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Klimaneutrale Industrie 2040 in Österreich

Eine aktuelle Studie im Auftrag des Klima- und Energiefonds zeigt die entscheidenden Handlungsfelder.

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Das, was man jetzt baut, muss mehr als 30 Jahre funktionieren“, erklärt Studienautor Christian Schützenhofer vom AIT die Herausforderung für die Industrie, sich auf eine bestimmte Technologie festzulegen. Trotzdem müssen die Entscheidungen jetzt getroffen werden, wenn Österreich bis 2040 klimaneutral sein soll. Die Studie transform.industry – Transformationspfade für eine klimaneutrale Industrie 2040 in Österreich“ liefert dafür wichtige Grundlagen.

Die Transformation der österreichischen Industrie ist ein zentrales Schlüsselelement, um die für Österreich geplante Klimaneutralität bis 2040 zu erreichen. In vier verschiedenen Szenarien werden Lösungsansätze analysiert und Handlungsempfehlungen formuliert. Die Studie zeigt geeignete Technologien als Transformationspfade in zwölf verschiedenen Industriebranchen.

Durchgeführt wurde die Studie im Auftrag des Klima- und Energiefonds vom AIT Austrian Institute of Technology, der AEA Austrian Energy Agency, dem Lehrstuhl für Energieverbundtechnik der Montanuniversität Leoben und dem Energieinstitut der Johannes Kepler Universität. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler: „Die Industrie der Zukunft ist eine grüne Industrie. Die Prozesse und Lösungen für diese globale Entwicklung sichern Arbeitsplätze und den Wirtschaftsstandort für die Zukunft. Auf diesem Weg ist der Einsatz neuer Technologien ebenso zentral, wie auch weitere Forschung und Entwicklung.

Für die Studie wurden vier Extremszenarien modelliert und verglichen. Diese Extremszenarien sind in sich konsistent, d. h. sie erreichen alle die für 2040 gesetzten klimapolitischen Ziele. Sie erlauben eine technologiespezifische Sensitivitätsbewertung und geben Aufschluss über die kombinierten Anwendungs- bzw. Durchdringungswahrscheinlichkeiten.

Im Balkendiagramm ist zu sehen, dassfolgende vier Branchen den höchsten Energiebedarf haben: Eisen & Stahl, Steine & Erden & Glas, (Petro-)Chemie, Papier & Druck
Investitionen nach Branche

Die vier Szenarien sind:

  • Erneuerbare Gase: hier gelingt die Transformation der Industrie größtenteils durch die Bereitstellung von erneuerbaren Energien durch die Energieversorger.

Schützenhofer: „Das bedeutet, dass die Industrie sehr wenig ändern muss. Allerdings ist diese Variante im Betrieb auch sehr teuer, weil sehr viel Energie eingekauft werden muss.“
 

  • Kreislaufwirtschaft: hier gelingt die Transformation durch eine gesteigerte Materialeffizienz und höhere Recyclingquoten, wodurch die energieaufwändige Grundstoffherstellung substanziell reduziert werden kann. Dies erfordert eine Integration der Wertschöpfungsketten auch zwischen Betrieben.

Schützenhofer: „Diese Vorgangsweise spart viel an Ressourcen, ist aber ebenfalls sehr teuer.“
 

  • Innovation: hier werden in hohem Ausmaß Best Available und Breakthrough Technologien eingesetzt, was durch eine hohe Integration der Wertschöpfungsketten vor allem in den Betrieben erfolgt.

Schützenhofer: „Diese Variante stellt sich sowohl aus volkswirtschaftlicher als auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht am sinnvollsten heraus, weil ein großer Teil der Wertschöpfung in Österreich bleibt und das Potenzial für die Zukunft am höchsten ist.“

Alexander Fleischanderl, Senior Vice President Primetals Technologies: „Innovation ist entscheidend um die Zukunft und Wettbewerbsfähigkeit der Stahlerzeugung in Europa zu sichern. In den letzten zwei Jahren haben wir einen Großteil des F&E-Budgets in die grüne Stahlerzeugung gesteckt und können eine gute Performance garantieren. Die Vorreiterbranchen sind sehr weit und stecken in den Startlöchern. Jetzt braucht es Prototypanlagen und dafür ist die Unterstützung der öffentlichen Hand essenziell. Die eingesparten ETS Kosten decken etwa 1/3 des Mehrpreises von grünem Stahl ab. Für den Rest braucht es Förderungen und ein Premium des Marktes. um die Finanzierungslücke zu schließen und einen Zukunftsmarkt aufzubauen. Die öffentliche Beschaffung kann dazu einen wesentlichen Beitrag leisten.“

  • Sektorkopplung: hier wird ein Optimierungsansatz verfolgt, bei dem der inländische Primärenergieverbrauch auf Basis der nachgefragten Energiedienstleistungen minimiert wird und zu diesem Zweck Energie exergetisch optimal eingesetzt wird.

Ein Balkendiagramm, das zeigt, welche Energieform bei welchem Szenario in welcher Menge in den Jahren 2030, 2035 und 2040 gebraucht wird.
Energiebedarf nach Jahr und Szenario

Auf Grundlage von Energie und Treibhausgasmengen und den eingesetzten Technologien wurden auch die Investitions- und Energiekosten abgeschätzt und eine volkswirtschaftliche Bewertung der unterschiedlichen Szenarien vorgenommen. Daraus wurden die folgenden Handlungsempfehlungen abgeleitet.

  • Die in Österreich verfügbaren Energieträger, insbesondere Elektrizität und Biomasse, sollten maximal wertschöpfend genutzt werden. Die Nutzung der Energieträger muss nach technologischen Erfordernissen sowie nach Temperaturniveaus priorisiert werden (z. B. CO₂ neutrale Gase für Hochtemperaturprozesse und Deckung von stofflichen Bedarfen, Heizen und Kühlen durch Abwärme und Wärmepumpen bedienen).
     
