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Kein Abfall, sondern Rohstoff

Hundert Lkw-Ladungen an Rohstoffen werden für Produkte und Dienstleistungen weltweit verbraucht -und zwar pro Sekunde. Das Gros dieser Ressourcen endet als Abfall.

Kleidung
c-arminstautberlin_thinkstockphotos-514909527-klein Foto: Armin Staudt

Das müsste nicht sein: Als Gegenmodell zur linearen Wirtschaft setzt Kreislaufwirtschaft auf das theoretisch endlose Zirkulieren von Rohstoffen. Wie sich das in der Praxis umsetzen lässt, wollen immer mehr Unternehmen herausfinden.

Was wird aus einem alten T-Shirt, das zu abgetragen ist, um es mit gutem Gewissen in die Kleidersammlung geben zu können? Maximal ein Putzfetzen – oder es landet gleich im Müll. Manchen Kleidungsstücken ist ein anderes Nachleben möglich: Sie lassen sich auf dem Komposthaufen im Garten ablegen. Ein solches T-Shirt, das sich innerhalb von nur zwölf Wochen in biologische Nährstoffe zersetzen soll, hat der Textilriese C&A im Juni 2017 ins Sortiment der europäischen Filialen aufgenommen. 400.000 Stück wurden von dem in 16 Farben angebotenen Baumwoll-Leiberl – zum Preis von rund sieben Euro – verkauft.

Auch wenn es sich nur um ein einfaches T-Shirt handelte, „so waren eine Reihe von Design- und Sourcing-Herausforderungen zu überwinden“, berichtet Norbert Scheele, Country Manager bei C&A Österreich. Zusätzlich zum Grundmaterial aus hundert Prozent zertifizierter Bio-Baumwolle musste in enger Zusammenarbeit mit den Vertragsherstellern beispielsweise eine Alternative zu den gängigen, langlebigen Polyester- und Nylonnähten gefunden werden. Ein besonders starker Bio-Baumwollfaden kam zum Einsatz. Auch für das Einfärben der T-Shirts und selbst für das Etikett mit den Pflegehinweisen brauchte es schadstofffreie Alternativen – das Shirt sollte sich ja nicht nur vollständig, sondern dabei auch umweltverträglich zersetzen. Das Kleidungsstück wurde schließlich vom kalifornischen Cradle to Cradle Products Innovation Institute in Kategorien wie Materialauswahl, Kreislauffähigkeit und verantwortungsvolles Wassermanagement bewertet und erreichte mit „Gold“ auf Anhieb die zweithöchste Stufe dieser Zertifizierung.

Wirtschaft ohne Müll Cradle to Cradle, kurz C2C, heißt wörtlich übersetzt von der Wiege zur Wiege und ist ein Designkonzept, das der Umweltchemiker ­Michael Braungart gemeinsam mit dem Architekten William McDonough vor 15 Jahren vorgestellt hat. Die Forderung des Duos: Produkte sollen so konzipiert und hergestellt werden, dass alle eingesetzten Rohstoffe wieder verwendet werden können: entweder, indem sie nach Gebrauch in einem biologischen Kreislauf zu Kompost werden, oder indem sie in einem technischen Kreislauf in neue Gebrauchsgüter eingehen. Werden die Rohstoffe dabei vollständig und bei gleichbleibender Qualität wiederverwertet, ist ein quasi endloses Zirkulieren von Materialien möglich.

Dieses radikale Konzept ist derzeit noch weit von der Realität entfernt. In der heutigen linearen Wirtschaft werden laut einer aktuellen Studie der Wirtschaftsuniversität Wien jährlich global 85 Milliarden Tonnen Rohstoffe – das entspricht einer Menge von rund 100 Lastwagenladungen pro Sekunde – verwendet. Ein Großteil der eingesetzten Rohstoffe wird nach der jeweiligen Nutzungsphase eines Produktes dem Wirtschaftskreislauf entzogen. Nachhaltig und zukunftsorientiert ist das nicht: Die grundsätzliche Endlichkeit natürlicher Ressourcen, der Druck auf globale Rohstoffmärkte, aber auch Plastikmüll im Meer und andere Umweltkrisen zeigen auf, dass das „Take-Make-Waste”-Wirtschaften wohl irgendwann ein Ablaufdatum haben wird.

