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Bodenversiegelung

Blick von unten durch eine riesige Betonbrücke, dahinter der Ausblick auf einen Ausschnitt Landschaft mit grünen Wäldern, Hügeln und Bergen am Horizont unter blauem, weißbewölkten Himmel. Titelüberschrift: ÖSTERREICH IST FERTIG GEBAUT.
Foto: Zach Woolf / unsplash

Österreich verbaut täglich 11,3 Hektar Boden und ist damit Europameister. Flächeninanspruchnahme ist aber eine Disziplin, die unsere Lebensgrundlage gefährdet: Versiegelte Erde kann ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen. Wir hören einen lauten Ruf nach einer österreichweiten verbindlichen Bodenstrategie.

Wo liegt der beste Boden Österreichs? Unter dem Flugfeld des Flughafens Schwechat. Das war die Antwort von Bodenkundler*innen in den 1950er-Jahren. Ihre Warnung vor der Endlichkeit von Erde als Grundlage unseres Lebens verhallte jedoch im Wirtschaftsaufschwung. Vielmehr galt der Bau von Straßen als Zeichen des Wohlstands. Nicht verwunderlich, dass Österreich heute mit dem dichtesten Verkehrsnetz Europas auffährt. Auch die Supermarktflächen pro Kopf sind europaweit die höchsten. Für dieses Ranking werden 16 Fußballfelder täglich verbaut oder versiegelt. Und das, obwohl wir an die 400 Millionen Quadratmeter ungenutzte Leerstände haben. Das hat Folgen – nicht nur aus ökologischer Sicht.

Unbestritten ist Boden eine wertvolle Ressource: für die Lebensmittelproduktion, für die Wasser- und Kohlenstoffspeicherung sowie für die biologische Diversität. Um sich zu entwickeln und im Ökosystem alle ihre Funktionen entfalten zu können, benötigen Böden Hunderte bis Tausende Jahre. Versiegelter oder durch Erosion und Schadstoffbelastung geschädigter Boden kann diese aber nur eingeschränkt oder gar nicht erfüllen: Wasser versickert nicht mehr, der Boden bindet kein CO2 aus der Atmosphäre, das Hitzeproblem wird verschärft, Dürre schädigt landwirtschaftliche Kulturen, immer weniger Nahrungsmittel können produziert werden. Die Folgen: wärmere Luft, Hochwasser, Überschwemmungen, Import von Lebensmitteln und immer mehr Aufwand für trinkbares Wasser.

Ernährungssicherheit?

Die Ernährungssicherung in Österreich ist gefährdet. Bereits heute sind wir nicht in der Lage, uns in Krisenzeiten mit Weizen, Mais, Kartoffeln, Sonnenblumen, Raps und Sojabohnen selbst zu versorgen. Wir haben es mit einem sinkenden Produktionspotenzial zu tun – bei gleichzeitig wachsender Bevölkerung. Der Vorstandsvorsitzende der Österreichischen Hagelversicherung, Dr. Kurt Weinberger, warnt: „Ohne Boden keine Landwirtschaft, ohne Landwirtschaft kein Essen und ohne Essen kein Leben.“

Von 11,3 auf 2,5 ha pro Tag bis 2030

Eine logische Schlussfolgerung. Trotzdem betrug die Flächeninanspruchnahme in Österreich in den vergangenen Jahren durchschnittlich 11,3 ha pro Tag (Bauflächen für Gebäude und ihre Nebenflächen, Verkehrsflächen, Industrie- und Gewerbebetriebe inklusive Freizeit- und Abbauflächen). Zirka vierzig Prozent davon werden versiegelt. Laut dem „Bodenreport 2023“ der Umweltschutzorganisation WWF ist die Steiermark Spitzenreiter mit 3,1 Hektar pro Tag, gefolgt von Oberösterreich (2,3 ha) und Niederösterreich (2,1 ha). Im Burgenland werden täglich 1,2 Hektar, in Kärnten 0,9, in Tirol 0,7, in Salzburg und Vorarlberg je 0,5 verbraucht. In Wien sind es pro Tag 0,1 Hektar.

Um strategischen Bodenschutz zu
ermöglichen, wäre es wichtig, die Kompetenzen
und Zuständigkeiten zwischen Bund,
Ländern und Gemeinden neu zu ordnen. Nur so
kann der aktuelle Flächenverbrauch gestoppt
und gute Bodenqualität gewahrt werden.

