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Interview mit Univ. Prof. DI Dr. Georg Brasseur

Foto: Dippyaman Nath / Unsplash

Die Energiewende ist eine der größten Aufgaben unserer Zeit. Wie kann sie gelingen?

85 Prozent der Weltenergie sind fossil. Diese 85 Prozent müssen grün werden, und dafür können wir aus Wind- und Solarenergie im ersten Schritt nur Strom herstellen – eine extrem kostbare Ressource. Die Industrie braucht den Strom, um Wasserstoff erzeugen zu können.

Wasserstoff wird als Gamechanger für den Klimaschutz bezeichnet. Warum das?

Die Industrie braucht Wasserstoff, um ihre Prozesse grün zu machen. Zum Beispiel benötigen Stahlwerke, die chemische Industrie, die Baustoffindustrie für die Zement- und Ziegelherstellung und die Grundstoffindustrie für hohe Temperaturprozesse jenseits der 400 Grad jede Menge an Wasserstoff.

Wasserstoff für die Industrie in Europa. Wie sieht Ihr Szenario aus?

Man benötigt unterirdische Speicher für Wasserstoff, die nicht zu weit weg von einem Industriebetrieb sind. Dort, wo der Elektrolyseur steht, benötigt man große Mengen an Süßwasser und die Nähe zum Speicher oder eine Wasserstoff-Pipeline. Zum Elektrolyseur gibt es Leitungen von riesigen Solar- oder Windparks. Angebotsgetrieben liefern der Windpark und das Solarfeld der Elektrolyse den Strom. Es muss nur sichergestellt sein, dass die über das Jahr mit den Wind- und Solarparks eingesammelte Energie ausreicht, die vom Unternehmen benötigte Wasserstoffmenge zu erzeugen. Es gibt Hochtemperatur-Elektrolyseure, die auch als Brennstoffzellen verwendet werden können. Durch die hohe Arbeitstemperatur müssen keine Edelmetallkatalysatoren eingesetzt werden, sondern es genügen kostengünstigere und auf der Welt reichlich vorhandene Sauerstoffionenleiter wie beispielsweise Zirconiumdioxid. Das ist eine gewisse Chance. Wenn der Hochtemperatur-Elektrolyseur mit Wasserstoff versorgt wird, erzeugt er Strom. Die Betriebsart Elektrolyseur/Brennstoffzelle kann innerhalb von Sekunden reversiert werden. Mit solchen Anlagen könnte man im Notfall das öffentliche Netz stabilisieren um einen drohenden Blackout zu verhindern.

Können wir ausreichend Wind- und Sonnenkraftwerke in Europa errichten?

Ob es übermäßig klug ist, sich in Mittel- oder Nordeuropa Solarzellen aufs Dach zu schrauben, ist fraglich. Dieselben Solarzellen würden bei gleichem Ressourcenverbrauch in Marokko zwei- oder dreimal so viel Energie liefern. Weiters erlebt man in den Hochtechnologieländern Europas auch Widerstand der Bürger*innen. Wir werden demnach nicht genug Flächen für ausreichend Photovoltaik und Windräder haben. Um Europa mit Strom aus Photovoltaik zu versorgen, bräuchte man ein Areal in der Größe von ganz Rumänien. Der Strom, der hier sinnvoll geerntet werden kann, wird für IKT und Elektrolyseure zur Erzeugung von Wasserstoff benötigt. Die Ressource Strom ist limitiert.

Was schlagen Sie als Alternative vor?

Die Betriebe sind angehalten, ihre Prozesse effizienter zu gestalten. Und da momentan diese 85 Prozent fossile Energieträger zum Großteil über Verbrennung umgewandelt werden und Verbrennung einen schlechten Wirkungsgrad hat, kann gut ein Faktor 2 durch verbesserte Technologien gespart werden.

Die genialste Erfindung, die der Mensch bisher gehabt hat, um Wärmeenergie möglichst effizient in mechanische Arbeit umzuwandeln, ist die intermittierende Verbrennung. Wir brauchen Anlagen, die das möglichst effizient machen. Die intermittierende Verbrennung hat immer um 10 - 15 Prozent mehr Wirkungsgrad als jede andere thermische Maschine. Alle anderen Maschinen, ob Turbinen oder Wärmekraftmaschinen, arbeiten nur mit 30 - 35 Prozent Wirkungsgrad.

Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang den Umstieg auf eine E-Flotte?

Wir haben dafür zu wenig grünen Strom. Den grünen Strom brauchen wir für die europäische IKT und für die Industrie zur Defossilisierung. Erst wenn der Strom völlig grün ist, macht Elektromobilität Sinn. Meine Generation wird nicht mehr erleben, dass 15 bis 20 Prozent der Energie zum Stützen des Netzes bei kalten Dunkelflauten speicherbar und grün sein wird.

Hybrid- und Plug-in Hybrid-Fahrzeuge halten Sie für besser geeignet? 