Über Kreislaufwirtschaft oder „Closed Loop“-Systeme als Alternativkonzept wird immer öfter diskutiert: Die Europäische Union hat bereits einen Aktionsplan Kreislaufwirtschaft beschlossen, der zu erheblichen Ressourceneinsparungen, Reduktion der CO2-Emissionen sowie einer Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft führen soll. Einflussreiche Organisationen wie das World Economic Forum, der Weltwirtschaftsrat für Nachhaltige Entwicklung sowie die Ellen MacArthur Stiftung fungieren mittlerweile als Circular Economy-Think Tanks, die Best Practice präsentieren und Unternehmen vernetzen.

Experimentierphase

Tatsächlich scheint das Interesse an der Circular Economy geweckt: Immer mehr Unternehmen bekunden, die Kreislauffähigkeit ihrer Produkte oder zumindest einzelner Produktlinien erhöhen zu wollen. C&A bringt 2018 weitere C2C-Textilien auf den Markt, Einzelhändler Tchibo experimentiert mit ersten Closed Loop-Artikeln wie T-Shirts und Spülbürsten, Moderiese H&M kündigte an, ab 2030 nur noch Recyclingstoffe oder Materialien anderen nachhaltigen Ursprungs verwenden und „100 Prozent zirkulär“ werden zu wollen. Der Großkonzern Unilever hat Anfang des Jahres zudem publik gemacht, ab 2025 ausschließlich Kunststoffverpackungen einzusetzen, die sich wieder verwenden, recyceln oder kompostieren lassen.

Auch in Österreich gibt es Vorreiter wie das niederösterreichische Kommunikationshaus Gugler, Pionier von C2C-zertifizierten Druckprodukten, das Anfang September ein fast vollständig kreislauffähiges Plusenergie-Bürogebäude eingeweiht hat. Das 7-Mio.-Euro-Projekt besteht zu 95 Prozent aus recycelbaren, demontierbaren Materialien – ein Viertel davon hatte bereits ein Vorleben – und soll mithilfe von Photovoltaik mehr Strom produzieren als der laufende Betrieb verbraucht.

Der Vorarlberger Wäschehersteller Wolford hat wiederum nach dreijähriger Entwicklung heuer die ersten Prototypen von Strümpfen und Unterwäsche vorgestellt, die auf umweltfreundliche Rohmaterialien und unbedenkliche Farben setzen. Zum Einsatz kommt beispielsweise die vollständig biologisch abbaubare Zellulosefaser Modal der oberösterreichischen Lenzing AG. Insgesamt arbeitet Wolford mit 15 heimischen Unternehmen an der praktischen Umsetzung des C2C-Konzepts. 2018 sollen die ersten zertifizierten Strümpfe erhältlich sein.

Die Demontage bedenken

Der Weg in ein Closed Loop-System ist mit zahlreichen Herausforderungen gepflastert. In vielen Unternehmen muss erst einmal Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass eingesetzte Materialien wieder in den Produktionsprozess oder in den biologischen Kreislauf zurückfließen können. Es fängt daher schon bei Grundlegendem an: Zu wissen, was im eigenen Produkt eigentlich steckt, ist die Voraussetzung dafür, dass es sich später sachgemäß recyceln lässt.

Die dänische Reederei Maersk Line hat hier ein interessantes Projekt für das künftige Recycling ihrer riesigen Containerschiffe initiiert. Bei der Entwicklung der Triple-E-Klasse wurde gemeinsam mit 70 Lieferanten ein C2C-Passport erstellt – eine umfassende Datenbank, die 95 Prozent aller Bestandteile eines Schiffes dokumentiert. Damit soll sichergestellt sein, dass man auch bei der Schiffsdemontage in 30 Jahren weiß, welche Metalle und Stahlsorten in welcher Qualität verbaut wurden – das ist auch wirtschaftlich sinnvoll, weil für höhere Qualität auch höhere Preise erzielt werden können.

Durch den Fokus auf Ressourceneffizienz und Kreisläufe können zudem Innovationen entstehen, beispielsweise indem bisherige Produktionsabfälle zu neuen Rohstoffen werden. Nike bringt dieser Tage einen Sportschuh aus „Flyleather“ auf den Markt – das neue Material besteht aus Abfällen aus der Lederherstellung und Kunststofffasern. Flyleather soll nicht nur deutlich leichter und widerstandsfähiger als herkömmliches Leder sein, sondern in der Herstellung einen nur halb so großen CO2-Fußabdruck haben. Inwiefern sich Flyleather am Ende der Produktlebenszeit wieder in neue Produkte einarbeiten lässt, wird nun untersucht. Denn auch Nike kündigte an, über kurz oder lang Closed Loop-Systeme aufbauen zu wollen.

