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Wohlstand für alle - Wirtschaft neu denken: Teil 1

Seit die kommunistische Planwirtschaft 1989 gescheitert ist gilt die freie Marktwirtschaft als das Modell, das Wohlstand schafft. Wenn da nicht einige Entwicklungen das Bild trübten: die Kluft zwischen arm und reich nimmt zu, der Klimawandel schreitet voran, der Ressourcenverbrauch ebenfalls. Wohlstand sieht anders aus.

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Walter Ötsch, Foto: Ötsch Walter Ötsch, Foto: Ötsch

Im Rahmen einer neuen Serie „Wirtschaft neu denken“ stellen wir unterschiedliche Ansätze vor, um den Diskurs über eine zukunftsfähige Wirtschaft zu unterstützen. Dieses Mal haben wir einen Vertreter des Institutionalismus, Univ.Prof. Dr. Walter O. Ötsch, eine Vertreterin des Postkeynesianismus, Prof. (FH) Dr.in Elisabeth Springler, und die Wirtschaftspädagogen Mag. Werner Holzheu und Mag. Johannes Lindner eingeladen, die die Philosophie von Adam Smith (1723 – 1790) interpretieren und versuchen, diese auf die heutige Zeit zu übertragen.

Univ.Prof. Dr. Walter O. Ötsch, Institutionalismus

Was muss sich ändern, damit

…  alle Menschen vom wirtschaftlichen Erfolg profitieren?

Kapitalismus ist auf Ungleichheit aus. Dass alle Menschen vom wirtschaftlichen Erfolg profitieren, kann kaum erreicht werden. Es bedarf dazu einer aktiv gestaltenden Politik, die dieses Ziel anstrebt. Bis in die achtziger Jahre konnten in vielen Ländern die Reallöhne im Ausmaß der Steigerung der Arbeitsproduktivität erhöht werden. Dabei blieben die Lohn- und Gewinnquoten relativ konstant – viele profitierten vom Erfolg. Aber diese Politik wurde schon lange aufgegeben. In den meisten Ländern sind auch die Gewerkschaften nicht mehr in der Lage eine produktivitätsorientierte Lohnpolitik durchzusetzen. Die Folge ist eine Zunahme der Gewinnquote (bei konstanter oder abnehmender Investitionsquote) und eine steigende Ungleichheit von Einkommen und Vermögen.

… genügend Arbeitsplätze entstehen, die so bezahlt sind, dass man davon leben kann?

Das war das Keynesianische Konzept von Vollbeschäftigung bei steigenden Reallöhnen. Löhne galten hier auch als Nachfragefaktor. Wenn aber Löhne nur noch als Kosten gelten – die heute dominante Sichtweise – dann steigt der Druck auf noch mehr Leistung (die Qualität vieler Arbeitsplätze ist in den letzten zwanzig Jahren gesunken, Stichwort Prekarisierung) bei zugleich stagnierenden Löhnen. Eine Abhilfe für sehr schlecht bezahlte Jobs können Mindestlöhne sein.

… kleine und mittlere Unternehmen erfolgreich wirtschaften können?

Das gegenwärtige Wirtschaftssystem ist durch eine Dominanz des Finanzsektors gekennzeichnet. Dieser hat anscheinend die Macht fast unbegrenzt Mittel zu seiner „Rettung“ zu fordern – siehe z.B. die Kreditprogramme der US-Nationalbank und der Europäischen Zentralbank in Billionenhöhe. Kleine und mittlere Unternehmen im Realsektor können davon nur indirekt profitieren. Eine Förderung dieser verlangt auch eine effektive Wettbewerbspolitik z.B. eine Zurückdrängung marktbeherrschende Konzerne und die Durchsetzung ihrer Steuerleistung, z.B. die Schließung von Steueroasen. Maßnahmen dazu könnten ergriffen werden, es fehlt aber der politische Wille bzw. eine Bewegung, die dies durchsetzen kann.

… die Ressourcen unserer Erde nachhaltig genutzt werden (keine Übernutzung)?