Am besten ist ein Pkw mit elektrischem Antriebsstrang und einem Energiekonverter statt der großen Batterie – das kann ein nur im Bestpunkt betriebener Verbrennungsmotor (Vkm) mit Generator oder eine Brennstoffzelle sein. Der Energiekonverter muss nur jene Leistung besitzen, die für die Dauerhöchstgeschwindigkeit des Fahrzeuges gewünscht ist. Der elektrische Onboard-Speicher ist für die Dynamik des Fahrens völlig ausreichend. Damit könnte sofort die Menge an Pkw, die wir heute haben, mit der halben Menge an Kraftstoff betrieben werden.

Wenn ein Verbrennungsmotor so effizient ist, warum setzen wir ihn dann nicht für die großflächige Energieerzeugung ein?

Weil wir aufgrund der großen bewegten Massen keine so schnell drehenden Motoren für die hohen geforderten Leistungen bauen können.

Sie meinten, dass der Wasserstoff aus europäischem grünen Strom nicht ausreicht und schlagen eine Produktion in afrikanischen Ländern oder im mittleren Osten vor. Die Idee ist aufgrund der politischen Unsicherheit dieser Länder und einem „neokolonialen Beigeschmack“ umstritten …

Man muss diesen Ländern Wohlstand geben, das ist ganz wichtig. Mehr Wohlstand ist immer verbunden mit mehr Energieverbrauch. Das ist keine Kolonialisierung, sondern eröffnet den Growing Nations ein Lebenseinkommen. Erstens brauchen die Menschen Ausbildung, sie bekommen Arbeit und man wird sie auch schulen, die Anlagen zu warten und zukünftig selber zu errichten. Ich stelle mir Partnerschaften zwischen Industrienationen, die das Know-how haben, und Ländern, die viel Sonne oder Wind ernten können, vor: Die Industrienationen finanzieren den Growing Nations die Syntheseanlagen sowie die Solar- und Windparks und erhalten dafür z.B. 50 Prozent des produzierten Energieträgers. Das muss man verhandeln. Ein Teil bleibt im Land, ein Teil wird in transportfähiger Form z.B. als Methan nach Europa gebracht.

Die benötigten Flächen sind riesig.

Windparks müssten um ein Vielfaches größer sein, als die im Moment an der Ostsee existierenden; z.B. müsste ein 100 km2 großer Windpark ca. neun Monate arbeiten bis ein Schiff mit verflüssigtem synthetischem Methan aufgetankt ist. Zum Glück ist die Welt so groß, dass ausreichend Flächen in Gegenden existieren, die die doppelte Ernte verglichen mit Europa bieten.

Sie haben Methan erwähnt. Ist das die einzige Möglichkeit für einen Transport?

Am besten wäre es, wie die Natur, Glykose direkt aus Strahlungswärme, ohne Elektrolyse, herzustellen. Diese Technologie ist großtechnisch noch nicht verfügbar. Wenn atomarer Wasserstoff ein Vorteil in der Evolution gewesen wäre, hätten Lebewesen Wasserstoff-Speicher. Wir sollten der Natur vertrauen und defossilisierte Kohlenhydrate als Energievektor verwenden. Die einfachste Form ist Methan, weil dafür weltweit Transport-, Speicher- und Verteilsysteme existieren. Es lässt sich mit Schiffen transportieren, dann heißt es LNG (Liquid Natural Gas). Egal, ob synthetisch oder fossil: Methan ist Methan.

Doch Methan gilt nicht gerade als klimafreundlich …

Die schlechte Nachricht ist, dass Methan als Klimagas ca. 25-mal wirksamer als CO2 ist. Die gute Nachricht ist, dass die Verweilzeit in der Atmosphäre nur ca. 10 Jahre beträgt. CO2 bleibt einige 1000 Jahre in der Atmosphäre, das heißt, es bleibt sehr lange, bis es abgebaut ist.

Wie genau soll der Transport von Methan funktionieren?

In fernen Ländern mit hoher „Energieernte“ ist nicht der Wasserstoff aus der Elektrolyseanlage das Endprodukt, sondern Methan, das sich in einer nachgeschalteten Syntheseanlage aus Wasserstoff und Kohlenstoff bildet. Dieser Kohlenstoff kann ein dort vorrätiger biogener Kohlenstoff sein oder großtechnisch aus dem CO2 der Luft gewonnen werden.


Em. Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn. Georg Brasseur, TU Graz. Foto: OEVK/Doris Kucera

Em. Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn. Georg Brasseur ist Autor von über 100 wissenschaftlichen Veröffentlichungen, von gut 75 Patenten und erhielt mehrere internationale Forschungspreise. Seine Forschungsinteressen sind automotive Elektronik, Sensorik und Aktuatorik, kapazitive Mess- und Schaltungstechnik sowie nachhaltige Mobilität und die Energiewende.

https://www.tugraz.at/institute/ems/personal-pages/brasseur/

Das Interview führte Doris Neubauer.