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Barbara van Melle, Simon Wöckl, Kruste&Krume

Barbara van Melle und Simon Wöckl haben das erste Spezialgeschäft Österreichs rund ums Brotbacken eröffnet.

Simon Wöckl, Barbara van Melle
Simon Wöckl, Barbara van Melle Foto: Lukas Lorenz

Denn Urgetreidesorten wie Waldstaude, Emmer, Einkorn und alte, fast vergessene Getreide wie „Lungauer Tauernroggen“ oder „Laufener Landweizen“ sind, so wie spezielle Ausmahlungsgrade, wie Weizen 1600, Roggen 500, Schwarzroggen nur schwer zu bekommen. Sie sind aber essenziell, um gutes Brot zu backen. Nicht nur die Konsument*innen freut‘s, auch kleine Bio-Mühlen haben nun einen verlässlichen Abnehmer.

BUSINESSART: Wie bist du auf die Idee gekommen, ein Spezialgeschäft für Mehl zu eröffnen?

Barbara van Melle: Begonnen hat es 2015 mit dem Buch „Der Duft von frischem Brot“. Dafür besuchte ich die besten Profibäcker in ganz Österreich und habe festgestellt, dass es schwieriger war als gedacht, das Wissen in ein haushaltstaugliches Rezept reinzubringen. Vieles muss man sehen und erleben. Daher habe ich 2016 das erste Brotfestival in Wien organisiert. Außer mir haben damals weder die Bäcker noch die Bank geglaubt, dass das irgendjemand interessiert. Als EPU war es zudem auch ein großes wirtschaftliches Risiko. Aber es ist aufgegangen und ich habe Simon kennengelernt.

Wir haben im Rahmen des eintägigen Brotfestivals auch Brotbackkurse angeboten und die Termine um Mitternacht feigeschalten. Um 8:00 Uhr morgens war kein Platz mehr zu bekommen! Danach wurden wir von etlichen Küchenstudios für Brotbackworkshops gebucht, die allerdings nicht  fürs Brotbacken ausgelegt waren. Es fehlte einfach zu viel: vom einfachen Teigteiler bis zum Simperl, dem Gärkorb, auch die Haushaltsöfen waren zu klein um mit größeren Gruppen zu backen. Daher sind wir immer mit einem ganzen Kofferraum voll Zeugs zu den Kursen gefahren. Bald war klar: wir brauchen einen eigenen Ort. Und so bin ich mit 58 Jahren Jungunternehmerin geworden und habe das Kruste&Krume Brotbackatelier gegründet; Simon ist mit zehn Prozent am Unternehmen beteiligt.

Wie war der Start?

Der Start war herausfordernd. Wir haben natürlich einen Businessplan gemacht. Da muss auch drin stehen, wie viel Absatz wir erwarten. Aber ich hatte doch keine Ahnung, ob unser Angebot jemand will – es hatte ja bis dahin nie jemand gemacht. Es war wie beim Brotfestival. Ich habe einfach daran geglaubt, dass so etwas gebraucht wird.

Wie fühlt sich das an, Jungunternehmerin zu sein?

Wir sind im März 2018 gestartet und beschäftigen jetzt sechs Leute, einen Fulltime, einen 30 Stunden und die anderen mit 20 Stunden. Es funktioniert wirtschaftlich gut. Der Betrieb hat nun auch eine Lehrlingszertifizierung  und wir beschäftigen seit Jänner 2019 sogar einen Lehrling. Die Bürokratie und das Finanzielle sind das Anstrengendste, das bereitet mir schlaflose Nächte. Wir sind kein Großkonzern, werden aber genauso behandelt. Die Lohnnebenkosten sind ein Wahnsinn. Will man einem Mitarbeiter netto 1700 im Monat zahlen, kostet das 44.000 Euro im Jahr. Die Bürokratie habe ich zugegeben vollkommen unterschätzt. . Das fängt bei der Registrierkasse an, geht über die Buchhaltung bis hin zum Lagersystem, hinter all dem steht ein ziemlich komplexes EDV-System. Das ist anstrengend. Das Ideelle ist nach wie vor einfach großartig. Aber oft bleibt für mich viel zu wenig Zeit für das Kreative. Ich backe heute privat weniger Brot als früher, dafür kämpfe ich mit Buchhaltung, Arbeitszeiterfassungssystem, Lohnverrechnung, EDV und vielen anderen von mir ungeliebten Aufgaben.

