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Haben Sie schon gehört? Nachhaltigkeit ist jetzt Teil des Bilanzrechts.

Paradigmenwechsel: ESG-Regulierungen bewirken ganzheitliches Verständnis von Wirtschaft.
Foto: Marianne Bos / unsplash

Die europäische Richtline zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD – Corporate Sustainability Reporting Directive) nimmt EU-weit mehr als 50.000 Unternehmen in die Pflicht, ihren Finanzbericht um einen umfassenden Nachhaltigkeitsbericht zu ergänzen.

Darüber hinaus sind weitere Regulierungen geplant oder schon in Kraft, etwa die CSDDD (Corporate Sustainability Due Diligence Directive oder EU-Lieferkettenrichtlinie), das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (seit 1.1.2023 in Kraft) oder die EU-Taxonomie-Verordnung zur Klassifizierung nachhaltiger Wirtschaftsaktivitäten.

All diese Vorhaben eint ein neues, ganzheitliches Verständnis von Wirtschaft: Ökologische und sozial-gesellschaftliche Aspekte werden zunehmend regulatorisch integriert und den ökonomischen Belangen eines Unternehmens gleichgestellt.

Impact entlang der Wertschöpfungskette

Anders gesagt: Die Auswirkungen der Geschäftstätigkeit auf Umwelt und Gesellschaft erfahren eine deutliche Aufwertung. Sie müssen umfassender erfasst, bewertet und kommuniziert werden als bisher. Das verlangt nach einer neuen Art der Unternehmensführung, und zwar nicht nur bei Unternehmen, die von gesetzlicher Regulierung direkt betroffen sind. In allen der genannten Richtlinien und Gesetzen wird auch ein Fokus auf die gesamte Wertschöpfungskette gelegt. Das heißt, vor- und nachgelagerte Geschäftsbeziehungen sind ebenfalls hinsichtlich ihrer sozial-ökologischen Auswirkungen zu durchleuchten. Damit tritt ein „Trickle-down-Effekt“ auf, der auch kleinere Unternehmen entlang der Lieferketten betrifft. Diese müssen entsprechende nicht-finanzielle Daten bereitstellen, um den Anforderungen ihrer größeren Geschäftskund*innen zu entsprechen.

So passiert bei einem Kleinstunternehmen in Wien

Der Betrieb mit zehn Mitarbeitenden beliefert unter anderem einen internationalen Modekonzern. Im Herbst 2022 landete ein Dokument auf dem Schreibtisch der Geschäftsführenden, die dem Betrieb auf sechs eng bedruckten Seiten ein Bekenntnis zu elf gesellschaftlichen und vier ökologischen Kriterien abverlangt. Im Sinne einer transparenten Geschäftsbeziehung wurde weiters erwartet, dass dem Konzern Daten für das Monitoring und die kontinuierliche Verbesserung dieser Nachhaltigkeitsleistungen zur Verfügung gestellt werden.

Was kann das Unternehmen tun, um seine Geschäftsbeziehung und damit seine Umsätze nicht zu gefährden?

Der Aufbau eines, der Unternehmensgröße angemessenen, Nachhaltigkeitsmanagements hilft, die Anforderungen des Geschäftspartners strukturiert zu erfüllen. Zunächst gilt es, die geforderten Daten auf ihre Relevanz für den eigenen Betrieb zu analysieren. Manches trifft vielleicht gar nicht zu und kann mit einer kurzen Erklärung begründet werden. Relevante Kriterien, etwa die Frage des Energie- und Ressourcenverbrauchs, benötigen mehr Aufmerksamkeit. Doch schon ein einfaches Excel kann dazu dienen, den Verbrauch strukturiert zu erfassen und die Entwicklung zu beobachten. Außerdem können sich daraus auch Chancen für den Betrieb selbst ergeben. Wer seine Verbräuche schwarz auf weiß über einen längeren Zeitraum vor Augen hat, sieht, an welchen Stellen wie viel Energie verbraucht wird und kann sich entsprechende Einsparungsziele setzen. Darüber hinaus kann das Unternehmen in seine Lieferkette blicken und überlegen, wie die eigenen Lieferant*innen die Nachhaltigkeit der Produkte belegen. Oder, wenn sie das nicht tun, damit beginnen, Alternativen zu suchen. 1

LEITFRAGEN FÜR EINE ZUKUNFTSFÄHIGE UNTERNEHMENSFÜHRUNG

// Analyse und aktives Management der eigenen geschäftlichen Auswirkungen, insbesondere der negativen: Kennen Sie die Auswirkungen Ihres Geschäftsmodells und Ihrer Produkte und Services auf Umwelt und Menschen? Haben Sie Kennzahlen oder Indikatoren, mit denen Sie die Auswirkungen messen, beurteilen und verbessern können?

