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Wie kann Österreich dekarbonisiert werden?

Christoph Sejkora hat für seine Dissertation die Möglichkeiten und Chancen einer Dekarbonisierung berechnet.

Ein junger Mann mit Bart und Brille an seinem Laptop am Schreibtisch lächelt in die Kamera, im Hintergrund Büroregale.
Christoph Sejkora, Foto: Katharina Hohla

Weltweite Dekarbonisierung

Die Klimakrise ist vermutlich die größte Herausforderung unserer Zeit. Aus diesem Grund wurde 2015 beim Pariser Klimaabkommen [1] das Ziel von einer maximalen Erderwärmung von 2°C gegenüber vorindustriellem Niveau, wenn möglich sogar 1,5°C, beschlossen und von 195 Ländern ratifiziert [2]. Nach Berechnungen des IPCC ist die globale Temperatur bisher bereits um 1,07°C gestiegen [3]. Dabei ist sich die Wissenschaft einig: Diese globale Erwärmung ist zweifelslos auf die von der Menschheit verursachten Treibhausgasemissionen zurückzuführen [3]. Bei gleichbleibenden globalen Treibhausgasemissionen bis 2050 ist zum Ende des Jahrhunderts ein globaler Temperaturanstieg zwischen 2,1 und 3,5°C zu erwarten [3]. Der bisherige Anstieg der globalen Temperatur hat bereits weltweit zu häufigeren und stärkeren Wetterextremen (wie z. B. Hitzewellen oder Starkregen) geführt [3]. Je weiter die globale Temperatur steigt, desto stärkere Folgen sind zu erwarten.

2019 wurden in der EU etwa 77% der gesamten Treibhausgasemissionen durch die Energiebereitstellung und   -nutzung verursacht [4]. Dieser Vergleich zeigt die große Relevanz der Energie zur Erfüllung des Pariser Klimaabkommens. Da die energiebedingten Treibhausgasemissionen fast ausschließlich Kohlendioxid zuzuordnen sind, wird im Weiteren ausschließlich auf die Reduktion dieser Emissionen eingegangen. Zur Dekarbonisierung (d. h. Reduktion der energiebezogenen CO2-Emissionen) gibt es mehrere Möglichkeiten. Die wichtigsten sind Verhaltensänderungen, Energieeffizienzmaßnahmen sowie das Ersetzen fossiler durch erneuerbare Energiequellen. Daneben gäbe es noch die Möglichkeit der CO2-Abscheidung und -Speicherung, was derzeit in Österreich jedoch verboten ist.
 

Energie und Exergie

In der Energieforschung ist neben der Energie die Exergie von großer Relevanz. Der Exergiegehalt einer Energiemenge gibt an, welcher Anteil der Energie tatsächlich zur Verrichtung von Arbeit genutzt werden kann. Energie mit einem hohen Exergiegehalt ist deutlich wertvoller als die gleiche Energie mit einem geringen Exergiegehalt, da diese mehr Arbeit verrichten kann. Beispielsweise ist eine Kilowattstunde an Wärme bei 30°C (geringer Exergiegehalt) für deutlich weniger Anwendungen verwendbar als die gleiche Energiemenge an Elektrizität (sehr hoher Exergiegehalt). Zusätzlich ermöglicht die Exergie eine Vergleichbarkeit von verschiedenen Energieformen entsprechend dem tatsächlich nutzbaren Wert. Aufgrund dieser Eigenschaften bietet sich eine exergetische Betrachtung zur Untersuchung von nationalen Energiesystemen mit verschiedenen Energieformen an.