Wann gelingt ein gutes Brot?

Das wichtigste sind die richtigen Zutaten. So wie die handwerklichen Bäcker sind auch viele kleine Mühlen verschwunden.. Auch das Mühlenbusiness ist ein globalisiertes Geschäft. Mehlen wurde überhaupt bisher viel zu wenig Bedeutung geschenkt. Im Lebensmittelhandel bekommt man zwar Weizen, Dinkel, Roggen und vielleicht sogar noch ein Packerl Urgetreide. Über die Qualität der Mehle erfährt man allerdings so gut wie nichts. Dabei sollten wir beim Brot handeln wie beim Wein. Niemand würde Tafeltrauben kaufen und dann den besten Veltliner daraus machen können. Genauso ist es beim Mehl. Es gibt eine große Vielfalt und Qualität. Auch beim Getreide hat zum Beispiel die Witterung Einfluss auf die Qualität. Wenn es viel regnet, ändern sich die Eigenschaften. Das ist eine eigene Wissenschaft, die im Haushalt und beim Hobbybacken noch nicht angekommen ist. Das Terroir, den Boden kann man genauso wie im Wein auch im Mehl schmecken. Das ist eine unglaublich spannende Auseinandersetzung mit Lebensmitteln, die  mich total beseelt.

Gibt es einen Bäcker, von dem du ganz besonders begeistert bist?

Wir haben in Österreich viele großartige Bäckereibetriebe und herausragende Bäcker und Bäckerinnen. Ich bin überzeugt davon, dass in Zukunft jene Erfolg haben werden, die sich dem Handwerk verpflichtet fühlen und mit herausragenden, regionalen Rohstoffen arbeiten.

Ihr verbindet Eure Arbeit auch immer wieder mit sozialen Aktivitäten

Das ist uns sehr wichtig. So organisieren wir Brotbackworkshops für Volksschulkinder oder bieten nun Workshops mit Mohammad an, einem syrischen Bäcker, der als Flüchtling nach Österreich gekommen ist. Ich habe ihn im „Garten der Begegnung“ in Traiskirchen kennengelernt, dort gibt es jeden Samstag ein syrisches Frühstück, mit traditionellem Fladenbrot, das Saj genannt wird. Mohammad ist seit 20 Jahren Bäcker und ganz einfach großartig. Die Workshops mit ihm waren innerhalb von 48 Stunden ausgebucht und erstmals erlebt Mohammad Wertschätzung für das, was er kann, für sein handwerkliches Geschick als Bäcker.

Wer darf Mehl zu euch liefern?

Wir wollen so viel wie möglich Bio, aber das schaffen viele hervorragende Müller nicht, weil die Betriebe oft  zu klein für eine Trennung von bio und konventionell sind. Wichtig ist uns auch die persönliche Beziehung – wir wissen, wie die Müller arbeiten, von welchen Bauern und Bäuerinnen sie beliefert werden und wir wissen, wie wichtig ihnen regionale Wertschöpfungsketten sind. Auch wir haben uns der Regionalität verschrieben, so kommen unsere Brotbacktöpfe, Emailletöpfe, vom einzigen österreichischen Geschirrhersteller. Sie sind zwar teurer als so mancher importierte Gusseisentopf, aber dafür wahrhaft nachhaltig produziert. Dem höheren Preis steht damit ein hoher Wert in Bezug auf die Nachhaltigkeit gegenüber.

Durch euer Engagement finden also auch die kleinen Mühlen Kund*innen?

Genau. Wir haben beim letzten Brotfestival im März 2019 die Bäcker eingeladen, mit ihren Lieferanten zu kommen. Wir wollten regionalen Netzwerke erlebbar machen. Das hat wirklich großartig funktioniert. Wir arbeiten vorwiegend mit österreichischen Mühlen und Bauern. So können wir rare Getreidesorten wie den Lungauer Tauerroggen oder Laufener Landweizen anbieten. Wir haben aber nun auch italienische und französische Mühlen ins Sortiment aufgenommen. So können wir nun eine der ältesten italienischen Hartweizensorten „Senatore Cappelli“ anbieten, von einer Mühle aus dem Piemont, die eine der letzten wassergetriebenen Mühlen Europas ist.

