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Was nehme ich persönlich als Wachstumserfahrung aus der Krise mit?

Die Corona-Zeit war und ist für mich weiterhin ein Wechselbad der Gefühle und ein großes Gedankenkreisen:

foto_hoormann
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Dankbarkeit für das Leben was ich führen darf, Angst davor, dass die die mir nahe stehen erkranken könnten, Traurigkeit, weil ich so vielen Menschen, die mir sehr nahestehen physisch nicht mehr nahe sein kann. Schon wieder.  Es scheint schon eine Ewigkeit her zu sein, dass ich das letzte Mal Konferenzen besucht habe, mit meiner Sambagruppe auf großen Festivals vor vielen Menschen aufgetreten bin oder meine Freunde umarmt habe. Dabei ist zumindest der letzte Auftritt gerade einmal 10 Monate her. Eine Ewigkeit für diese schnelle Lebensart in der wir uns „normalerweise“ bewegen. Aber ist es eigentlich langsamer geworden? Es ist anders. Als Person, die es auch deswegen liebt, Unternehmensberaterin zu sein, weil ich mich gerne mit anderen Menschen austausche heißt das, dass mir ein wesentlicher Faktor fehlt, der mir Energie gibt. Einen schrumpfenden Energiespeicher sehe ich auch bei vielen anderen Menschen: die Arbeitsfähigkeit wird stark belastet und die Resilienz auf eine harte Probe gestellt. In vielen Unternehmen geht es nurmehr um Krisenintervention und Erhalt der Ressource Arbeitskraft, Themen der Prävention haben nur wenig Platz. Verständlicherweise. Wir sind im Krisenmodus. Viele Unternehmen leider sogar im Überlebensmodus. Wer hat da schon Zeit sich Gedanken darum zu machen, wie man zurück in seine Kraft findet? Wenige. Zumindest noch nicht.

Und gleichzeitig ist da eine innere Stimme, die sagt „Endlich! Endlich kommt der lang überfällige Zusammenbruch dieses Systems, das auf Kosten der Lebewesen den stetigen Wachstum zelebriert!“ Des Systems, in dem zwar immer wieder Möglichkeiten gefunden werden in den alten Mauern zu bestehen und hier und da ein Rädchen der Veränderung zu drehen, in dem aber die Endlichkeit der Möglichkeiten bereits absehbar ist: es muss anders werden! Ein „Weg zurück zur alten Normalität“ ist keine Option mehr! Ich will nicht zurück! Ich will nicht mehr zurück in eine Gesellschaft in der Menschen in den „systemrelevanten Berufen“ am Existenzminimum nagen, die Solidarität auf einem absteigenden Ast ist, die Natur mit Füßen getreten und ein allgemeiner „Gleich-Mach-Wahnsinn“ vorangetrieben wird. Ich will nicht mehr zurück in eine Gesellschaft, die aufbaut auf Besitz und Macht auf der einen und Verlust und dienender Ohnmacht auf der anderen Seite.

Was schon seit längerem in unserer Gesellschaft im Argen liegt tritt durch die Krise noch deutlicher vor als jemals zuvor. Doch anstatt genau dorthin zu schauen, was gerade jedem vor Augen geführt wird, habe ich das Gefühl, dass noch immer viel zu oft weggeschaut, schnell abgetan wird, statt hinzuschauen und zu sehen was die Entwicklungen seit Jahresbeginn für Auswirkungen hervorgerufen haben, in uns als Gesellschaft und für uns als soziale Wesen, deren Auftrag es sein sollte diese Welt zu einem lebenswerten Ort zu machen. Warum z.B. wurde nie mehr thematisiert und aufgearbeitet, dass ab dem Februar ein absurder Rassismus gegen Bevölkerungsmitglieder asiatischer Herkunft entstand? Berichte von Verweigerung des Zutritts zu Geschäften, Ausweichmanöver und verbale Angriffe auf der Straße häuften sich, Gastronomie mit asiatischer Küche musste vermehrt schließen, da Gäste ausblieben. Eine von mehreren unguten Entwicklungen seit Jahresbeginn, auf die bis heute niemand zurückgeschaut hat.

Und trotzdem sich in mir ein Unverständnis für so manche Entwicklungen seit dem 1. Lockdown im März bis jetzt breitmacht, hält sich wacker neben einer großen Müdigkeit des schon immer Dagewesenen die Hoffnung auf eine lebenswertere Zukunft, darauf, dass wir unsere Chance doch noch ergreifen, denn die Krise hat Raum geschaffen für Fragen, die wir uns nicht mehr gestellt haben. Die Black Box der „Normalität“ hat sich geöffnet. Es liegt in unserer Macht etwas damit anzufangen. Es ist Zeit sich selbst wieder mehr in die Verantwortung für sich und für das Wir, in die  „Selbst-Versorgung“ und „Selbst-Fürsorge“ zu bringen und die Gemeinschaft und Akzeptanz jedes Lebens zu stärken, für die Umwelt, für die Mitmenschen, für das Leben, zu dem eben mehr gehört als das was wir vor Corona hatten. Und wenn wir behutsam und wertschätzend diese Chance an uns nehmen, können wir den Weg in eine bessere Zukunft schaffen. Dann können wir gemeinsam „ent-decken“, zu welcher Vielfalt an Möglichkeiten außerhalb des Bekannten uns der Weg der geöffneten Black-Box führt.

Lorena Hoormann, B.Sc.

„Die gesellschaftliche Verantwortung eines Unternehmens beginnt bei sich selbst. Nur ein in sich gesundes System, kann auch seine Umgebung stärken.“
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elbstständige systemische Unternehmensberaterin bei „Hoormann Consult“; psychologischer Coach; Trainerin und Moderatorin für Teams; Fachhochschullektorin; Expertin für gesunde Arbeitskulturen und Veränderungsprozesse; „Gesunder Betrieb“-Beraterin bei der »Tut gut!« Gesundheitsvorsorge GmbH; Evaluatorin von Gesundheitsförderungsprojekten für das Institut für systemische Organisationsforschung; Beraterin für das BGF-UnternehmerInnenmodell Gesundes Führen; Mitglied der „ARGE pro Ethik“ und der „CSR Experts Group“ der WKO.