Das österreichische Energiesystem

Prinzipiell muss ein nationales Energiesystem Energie so zur Verfügung stellen, sodass die von der Bevölkerung geforderten Energiedienstleistungen jederzeit gedeckt werden. Energiedienstleistungen können beispielsweise der Bedarf an motorisierter Individualmobilität, der Bedarf an Beleuchtung oder der Bedarf einer beheizten Wohnung sein. Dabei gibt es für jedes Bedürfnis verschiedene Technologien zur Befriedigung. Beispielsweise kann das Bedürfnis nach Individualmobilität durch ein Fahrzeug mit Elektroantrieb oder Benzinmotor erfüllt werden. Neben den Energieverlusten der jeweiligen Technologie müssen zusätzlich die Energieverluste des Energiesystems berücksichtigt werden (z. B. Umwandlungsverluste im Kraftwerk oder in der Raffinerie). Der Energieverbrauch inklusive dieser vorgelagerten Verluste wird Primärenergieverbrauch genannt. Im Jahr 2019, vor der COVID-19-Pandemie, hatte Österreich einen Primärenergieverbrauch von etwa 378 TWh [5]. Dieser Bedarf wurde zu etwa zwei Drittel aus Erdöl, Erdgas und Kohle gedeckt [5]. Nur ein Drittel kam aus erneuerbaren Quellen, hauptsächlich aus Biomasse und Wasserkraft [5]. Photovoltaik und Windkraft deckten 2019 nur etwa 2,4% des Primärenergiebedarfs [5].

Das derzeitige österreichische Regierungsprogramm sieht eine vollständige Dekarbonisierung Österreichs bis 2040 vor. Dadurch ergeben sich folgende Fragen: Wie sieht Österreichs Energieversorgung in Zukunft aus? Wie groß wird der Energieimportbedarf sein? Welche Rolle spielt dabei Energieeffizienz?

Vollständig dekarbonisierte Energieversorgung

Alle derzeit nachgefragten österreichischen Energiedienstleistungen zusammen weisen einen Exergiebedarf 1 von 133 TWh/a auf. In Summe werden aktuell jedoch 374 TWh/a an Exergie benötigt, um diesen zu decken. Somit fallen im Moment jedes Jahr etwa 241 TWh an Verlusten an, was einer Gesamtexergieeffizienz von 36% entspricht. Die optimale Kombination bereits heute verfügbarer Technologien erlaubt ungemeine Verbesserungen in Bezug auf die Effizienz: Im Vergleich zu heute kann der Gesamtexergieverbrauch (näherungsweise gleichzusetzen mit dem Primärenergieverbrauch) um etwa 142 TWh/a (ca. 38%) reduziert werden. Die wichtigsten Stellschrauben liegen im Bereich der Wärmeversorgung (Wärmepumpen und Abwärmenutzung) sowie im Verkehr (Elektro- und Wasserstoffantriebe).

1 Jene minimal thermodynamisch notwendige Arbeitsfähigkeit die benötigt wird, um die Energiedienstleistungen zu versorgen. Auch hier gilt: Niedertemperaturwärme weist bspw. einen geringen Exergiebedarf auf, Dienstleistungen, die z. B. mechanische Arbeit bedingen, einen hohen.

Grafik: Sejkora

Unabhängig davon, in welchem Umfang der Gesamtexergiebedarf reduziert wird: Entsprechend der Szenarioanalysen wird Österreich in einer klimaneutralen Zukunft vermutlich hauptsächlich mit Elektrizität und erneuerbaren Gasen versorgt werden. Mit einem deutlichen Ausbau der Erneuerbaren könnte ab 2030 die benötigte Elektrizität national erzeugt werden (bilanziell über ein Jahr).

Im Winter werden jedoch auch weiterhin thermische Kraftwerke benötigt werden, welche durch den Einsatz von erneuerbaren Gasen auch keine CO2-Emissionen erzeugen. Im Gegensatz zur Elektrizitätsversorgung wird der Bedarf an erneuerbaren Gasen die nationale Erzeugung deutlich übersteigen. Im Idealfall (sehr starke Reduktion des Energiebedarfs bei gleichzeitig sehr ambitioniertem erneuerbarem Ausbau) müssen 2050 noch mindestens 41% (mind. 40 TWh/a) importiert werden. Wird jedoch ein Fortschreiten der aktuellen Entwicklung angenommen, müssten nahezu 100% (bis zu 250 TWh/a) importiert werden.

