsfrage nimmt auch zu. Die vegane Front auf der einen, die Fleischfreunde auf der anderen Seite“, so der bekannte Zukunftsforscher Matthias Horx in einer Bilanz über den Status quo der österreichischen Landwirtschaft.

Was bringt die Zukunft?

Folgende Megatrends (Veränderungen) sind Zukunftstreiber auf dem Land

1. Megatrend Neo-Ökologie: Was ist daran so neu? Ökonomie und Ökologie schließen sich bei der Neo-Ökologie nicht gegenseitig aus. Umweltbewusstsein wird vom individuellen Lifestyle zur gesellschaftlichen Bewegung, Nachhaltigkeit vom Konsumtrend zum Wirtschaftsfaktor: Das Landleben wird neu gedacht, regionale und nicht zuletzt biologische Lebensmittel gewinnen weiter an Bedeutung, die konventionelle Landwirtschaft positioniert sich stark dank ausgebauter Markenprogramme und der Bodenschutz rückt zunehmend in den Mittelpunkt neo-ökologischen Handelns.

2. Megatrend Gesundheit: Die Gesundheit des Planeten und die Gestaltung unserer Umwelt sind untrennbar verbunden mit unserer individuellen Gesundheit. Vor allem die Corona-Pandemie hat diesem Megatrend einen immensen Schub gegeben: die Ernährungssouveränität als Gebot der Stunde und damit einhergehend ausreichend Äcker und Wiesen für eine stabile, vom Ausland unabhängige Produktion.

3. Megatrend Urbanisierung: Immer mehr Menschen sehnen sich auch durch die pandemiebedingten Lockdowns nach der „ländlichen Idylle“ und versuchen, diese zunehmend in den städtischen Raum zu integrieren. In der neuen Urbanität wird damit versucht, das Beste aus beiden Welten zu kombinieren, wie den Wunsch nach Regionalität und auch lokaler, städtischer Autarkie mit gemeinschaftlichen Urban-Farming-Initiativen. Neben der „Verdörflichung“ der Stadt kommt es zu einer „Verstädterung“ des Landes.

4. Megatrend Konnektivität: Digitale Technologien und künstliche Intelligenz nehmen eine zentrale Rolle ein. So kann eine gesunde, vielfältige und sichere Ernährung für eine wachsende Bevölkerung sichergestellt, gleichzeitig der Klimawandel bewältigt und die Auswirkungen auf die Umwelt begrenzt werden.

5. Megatrend Globalisierung: Durch Corona und durch den Ukrainekrieg wurden Grenzen geschlossen, Wertschöpfungsketten unterbrochen. Das Verhältnis zwischen lokal und global muss neu austariert werden. Die Globalisierung wird dabei nicht verschwinden, aber sie wird sich anpassen, durch die Rückholung vieler Wertschöpfungsketten in regionale Kontexte und durch eine neue Balance zwischen Weltoffenheit und Heimatverwurzelung.

6. Megatrend Sicherheit: Klimawandel und Preisdruck beeinträchtigen das Gefühl der Sicherheit bei hofübernehmenden Generationen, auch wenn es gilt, im digitalisierten und globalisierten 21. Jahrhundert Unsicherheiten auszuhalten. Das Thema Resilienz gewinnt an Relevanz.

Welche Landwirtschaft wollen wir 2050?

"Ausgehend von den Megatrends sind vier Szenarien denkbar, wie eine österreichische Landwirtschaft 2050 aussehen könnte – von radikal bis zu einer ausgewogenen und strukturierten Landwirtschaft. Jedenfalls wird und muss sich einiges ändern, um das Megathema der Versorgungssicherheit in den nächsten drei Jahrzehnten zu erreichen“, so Horx.

Szenario 1 - Post-Landwirtschaft 2050: Nach ungebremstem Bodenverbrauch und anhaltender Erderwärmung werden die schlimmsten Befürchtungen wahr. Heimische Landwirtschaft ist nicht mehr möglich, Österreich gibt die Landwirtschaft weitgehend auf.

Szenario 2 - Stadt-Landwirtschaft 2050: Die Grenzen der Städte verschieben sich in den ländlichen Raum hinein. Immer mehr Agrarflächen sind versiegelt, Urban Farming kann die Versorgungslücke nur partiell schließen. Österreich kann sich bei weitem nicht selbst versorgen und ist abhängig von Importen.

Szenario 3 - Biologische Landwirtschaft 2050: Österreich bleibt Musterland der ökologischen Landwirtschaft und passt sich beispielhaft an die Herausforderungen des Klimawandels an. Doch Lebensmittel sind aufgrund höchster Produktionsstandards teuer, das Land bleibt hinter den eigenen Möglichkeiten zurück.