Das Steuerungsprogramm durch Umweltzertifikate ist gescheitert. Es helfen nur direkte Maßnahmen, wie Steuererleichterungen für erneuerbare Energien oder Auflagen für Produktionsprozesse und Produkte. Um eine hohe Beschäftigung aufrecht zu halten, muss zudem die Wirtschaft, so wie sie jetzt ist, andauernd wachsen. Nachhaltigkeit würde weniger Wachstum erfordern. Wie das ohne Folgen auf Arbeitsplätze bewerkstelligt werden kann, ist unbekannt. Nicht nur deswegen ist die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen berechtigt.

… die Demokratie erhalten bleibt?  

Die Demokratie ist durch den Rechtspopulismus bedroht, dieser wird von Teilen der Wirtschaft gefördert. Abhilfe kann nur eine starke Zivilgesellschaft sein, viele wache und unabhängige Menschen, ein Schulsystem für die Förderung mündiger Bürger und eine Politik, die die Sorgen vieler um die Zukunft der Sozialsysteme und die Chancen ihrer Kinder viel ernster nimmt und aktiv eine Umverteilung anstrebt. Insgesamt bräuchten wir eine neue Bewegung zur Re-Demokratisierung der Gesellschaft.

Univ.Prof. Dr. Walter O. Ötsch

Walter O. Ötsch ist Kulturhistoriker und Ökonom an der Cusanus Hochschule in Bernkastel-Kues. Er leitete früher das Zentrum für Soziale und Interkulturelle Kompetenz an der Johannes Kepler Universität Linz und errichtete das Institut für die Gesamtanalyse der Wirtschaft. Aktuelle Forschungsprojekte betreffen die Wirkung des ökonomischen Denkens auf die Gesellschaft, institutionelle Aspekte des Wirtschaftssystems und die Ursachen für das Ansteigen des Rechtspopulismus. Er sieht sich als Vertreter des Institutionalismus.

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Elisabeth Springler. Foto: FH BFI Wien Elisabeth Springler. Foto: FH BFI Wien

Prof. (FH) Dr. in Elisabeth Springler, Postkeynesianismus

Was müssen wir ändern, damit ..

… alle Menschen vom wirtschaftlichen Erfolg profitieren?

National braucht es Anreizsysteme, um den wirtschaftlichen Erfolg adäquater zwischen den Faktoreinkommen Löhne/Gehälter und Kapital zu verteilen. Die Einkommen aus Löhnen und Gehältern müssen steigen. Sie hinken mittlerweile seit Jahrzehnten hinter dem ökonomischen Profit aus Kapital hinterher. Negative Anreizsysteme sollten die Attraktivität des Faktors Kapital reduzieren, etwa durch Finanztransaktionssteuern. Adäquate progressive Steuersysteme führen weiters dazu, dass auch der ökonomische Profit der EinkommensbezieherInnen gleicher innerhalb dieser Gruppe verteilt wird.

Gleichzeitig müssen wir uns jedoch auch der internationale Komponente bewusst werden. Arbeitsbedingungen in sogenannten Billiglohnländern verdeutlichen uns, dass die ökonomischen Möglichkeiten weltweit ungleich sind. Maßnahmen setzen derzeit bei der Steigerung der Transparenz zur Arbeitsweise internationaler Konzerne an. Hier muss der Blick erweitert werden, denn Verantwortung für sozialverträgliches Handeln kann nicht nur bei der KonsumentInnensouveränität liegen, sondern muss durch internationale Rahmenverträge gestützt werden.

… genügend Arbeitsplätze entstehen, die so bezahlt sind, dass man davon leben kann?

Von staatlicher/institutioneller Seite müssen die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden, etwa durch einen gesamtwirtschaftlich orientierten gewerkschaftlichen Rahmen oder einen gesetzlichen Mindestlohn. Der Staat sollte nicht nur in Krisenzeiten die Innovationen und Investitionen fördern. Die Nationalstaaten brauchen fiskalpolitischen Spielraum, damit sie ihrer stabilisierenden Aufgabe gerecht werden können. Bildung muss den Anforderungen für weitere wirtschaftliche Entwicklung entsprechen.