FRANZ FEHR | BOKU

Die österreichische Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, den Bodenverbrauch bis 2030 auf 2,5 Hektar pro Tag zu senken. Die Vorgaben der EU sehen einen Netto-Null-Verbrauch bis 2050 vor. Daher hat die ÖROK – die Österreichische Raumordnungskonferenz, in der alle Ministerien, Bundesländer sowie der Städte- und Gemeindebund eingebunden sind – 2021 die Erarbeitung einer „Bodenstrategie für Österreich“ beschlossen. Auch die Verwaltung und Wissenschaft waren eingebunden. Seit November 2022 liegt sie unter Verschluss am Tisch und wartet auf einen politischen Beschluss. Ihren durchgesickerten Entwurf kritisiert der WWF heftig: Es fehle an ambitionierten Zielen und Strukturreformen. Relevante Themen wie der Verkehr blieben großteils ausgespart, der Naturschutz werde sogar völlig ignoriert. Selbst das Reduktionsziel aus dem Regierungsprogramm solle wieder relativiert werden.

Die Krux liegt vor allem bei der Widmungskompetenz.

Bürgermeister*innen als oberste Baubehörde der Gemeinde beschließen auf Grundlage der jeweiligen Ländervorgaben und stehen stark unter dem Druck der Wähler*innen. Sie agieren im Spannungs- und Interessensfeld der Industrie, des Wohnbedarfs, von Tourismus und Landwirtschaft.

Mit welcher Ausgangslage wir es zu tun haben, veranschaulicht das Bauprojekt Sonnenweiher in Grafenwörth, Niederösterreich. An einem neu ausgebaggerten Foliensee entstanden 207 Häuser. Das 14 Hektar große Areal ohne Anbindung an den öffentlichen Verkehr wurde unter der Federführung von Bürgermeister Alfred Riedl realisiert. Dass er gleichzeitig Präsident des Österreichischen Gemeindebundes ist, verdeutlicht das Dilemma.

„Die derzeitige Rechtslage im Rahmen des Bodenschutzes ist stark zersplittert“, sagt Franz Fehr, SDG-Koordinator an der BOKU. Flächen werden nach unterschiedlichen Gesichtspunkten behandelt, wie der Forstwirtschaft, des Wasser- und Baurechts, der Landwirtschaft, des Naturschutzes und der Raumordnung. „Um strategischen Bodenschutz zu ermöglichen, wäre es wichtig, die Kompetenzen und Zuständigkeiten zwischen Bund, Ländern und Gemeinden neu zu ordnen. Nur so kann der aktuelle Flächenverbrauch gestoppt und gute Bodenqualität gewahrt werden.“ Fehr spricht von einer gesetzlich bindenden Bodenstrategie mit konkreten Zielwerten, Zeitplänen und Evaluierungen. Seine Kollegin bei der Fachgruppe Bodenverbrauch von Scientists for Future, Raumplanerin Gaby Krasemann (Alpen-Adria-Universität Klagenfurt) fordert: „Wir brauchen eine Abkehr vom Neubau auf der grünen Wiese und der Förderung der Auto-Mobilität. Leerstände aktivieren und klimafitte Nachverdichtung – das sind die Säulen der Bauwende.“ Aus ihrer Sicht ist Österreich fertig gebaut.

Ein positiver Baustein könnte der eben ins Leben gerufene „blau-gelbe Bodenbonus“ des Landes Niederösterreich werden: Städten und Gemeinden stehen sechs Millionen Euro für die Entsiegelung von Flächen im Bundesland zur Verfügung. Auch gibt es ein groß angelegtes Bodenkonzept, das bis Ende 2023 in Form einer Verordnung des Landes umgesetzt werden soll. Darin enthalten sei viel Gutes, sagt Fehr, vor allem die regionalen Leitplanungen mit Siedlungsgrenzen, über die nicht mehr gewidmet und gebaut werden dürfe, seien wichtig.

