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Der „Green Deal“ der Vorreiter

Europas Green Deal kommt in der Wirtschaft an. Innovative Unternehmen bereiten sich bereits heute auf die CO2-neutrale Produktion vor. Der Einsatz erneuerbarer Energie, die Sanierung von Gebäuden oder umweltfreundliches und nachhaltiges Recycling von Baustoffen – große Unternehmen wie sunpor, Wienerberger, Sunpor, Lidl und die Brau Union zeigen, was geht.

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Foto: brau-union-Brauerei Schwechat

Erfolgreich mit Wärmenetzen

Göss ist die erste Großbrauerei weltweit, die im Brauprozess ausschließlich erneuerbare Energie verwendet. Der Energiebedarf wird durch die Abwärme eines benachbarten Holzverarbeitungsbetriebes sowie mit Biogas aus der Biertrebervergärungs- und der Abwasserreinigungsanlage gedeckt. Eine Solarthermieanlage versorgt die Brauerei mit umweltfreundlicher Sonnenwärme. Zusätzlich werden 90 Prozent der Abwärme aus dem Brauprozess wiederverwendet. „So sind wir vollkommen energie-autark“, sagt Gabriela Maria Straka, CSR- und Kommunikationsverantwortliche der Brau Union.

Österreichs größtes Brauunternehmen, das zum Heineken-Konzern gehört, bekennt sich schon lange zu den Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen. „So setzen wir gemeinsam mit unseren Stakeholdern neue Maßstäbe im Bereich Nachhaltigkeit“, betont Straka. Das sei für einen Betrieb, der von der guten Qualität seiner landwirtschaftlichen Ausgangsprodukte abhängig ist, natürlich naheliegender und leichter als etwa für einen Stahlerzeuger.

Auch die Brauerei Schladming wurde mittlerweile in eine „grüne Brauerei“ umgewandelt: Die Rohstoffe für das Bier kommen aus der Umgebung, die Energie aus dem Fernwärmenetz der Gemeinde und einer Pellets-Anlage. In Puntigam werden mit der Abwärme, die beim Brauprozess entsteht, Wohnungen, Büros und Gewerbeflächen im „Brauquartier Puntigam“ geheizt. Die Schwechater Brauerei versorgt 900 Nachbarwohnungen mit Wärme. „Die biogene Abwärme wird sinnvoll verwendet, was sowohl den Menschen als auch der Umwelt Zusatznutzen bringt“, ist Straka stolz auf die Best-Practice-Beispiele. „Wir wollen zeigen, was möglich ist, und teilen unsere Erfahrung weltweit.“

Das Engagement ist nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch erfolgreich. „Wir rechnen das natürlich anders.“ Die CSR-Fachfrau weiß, dass sich nachhaltige Investitionen nicht so schnell wie üblich amortisieren. Deshalb hat Straka auch einen Wunsch an die neue Regierung: „Diese soll sich das Fördersystem überlegen und diejenigen unterstützen, die viel Geld und Hirnschmalz in eine nachhaltige Zukunft stecken.“

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Foto: wienerberger-engineers-ziegelproduktion

Unternehmensanleihe an Nachhaltigkeitsrating gekoppelt

Auch der weltgrößte Ziegelproduzent – die Wienerberger Gruppe – bekennt sich zum Green Deal der EU. Nachhaltigkeit ist ein wichtiger Bestandteil der Unternehmensstrategie. Das Unternehmen hat sich zum Ziel gesetzt, den Energieverbrauch in der Produktion stetig zu reduzieren und noch stärker als bisher auf die Kreislaufwirtschaft zu setzen. Das bedeutet, dass Reststoffe aus dem Produktionsprozess sowie aus externen Quellen wieder in den Produktionsprozess eingebracht werden sollen.

So reduzierte Wienerberger den Energieverbrauch bei der Ziegelproduktion in Europa von 2010 bis 2018 um mehr als 13 Prozent – trotz höherer Produktionsmengen. Bis 2050 soll es gelingen, Ziegel klimaneutral herzustellen. „Wenn wir weniger CO2 emittieren, spart das Geld. Das heißt, wir haben ein natürliches Interesse, weniger auszustoßen“, erklärt Österreich-Geschäftsführer Mike Bucher. Im vergangenen Jahr investierte das Unternehmen in Uttendorf (OÖ) 4 Millionen Euro in eine industrielle Hochtemperatur-Wärmepumpe. Diese wurde vom Austrian Institute of Technology im Rahmen des EU-Projekts DryFiciency entwickelt. Im Vergleich zu konventionellen Heizkesseln können diese Wärmepumpen die Energieeffizienz um bis zu 80 Prozent steigern, die CO2-Emissionen um bis zu 75 Prozent reduzieren und zudem die Produktionskosten um bis zu 20 Prozent verringern.

