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Josef Riegler

Wenn viele Menschen an vielen kleinen Orten viele kleine Dinge tun können sie die Welt verändern.

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Foto: oekosoziales-forum oekosoziales-forum

„Sie können mir Bescheide schicken soviel sie wollen, ich zahle lieber die Strafe, bevor ich diese Investitionen tätige.“ Das erklärte der damalige Generaldirektor der Papierfabrik Gratkorn dem jungen Landesrat Josef Riegler der die extrem verschmutzte Mur wieder sauber machen wollte. „Da wurde mir klar: Wenn wir Umweltschutz und Unternehmen auf einen Nenner bringen wollen müssen die Kosten für Umweltverschmutzung von den Verursachern getragen werden und in den Preis der Produkte einfließen.“ Im November 1989 präsentierte er dieses Konzept als Vizekanzler erstmals unter dem Namen Ökosoziale Marktwirtschaft. „Zwischen 1995 und 2008 wurde ich damit als Exot betrachtet. Erst seit 2008 erhalte ich international zunehmend Bestätigung. Die heftigsten Gegner wie z.B. der Internationale Währungsfonds verfolgen heute eine green and inclusive economy (Anm. Red. ökologische und sozial einschließende Ökonomie). In Österreich gibt es zu viele bremsende Lobbys und Gegeninteressen, vor allem in der Industriellenvereinigung und der Energiewirtschaft.“ Trotzdem blieb Riegler am Thema dran: „Ich habe sicher politische Initiativen gesetzt, die Teile der Wirtschaftskammer zum Schäumen gebracht haben.“ z.B. die Einführung des zweiten Karenzjahres oder die Erhöhung der Mindestrente vier Mal hintereinander. Mit dem damaligen Kanzler Vranitzky konnte ich das rasch umsetzen. Möglicherweise hat mir das für mein politisches Leben nicht gut getan.“

Nach seiner Zeit als aktiver Politiker gründete Riegler 1992 das Ökosoziale Forum Österreich und 2001 das Ökosoziale Forum Europa. Zudem setzt er sich im Rahmen des “Global Marshall Plan” für eine global gerechte Gesellschaft ein, aktuell insbesondere in Afrika. Riegler: „Wir haben traditionell viele erfolgreiche Kooperationen von einzelnen europäischen mit einzelnen afrikanischen Ländern. Darauf können wir aufbauen. Außerdem gilt ganz sicher: Wer Europa retten will muss Afrika retten.“

Eigentlich hätte Josef Riegler den elterlichen Bauernhof in der Obersteiermark übernehmen sollen. Doch es kam anders – seine Schwester heiratete und das junge Ehepaar begann den Hof trotz härtester Bedingungen – 1.000 m Seehöhe, extrem steiles Gelände – zu bewirtschaften. „Das war nicht einfach für mich. Ich war 13, und habe innerlich ziemlich geschluckt“, erzählt Josef Riegler. Er musste eine neue Lebensperspektive entwickeln. Entscheidend für die Weichenstellung war ein Cousin, der Riegler überzeugt, mehr aus seinem Leben zu machen und ihn in der landwirtschaftlichen Fachschule Grottenhof in Graz anmeldete. Das Lernen fiel Riegler leicht und so übersiedelte er bereits ein Jahr später in die Höhere Lehranstalt in Seefeld bzw. später nach Raumberg und maturierte vier Jahr später als Bester der beiden Maturajahrgänge. Riegler entschloss sich, ein Studium zu wagen und suchte Unterstützung durch die Landesregierung in Graz. Landesrat Prirsch half ihm, einen Heimplatz in Wien zu bekommen. Ein für Riegler sehr prägendes Erlebnis. „Die Ehrlichkeit und konkrete Hilfsbereitschaft haben mir sehr imponiert.“

Durch einen Freund kam er mit der Katholischen Hochschuljugend in Kontakt. „Sie müssen wissen, bei uns bekommen Sie keine Protektion. Unser Motto lautet: Tüchtigkeit als Legitimation“, erklärte Monsignore Karl Strobl, legendärer Studentenseelsorger der Kath. Hochschuljugend in Wien. „Genau deshalb habe ich mich hier politisch engagiert“, sagt Riegler.