  • Die Industrie benötigt Planungssicherheit bezüglich der Rahmenbedingungen um ihre Technologien umzustellen. Die wichtigsten dazu sind: Energiepreis und Verfügbarkeitssicherheit, rasche Genehmigungen von Netzen und Anlagen bei insgesamt überwiegendem Umweltnutzen gem. eigentlicher Intention des Umweltverträglichkeitsprüfungs (UVP) Verfahrens, Klarheit bezüglich Treibhausgasbesteuerung (ETS und CBAM1), Infrastrukturen für Transport von CO₂ neutralen Gasen, einschließlich Gemischen und Wasserstoff Derivaten rasch bereitstellen, logistische Lösungen und gesetzliche Grundlagen für den Transport und die Nutzung von CO₂.
     
  • Aufgrund der Elektrifizierung und tlw. Lokalen Elektrolyse wird sich der Strombedarf der Industrie bis zum Jahr 2040 verdoppeln. Dazu sind maximale Anstrengungen durch den Ausbau in Österreich vorkommender erneuerbarer Potenziale aber auch Infrastruktur höchste Priorität zu schenken, um Preisstabilität und Planbarkeit zu gewährleisten.
     
  • Ohne Kohlenstoffabscheidung sind die Ziele nicht erreichbar. Eine Speicherung ist nach dem anfallenden Volumen gerechnet nahezu immer volkswirtschaftlich günstiger als die Nutzung von Kohlenstoff, da dies energetisch viel effizienter ist. Zudem sind die anfallenden Mengen so groß, dass ein reiner Export nicht in Frage kommt. Entsprechend ist die Kohlenstoffspeicherung zu ermöglichen.
     
  • Der nicht energieintensive Sektor muss die Einführung bereits weit entwickelter sektorübergreifender Technologien (z. B. Wärmepumpen) beschleunigen, um auf dem Weg zur Erreichung der Ziele zu bleiben und seinen Wettbewerbsvorteil zu wahren. Folglich sind dringend industrie , standort und innovationspolitische Strategie und Maßnahmenpakete unter Einbindung aller Sozialpartner und der betroffenen Bundesländer und Regionen zu entwickeln.
     
  • In den energieintensiven Sektoren müssen spezifische Produktionstechnologien rasch weiterentwickelt und in der Folge demonstriert und breit ausgerollt werden, um die Klimaneutralität bis 2040 erreichen zu können.
  • F&E Bedarf und eine entsprechende öffentliche Unterstützung besteht vornehmlich bei der Integration und Implementierung von Technologien im industriellen Maßstab.
     
  • Um die Zielsetzung in der gewünschten Zeit zu erreichen, sind neben den bestehenden, regulativen Instrumenten auch positive Anreize erforderlich. Dazu zählen Förderungen für Investitionen und Betriebskosten zur Ergänzung bestehender aber zur Zeitschiene inkohärenter Besteuerung von Externalitäten.

Das Diagramm zeigt, dass das Innovationsszenario das BIP 2040  am meisten befördert, gefolgt von der Sektorkopplung, von der Kreislaufwirtschaft und als letztes das Sezenario der erneuerbaren Gase.
Auswirkung der Szenarien auf das BIP

Sigrid Stagl, WU: "In der Industrie ist schon viel passiert. Aber es ziehen noch nicht alle an einem Strang - es gibt viele innovative Unternehmen, aber auch viele Nachzügler." Sie weist darauf hin, dass Carbon Capture Maßnahmen eine gute Regulierung brauchen. Die entsprechenden Lagerstätten für CCS (Carbon Capture Storage) würden frühestens 2040 vorliegen, die CCU-(Carbon Capture Utilization) Maßnahmen seien keine Klimaschutzmaßnahme, sondern nur eine Verschiebung des Problems - wenn das auch vielleicht sinnvoll sein könnte. Aber die Sorge vor einem Rebound Effekt bleibe.

Dieter Drexel, IV: "Eine der wichtigsten Aussagen der Studie ist, dass die wesentlichen Entwicklungen parallel laufen: erneuerbare Gase, Investitionen in die Infrastruktur für Energieimporte sind notwendig. Und um CCS werden wir nicht herumkommen. Wichtig wäre, dass die Politik die Rahmenbedingungen festlegt,  damit sich die Unternehmen möglichst frühzeitig für die richtigen Innovationen entscheiden können."

Alexander Fleischanderl, Primetals Technologies: "Investmentscheidungen sind extrem wichtig, weil sie den Weg für die nächsten 50 Jahre festlegen. Das wichtigste Ergebnis der Studie ist, dass es Innovation braucht. Das ist die Basis, damit uns wieder so ein Durchbruch wie in den 1950er Jahren mit dem LD-Verfahren gelingt. Primetals Technologies hat dafür bereits die Weichen gestellt, und für diese bahnbrechende HYFOR®-Technologie den Staatspreis für Innovation erhalten." 

Henriette Spyra, BMK: "Das Schöne an der Studie ist ein Ende des entweder-oder. Aus Sicht des BMK ist es schön, dass wir in allen Bereichen schon etwas tun. Wir wissen, dass die Hälfte der benötigten Technologien erst entwickelt werden. Das muss viel schneller werden und viel besser kombiniert werden. Das ist eine Herausforderung für jede Organisation, auch für die Verwaltung. Es braucht eine ganz neue Form von co-creation."

Hier geht es zur Studie "Transformationspfade für eine klimaneutrale Industrie 2040 in Österreich".