Der italienische Faserproduzent Aquafil produziert Garne aus Kunstfasern, die komplett aus alten Fischernetzen, Teppichen und Produktionsabfällen aus der Nylon-Herstellung gewonnen werden. Die Abfälle werden geshreddert, eingeschmolzen, von Schadstoffen gereinigt und zu Econyl-Garn aufbereitet – aus dem heute Designer in aller Welt Handtaschen, Teppiche und Badekleidung produzieren. Das deutsche Unternehmen Wet-green hat wiederum entdeckt, dass sich Olivenblätter für die Ledergerbung als umweltfreundliche Alternative zu Chrom und anderen giftigen Chemikalien eignen und verkauft den C2C-zertifizierten Gerbstoff an die Lederindustrie. Viel Potenzial steckt in der Weiterentwicklung und Verbreitung der 3D-Drucktechnik: Stetig werden neue Möglichkeiten entwickelt, selbst alltägliche Plastikabfälle als Granulat für den 3D-Druck einzusetzen.

Produkt auf Zeit Kreislaufwirtschaft könnte auch Kundenbeziehungen verändern. C2C-Guru Braungart empfiehlt, Produkte nicht mehr im klassischen Sinne zu verkaufen, sondern für eine bestimmte Nutzungsdauer zur Verfügung zu stellen.

Philips Lighting arbeitet bereits mit dem Geschäftsmodell „Pay per Lux“: Nutzer kaufen keine Beleuchtung, sondern mieten Licht als Leistung. Damit ersparen sie sich Investitionen in Lichtinstallationen, während Philips Lighting sich als Eigentümer im Rahmen von langjährigen Verträgen um die Beleuchtungssysteme kümmert – zu Vertragsende ist das Recycling der Anlage dann entsprechend einfach.

Das niederländische Unternehmen Mud Jeans bietet seinen Kunden wiederum „Lease a Jeans“ an: Jeans werden nicht mehr gekauft, sondern um 7,50 Euro im Monat geleast. Nach einem Jahr entscheidet der Kunde: die Jeans behalten oder zurücksenden und dafür einen Zehn-Euro-Gutschein für ein neues Modell erhalten. Die alten Jeans werden entweder als repariertes Vintage Modell verkauft oder bei der Herstellung neuer Kleidungsstücke als Fasern beigemischt.

Handelsriese Otto experimentiert ebenso mit einem neuen Vertriebsmodell, das nicht auf Verkauf setzt: Seit Ende 2016 können Kunden in Deutschland über die Website Otto Now Fernseher, Waschmaschine oder Laufband mieten. Die monatliche Gebühr deckt einen Rundum-Service ab, inklusive Lieferung, Aufbau, Reparatur sowie Abholung. Wer ein Gerät nicht länger benötigt – etwa bei Auflösung einer Wohngemeinschaft – lässt es wieder abholen. Jeder Artikel wird dann geprüft und für eine erneute Vermietung gereinigt und aufbereitet. Noch ist es zu früh zu sagen, ob dieses Konzept ressourceneffizienter ist als wenn, wie heute vielfach üblich, gebrauchte, funktionsfähige Geräte über Online-Plattformen weiterverkauft werden. Otto Now setzt jedenfalls auf Expansion – und startet bald auch in Österreich.

Ob die Experimente namhafter Unternehmen den Beginn eines Paradigmenwechsels darstellen, lässt sich noch nicht einschätzen. Viel hängt wohl von der künftigen Verfügbarkeit von Rohstoffen ab – und davon, ob Konsumenten auch ganz bewusst einmal zu kreislauffähigen Produkten greifen werden.

Dieser Artikel von Katharina Kainz erschien im Oktober 2017 im corporAID Magazin, dem österreichischem Magazin für Wirtschaft, Entwicklung und globale Verantwortung, und wurde mit freundlicher Genehmigung von corporAID veröffentlicht. Mehr Informationen zu corporAID.