Nach dem Studium begann Riegler als Landwirtschaftslehrer in Grottenhof und wurde ausgerechnet in einer sehr turbulenten Phase der Katholischen Kirche – nach dem zweiten Vatikanischen Konzil – Generalsekretär der Katholischen Aktion der Diözese Graz Seckau. Er vermittelte dort so erfolgreich zwischen den weit auseinander liegenden Welten der Bewahrer und der Veränderer, dass ihm Bischof Weber dafür später bei seinem Abschied ausdrücklich für sein Wirken als Friedensstifter dankte.

Danach wuchs Riegler Schritt für Schritt in die politische Arbeit hinein. Zunächst ehrenamtlich als agrarpolitischer Referent, später als Bauernbunddirektor bis hin zum Nationalrat. 1983 wurde er Mitglied der Steiermärkischen Landesregierung– zuständig für Land- und Forstwirtschaft – und ein neu geschaffenes Ressort – Umweltschutz. Wieder in einer Zeit der brutalsten Konfrontation, dieses Mal zwischen der neu entstehenden Umweltbewegung und der Industrie. Die Mur hatte damals Güteklasse 5 und war damit ein toter Fluss, verursacht durch die Abwässer der Papierindustrie und nicht geklärte Kommunalabwässer. Riegler konnte auf exzellentes Knowhow und volle Unterstützung durch Beamte aus der Landesregierung zurückgreifen und organisierte einen Murgipfel mit allen Beteiligten. Auf das Ergebnis ist Riegler stolz: Wir haben ein mehrjähriges Projekt vereinbart und minutiös abgearbeitet. Am Ende hatte die Mur Güteklasse 2.“

Und wieder war ein Schlüsselsatz Auslöser für den nächsten Meilenstein Rieglers. Der damalige Generaldirektor der Papierfabrik Gratkorn hatte ihm in der Auseinandersetzung rund um die Mur erklärt: „Sie können mir Bescheide schicken soviel sie wollen, ich zahle lieber die Strafe, bevor ich diese Investitionen tätige.“ Für Riegler war ab da klar: „Wenn wir die Erfordernisse des Umweltschutzes und der Unternehmen auf einen Nenner bringen wollen brauchen wir erstens Kostenwahrheit und zweitens das Verursacherprinzip. Die Kosten für Umweltverschmutzung müssen von den Verursachern getragen werden und in den Preis der Produkte einfließen.“ In seiner Antrittsrede als Landwirtschaftsminister 1987 skizzierte Riegler erstmals die drei Komponenten – wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, soziale Solidarität und Umweltschutz, im November 1989 präsentierte er dieses Konzept als Vizekanzler erstmals unter dem Namen Ökosoziale Marktwirtschaft.

BUSINESSART: Das Konzept der Ökosoziale Marktwirtschaft ist stimmig und einfach verständlich. Wieso hat es sich nicht durchgesetzt?

Riegler: Zwischen 1995 und 2008 bin ich als Exot betrachtet worden. Erst seit 2008 erhalte ich international zunehmend Bestätigung. In Österreich gibt es zu viele bremsende Lobbys und Gegeninteressen, vor allem in der Industriellenvereinigung und der Energiewirtschaft. Bei den entscheidenden Leuten fehlte bisher der Mut, zu sagen, „wir machen es trotzdem“.

Wieso haben Sie Ihre Idee trotz großem Widerstand weiter verfolgt?

Das sind zwei Dinge: Ich bin ein tiefgläubiger – kein frömmelnder – Mensch und als solcher lebe ich nach dem Prinzip Hoffnung. Über all unseren menschlichen Bemühen gibt es eine höhere Instanz, die auf eine positive Linie ausgerichtet ist. Und das zweite ist die Unterstützung meiner Frau. Dadurch konnte ich vieles unbekümmert anstoßen. Ich habe sicher politische Initiativen gesetzt, die Teile der Wirtschaftskammer zum Schäumen gebracht haben z.B. die Einführung des zweiten Karenzjahres, die Erhöhung der Mindestrente vier Mal hintereinander, oder die Umwandlung des Hilflosenzuschusses in ein abgestuftes Pflegegeld. Mit dem damaligen Kanzler Vranitzky konnte ich das rasch umsetzen. Möglicherweise hat mir das für mein politisches Leben nicht gut getan.

