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Wohlstand für alle - Wirtschaft neu denken: Teil 2

Die Geschichte zeigt, dass die reale Wirtschaft immer wieder gesellschaftliche und soziale Verwerfungen erzeugt. Das lässt Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler nach Lösungen suchen, die immer systemverändernde Komponenten beinhalten. Mit der Reihe „Wirtschaft neu denken“ unterstützen  wir den Diskurs über ein zukunftsfähiges Wirtschafts- und Gesellschaftssystem. Im Teil 2 stellen wir Ihnen die Ökologische Ökonomie, die Solidarische Ökonomie und Karl Marx (interpretiert) vor.

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Sigrid Stagl. Foto: Daniel Schmelz, WU Sigrid Stagl. Foto: Daniel Schmelz, WU

Univ. Prof. Dr.in Sigrid Stagl, Sozial-ökologische Ökonomie

Was müssen wir ändern, damit

…..alle Menschen vom wirtschaftlichen Erfolg profitieren?

Damit alle Menschen am wirtschaftlichen Erfolg teilhaben, braucht es ein Wirtschaftssystem, das genau darauf ausgerichtet ist. Ob man das „Gutes Leben für alle“, „Gemeinwohl“, „Wohlfahrt“ oder „menschliche Prosperität“ nennt, ist sekundär. Wichtig ist es eine differenzierte Betrachtung ­– basierend  auf empirischen Untersuchungen – zu entwickeln, was Wirtschaftswachstum für das Wohl verschiedener Menschengruppen bewirken kann und wofür andere Maßnahmen nötig sind. Persönlich finde ich die Perspektive produktiv, Wirtschaftswachstum als Mittel zum Zweck zu betrachten.

Die spannende Frage ist dann, was sind die Ziele unserer Gesellschaft und wie können wir jedes einzelne davon bestmöglich erreichen? Wirtschaftlicher Erfolg ist etwas anderes als Wirtschaftswachstum. Um langfristig wirtschaftlich erfolgreich zu sein, müssen soziale und ökologische Aspekte vom Anfang mitgedacht werden. Das ist ein Allgemeinplatz, der aber im konsequenten Durchdenken der konkreten Probleme, Prozesse und Maßnahmen revolutionär wird. Derartige Prozesse werden oft als sozial-ökologische Transformation bezeichnet. Märkte werden auch weiterhin nützlich sein. Ich meine, dass sie als Teil eines Mix sozialer Institutionen der Gesellschaft und dem wirtschaftlichen Erfolg aller Menschen besser dienen werden. „Freie Märkte“ klingt besser als Marktfundamentalismus, ist aber dasselbe. Schon Karl Polanyi wies auf die Probleme hin, die sich aus Marktfundamentalismus ergeben.

…..genügend Arbeitsplätze entstehen, die so bezahlt sind, dass man davon leben kann?

Eine Neuinterpretation von Arbeit spielt eine zentrale Rolle in der sozial-ökologischen Transformation. Das Modell der Arbeitsgesellschaft, in der Einkommens-, Teilhabe- und Lebenschancen an die Erwerbsarbeit gekoppelt sind, lässt sich in dieser Form nicht fortsetzen. Das gesamte Spektrum von Arbeit umfasst neben Erwerbsarbeit auch Sorgearbeit, freiwillige Arbeit an der Gesellschaft (Bürgerschaft, Engagement) und Eigenarbeit. Wenn uns Roboter immer mehr Arbeit abnehmen, schafft das Raum für andere Tätigkeiten. Wenn es gelingt, die ökonomischen Erträge aus der automatisierten Produktion gemeinwohlsteigernd zu verteilen, rücken wir dem alten Traum der Befreiung von entfremdeter Arbeit nahe. Zentral ist für mich die Frage nach der Ermöglichung und Ausgestaltung von nachhaltigem Arbeiten.

…..die Ressourcen unserer Erde nachhaltig (keine Übernutzung) genutzt werden?

