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DDr. Michael Landau, Präsident Caritas Österreich

"Wir brauchen einander wesentlich, d.h. von unserem Wesen her. Oder anders gesagt: Ohne ein Du wird keiner zum Ich".  Michael Landau

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Michael Landau Foto: Ingo Pertramer

Wie ist es um die Menschlichkeit und den sozialen Zusammenhalt in Österreich bestellt?

Solidarität ist in Österreich keine leere Worthülse, sondern eine vielfach gelebte Wirklichkeit: Fast die Hälfte der Österreicherinnen und Österreicher (Alter > 15 Jahre) ist freiwillig aktiv. Wir sehen auch in unserer täglichen Caritas-Arbeit: Es gibt einen guten Grundwasserspiegel der Nächstenliebe in unserer Gesellschaft. Das ist ein hohes Gut, das wir auch miteinander pflegen sollten. Nicht zuletzt leisten die Pfarrgemeinden hier einen wichtigen Beitrag. Mit einem Caritas-Wortpaar: WIR > ICH.

Wo können wir zufrieden sein?

Allein in der Caritas engagieren sich 50.000 Menschen freiwillig unter dem Motto „Not sehen und handeln“. Sie schenken Suppe aus, geben Kindern Nachhilfe, oder übernehmen Besuchsdienste in unseren Einrichtungen für pflegebedürftige Menschen.

All diese Menschen spenden etwas ganz Kostbares: Ihre Zeit. Und all diese Menschen wissen und erfahren oft ganz unmittelbar, dass der Schlüssel zu einem geglückten Leben eben nicht darin liegt, sich nur um das eigene Glück, sondern sich auch um das Glück der anderen zu kümmern.

Was läuft schief?

Wir sehen in unserer Arbeit, dass die Kosten fürs Wohnen und Heizen für viele Menschen ganz konkrete, schwierige Herausforderungen sind. Menschen suchen Arbeit, von der sie leben können. Für viele ist die Zukunft der Pflege ein Thema, oder der Zugang zur Bildung für Kinder aus armen Familien. Ich bin überzeugt: Wir dürfen uns mit der Armut nicht abfinden, die es auch bei uns gibt! Als Caritas setzen wir hier mit unseren Hilfs-Angeboten unterstützend ein, fördern und begleiten Veränderung, auch im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe. Und wir erheben die Stimme für jene, die leicht überhört werden. Denn wir dürfen nicht auf den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft vergessen. Zugleich bin ich zuversichtlich, wir können ein gutes Leben für möglichst alle Menschen in Österreich erreichen. Wir müssen dazu aber zusammenarbeiten: Wirtschaft, Politik Kultur, Sport und natürlich die Zivilgesellschaft. Jeder und jede Einzelne ist hier gefragt!

Was sind die Ursachen dieser Entwicklung?

Durch die Schnelllebigkeit unserer Zeit, die Digitalisierung und Globalisierung wird Vieles oft verkürzt dargestellt oder wahrgenommen. Wenn etwa die zuletzt auf Bundesebene neu geregelte Sozialhilfe nicht mehr das Mindeste sichert, sondern die Gefahr birgt, dass z.B. Eltern mit mehreren Kindern in Notsituationen geraten, dann halte ich das für ein Problem. Keiner Mindestpensionistin geht es besser, wenn es einer kinderreichen Familie schlechter geht. Menschen gegeneinander auszuspielen, ist aus meiner Sicht gefährlich. Ziel von Politik, unter welcher Bundesregierung immer, muss doch sein, dass Kinderarmut und Altersarmut in Österreich sinken und nicht steigen und alle Kinder eine faire Chance erhalten – im Sinn der Armutsbekämpfung, aber auch, damit kein Talent, keine Begabung verlorengeht.

Klar ist, wer unser Land liebt, spaltet es nicht. Sieht man sich weltweit um, gibt es diese Versuchung zu einer Politik der nationalstaatlichen Kraftmeierei, und ich glaube, dieser Politik gilt es eine Politik des Zusammenhalts entgegenzusetzen, eine Politik der Hoffnung, die keine Ängste schürt, und eine Politik der Zuversicht.