Was wünschen Sie sich von der kommenden Bundesregierung?

Ich möchte wissen, wie sie es mit dem Klimavertrag von Paris hält. Die Migration brennt den Menschen unter den Nägeln. Aber die Energie- und Klimastrategie und wie Österreich seine Verpflichtungen auf den Boden bringt ist viel wichtiger. Wenn wir die Ziele erreichen wollen müssen wir jedes Jahr unseren CO2 Ausstoß um 3.000 t senken. Entscheidend dafür wäre die Einführung einer CO2 Abgabe, die zur Senkung der Lohnsteuer und Lohnnebenkosten verwendet wird und somit aufkommensneutral ist. Haushalte, die CO2 sparen, sollten mit einem Bonus belohnt werden. Herzstück des österreichischen Modells sollte ein Umbau von Steuern, Abgaben und Subventionen sein.

Wir brauchen eine neue soziale Gerechtigkeit. Die Pflege muss neu gestaltet werden. Mit der Digitalisierung und Industrie 4.0 muss man sich überlegen, wie das Pensionssystem sozial nachhaltig abgesichert werden kann, ohne die arbeitenden Menschen zu überfordern.

Wir brauchen eine proaktive Europapolitik, ein stärker subsidiäres Europa. Die regionalen Themen sollen Gemeinde und Länder regeln. Europa darf sich nicht um jede Kleinigkeit kümmern sondern nur um den großen Rahmen wie Sicherheit-, Außen-, Finanz- und Währungspolitik. Da braucht es eine Stärkung der EU. Der Lissabon-Vertrag hat die Nationalstaaten zu stark gemacht. Der Vergleich von Bundespräsident van der Bellen gefällt mir da gut: Heute ist es in der EU so, als ob in Österreich die Landeshauptleutekonferenz die Gesetze beschließen würde. Wir brauchen eine entscheidungsfähige EU, damit wir in der globalen Entwicklung nicht unter die Räder kommen.

Wie schätzen Sie die künftige Entwicklung auf einer Skala von 1 (sehr negativ) bis 10 (sehr positiv) ein?

Ich meine zwischen 6 und 8. Ich bin ein Optimist. Sonst ist man nicht handlungsfähig.

Was ist Ihr größter Erfolg?

Erfolge haben immer viele Väter und Mütter. Mein größter Erfolg ist, dass die ökosoziale Idee heute nicht mehr wegzudenken ist, vor allem auf globaler Ebene. Die heftigsten Gegner wie z.B. der Internationale Währungsfonds haben gelernt und verfolgen heute eine green and inclusive economy (Anm. Red. ökologische und sozial einschließende Ökonomie). Im Herbst 2015 ist es gelungen zwei Meilensteine zu setzen: die Unterzeichnung der Sustainable Development Goals (SDGs /Agenda 2030) als weltpolitisches Entwicklungsprogramm und der Klimavertrag von Paris.

Als zweiten großen Erfolg sehe ich, dass es Franz Josef Radermacher und Ernst-Ulrich von Weizäcker gelungen ist, den deutschen Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Gerd Müller, und damit die deutsche Regierung für den Marshall Plan für Afrika zu gewinnen. Da möchte ich noch etwas beitragen und vor allem möchte ich, dass während der österreichischen EU Ratspräsidentschaft ein arbeitsteiliges Projekt der EU durchgeführt wird.

Der Marshall Plan für Afrika wird von vielen Seiten kritisiert, weil die Strukturen und Erfahrungen, damit er greifen kann, nicht vorhanden seien. Wie sehen Sie das?

Wir haben traditionell intensive Verbindungen mit Afrika. Es gibt viele erfolgreiche Kooperationen von einzelnen europäischen mit einzelnen afrikanischen Ländern. Darauf können wir aufbauen. Außerdem gilt ganz sicher: Wer Europa retten will muss Afrika retten.

