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Kreislaufwirtschaftsstrategie 2023

Österreichische Kreislaufwirtschaftsstrategie zeigt erste Erfolge, aber Integration in alle Sektoren notwendig

Foto (v.l.n.r.): Gerald Pfiffinger, Geschäftsführer Umweltdachverband; Doris Virág, Wissenschaftlerin am Institut für Soziale Ökologie, BOKU; 
Sophia Kratz, Kreislaufwirtschaftsexpertin Umweltdachverband
v.l.n.r.: Gerald Pfiffinger, Doris Virág, Sophia Kratz. Foto: Umweltdachverband / Tina Leonhard

Im Rahmen seiner Bundesländer-Tournee zum 50-Jahr-Jubiläum nimmt der Umweltdachverband heute bei seinem letzten Stopp in Wien die Österreichische Kreislaufwirtschaftsstrategie in den Fokus. Diese wurde beschlossen, um den Ressourcenverbrauch zu verringern, Umweltverschmutzung und Abfälle zu vermeiden, Wertschöpfung und Ressourceneffizienz zu erhöhen sowie negative soziale Auswirkungen auf den Menschen abzufedern. „Prognosen zufolge wird sich der Verbrauch von Biomasse, Metallen und Mineralien bis 2060 verdoppeln und das jährliche Abfallvorkommen um 70 % steigen. Die globalen Ressourcen werden zunehmend knapper – das betrifft sowohl Rohstoffe als auch die Kapazität der Erde, Abfallprodukte des menschlichen Lebens aufzunehmen. Die Gewinnung und Verarbeitung natürlicher Ressourcen sind für mehr als 90 % des weltweiten Biodiversitätsverlusts und mehr als die Hälfte aller Treibhausgasemissionen verantwortlich. Die Kreislaufwirtschaft ist ein wichtiges Sprungbrett für eine generationenfreundliche Transformation unseres Wirtschaftssystems und essenziell für die Erreichung der Klimaziele, denn sie trägt maßgeblich dazu bei, die natürlichen Ressourcen sowie unsere Landschaften und Lebensräume zu schonen und so den enormen Rückgang der Artenvielfalt aufzuhalten“, sagt Gerald Pfiffinger, Geschäftsführer des Umweltdachverbandes.

UWD zieht Bilanz: Ein Jahr Österreichische Kreislaufwirtschaftsstrategie

Aus all diesen Gründen wurde am 7. Dezember 2022 die Österreichische Kreislaufwirtschaftsstrategie beschlossen – mit dem Ziel, die Realisierung einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft in Österreich zu beschleunigen. Doch was hat sich bisher getan? „Hervorzuheben ist vor allen Dingen die Einrichtung der ‚Task Force Kreislaufwirtschaft‘“, so Sophia Kratz, Kreislaufwirtschaftsexpertin im Umweltdachverband. Die von der österreichischen Bundesregierung eingesetzte Task Force setzt sich aus Expert:innen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zusammen und soll die Umsetzung zur Kreislaufwirtschaftsstrategie begleiten, kritisch beleuchten und entsprechend evaluieren, um weitere notwendige Maßnahmen beschließen zu können. „Weiters sind die Förderangebote der Bundesregierung zur Finanzierung von Initiativen und Maßnahmen zur Umsetzung der Kreislaufwirtschaft ein richtiger und wichtiger Schritt. Unternehmen haben so einen Anreiz, zirkuläre Prozesse zu integrieren, ihre Stoffkreisläufe zu schließen und die Produktnutzung zu verlängern. Außerdem spielt die Etablierung des ‚Climate Lab‘– eine Initiative des Klimaschutzministeriums (BMK) und anderen Partnern – eine große Rolle. Gemeinsam werden dort kollaborative Programme in einer sektorübergreifenden Community entwickelt, die sich einerseits der Erreichung der Klimaneutralität widmet und andererseits Kreislaufwirtschaft als Querschnittsthema behandelt“, so Kratz. Was fehlt, ist eine ganzheitliche Herangehensweise, denn im vergangenen Jahr lag der Fokus klar auf der Wirtschaft – doch für eine
Transformation braucht es alle Akteur:innen. Bisher war es aber zivilgesellschaftlichen Playern durch unzureichende oder kurzfristige Förderungen erschwert, langfristig Fuß zu fassen. Das könnte sich jetzt durch das Umweltförderungsgesetz, in das die Kreislaufwirtschaft nun integriert wurde, ändern. Außerdem fehlt es an Transparenz in Bezug auf Partizipationsprozesse. „Nur durch ausreichenden Dialog, Kommunikation und eingängige Kampagnen können wir in der Gesellschaft jene Akzeptanz schaffen, die es braucht, um zukünftige Maßnahmen im Sinne der Kreislaufwirtschaft erfolgreich umzusetzen. Die Tools sind da – jetzt muss es an die Umsetzung gehen. Dafür ist in jedem Fall auch mehr Budget notwendig, als bisher angedacht“, betont die Expertin.