Roswitha Reisinger, Michael Landau
Roswitha Reisinger, Michael Landau Foto: Privat

Was können unterschiedliche Stakeholder für eine gute Entwicklung tun?

  • Was kann die Caritas tun, um dieser Entwicklung zu begegnen?
  • Was muss die Politik tun?
  • Was können Unternehmen tun?
  • Was können Einzelpersonen tun?

Als Caritas stehen wir für die konkrete Hilfe von Mensch zu Mensch. Not sehen und handeln, das ist unser Kernauftrag. Dazu gehört auch, sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen. Dieser Aufgabe konkreter Hilfe gehen wir an 1.600 Caritas-Orten in ganz Österreich nach: In den Mutter-Kind-Häusern, den Notschlafstellen für wohnungslose Menschen, in den Senioren- und Pflege-Häusern, in 36 Caritas- Sozialberatungsstellen, in mehr als 50 Lerncafés, in Projekten für arbeitslose junge Menschen, bis hin zur Begleitung von Menschen am Ende des Lebens, wenn ich an die Hospizarbeit denke.

Klar ist: All diese vielfältigen Aufgaben für ein gutes Miteinander in unserem Land können wir nicht alleine bewältigen. Tagtäglich packen zusätzlich zu unseren hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern viele freiwillige Helferinnen und Helfer beherzt mit an, auch in der youngCaritas. Viele Menschen begleiten uns als Spenderinnen und Spender, oder auch im Gebet. Ohne dieses starke Miteinander, wo wir ein Teil sind, wäre all das nicht möglich.

Auch starke Partner aus der Wirtschaft sind gefragt: Der VERBUND-Stromhilfefonds der Caritas etwa ist ein ausgezeichnetes Beispiel für Nachhaltigkeit und soziales Engagement: Gemeinsam konnten wir bereits 4.600 Haushalten dabei helfen, die ersten Schritte aus der Energiearmut zu tun. Mehr als 11.000 Menschen in Not wurde geholfen, indem kaputte oder energiefressende Elektrogeräte getauscht,

Haushalte energieeffizienter ausgestattet und offene Heizkosten rasch und unbürokratisch beglichen wurden.

Aus der Erfahrung vieler Jahre weiß ich: Die wirtschaftliche Stabilität und Leistung und die soziale Sicherheit in einem Land gehören zusammen. Für eine gute Zukunft Österreichs braucht es beides: Denn soziale Sicherheit ist eine Bedingung für wirtschaftliche Stabilität und umgekehrt.

Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf die Gesellschaft in Österreich?

Die Stürme werden stärker und die Hitzeperioden heftiger. Das spüren wir auch hier in Österreich. Gerade ältere Menschen leiden oft auch gesundheitlich unter den heißen Sommertagen, das erfahren unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pflege in ihrer täglichen Arbeit. Aber ich denke auch an die Situation obdachloser Menschen, die Orte brauchen, etwa in den Caritas-Tageszentren, wo sie Kühlung finden können.

Für mich ist das sichtbare Engagement der vielen Schülerinnen und Schüler mit der Aktion Fridays for Future ein ganz großes Hoffnungszeichen. Gerade junge Menschen haben offenbar ein Gefühl dafür, dass wir als Menschheit eine Familie sind, und uns die Welt gemeinsam anvertraut ist als das eine, gemeinsame Haus der Schöpfung.

Hier sehe ich eindeutig eine Schnittstelle auch zu unserer Arbeit als Caritas: Wenn wir Hunger und Armut auf dieser Welt beseitigen wollen, müssen wir gut auf die uns zur Verfügung stehenden Ressourcen aufpassen. Wir müssen „Mutter Erde“ schützen und bewahren. Ich bin sehr dankbar, dass junge Menschen sich für Klimaschutz und die Umwelt einsetzen. Denn wir haben nur einen Planeten, und daher haben wir die Verpflichtung und die Verantwortung, diesen gemeinsam zu schützen und zu bewahren!