… kleine und mittlere Unternehmen erfolgreich wirtschaften können?

Kleine und mittlere Unternehmen agieren zumeist regional und in den jeweiligen Nachbarstaaten. Die steigende Konkurrenz zu internationalen Unternehmen, die durch die Ausbeutung der Produktionsfaktoren einen Preisdruck aufbauen, muss reduziert werden. Regionale Qualität und Innovation sind über das Paradigma des geringsten Preises zu stellen. Kleine und mittlere Unternehmen sind vor allem für kleine Volkswirtschaften wie Österreich wesentlich für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung des Landes und wesentliche Innovations- und Versorgungsträger. Sie nehmen zunehmend eine Nischenrolle als QualitätsproduzentInnen ein.

… die Ressourcen unserer Erde nachhaltig genutzt werden? (keine Übernutzung)

In den letzten Jahren wurden zahlreiche Rahmenbedingungen gesetzt, um ressourcenschonender zu produzieren. Gleichzeitig haben wir durch internationale Preispolitiken und den Fokus auf eine Maximierung der Gewinnspannen zu einer Aushöhlung regionaler Produktion beigetragen. Die Verringerung absurder arbeitsteiliger Produktionsstrukturen ist ein erster Schritt. Die Übernutzung ist eine Folge der Fehlwahrnehmungen wirtschaftlichen Handelns. Wir sehen eine Spirale aus weltweit ungleicher Partizipation am wirtschaftlichen Erfolg, bedingt durch sinkende Entlohnung, wachsender Arbeitslosigkeit und Ausbeutung internationaler Konzerne auf der Suche nach steigenden Profiten. Das Durchbrechen dieser Spirale liegt in der Verantwortung der einzelnen Nationalstaaten und kann nur bedingt auf internationale Organisationen – die Sprachrohr ihrer Mitglieder sind – übertragen werden.

Prof. (FH) Dr. in Elisabeth Springler

Leiterin der Fh-Studiengänge BA & MA, Europäische Wirtschaft und Unternehmensführung Fachhochschule des Bfi Wien. Frau Prof. Dr. Springler verortet sich in ihrem Zugang zur Ökonomie als Postkeynesianerin – eine nachfrageseitige Orientierung der Wirtschaft und der wirtschaftspolitischen Maßnahmen stehen im Mittelpunkt. Durch die Stabilisierung von Konsum und Investitionen soll ein konjunkturelles Tief überwunden werden. Voraussetzung ist, dass der Staat eine aktive Rolle ein nimmt und Rahmenbedingungen für einen Wohlfahrtsstaat schafft.

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Werner Holzheu, Foto: privat Werner Holzheu, Foto: privat

Wie würde Adam Smith antworten?

Smith gilt als der Begründer der modernen Nationalökonomie. Die in seinem Hauptwerk „Wohlstand der Nationen“ enthaltenen Abschnitte über die Arbeitsteilung, über den Eigennutz und über die „unsichtbare Hand“ gehören zu den meist zitierten Stellen in der gesamten volkswirtschaftlichen Literatur. Ihn aber als Schirmherr des Neoliberalismus der letzten 20 Jahre zu betrachten, wäre zu kurz gegriffen.

Was würde Adam Smith auf die folgenden Fragen wohl heute antworten? Interpretiert durch Mag. Werner Holzheu und Mag. Johannes Lindner

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Johannes Lindner. Foto: KPH Krems Johannes Lindner. Foto: KPH Krems

Was muss sich ändern, damit ..

... alle Menschen vom wirtschaftlichen Erfolg profitieren?

Zentral im Werk von Smith ist die Arbeitsteilung. Er sieht sie als einen dynamischen Prozess, welcher sich permanent entfaltet. Der Wohlstand eines Landes ist umso größer je mehr Menschen am arbeitsteiligen Wirtschaftsleben beteiligt sind. Für ihn wäre es aus heutiger Sicht wahrscheinlich das zentrale Anliegen, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren.

... genügend Arbeitsplätze entstehen, die so bezahlt sind, dass man davon leben kann?