Wie knappere Ressourcen nachhaltig genutzt werden sollten, wissen wir längst. Schon „Grenzen des Wachstums“ machte vor 45 Jahren viele Vorschläge dazu. Bei der knapper werdenden Ressource der assimilativen Kapazität der Atmosphäre ist es etwas komplizierter, aber auch für Klimaschutz liegen wirksame und machbare Vorschläge auf dem Tisch und werden von Wissenschaft und Zivilgesellschaft propagiert. Das Hauptproblem sind durch Beharrungstendenz und wirtschaftliche Macht blockierte Kanäle in den Governanceprozessen.

…..einzelwirtschaftliche Entscheidungen demokratische Prozesse in unserer Gesellschaft stärken? 

Wenn nachhaltige Entwicklung als sozial-ökologische Ausrichtung der wirtschaftlichen Aktivitäten interpretiert wird, schafft das Spielraum für demokratische Prozesse. Bedenklich ist die Tendenz der Politik auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Grundsätze zu unterstützen, es dann zu verabsäumen entsprechende politische Maßnahmen zu verabschieden und Gerichte abstrafen, wenn sie die recht allgemeinen aber in der Ausrichtung doch klaren Grundsätze für Entscheidungen heranziehen.

Univ. Prof. Dr.in Sigrid Stagl, Ökologische Ökonomie

Leiterin des Instituts für Ecological Economics, Research Interest

  • Ecological economics
  • Evolutionary / institutional economics
  • Sustainable work
  • Employment and environment
  • Sustainable behaviour
  • Sustainability appraisal
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Brigitte Kratzwald. Foto: privat Brigitte Kratzwald. Foto: privat

Mag.a. Brigitte Kratzwald, Solidarische Ökonomie

Was muss sich ändern,

….. damit alle Menschen am wirtschaftlichen Erfolg profitieren?

Um diese Frage zu beantworten, muss man zuerst die Begriffe „Wirtschaft“ und „Erfolg“ hinterfragen. Heute verstehen wir unter „Wirtschaft“ jenen Bereich der Gesellschaft, in dem es um Geld geht. Dieser Bereich gilt als der Wichtigste und soll um jeden Preis gestärkt werden.

Feministische ÖkonomInnen, Commons-ForscherInnen und Postwachstums-TheoretikerInnen verstehen jedoch unter Ökonomie im Sinne von Oikos = Haushalt alle jene Tätigkeiten, die die Bedürfnisse der Menschen befriedigen und für ein gutes Leben sorgen, ob sie nun bezahlt werden oder nicht. Aus dieser Perspektive sehen wir plötzlich, dass viele Bereiche, die essentiell für ein gutes Leben sind aus dem klassischen Wirtschaftsbegriff herausfallen: all die unbezahlten Care-Tätigkeiten, all das „Sich-um-sich-selbst-und-andere-Kümmern“, durch das Menschen erst so leistungsfähig werden, wie die „Wirtschaft“ sie gerne hätte. Diese Tätigkeiten sind die Basis jeden Wirtschaftens, ohne sie gäbe es auch keine Unternehmen. Wirtschaftlicher Erfolg bedeutet aus dieser Perspektive, dass alle Menschen gut leben können. Profitieren nicht alle Menschen von den wirtschaftlichen Tätigkeiten, waren diese eben nicht „erfolgreich“.

….. genügend Arbeitsplätze entstehen?

Ökonomen aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert wären erstaunt, wenn sie sähen, wie wir verzweifelt versuchen „Arbeitsplätze“ zu schaffen. Ihre Vision war, dass durch die zunehmende Automatisierung die Menschen in 100 Jahren nur mehr sehr wenig arbeiten müssten und endlich mehr Zeit haben würden, Dinge zu tun, die sie gerne tun; mehr Zeit, sich umeinander zu kümmern, vor allem um jene in der Gesellschaft, die mehr Zuwendung brauchen; mehr Zeit sich in demokratische Prozesse und die Gestaltung ihrer Lebenswelt einzubringen.