Auch bei der Unternehmensfinanzierung setzt Wienerberger auf Nachhaltigkeit. Die Refinanzierung der im April 2020 auslaufenden Unternehmensanleihe ist an ein Nachhaltigkeitsrating gekoppelt. Eine Verbesserung der Nachhaltigkeits-Performance der Wienerberger Gruppe führt damit direkt zu geringeren Finanzierungskosten, erklärt CEO Heimo Scheuch: „Mit unserer ersten grünen Finanzierung stärken wir unsere Bilanz und bekennen uns einmal mehr zur Nachhaltigkeit. Auch im Jahr 2020 arbeiten wir mit voller Kraft an der Umsetzung unserer Strategie und profitieren davon nun auch bei unseren Finanzierungskosten.“

Klimaneutrale Filialen

Lidl Österreich baut seine Filialen nachhaltig. „Wir verwenden viele natürliche Baustoffe und konstruieren unsere Filialen so, dass wir sie einfach und flexibel um- und ausbauen können“, erklärt Matthias Raßbach, Geschäftsleiter Immobilien bei Lidl Österreich. Die Filialen in Klagenfurt und Bad Radkersburg arbeiten sogar vollkommen klimaneutral. „Wie bei allen Filialen verwenden wir eine besonders umweltfreundliche Technik und 100 Prozent grünen Strom aus Österreich.“ Trotz optimierter Energieeffizienz verursacht der Betrieb der beiden Lidl-Filialen jährlich rund 70 Tonnen indirekte CO2-Emissionen, etwa durch die Anfahrt von Lieferanten und die Müllentsorgung. Diese gleicht das Unternehmen mit Klimaschutzprojekten in Österreich aus, zum Beispiel durch ein regionales Alpenschutzprojekt.

Bürgerstromanlage

Ein Renovierungsprogramm, das den Energieverbrauch von Gebäuden senkt, soll eines der Vorzeigeprogramme des Green Deals für Europa sein. Zentrales Ziel ist es, die Sanierungsrate von Gebäuden „mindestens zu verdoppeln oder gar zu verdreifachen“. Tatsächlich liegt die Rate EU-weit aktuell bei lediglich einem Prozent.

Initiative Bürger*innen aus Gallneukirchen in Oberösterreich zeigen, dass es keine Utopie sein muss, eine alte Wohnanlage mit vielen Eigentümern nachhaltig zu entwickeln. Auf einem 1970er-Jahre-Bau mit 83 Wohneinheiten wurde eine Photovoltaik-Anlage installiert, als Gemeinschaftsprojekt der Mieter*innen und Eigentümer*innen. „Die Bürgerstromanlage zeigt, dass gemeinsam vieles möglich ist“, sagt Initiator Martin Danner.

Der Techniker gründete mit Bewohner*innen des so genannten Volksbankbaus zunächst den Verein zur Förderung von Gemeinschaft und Infrastruktur. Dieser möchte das Miteinander in der Wohnanlage fördern und gemeinsam Projekte entwickeln, die über die Zuständigkeit der Hausverwaltung hinausgehen.

Erstes Projekt ist die Bürgerstromanlage. So sorgen die Hausbewohner*innen gemeinsam für jede/n Einzelne/n, sie werden von Konsument*innen zu Produzent*innen, tragen zum Klimaschutz bei, sorgen fürs Alter vor und senken die Betriebskosten.

Das Konzept ist zwar einfach, war aber nicht ganz so einfach umzusetzen. Der Verein legte zunächst die Eckdaten wie Anlagengröße, Gestehungskosten und Deckungsgrad fest und konzipierte eine Photovoltaik-Eigentümergemeinschaft. „Das ist für unsere Wohnungsbesitzer*innen eine gewohnte Organisationsform“, so Danner, der sich in der Folge auch andere Modelle, etwa mit einem externen Finanzier, überlegt hat. Für viele Anlagen sei auch eine Genossenschaft optimal, zum gemeinsamen Wirtschaften für den Nutzen der Mitglieder.

Im Gallneukirchner Volksbankbau stimmten die Wohnungseigentümer*innen mehrheitlich für die Errichtung von drei Photovoltaik-Anlagen. Eine einzige war nicht möglich, weil ein Hauseingang als Eigentumsgrenze gilt, innerhalb der eine Gemeinschaftsanlage betrieben werden darf.

Seit Mitte 2019 werden die Bewohner*innen des Volksbankbaus mit Solarstrom versorgt, der im ersten Monat rund 40 Prozent des Bedarfs abdeckte. 491 Euro konnten eingespart werden und 809 Kilogramm CO2. Im Sommer soll der Überschuss für E-Mobilität genutzt werden, Ladestationen sind in Planung.

Die Abrechnung im Volksbankbau erfolgt mittlerweile über eine eigens programmierte Datenbank. Und bei Martin Danner haben Interessent*innen angefragt, wie die technischen und organisatorischen Grundlagen auf andere großvolumige Bauten anzuwenden sind. „Ich freu’ mich, wenn ich so etwas begleiten kann. Wir wollen, wir können, wir tun — von unten aktiv werden, das gefällt mir.“

Vom Rückbau zu Re-use

Die Immobilienwirtschaft braucht neue Wertschöpfungsmodelle, in denen der Wert der Gebäude und ihre Bestandteile wieder geschätzt werden und möglichst lang eine Funktion erfüllen. Davon ist das Team von BauKarussell überzeugt und bietet den Rückbau großvolumiger Bauten an, wobei wiederverwendet oder zur Wiederverwendung angeboten wird, was noch verwertbar ist. „Wir wollen den Weg hin zu einer kreislaufwirtschaftsfähigen Bauwirtschaft vorausgehen und für andere ebnen“, erklärt Projektleiter Markus Meissner.