Smith würde wahrscheinlich staunen über das Ausmaß, das die Arbeitsteilung weltweit bereits angenommen hat. Und wahrscheinlich sähe er sich bestätigt, dass sie zur Schaffung von Wohlstand bzw. zur Reduktion von Armut beigetragen hat. 1990 lag der Anteil der extrem Armen bei 37% der Weltbevölkerung, heute liegt diese bei rd. 10%. Obwohl Smith grundsätzlich für minimale Staatseingriffe steht, finden wir bei ihm aber auch Stellungnahmen zu Fairness und Verteilung “...ganz sicher kann keine Nation blühen, deren Bevölkerung weithin in Armut und Elend lebt...“ oder „...dort wo die Löhne hoch sind, finden wir daher die Arbeiter immer fleißiger, gewissenhafter und schneller bei der Hand als dort, wo sie niedrig sind“. Hätte Smith die Folgen einer völlig liberalisierten Wirtschaft einige Jahrzehnte nach ihm gesehen, wäre er wahrscheinlich für die Schaffung eines entsprechenden Rahmens eingetreten, welcher auch ein Mindestmaß an Fairness beinhaltet.

.. kleine und mittlere Unternehmen erfolgreich wirtschaften können?

Die zweite zentrale Stelle in Smith Werk ist jene des Eigennutzes. Gerade die kleinen und mittleren Unternehmens (Bäcker oder Fleischer) sind es, die Smith hier beispielhaft nennt. Eigennutz ist eine Triebfeder des Wirtschaftslebens, aber dass der eigennützige Unternehmer, quasi geleitet von einer unsichtbaren Hand, gleichzeitig damit das Wohl für die Gesellschaft maximiert ist eine landläufige Fehlinterpretation. Die Metapher der unsichtbaren Hand taucht erst viel später in Smith Werk auf – in der Frage, ob Unternehmer national oder im Ausland investieren sollen: „...Wenn er es vorzieht, die eigene nationale Wirtschaft anstatt die ausländische zu unterstützen, denkt er nur an die eigene Sicherheit... und strebt... lediglich nach eigenem Gewinn. Er wird … von einer unsichtbaren Hand geleitet... Indem er seine eigenen Interessen verfolgt, fördert er oft diejenigen der Gesellschaft...“.

Monopole sieht Smith sehr kritisch. Wahrscheinlich würde Smith für einen Rahmen plädieren, der gerade für Start ups und kleine und mittlere Unternehmen günstige Rahmenbedingungen schafft.

... die Ressourcen unserer Erde nachhaltig genutzt werden (keine Übernutzung) und die Demokratie erhalten bleibt?

Weder über die Bedrohung der Umwelt noch über Demokratie finden wir viel Konkretes bei Smith. Die Industrialisierung befindet sich ja noch eher in ihren Anfängen und außerdem ist die Gesellschaft zu Smiths Zeiten nicht demokratisch. Smith gibt uns jedoch Anhaltspunkte für das „Wie?“ In seinem 2. Hauptwerk, den Theorien der ethischen Gefühle, arbeitet er die Bedeutung von Gerechtigkeit und Tugendhaftigkeit heraus. An diesem Werk könne man sich bei der Lösung von komplexen gesellschaftlichen Herausforderungen wie der Erhaltung der Demokratie und der Bekämpfung des Klimawandels orientieren.

Mag. Werner Holzheu ist Wirtschaftspädagoge an der HLTW Wien XIII und Forschungsbeauftragter am Institut für Entrepreneurship Education und am Kompetenzzentrum für wertebasierte Wirtschaftsdidaktik der KPH Wien Krems.

Mag. Johannes Lindner ist Leiter des Fachbereiches Entrepreneurship Education und Kompetenzzentrums für Wertebasierte Wirtschaftsdidaktik der KPH Wien/Krems und Wirtschaftspädagoge an der Schumpeter HAK, Vorstand von IFTE und eesi-Bundeskoordinato und YouthStart Entrepreneurial Challenges Policy Experimentation Project.

Zu den weiteren Beiträgen der Serie