// Analyse und Management der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsketten: Wie gut kennen und verstehen Sie Ihre Geschäftspartner*innen und Kund*innen? Kennen Sie deren ökologische und soziale Auswirkungen und Risiken? Auf welche Alternativen können Sie im Problemfall zurückgreifen?

// Compliance: Wie können Sie Nachhaltigkeit in Ihrem Unternehmen dauerhaft und effektiv umsetzen? Wer ist dafür verantwortlich? Welche Prozesse braucht es, um Nachhaltigkeit aktiv zu managen?

// Erweitertes Risikomanagement: Verstehen Sie, wie ökologische und gesellschaftliche Risiken und Veränderungen auf Ihr Unternehmen wirken und Ihre wirtschaftliche Lage beeinflussen können?

// Daten, Daten, Daten: Erfassen Sie bereits relevante Umweltkennzahlen? Haben Sie soziale Indikatoren, auf die Sie zurückgreifen können? Welche KPIs brauchen Sie, um den gesetzlichen Anforderungen zu entsprechen?

Auch die Erwartungen von Stakeholdern an Unternehmen steigen

Über die Regulierung und deren direkte und indirekte Auswirkungen hinaus wächst auch der Druck von Seiten der Stakeholder. Junge Menschen, vor allem aus der Generation Z, suchen Arbeitgeber*innen mit Sinn. Sie stellen harte Fragen zur Nachhaltigkeit des Unternehmens und wollen authentische, klare und glaubwürdige Antworten. Da reicht es längst nicht mehr, ein bisschen Umweltschutz zu betreiben, einen Obstkorb oder eine Jahreskarte fürs Fitnesscenter als soziales Goodie zur Verfügung zu stellen. 2

Um die richtigen Talente zu finden und dauerhaft ans Unternehmen zu binden, braucht es auch in der HR ein umfassendes Verständnis der Nachhaltigkeitsleistungen des Unternehmens. Personaler*innen müssen erklären können, welchen Beitrag die jeweilige Position zur nachhaltigen Entwicklung des Unternehmens und der Gesellschaft leistet, wo es noch Schwachstellen gibt und welche Pläne das Unternehmen hat, um sich dort zu verbessern.

Oder denken Sie an die Kapitalgeber*innen Ihres Betriebs. Immer mehr private Investor*innen legen Wert auf positiven Impact, Banken sind zunehmend verpflichtet, Investitionen nach deren Nachhaltigkeit zu bewerten, und Förderungen werden vermehrt auf soziale und ökologische Wirkungen ausgelegt. 3 Dafür braucht es ein erweitertes Risikomanagement. Die neue Frage für die Finanzabteilung lautet: Welche ökologischen und sozialen Auswirkungen hat meine geplante Investition und wie wird sich das finanziell niederschlagen?

Fazit: Nachhaltigkeit ist das Fundament guten Wirtschaftens

Unternehmen sind gefordert, Nachhaltigkeit als Querschnittsmaterie in allen Unternehmensebenen und -funktionen zu integrieren. Dieser Anspruch geht über die Schaffung einer Stabstelle „Nachhaltigkeitsbeauftragte*r“ hinaus. Es reicht nicht, eine Person oder ein kleines Team mit Nachhaltigkeit zu betrauen. Aus der Gleichwertigkeit von Umwelt und Gesellschaft und Ökonomie ergeben sich neue Fragestellungen, die nur kooperativ jenseits von Silo- und Funktionsdenken beantwortet werden können.

Michael Bauer-Leeb

1 Leitfäden für nachhaltige Beschaffung z.B. von Ecovadis https://ecovadis.com/de/glossary/sustainable-sourcing/

3 Zum Beispiel Nachhaltigkeitsförderungen der FFG https://www.ffg.at/nachhaltigkeit

Michael Bauer-Leeb, Experte für nachhaltige Unternehmensführung.
Foto: Helena Wimmer
                                                                                                          DI (FH) Michael Bauer-Leeb, MBA MSc, WEITSICHT OG | büro für zukunftsfähige wirtschaft, ist Experte und akademischer Vortragender für nachhaltige Unternehmensführung, Stakeholder Management, Kommunikation und Nachhaltigkeitsberichterstattung. https://www.weitsicht.solutions.