Klimaneutralität bis 2040 nur mit einer starken Kreislaufwirtschaft

Es braucht ambitioniertere Maßnahmen punkto Kreislaufwirtschaft, um die in der Österreichischen Kreislaufwirtschaftsstrategie festgelegten Ziele sowie Klimaneutralität bis 2040, wie es der Koalitionsvertrag vorsieht, zu erreichen. „Im Projekt ‚Circular Economy and Decarbonisation: Synergies and trade-offs‘ haben wir genau das untersucht: Welche Auswirkungen hat eine Dekarbonisierung auf den Materialbedarf und welchen Beitrag kann eine Kreislaufwirtschaft zur Erreichung der Klimaneutralität leisten? Aufgrund ihrer Material- und Kohlenstoffintensität sowie ihrer Verflechtung haben wir die Sektoren Gebäude, Verkehr und Elektrizität in den Fokus genommen. Die Österreichische Kreislaufwirtschaftsstrategie verfolgt das Ziel, den inländischen Materialverbrauch bis 2030 auf 14t pro Kopf und bis 2050 den globalen Materialfußabdruck auf 7t pro Kopf zu reduzieren. Es zeigt sich jedoch, dass eine Fortsetzung der Entwicklung, wie sie vor der Pandemie stattfand, inklusive der bereits umgesetzten Maßnahmen, einen Anstieg des inländischen Materialverbrauchs um ca. 11 % sowie einen Anstieg der verarbeiteten Materialien um rund 10 % bis 2040 bedeuten würde. Ohne weitere Maßnahmen vonseiten der Bundesregierung sind das 102 Millionen Tonnen Materialverbrauch, allein in den drei Sektoren Gebäude, Verkehr und Strom. Insgesamt sind es 204 Millionen Tonnen. Außerdem würde das zurechenbare Kohlenstoffbudget der drei Sektoren um 60 % überschritten werden“, mahnt Doris Virág, Wissenschaftlerin am Institut für Soziale Ökologie an der BOKU. „Nur in einem Szenario, in dem zusätzlich zur vollständigen Dekarbonisierung bis 2040 ein starker Kreislaufwirtschaftsansatz verfolgt wird, kann der Verbrauch der verarbeiteten Materialien in Österreich im Vergleich zu heute um 31 % reduziert und können sowohl die Klimaneutralität als auch die Ziele der Österreichischen Kreislaufwirtschaftsstrategie hinsichtlich Materialreduktion erreicht werden“, so die Forscherin.

Kreislaufwirtschaft als holistisches Konzept begreifen

Voraussetzung für eine erfolgreiche Kreislaufwirtschaft ist die Integrierung des Konzeptes in all unsere Lebensbereiche. „Kreislaufwirtschaft ist kein rein wirtschaftliches Konzept – im Gegenteil: Der Übergang von der derzeitigen Linear- zu einer Kreislaufwirtschaft kann nur dann gelingen, wenn er von allen Teilen der Gesellschaft mitgetragen wird. Dafür braucht es eine enge Zusammenarbeit zwischen Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Ziel muss es sein, eine intakte Umwelt, wirtschaftlichen Wohlstand und soziale Gerechtigkeit zum Nutzen heutiger sowie künftiger Generationen zu schaffen“, betont Pfiffinger. „Ein großes Problem ist, dass weiterhin versucht wird, Wirtschaftswachstum vom Ausstoß schädlicher CO2-Emissionen zu entkoppeln. Das heißt, Wirtschaftswachstum soll trotz umweltfreundlicher Transformationen gelingen, was derzeit jedoch unrealistisch ist. Es geht nicht darum, Kreislaufwirtschaft punktuell auf einzelne Bereich, wie Recycling oder Abfallvermeidung anzuwenden und sonst ,business as usual‘ zu betreiben, sondern darum, ein ganzheitliches Umdenken anzustoßen. Abgesehen von unserer Umwelt profitieren auch Wirtschaft und Gesellschaft von einem nachhaltigen, kreislauforientierten System. Denn in dem Maß, in dem es gelingt, wertvolle Rohstoffe im Kreislauf zu halten, sinkt die Abhängigkeit der Unternehmen von zunehmend teuren und oftmals schwankenden Rohstoffimporten. Wir erhalten auch langlebigere und innovativere Produkte, die unsere Lebensqualität steigern und langfristig Geld sparen. Neue Geschäftsmodelle, Produkte, Dienstleistungen und damit auch Arbeitsplätze werden entstehen. Außerdem kann Kreislaufwirtschaft einen Rahmen darstellen, in dem neue Infrastrukturen und soziale Innovationen – beispielsweise neue Wohnformen, Arbeits- oder Versorgungsmodelle – sowie nachhaltige Produktpolitik und Reparaturkonzepte entwickelt werden“, so Kratz.