Grafische Darstellung der verbauten Flächen in Österreich 2021: 2.657 km2 Bauflächen für Gebäude und ihre Nebenflächen, 2.083 km2 Verkehrsflächen für Autobahnen, Straßen, Parkplätze und die Bahn, 671 km2 für Industrie- und Gewerbebetriebe sowie 393 km2 fü
Grafik: Liga Grafik Design

Bestand nutzen

Die Bodenversiegelung ist das mit Abstand größte Umweltproblem, das wir in Österreich selbst lösen können. Damit die Flächeninanspruchnahme schnell reduziert wird, muss der Bestand genutzt werden. 2017 schätzte das Umweltbundesamt die Anzahl von brachliegenden Industrie- und Gewerbestandorten auf 5.000 bis 10.000. Sie sollen durch den „Brachflächen-Dialog“ des Klimaministeriums mobilisiert werden. Unter anderem werden Bundes- und Länderförderungen kommuniziert, Projekte bei ihrer Transformation von einer Brachfläche zu einem wiedergenutzten Standort begleitet und Best-Practice-Projekte mit dem „Erdreich-Preis“ ausgezeichnet. Etwa die Gemeinde Trofaiach, die ein leer stehendes Haus zu einem Naherholungsort umgestaltete. Oder die Revitalisierung einer ehemaligen Erbsenfabrik in Bruckneudorf mit Volksschule, Reihenhäusern, Wohnungen, Büros und Geschäften. Und auch das Konzept „Inkoba Region Freistadt“, ein bezirksweiter interkommunaler Finanzausgleich. Dafür haben sich Gemeinden zum Planungsverband zusammengeschlossen, verhandeln gemeinsam Standortentscheidungen und teilen sich die Einnahmen aus der Kommunalsteuer auf.

Damit leer stehende Betriebsareale schneller wieder genutzt werden, ist ein proaktiver Zugang aller Beteiligten notwendig. So soll das acht Hektar große ehemalige Betriebsgelände der LAUFEN AUSTRIA AG in Wilhelmsburg im Mostviertel sinnvoll nachgenutzt werden. In einem ersten Schritt wurde das Potenzial in Kooperation der Stadtgemeinde mit ecoplus (Niederösterreichs Wirtschaftsagentur) und Studierenden der TU Wien untersucht. Momentan läuft ein Veräußerungsprozess in Form eines Bieterverfahrens mit unterschiedlichen Interessent*innen.

Eine Frage der Einstellung

Gebaute Strukturen sind sehr langlebig und schwierig zu verändern, ähnlich dem Mindset. Noch immer sind wir politisch mental auf Schiene der Ausbauziele der 1940er-Jahre. Damals galt mehr Fläche für Infrastruktur zu mobilisieren als Zeichen des Wohlstands – darüber bestand gesellschaftlicher Konsens. Doch die vorherrschende Praxis konterkariert der Klima- und Bodenschutz und eine menschengerechte Infrastruktur. Jeder Parkplatz versiegelt Flächen und bringt mehr Verkehr. Daher könnte auch die Stellplatzverordnung eine wichtige Stellschraube pro Bodenschutz werden. Sie ist Ländersache und regelt, wie viele Stellplätze für Pkws beim Neubau eines Gebäudes auf dem Grundstück oder in der Nähe nachgewiesen werden müssen. Aber heute steht die Frage im Raum: Wollen wir wirklich Autos abstellen oder die Flächen im Sinne des Gemeinwohls anders nutzen?

Gesellschaftliche Verantwortung

Die Sicherung gesunder Böden für die Zukunft ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Öffentliche Institutionen, private Unternehmen, land- und forstwirtschaftliche Betriebe und letztlich alle Grundeigentümer*innen sind gefordert, sich Flächensparen an die Fahne zu heften. Denn der Spatenstich hat ausgedient.

Mascha K. Horngacher

83.871 KM²
SO GROSS IST ÖSTERREICH

37 Prozent der Staatsfläche können landwirtschaftlich sowie für Siedlungszwecke genutzt werden. Durch den Klimawandel erwarten die Wissenschaftler*innen eine Reduktion der Ertragsfähigkeit um rund 19 Prozent. Daher sollten Ackerflächen pfleglich behandelt und ausgebaut werden, um unsere Ernährung zu sichern. Das Gegenteil ist der Fall: Österreichs produktive Böden verringerten sich im Jahr 2021 um 36,3 km². Der jährliche Verlust schwankte im Zeitraum 2001 bis 2020 zwischen 36,3 km² und 104 km².

Quellen und Links