Mit unseren technischen Möglichkeiten und angesichts der Notwendigkeit, den Ressourcenverbrauch ohnehin einzuschränken, hätten wir ideale Voraussetzungen dafür, diese Vision einer radikalen Arbeitszeitverkürzung Realität werden zu lassen. Dazu müsste allerdings die soziale Absicherung von der Lohnarbeit entkoppelt werden. Ob das durch ein bedingungsloses Grundeinkommen geschieht oder auf anderen Wegen ist eine Entscheidung, die demokratisch getroffen werden muss.

..… eine sozial und ökologisch zukunftsfähige Wirtschaft möglich wird?

Wirtschaft dürfte kein eigener, isolierter Gesellschaftssektor sein, sondern eingebettet in eine Gesellschaft, die den Zugang zu lebenswichtigen Dingen für alle sicherstellt, die allen aber auch die Möglichkeit gibt, ihre Fähigkeiten bei der Produktion des Gemeinwohls einzubringen und in der alle darüber mitbestimmen können, was sie betrifft, auch über Wirtschaftsthemen. Die Basis für eine solche Wirtschaft wäre eine gute öffentliche Infrastruktur und ein tragfähiges Sozialsystem, sowie der Erhalt und die Neuschaffung von Commons, das sind Ressourcen und Räume, rund um die sich Menschen zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse selbst organisieren und ihre Lebensumwelt selbst gestalten können. Unternehmen könnten diese Basis nutzen, müssten aber auch zu ihrem Erhalt beitragen. Ein gutes Leben für alle bei schonendem Umgang mit menschlichen, sozialen und natürlichen Ressourcen sollte das Ziel sein. Wachstum und Vollbeschäftigung sind sinnvoll, solange sie diesem Ziel dienen, sie sind aber kein Selbstzweck.

Mag.a Brigitte Kratzwald

Sozialwissenschaftlerin mit Interesse an alternativen Wirtschafts- und Gesellschaftsformen, z.B. Commons, Postwachstumsökonomie und neuen Formen von Subsistenzwirtschaft. Österreich-Redakteurin der Contraste – Monatszeitung für Selbstorganisation und Ko-Kuratorin des Elevate- Festivals in Graz, sowie Betreiberin der Webseite www.commons.at.

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Werner Holzheu, Foto: privat Werner Holzheu, Foto: privat

Wie würde Karl Marx antworten?

Rund ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod wurde Karl Marx zum wahrscheinlich wirkmächtigsten Philosophen und Ökonom aller Zeiten. Ab der 2. Hälfte des 20 Jahrhunderts bekannten sich die Sowjetunion, Zentral- und Osteuropa, China, und viele Länder mehr zu seinen Lehren. Der Philosoph und Kritiker der bürgerlichen Gesellschaft und des Kapitalismus wollte gemeinsam mit seinem Mitstreiter Friedrich Engels die Welt verändern wie kaum ein anderer. Was würde er auf die folgenden Fragen heute antworten? Interpretiert durch Prof. Mag. Werner Holzheu und Prof. Mag. Johannes Lindner

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Johannes Lindner. Foto: KPH Krems Johannes Lindner. Foto: KPH Krems

Was muss sich ändern, damit

..... alle Menschen vom wirtschaftlichen Erfolg profitieren?

Kein anderer Ökonom hatte die Frage der Beteiligung „aller“ Menschen am wirtschaftlichen Erfolg mehr und radikaler thematisiert als Marx. In seiner Analyse des Kapitalismus stehen sich zwei ungleiche Verhandlungsgegner (Klassen) gegenüber, die Masse an Proletariern (Arbeiter, die einzig und allein vom Verkauf ihrer Arbeit leben) auf der einen Seite und die wenigen Bourgeois (Kapitalisten, Eigentümer der Produktionsmittel,) welche die Proletarier ausbeuten, auf der anderen Seite. Es war die Zeit des Manchesterliberalismus und der Verelendung der Massen, die Löhne lagen oft unter dem Existenzminimum. Kinderarbeit war die Regel und die durchschnittliche Lebenserwartung lag in bestimmten Berufsgruppen weit unter 30 Jahren. Die wichtigste Forderung für Marx war die Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln. Mit diesem Mittel erhoffte er sich die größtmögliche Beteiligung aller am wirtschaftlichen Erfolg.