Wohlstand ist nicht gleich Wachstum

Zu einem ganzheitlichen Konzept zählt auch, alternative Wohlstandsindikatoren heranzuziehen und sich nicht allein das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Maßstab für den gesamtgesellschaftlichen Wohlstand zu sehen. „Grundsätzlich gibt es beim BIP zwei große Schwachstellen: Zum einen werden lediglich gehandelte Leistungen erfasst. Nicht miteinbezogen werden hingegen Sorgearbeit in der Familie, ehrenamtliches Engagement oder der Einfluss der Wirtschaft und Industrie auf die Umwelt – und das, obwohl eine intakte Umwelt und Gesellschaft Grundvoraussetzungen für ein gutes (Zusammen-)Leben sind. Zum anderen werden umweltschädliche Verhaltensweisen, wie beispielsweise Müllverbrennung oder Ressourcenausbeutung, als wirtschaftliche Aktivitäten gezählt und somit in die Berechnung des BIP miteinbezogen. Gleichzeitig schrumpft jedoch durch solche wirtschaftlichen Aktivitäten die Artenvielfalt, während die Verknappung wichtiger Ressourcen wie Metalle, Mineralien und Biomasse voranschreitet. Insofern ist das BIP unzureichend, um den gesamten Wohlstand zu berechnen. Alternativen zur Messung des Wohlstands bieten z. B. der Genuine Progress Indicator (GPI) und der Nationale Wohlfahrtsindikator (NWI), weil sie die verzerrenden Faktoren des BIP, wie z. B. Umweltverschmutzung, ausgleichen und soziale, ökologische und ökonomische Faktoren wie Ressourcenverbrauch berücksichtigen. Auch der Human Development Index (HDI), der sich auf die soziale Entwicklung einer Gesellschaft bezieht, oder der ökologische Fußabdruck, der den Ressourcenverbrauch in CO2-Emissionen ausdrückt, können sinnvolle Ergänzungen zum BIP sein“, erklärt Pfiffinger.

Forderung nach engeren, langsameren Kreisläufen und mehr Zusammenarbeit

„Recycling, wie es derzeit von der Österreichischen Bundesregierung forciert wird, ist wichtig, aber bei weitem nicht ausreichend, um Klimaneutralität und die Ziele der Österreichischen Kreislaufwirtschaftsstrategie zu erreichen. Es braucht einen stärkeren Fokus auf die Verringerung der Ressourcenmenge, die wir durch unsere Wirtschaft schleusen und auf die Verlangsamung von Kreisläufen zum Beispiel durch längere Produktlebensdauern sowie eine strukturelle Verschiebung des Konsums und der Produktion weg von materialintensiven Gütern und hin zu einer dienstleistungsorientierten Wirtschaft. Das bedeutet, bei der Umsetzung von Dekarbonisierung und Kreislaufwirtschaftsstrategien sind alle Bereiche gefordert – nicht nur die Abfallwirtschaft, sondern vor allem die Infrastruktur- und Raumplanung. Besonders wichtig sind ein Baustopp für Straßen und Gebäude auf der grünen Wiese, um Material einzusparen sowie Reduktionen des motorisierten Personen- und Güterverkehrs für die Einsparung von THG-Emissionen. Auch das Ernährungssystem und die Industrie müssen stark nach Kreislaufprinzipien umgestellt werden. Die Wohlstandseinbußen halten sich auch bei starken Dekarbonisierungs- und Zirkularitätsmaßnahmen für Österreicher:innen in bescheidenen Grenzen“, betont Virág. „Was es jetzt braucht, sind politische Visionen und ein gemeinschaftliches Konzept mit einer zuverlässigen und langfristigen Finanzierung in allen Bereichen – Klimaschutzministerium, Landwirtschaftsministerium, aber auch Bildungs- und Sozialministerium: Für den transformativen Prozess sind jetzt alle gefragt“, sind sich Wissenschaft und Umweltdachverband einig.