Sie melden sich auch dann zu Wort, wenn es unpopulär ist. Wie gehen Sie mit den Aggressionen, die Ihnen dann begegnen, um? Wie halten Sie das aus?

Als Caritas müssen wir Ungerechtigkeiten aufzeigen, das ist eine unserer Aufgaben. Wir müssen für jene Menschen einstehen, die das nicht für sich selbst tun können. Das ist nicht immer gemütlich. Aber wenn wir als Hilfsorganisation, die jeden Tag mit den betroffenen Menschen zu tun hat, nicht mehr mahnen und an die Not erinnern, wer soll es dann noch tun? Einer meiner Vorgänger, Prälat Leopold Ungar, hat das einmal so ausgedrückt: „Christus hat die Kirche nicht zum Ja-Sagen gestiftet, sondern als Zeichen des Widerspruchs.“ Daran versuche ich mich auch persönlich zu orientieren. D.h. so viel Zusammenarbeit, wie möglich, und so viel Kritik, wie nötig. Papst Franziskus ist hier übrigens manchmal noch viel härter. Und wenn ich etwa an die Caritas-Ernährungszentren in Äthiopien oder im Kongo denke, die ich besucht habe, und an die Kinder, die ich dort gesehen habe, dann ist für mich völlig klar: Wenn Kinder hungern, dürfen wir nicht schweigen. Solange auf der Welt Kinder verhungern, haben wir als Gesellschaft versagt! Wenn manche meinen, das kritisieren zu müssen, dann nehme ich das zur Kenntnis. Inhaltliche Kritik ist natürlich ernst zu nehmen und auch willkommen. Aber beim Rest halte ich es mit Michelle Obama: „When they go low, we go high“, hat sie im US-Wahlkampf 2016 gesagt. Also, sehr frei übersetzt: Wenn die anderen sich nicht benehmen können, ist das ihr Problem. Wir begegnen allen Menschen mit Respekt! Und das möchte ich auch nicht ändern.

Was ist Ihre persönliche Motivation, diesen Weg zu gehen?

Ich bin selbst Seelsorger in einem unserer Pflegewohnhäuser. Mein Glaube, vor allem aber das Gespräch mit Menschen, die ich dort begleite, machen mich sicher: Wir werden am Ende unseres Lebens nicht vor der Frage stehen, was wir verdient haben. Auch nicht vor der Frage nach unseren Titeln, unserem Prestige in der Gesellschaft, so angenehm all das auch sein mag. Sondern wir werden vor der Frage stehen, ob wir aufeinander geachtet haben, füreinander da waren, ob wir als Menschen gelebt haben. Was zählen wird, sind die Taten, nicht die Theorien. Kriterium für die Taten aber sind die anderen.

Was ist Ihre Vision von einer guten Zukunft?

Was hat Österreich groß gemacht? Die Bereitschaft zusammenzustehen, anzupacken, und dabei auf die Schwächsten nicht zu vergessen. Diesen Weg sollten wir weitergehen, wenn uns eine gute gemeinsame Zukunft am Herzen liegt.

Was braucht es, dass diese Vision 2050 Wirklichkeit ist?

Was es für eine zukunftstaugliche Gesellschaft braucht, sind Zusammenhalt und Zuversicht. Das Engagement jeder und jedes Einzelnen ist hier von größter Bedeutung. Wir tragen als Menschen Verantwortung für uns selbst, aber eben immer auch füreinander.

Was müssen wir lernen?

Selbstverständlich gibt es eine Eigenverantwortung der Menschen. Die Eigenverantwortung, die uns anspornt, einen Beitrag zu leisten, die uns anspornt, auf eigenen Beinen zu stehen.

Und genauso wie wir einen funktionierenden Sozialstaat im Sinne institutionalisierter Solidarität brauchen, brauchen wir auch persönliche Solidarität; wir brauchen Menschen, die sich anrühren lassen vom Leid anderer, die helfen wollen und können. Und davon gibt es, Gott sei Dank, sehr viele.

Was ist der Satz Ihres Lebens?

Wir brauchen einander wesentlich, d.h. von unserem Wesen her. Oder anders gesagt: Ohne ein Du wird keiner zum Ich.