Szenario 4 - Robuste, smarte Landwirtschaft 2050: Satelliten und Drohnen ersetzen weitestgehend die Augen und Ohren der Bauern auf dem Feld, Roboter ihre Hände. Im Einklang mit der Natur und dank Big Data lassen sich Anforderungen und Erträge in der Landwirtschaft präziser vorhersagen, wobei die Erträge durch die Zunahme der Wetterextreme zunehmend volatil werden. Die Lebensmittelversorgung ist durch den Erhalt der noch bestehenden Agrarflächen gewährleistet, Klimaschutz ist ein Gebot der Stunde.

Handlungsempfehlungen für smarte und nachhaltige Landwirtschaft 2050+

„Faktum ist: Nur ein hoch digitalisierter Agrarsektor mit ausreichend Agrarflächen kann die Balance zwischen Ernährungssicherheit, Umweltgesundheit und hochwertigen Produkten herstellen. Politik, Gesellschaft und  (Agrar-)Wirtschaft müssen schon jetzt auf diese vier agrarischen Handlungsempfehlungen reagieren, damit diese smarte und nachhaltige Landwirtschaft 2050 keine Utopie bleibt“, weist Horx auf die Dringlichkeit hin.

1.  Verständnis für Landwirtschaft und Landleben fördern: Bäuerinnen und Bauern müssen wieder Wertschätzung für ihre Arbeit erfahren, damit auch kommende Generationen noch in der Landwirtschaft arbeiten wollen. Zudem muss die Qualität der heimischen Ernährung in der Schulausbildung Berücksichtigung finden. Der ländliche Raum gehört durch Digitalisierungsoffensiven gestärkt.

2.  Faire Einkommen und Work-Life-Balance garantieren: Die Politik muss den Preiskampf um landwirtschaftliche Produkte entschärfen, Konsumentinnen und Konsumenten müssen angemessenere Preise zahlen. Der Gesundheitsschutz der Landwirte muss darüber hinaus einen höheren Stellenwert bekommen.

3.  Bodenschutz priorisieren: Der Bodenverbrauch in Österreich muss so schnell wie möglich gestoppt werden. Stadt- und Gemeindeentwicklung darf nicht mehr auf Kosten fruchtbarer Flächen betrieben werden. Innovativ planen und bauen, Leerstand nutzen, aber auch politische Zuständigkeiten und Steuern reformieren – effektiver Bodenschutz setzt an vielen Hebeln gleichzeitig an. Dafür braucht es ein umfassendes Maßnahmenbündel!

4.  Nachhaltigkeit intensivieren: Österreich muss zum Forschungs- und Entwicklungsstandort für Nachhaltigkeit werden. Mehr Digitalisierung, moderne Tierwohlkonzepte, verstärkter Klimaschutz und wegweisende Pflanzenzüchtungen schaffen Sicherheit unter unsicheren (klimatischen) Bedingungen.

Appell der Hagelversicherung: Gestalten, nicht zerstören!

Wollen wir, dass auf der Speisekarte des Restaurants der Name eines Labors in Amerika als Produzent des Wiener Schnitzels steht? Dass die Supermarktregale ähnlich ausgeräumt sind wie zu Corona-Zeiten in vielen Ländern Europas? Dass es in Zeiten von kriegerischen Handlungen Lieferengpässe bei vielen Grundnahrungsmitteln gibt? Wollen wir, dass unsere Enkel die Landwirtschaft nur mehr aus YouTube Videos kennen?  Wollen wir das als Realität für Österreich oder tun wir es als Science-Fiction ab?

Wenn wir das nicht wollen – und davon ist auszugehen – müssen diese Handlungsempfehlungen von der Wertschätzung und der fairen Preisgestaltung bis hin zum Kampf gegen den Klimawandel und den Bodenverbrauch ernst genommen werden. Es muss ein Umdenken stattfinden, ein neuer Umgang mit der Natur erfolgen, in der der Mensch als ihr Gestalter auftritt, nicht als ihr Zerstörer. Und gerade Corona und der jetzige Krieg in der Ukraine zeigen auf dramatische Weise, wie wichtig eine intakte Landwirtschaft im eigenen Land ist. Die Lösung liegt jedoch nicht primär in einem „Zurück zur Natur“, sondern in einer klugen Synthese von traditionellen Methoden und neuen Technologien. Der Umbau der Landwirtschaft muss rasch beginnen, in einem betriebs- und volkswirtschaftlichen Erfolg münden und auch soziale Anerkennung verdienen.

„Denn wir dürfen eines nicht vergessen: Die Landwirtschaft ist zweifelsfrei eine Schlüsselbranche für die Zukunft der Menschheit. Wir brauchen sie zum Leben. Von ihr kommen unsere Lebensmittel, sie gestaltet die Schönheit unseres Landes. Niemand kann in die Zukunft sehen, aber wir können sie gestalten. Daher werden wir unsere Initiativen konsequent fortsetzen. Zum Wohle der österreichischen Landwirtschaft und damit zum Wohle der zukünftigen Generationen!“, appelliert Kurt Weinberger.