BauKarussell hat 2017 begonnen und nutzt derzeit das große Re-use-Potenzial beim Med-Uni-Campus in Wien. Teile des bestehenden Gebäudekomplexes werden abgebrochen, die denkmalgeschützten Gebäude umgebaut und generalsaniert. „Wir machen hier die Rückbauphase zur Re-use-Phase und optimieren die stoffliche Verwertung“, erklärt Architekt Thomas Romm, Gründer von BauKarussell, den Urban-Mining-Ansatz des Projekts. Bis zum geplanten Baubeginn im Herbst vermittelt BauKarussell wiederverwendbare Bauelemente weiter. Diese werden in einem Bauteil-Katalog gesammelt, der online abrufbar ist. Bei Interesse kann auch ein Besichtigungstermin vor Ort vereinbart werden.

Das Projekt hat zudem eine soziale Komponente: Die Erlöse aus dem Verkauf finanzieren die Aufwendungen von BauKarussell und kommen somit den beschäftigten Langzeitarbeitslosen zugute.

BauKarussell hat ein großes Ziel für die Zukunft: Der Rückbau muss zu einem Bestandteil der Gesamtplanung gemacht und zu Beginn eines Bauvorhabens bereits mitgedacht werden. Das hat den Vorteil, dass die Baustoffe möglichst sortenrein und mit geringen Verlusten wieder getrennt werden können. Ein Gebäude sollte so geplant und die Materialien dafür so ausgewählt werden, dass es von mehreren Generationen verwendet, renoviert und ohne gröberem Ressourcenverlust adaptiert werden kann. Und am Ende sollten ausgewählte Bauelemente demontiert und bei neuen Bauten wiederverwendet sowie Schadstoffe fachgerecht entsorgt werden können.

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Foto: sunpor_werk-radlberg

Recyceltes EPS hat höhere Qualität

Was beim Abriss und beim Rückbau sicher anfällt, sind Dämmstoffe. Über deren Recycling wird derzeit intensiv geforscht, vor allem über das seit den 1970er-Jahren hauptsächlich verwendete Polystyrol (EPS). Der künstlich hergestellte Hartschaum ist zwar sehr langlebig, aber „langsam kommen die ersten Mengen durch Abbrüche zurück“, weiß Christian Buchinger, Head of Business Development & Innovation bei sunpor, einem der größten EPS-Hersteller Europas mit Sitz in St. Pölten.

Die alten Dämmplatten müssen einem Recycling zugeführt werden, sagt die Kreislaufrichtlinie. Und das war bis vor kurzem kompliziert. Denn einerseits ist das abgebaute Dämmmaterial meist mit Kleber oder diversen Baustoffen verunreinigt und andererseits ist es mit dem mittlerweile verbotenen Flammschutzmittel Hexabromcyclododecan (HBCD) behandelt. Das europäische Projekt PolyStyreneLoop, an dem neben rund 60 Produzenten, Verarbeitern und Entsorgern auch sunpor beteiligt ist, soll in naher Zukunft diese Probleme lösen.

Dazu wird in Terneuzen, im Südwesten der Niederlande, eine von der EU geförderte Pilotanlage gebaut, in der bis zu 30.000 Tonnen EPS nach dem neuen CreaSolv-Verfahren recycelt werden können. Der effiziente Recyling-Prozess wurde vom Fraunhofer Institut entwickelt. Dabei wird der Dämmmüll zunächst zerkleinert und verflüssigt. Fremdstoffe wie Kleber- und Putzreste werden separiert, sodass sie mit einem Filter entfernt werden können. Durch die Zugabe einer weiteren Flüssigkeit verwandelt sich das Polystyrol in ein Gel, HBCD verbleibt in der Restflüssigkeit. Das gereinigte Polystyrol-Gel wird zu Polymergranulat verarbeitet. Das im HBCD enthaltene wertvolle Brom kann ebenfalls zurückgewonnen und wiederverwendet werden. „Das ist kein Down-Cycling, sondern das Material ist nachher besser als vorher“, betont Christian Buchinger. Und noch einen Vorteil hat die Methode: „Die Mischung aus chemischem und mechanischem Recycling braucht viel weniger Energie als die Produktion von neuem Polystyrol.“ Die Anlage soll Anfang nächsten Jahres ihren Betrieb aufnehmen. „Dadurch ist ein wichtiger Schritt zur Realisierung einer ökologischen und zukunftsfähigen Industrielösung für Polystyrol-Produkte gelungen“, bekräftigt sunpor-CEO Roman Eberstaller, und Christian Buchinger äußerst einen Wunsch an den Gesetzgeber: „Die Politik muss das jetzt auch unterstützen und den Herstellern Recyclingkompetenzen geben.“

von Beate Steiner