Wie wichtig ist gute Ernährung?

Es muss den Menschen bewusst werden, dass die Ernährung sowohl auf individueller und als auch auf globaler Ebenen einen riesigen Impact hat. Zum ersten Mal gibt es mehr übergewichtige als hungernde Menschen. Hunger wird heute durch Kriege gemacht, nicht mehr durch Katastrophen. Es werden heute mehr Lebensmittel weltweit produziert als je zuvor. In Österreich gibt es ca. 600.000 Menschen, die Diabetes Typ 2 haben. Wenn das so weitergeht, werden die volkswirtschaftlichen Kosten, die diese Krankheit verursacht, schon in wenigen Jahren enorm sein. Ernährung ist bedauerlicherweise auch eine Bildungsfrage. Wer arm oder armutsgefährdet ist, leidet heutzutage nicht  an Unterernährung, sondern an Übergewicht und Krankheiten aufgrund schlechter Ernährung. Volksschullehrinnen erzählen mir von Kindern, die Chicken McNnuggets und Red Bull als Jause mitbekommen. Was wir essen, schädigt uns selbst und den Planeten.

Wie lernen Kinder Brot und Gemüse lieben?

Wenn Kinder selbst Brot backen dürfen und Gemüsesticks schneiden, dann kosten sie es auch und sind begeistert. Ich kenne kein Kind, das Karotten angebaut und dann nicht gegessen hat. Man muss sie die Welt des Geschmacks lehren, sie am Sauerteig riechen und das warme Brot mit einem Frischkäse-Aufstrich kosten lassen. Am Anfang sind sie vorsichtig, aber dann kommt die totale Begeisterung und sie gehen mit der Brotsonne stolz nach Hause. Man muss ihnen einfach Gutes geben und erklären.

Was müssen wir ändern?

Die Antwort heißt achtsam sein. Gute Ernährung muss uns etwas wert sein. Nur so können wir etwas verändern. Ich halte nichts vom Verzicht. Wir müssen uns mehr bewegen. Ich fahre gerade mit dem Rad am Donaukanal entlang, die Sonne scheint – ich denke, ich bin privilegiert und die anderen stecken im Stau.

Kochen gehört zur Überlebensfähigkeit des Menschen. Nur wenn wir wieder aus einigen wenigen Grundzutaten etwas kochen können, können wir uns der Industrie entziehen. Die Freude am Kochen, Geschmack und Biodiversität sind genauso wichtig in der Schule wie Mathematik. Das gilt auch für die Gesundheitspolitik: Wir reden nur über Medikamentenkosten und Reparaturmedizin. Für die Prävention fehlt das Geld. Wir gehören diesbezüglich zu den Schlusslichtern Europas.

Was sagst du zu den jungen Menschen von Friday for Future?

Das finde ich wahnsinnig wichtig. Ich habe vier Kinder, zwei davon leben noch zuhause. Sie sorgen sich sehr um diesen Planeten. Wir Alten dürfen den Jungen nicht die Probleme hinterlassen. Ich finde auch schlimm, wie zynisch und bösartig Greta Thunberg verunglimpft wird. Sie hat viel bewirkt. Ja, der mediale Hype um sie kann einem zu viel sein. Die Bevölkerungsentwicklung wird eine echte Herausforderung für unsere Demokratie werden: die Jungen sind weniger und haben weniger Stimmen, aber es geht um ihre Zukunft. Da muss sich echt was tun. So kann es nicht weitergehen.

Gibt es einen Satz deines Lebens?

Das ist ein wenig abgewandelt von den Ärzten, einer Band aus Berlin: Du bist nicht schuld daran, wie die Welt ist, du wärst nur schuld, wenn sie so bleibt. Es gibt den Tropfen auf den heißen Stein nicht. Es ist kein Garant sich am finanziellen Erfolg zu orientieren. Wenn wir für etwas brennen, mit Leidenschaft, Emotion, Empathie, den Menschen und der Umwelt gegenüber – das wird erfolgreich sein. Vielleicht anders als man geglaubt hat, aber erfolgreich.

Barbara van Melle und Simon Wöckl
Kruste&Krume GmbH
Gegründet: 2018
Sitz: Wien
Mitarbeiter*innen: 6
Website: https://krusteundkrume.at