Durch einen umfassenden Import von erneuerbarer Energie (sofern verfügbar) könnte auch nahezu ohne System- oder Verhaltensänderungen eine vollständige Dekarbonisierung der Energieversorgung erreicht werden. Statt fossiler würde entsprechend erneuerbare Energie importiert werden. Jedoch führt ein großer Importbedarf zu großen internationalen Abhängigkeiten sowie zu einem Abfluss von Wirtschaftsleistung ins Ausland. Die Alternative dazu sind Einsparungen an Primärenergie durch Effizienzmaßnahmen und Verhaltensänderungen sowie der rasche und umfangreiche Ausbau von Erneuerbaren und Elektrolyseanlagen zur Wasserstofferzeugung. Neben der Reduktion der Importabhängigkeit führt dies zu einer Stärkung Österreichs als Technologiestandort. Gleichzeitig ist zu erwarten, dass die Kosten für national produzierten und importierten grünen Wasserstoff bis 2050 vergleichbar sein werden, da sich der Aufwand zum Transport der Gase mit etwaigen Standortvorteilen aufwiegt.

Neben rein ökonomischen Standpunkten müssen auch noch weitere Aspekte berücksichtigt werden. So ist davon auszugehen, dass neben Österreich noch viele weitere Länder zukünftig einen Importbedarf an erneuerbarer Energie aufweisen werden. Derzeit ist noch unklar, welche Regionen/Länder erneuerbare Gase im großen Umfang exportieren könnten und unter welchen Bedingungen diese bereitgestellt werden (z. B. tatsächlicher CO2-Fußabdruck, soziale Standards, Umweltauswirkungen etc.).

Zusammenfassend sollten daher rasch folgende Maßnahmen gesetzt werden:

  • Umfangreicher Ausbau der Erneuerbaren sowohl national als auch international
  • Maßnahmen zur Reduktion des Energieverbrauchs sowohl im Bereich der Endanwendungstechnologien als auch im Bereich des Energiesystems (z. B. durch Nutzung von Abwärmen)
  • Planung und Umsetzung eines internationalen Infrastruktursystems zum Import erneuerbarer Gase.

Literaturverzeichnis

[1]    United Nations Framework Convention of Climate Change (Hrsg.): Paris agreement. Paris : United Nations, 2015

[2]    United Nations Treaty Collection: CHAPTER XXVII ENVIRONMENT : 7. d Paris Agreement. URL https://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=XXVII-7-d&chapter=27. – Aktualisierungsdatum: 2021-12-16 – Überprüfungsdatum 2021-12-16

[3]    Masson-Delmotte, V. ; Zhai, P. ; Pirani, A. ; Connors, S. L. ; Péan, C. ; Berger, S. ; Caud, N. ; Chen, Y. ; Goldfarb, L. ; Gomis, M. I. ; Huang, M. ; Leitzell, K. ; Lonnoy, E. ; Matthews, J.B.R. ; Maycock, T. K. ; Waterfield, T. ; Yelekçi, O. ; Yu, R. ; Zhou, B.: Summary for Policymakers : Climate Change 2021: The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. Cambridge, 2021

[4]    European Commission, DG Climate Action, European Environment Agency: Annual European Union greenhouse gas inventory 1990–2019 and inventory report 2021 : Submission to the UNFCCC Secretariat. Brussels, 27.05.2021

[5]    Statistik Austria: Energiebilanzen. URL http://www.statistik.at/web_de/statistiken/energie_umwelt_innovation_mobilitaet/energie_und_umwelt/energie/energiebilanzen/index.html. – Aktualisierungsdatum: 2021-12-07 – Überprüfungsdatum 2021-12-16

Dieser Artikel erschien erstmals im Triple N, dem Magazin für Nachhaltigkeit der Montanuniversität Leoben. Dieses kann hier online eingesehen werden: https://triplen.unileoben.ac.at/about/triplen-magazin