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Junge Menschen sind Spiegel unserer Gesellschaft

"Junge Menschen kann man einbinden, indem man ihnen etwas zutraut." Kommentar vom Jugendbotschafter Ali Mahlodji.

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Ali Mahlodji, Gründer von WHATCHADO und EU-Jugendbotschafter. Michael Zabel

Sie sitzen zuhause in ihrem Zimmer, chatten mit ihren Freund*innen, ziehen sich eine Serie rein oder sind von einem Computerspiel völlig in den Bann gezogen. Sie ziehen durch die Straßen und sind scheinbar zu nichts zu bewegen. Die Sorge vieler Eltern, aber auch vieler Gemeindevertreter*innen ist groß, dass Jugendliche „wegdriften“ und ihr Leben nicht auf die Reihe kriegen. Sie sind nicht loyal, man kann sich nicht auf sie verlassen – das hört man vielfach aus den Unternehmen, wenn von der jungen Generation die Rede ist. Dabei ist es nicht so schwer, die jungen Menschen zu gewinnen. Man muss sich nur die Welt ansehen, sich selbst gelegentlich hinterfragen und sich ehrlich interessieren.

Junge Menschen leben ein Leben, das ihre Antwort auf die Welt ist, in die sie hineingeboren wurden.

Es gab Generationen, da wurde gesagt, du musst deinem Arbeitgeber gegenüber loyal sein; die Arbeit, ein Auto, der Status und die Pension – das war das Wichtigste. Das war einmal. Aber heute – ein paar Generationen später – können Arbeitgeber*innen keine lebenslangen Jobs mehr versprechen. Daher haben die jungen Menschen begonnen, deren Sicherheitsversprechen infrage zu stellen. Die Kommentare der älteren Generation sind häufig: „Die sind nicht loyal.“, „Auf die kann man sich nicht verlassen.“ Sie haben die Situation mit jener Zeit verglichen, als sie selbst Jugendliche waren. Sie haben sich die veränderten Rahmenbedingungen, die heutige Welt nicht angesehen.

Wenn Sie heute junge Menschen dazu bringen wollen, Teil der Gesellschaft sein, sollten Sie sich die Frage stellen: Wie sehr verändere ich die Gesellschaft? Wie stehe ich zur Gesellschaft?

Junge Menschen sehen im Fernsehen, dass sich die erwachsenen Leute nicht einigen können: Bei der Verteilung der Flüchtlinge in Europa, bei der Corona-Impfung ja oder nein, bleibe ich im Lockdown zuhause oder nicht? Es gibt nichts mehr in der Mitte. Ich sage Ihnen ehrlich: Wenn ich heute sechs Jahre oder 13 Jahre alt wäre und sehe, wie die Erwachsenen, die Politiker*innen, wir als Gesellschaft miteinander umgehen, dann frage ich mich als junger Mensch: „Soll ich mein Leben wirklich so leben?“

Hätten wir das Internet nicht, wäre das ein riesen Problem, weil wir eine große Anzahl von jungen Menschen heranziehen würden, die uns als Vorbild nehmen und Lebensentscheidungen treffen, die nicht gut sind für uns selbst und unsere Umwelt.

Zum Glück haben wir das Internet. Junge Menschen sind nicht mehr abhängig von dem Land, in dem sie leben. Es ist eine „Generation Global“, die sieht, was auf der Welt möglich ist – das Negative, aber auch das Positive. Und plötzlich haben wir eine Generation, die sagt „So wie meine Eltern will ich nicht leben.“ Diese jungen Menschen wollen zurück zu alten Werten: Menschenrechte, Diversität, Frauenrechte, Demokratie. Das sind junge Menschen, die für die Umwelt millionenfach auf die Straße gehen.

Wer war Ihr Vorbild als Sie jung waren?

Motiviert werden junge Menschen ganz klassisch durch Influencer. Das gab es auch schon früher: Beatles, David Hasselhof, Backstreet Boys, Britney Spears. Das ist die eine Schiene.