..... genügend Arbeitsplätze entstehen, die so bezahlt sind, dass man davon leben kann?

Für Marx tritt an die Stelle der alten kapitalistischen Gesellschaftsform eine neue Organisationsform. Nach Abschaffung des Privateigentums und der Konkurrenz unter den Wirtschaftsteilnehmern soll planmäßig für die Bedürfnisse der einzelnen Mitglieder der Gesellschaft gesorgt werden. Die Produktion der Güter erfolgt gemeinschaftlich und die Güter werden nach gemeinsamer Übereinkunft verteilt. Ein derartiges System ist jedoch mit freier Arbeitsplatzwahl unvereinbar, damit ist auch die Forderung nach „gleichem Arbeitszwang für alle und die Errichtung industrieller Armeen“ nachvollziehbar.

….. kleine und mittlere Unternehmen erfolgreich wirtschaften können?

Auch kleine und mittlere Unternehmen waren für Marx Opfer des Kapitalismus. Ähnlich wie die Spinnerei oder Weberei fallen in modernen Ländern fast alle Arbeitszweige unter die Herrschaft der Dampfkraft und Maschinerie. Immer neuere Innovationen und maschinelle Erfindungen machen die Werkzeuge der kleinen Handwerks- und Gewerbebetriebe wertlos, weil industriell gefertigte Waren besser und billiger sind. Letztlich teilen die kleinen und mittleren Unternehmen das Schicksal der Proletarier.

..... die Ressourcen unserer Erde nachhaltig genutzt werden und die Demokratie gestärkt wird?

Marx ist inseinem Denken konsequent und erläutert das Thema Nachhaltigkeit im 3. Band des Kapitals „...selbst die ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Gesellschaften zusammen genommen, sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer und haben sie als boni patres familias den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen“.

Demokratie steckte zu Marxens Zeit noch in den Kinderschuhen. Unter dem vorherrschenden Zensuswahlrecht war die demokratische Beteiligung abhängig vom Geschlecht und von den wirtschaftlichen Verhältnissen und damit waren Frauen und das Proletariat von den Wahlen ausgeschlossen. Erst die Herrschaft des Proletariats hätte nach Marx die generelle freie Entwicklung für alle ermöglicht.

Konrad Paul Liessmann hatte Ende der 1990er Jahre Karl Marx noch unter die toten Hunde der Philosophie eingeordnet. Tot sind zwar die realsozialistischen Systeme, welche sich im letzten Jahrhundert noch allesamt auf Marx berufen haben. Nicht tot sind jedoch Teile von Marxens Werk, wie zum Beispiel die Frage der Krisenanfälligkeit des Kapitalismus. Ihre Aktualität hat die jüngste Finanzkrise eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Ein anderer Aspekt ist die zunehmende Kluft zwischen arm und reich. Seit 2015 besitzt das reichste Prozent der Gesellschaft mehr als die restlichen 99% zusammen (www.oxfam.org). Auch die Frage der Verdrängung der manuellen Arbeit durch Maschinen hat Marx in einem bemerkenswerten Dokument, dem Maschinenfragment aus 1858, welches jedoch erst im 20 Jahrhundert veröffentlicht wurde, vorweggenommen. Wahrscheinlich würde sich Marx auch heute in Bezug auf die großen Herausforderungen unserer Zeit nicht nur kritisch zu Wort melden, sondern er würde versuchen, wie in seinen Thesen über Feuerbach postuliert, die Welt zu verändern.

Prof. Mag. Werner Holzheu, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kompetenzzentrum für wertebasierte Wirtschaftsdidaktik der KPH Wien/Krems und Wirtschaftspädagoge der HLTW Wien XIII.

Prof. Mag. Johannes Lindner, Leiter des Fachbereiches Entrepreneurship Education und des Kompetenzzentrums für wertebasierte Wirtschaftsdidaktik der KPH Wien/Krems, Wirtschaftspädagoge der Schumpeter HAK, Initiator und Leiter von IFTE.at und eesi-Impulszentrums des BMB. www.youthstart.eu.

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