Aber natürlich muss Europa eine andere Haltung in diesen Projekten einnehmen und das auch ernst meinen. Aus meiner Sichtsind sechs Punkte wichtig:

  1. Es geht um Hilfe zur Selbsthilfe.

  2. Es gilt der Grundsatz der Partnerschaft und nicht der Bevormundung.

  3. Es geht um Fairness und nicht darum, den anderen über den Tisch zu ziehen und auszubeuten.

  4. Bildung muss der größte Schwerpunkt sein. Wo kann man beitragen, dass sich Afrika in eine positive und eigenständige Entwicklung hineinbewegen kann und seine Möglichkeiten ausschöpft? Afrika ist ein Kontinent mit unglaublichen Ressourcen.

  5. Es braucht eine handlungsfähigere UNO die darauf achtet, Menschen vor brutalen Regimen zu schützen.

  6. Wir müssen Frauen ermächtigen –selbst über ihr Leben entscheiden. Es braucht mehr Information über Familienplanung und Geburtenkontrolle sonst explodiert die Bevölkerung und das ist nicht bewältigbar.

In meiner Jugendzeit war der Marshallplan in Österreich überall präsent. Mit dem Geld wurden Straßen, Schulen und Fabriken gebaut – das hat eine Aufbruchsstimmung erzeugt. Genau das brauchen wir in Afrika auch. Wir müssen bedenken: Die Entwicklung Afrikas ist für uns schicksalhaft.

Was war Ihr größter Misserfolg? Wie sind Sie damit umgegangen?

Von außen her betrachtet sicher, dass ich bei der Nationalratswahl 1990 einen saftigen Verlust hinnehmen musste. Ich war sozusagen das erste Opfer Jörg Haiders. Meine Koalition mit der SPÖ wurde damals von bürgerlich gesinnten Wählern abgestraft. Ich habe mich mit meiner Frau intensiv beraten und entschieden, mich aus der Politik zurückzuziehen und einen neuen Weg einzuschlagen. Heute bin ich sehr zufrieden damit. Ich konnte in meiner politischen Zeit einige Dinge umsetzen, die heute noch tragfähig sind und Ideen entwickeln und verfolgen, die in den nächsten Jahrzehnten positiv wirken werden.

Ich bin ein rundum sehr zufriedener Mensch, auch privat. Ich habe wunderbare Enkelkinder.

Was empfehlen Sie jungen Menschen?

Sich auf Basis eines ethischen Fundaments zu engagieren, wo immer es möglich ist. Für soziale Gerechtigkeit, die nachhaltige Sicherung des Lebensraumes, für ein faires Miteinander in allen Bereichen. Es ist ihr Leben, das sie gestalten. Die Herausforderungen sind so gigantisch wie noch nie. Es gibt nur eine Schicksalsgemeinschaft Menschheit – entweder wir schaffen es die schicksalhaften Herausforderungen wie Klimawandel, Migration und Bevölkerungsentwicklung zu meistern, oder wir landen in einer unvorstellbaren Katastrophe.

Was empfehlen Sie junggebliebenen Menschen über 60?

Für sich eine attraktive Aufgabe und Herausforderung zu haben. Das hält das Lebens spannend und ist ein positiver Beitrag für unsere Gesellschaft.

DI Josef Riegler

  • Geboren am 1. November 1938
  • Ausbildung: Universität für Bodenkultur
  • Berufsweg: Bauernbunddirektor Steiermark, Mitglied der Steiermärkischen Landesregierung 1983 bis 1987, Nationalratsabgeordneter 1975 bis 1993, Bundesparteiobmann der ÖVP 1989 bis 1991, Minister und Vizekanzler in zwei österreichischen Bundesregierungen 1987 bis 1991 Präsident bzw. heute Ehrenpräsident des Ökosozialen Forums seit 1991, Österreich-Koordinator der Global Marshall Plan Initiative.
  • Motto: “Wenn viele Menschen an vielen kleinen Orten viele kleine Dinge tun können sie die Welt verändern“  (Afrikanisches Sprichwort)