Aber wir Erwachsenen vergessen oft die eigene Vorbildwirkung. Mit welchen Bildern wächst Ihr Kind auf? Es gibt Eltern, die schimpfen über die Gesellschaft, sie regen sich fürchterlich auf und vergessen, dass sie Vorbild für ihr Kind sind. Ihr Kind wird es so machen wie sie: „Wenn es ein Problem in der Welt gibt, dann jammere ich lieber, statt selber etwas zu tun.“ Dann gibt es Eltern, denen ist das bewusst und die jammern nicht. Sie sagen zwar, dass es Probleme gibt, aber sie versuchen, im Alltag etwas zu ändern. Sie zeigen ihrem Kind: „Egal wer du bist – du kannst immer einen Einfluss auf Probleme haben.“

Auf Augenhöhe begegnen und zuhören

Junge Menschen gewinnen Sie, wenn Sie ihnen auf Augenhöhe begegnen. Als Lehrer in einem Gymnasium habe ich meinen Schüler*innen u.a. gesagt: „Ihr habt am Anfang im Zeugnis alle eine Eins und ihr habt jetzt ein Jahr lang Zeit, mir zu beweisen, ob ihr diese Eins wollt oder nicht.“ Das heißt, sie haben von Anfang an eine Art Vertrauen geschenkt bekommen, das sie so nicht kannten. Normalerweise haben Jugendliche immer das Gefühl, dass sie um etwas kämpfen müssen. Erst, wenn sie null Fehler machen, sind sie gut genug. Ich habe diesen Spieß umgedreht. Das gilt übrigens auch in der echten Welt, für erwachsene Menschen, für ältere Menschen, für Menschen, die wir für die Gesellschaft verlieren.

Wer es schafft, Jugendlichen auf Augenhöhe zu begegnen, ihnen zuzuhören, sie zu akzeptieren, sie als Teil der Gesellschaft zu sehen – und das auch schon in jungen Jahren – , der hat verstanden, wie Menschen funktionieren und kann auch andere Menschen einbinden.

Wir alle motivieren – durch Authentizität und Ehrlichkeit

Es gibt nicht die eine Person, die besonders gut motivieren kann. Ich werde zwar oft in Schulen geholt, aber ich bin dort einfach nur authentisch. Ich bin der Ali, der ich auch bei meinen Freund*innen bin, mit der mir eigenen Lebensenergie und Lebenslust – das lieben junge Menschen, weil sie es nicht gewohnt sind.

Entscheidend ist, dass man ehrliche Geschichten erzählt. Nicht indem man sagt: „Ich war auch mal jung“ Das funktioniert nicht, das ist von oben herab. Aber man kann den jungen Menschen sagen: „Ich kenn das Gefühl, wenn sich in der Schule die Frage stellt: ’Wozu das Ganze?’ oder ’Was mache ich nach der Schule?’“ Wenn man jungen Menschen zeigt „ich kenn die Emotion, die du durchmachst“, dann baut man Bindung und Beziehung auf. Dann kann man sie bei ihren Glaubensmodellen abholen und mit ihnen darüber reden, welche realistisch sind und welche nicht. Ich motiviere junge Menschen nicht, indem ich ihnen sage, dass sie super sind. Sondern ich zeige ihnen, dass viele Glaubensmodelle, die sie haben – über sich selbst, über Fehler, über die Arbeitswelt – einfach nicht mehr stimmen. Aber ich erkläre ihnen auch, woher diese Modelle kommen, nämlich z.B. von den Eltern. Aber nicht, damit die Jugendlichen ihnen böse sind, sondern dankbar für die Welt, die sie mit ihrem Glaubensmodell erschaffen haben.

Die Welt hat sich verändert, und damit auch die Glaubensmodelle und das, was wir tun können.

Wenn wir über die neue Arbeitswelt und über die Stärken der jungen Menschen reden, mit denen sie die Welt mitgestalten können, dann nicht mit netten Motivationssätzen, sondern ich zeige ihnen Beispiele: Bilder von Schüler*innen in Österreich, die selber Dinge initiiert haben, um die Welt besser zu machen. Wenn sie diese Vorbilder sehen, stellen sie oft fest, dass das „Du bist nicht gut genug“-Denken anderer Menschen nichts mit ihnen zu tun hat. Dann haben sie plötzlich das Gefühl: Hey, ich bin 16 Jahre alt, und ich muss nicht erst erwachsen zu werden, um Teil der Gesellschaft zu sein. Ich bin heute schon Teil der Zukunft, denn ich kann etwas tun.

Das Wichtigste ist zuzulassen, dass sich junge Menschen einbinden und nicht zu glauben, es für sie besser zu wissen. So habe ich noch nie erlebt, dass es nicht funktioniert.

Ali Mahlodji ist Gründer von WHATCHADO und EU-Jugendbotschafter. www.ali.do.