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Studie: Die Gestalter*innen werden das Land wieder aufbauen

Wer braucht welche Information und welche Kommunikation, damit wir aus der Krise wieder herauskommen? Die aktive Rolle werden die sogenannten "Gestalter*innen" übernehmen. Interview mit Dr. Sophie Karmasin.

Portraitfoto von Sophie Karmasin
Dr. Sophie Karmasin, Karmasin Research&Identity Roswitha Reisinger

BUSINESSART: Corona war ein großer Einschnitt im Leben der meisten Menschen. Wie wirkt er sich aus?

Dr. Sophie Karmasin: Der Lockdown hat dazu geführt, die eigenen Gewohnheiten und Vorlieben zu reflektieren, zu hinterfragen, was man mag und was man nicht mehr mag.

Wo finden sich die größten Veränderungen?

Da finden sich überraschend viele Themen, die mit Nachhaltigkeit zu tun haben, zum Beispiel im Bereich der Mobilität: Die Menschen sind mehr zu Fuß gegangen und mit dem Rad gefahren – sie haben neue Möglichkeiten der Fortbewegung ausprobiert. Dieses Niveau kann aber nur gehalten werden, wenn die Menschen dazu auch weiterhin motiviert werden.

Wie kann das gelingen?

Sie können motiviert werden, indem geeignete Rahmenbedingungen geschaffen werden, wie zum Beispiel eine passende Infrastruktur: Es braucht Radwege, sichere Abstellplätze und Mitnahmemöglichkeiten, und vor allem fußläufig erreichbare Zentren mit regionalem Handel. Es braucht lebenswerte Ortskerne, in denen alles, was zum Leben notwendig ist, vorhanden ist. Nur dann wird dieser nachhaltige Wandel auch bleiben. Das zeigen viele Befragungen, die wir in Niederösterreich durchgeführt haben.

Auch der regionale Konsum hat zugenommen. Wird das bleiben?

Die Zustimmung zum regionalen Konsum ist sehr hoch – das Bewusstsein ist gestiegen. Die Menschen arbeiten von zuhause aus und kaufen praktischerweise auch gleich vor Ort ein. Es geht aber nicht nur um Loyalität – die Menschen wollen die regionale Wirtschaft unterstützen - sondern auch um ein besonderes Sicherheitsgefühl: Je näher, desto vertrauenswürdiger.
Selbstverständlich darf man bei diesen Entwicklungen nicht blauäugig sein. Bewusstsein allein bewirkt noch keine verlässliche Kaufhandlung. Die Menschen werden weiterhin bei Amazon einkaufen, und nicht nur beim regionalen Biohändler. Aber das Bewusstsein ist vorhanden. Jetzt gilt es, ein attraktives Angebot zu schaffen. Bei vielen regionalen Angeboten fehlt es an Bekanntheit, aber auch an der Qualität. Die Kundenprozesse, der Service, die Kulanz der regionalen Shops müssen mit Amazon vergleichbar sein. Es wäre wichtig, hier schnell aufzuholen, um dieses Bewusstsein auch wirklich nutzen zu können.

Home-Office & Digitalisierung bergen große Chancen, aber auch Risiken.

Die digitalen Lösungen sind zu einer Alltagskulturtechnik geworden. Das ist jedenfalls eine große Chance und das Niveau wird nicht wieder auf die Zeit vor Corona zurückfallen. Besonders die Videokonferenzen werden bleiben, weil sie viele Vorteile bringen: sie sparen Zeit und Kosten für alle Beteiligten.
Aber es wird auch Präsenz brauchen, etwa bei kreativen und innovativen Prozessen, bei der Teambildung, bei der Einschulung und beim Eingliedern neuer Mitarbeiter*innen.
Und es gibt Gruppen in Österreich, die nicht mitgegangen sind oder mitgehen konnten, das sind ältere Menschen, Menschen mit manuellen Tätigkeiten, Kinder, aber auch Erwachsene aus bildungsfernen Schichten, Für sie besteht die Gefahr, dass sie aus der Gesellschaft herausfallen.

Wieso sind Frauen ganz besonders – und negativ – betroffen?

Die Krise ist auf dem Rücken der Frauen gemeistert worden – sie mussten vieles schultern, zum Beispiel das Home-Schooling, weil sie sich in der Verantwortung für die Bildung der Kinder sehen. Dazu kommt, dass man neben einem dreijährigen Kind einfach nicht arbeiten kann – viele Frauen haben die Arbeit daher (schon erschöpft) am Abend erledigt. Unternehmen, die rein Performance-orientiert sind, werden Frauen also eher abbauen als Männer, weil sie untertags weniger präsent sind. Die Gefahr ist groß, dass dadurch sowohl Mütter als auch Kinder den Anschluss verlieren. Diese berechtigte Sorge stellt eine extreme Belastung dar. Und an einen beruflichen Fortschritt können viele Frauen nicht einmal denken. Für Frauen ist es daher extrem wichtig, dass Schule und Kinderbetreuung funktionieren.
Es ist berechtigt, dass die Gesundheit vor den Interessen der Wirtschaft, der Schulbildung oder der Frauen steht. Aber für wie lange? Die Gefahr besteht, dass das Rad, das durch den Lockdown 20 Jahre zurück gedreht wurde, nicht wieder das Vor-Corona Niveau erreichen wird. Wie die politischen und familiären Entscheidungen ausfallen werden ist offen.

In deiner Studie schreibst du, dass eine bestimmte Gruppe, die Gestalter*innen, das Land wieder aufbauen wird. Was brauchen sie, um das tun zu können?

Diese Gruppe will eigenverantwortlich tätig sein, sie ist mutiger als die anderen. Die Gestalter*innen brauchen Zuversicht und auf keinen Fall Angstmache. Sie brauchen ein „Wir schaffen das!" Sie wollen Optimismus und Beispiele hören, wie es funktionieren kann. Es gibt Regionen, in denen der Fremdenverkehr noch nie so gut verdient hat, wie jetzt. Sie waren innovativ und haben ihr Programm geändert.

Natürlich gibt es auch andere deren wirtschaftliche Situation problematisch ist. Aber für den Aufbau brauchen wir Aktivität, Dynamik und Innovation.

Was bedeutet das für eine nachhaltige Entwicklung?

Im Moment ist es eine riesen Chance, weil man sich besonnen hat und feststellt, dass man nicht jeden Konsumartikel braucht und nicht jeden Weg mit dem Auto fahren muss. Das Bewusstsein ist da, dass wir nicht unverwundbar sind.
Am Anfang hat man die Gesundheits- und die Klimakrise abgetan. Jetzt haben wir bemerkt, dass unser Leben von einer Minute auf die andere aus den Angeln gehoben werden kann. Daher werden diese Entwicklungen ernster genommen und nicht nur als hysterisches Getue abgetan. Es bedroht uns und es hat Auswirkungen.
Es gibt Studien, die zeigen, dass Corona auf unserem Überkonsum beruht. Die aktuelle Situation birgt auch die Chance, dass wir uns auf das Wesentliche besinnen. Es sollte insgesamt ein guter Mix aus kurzfristiger Hilfe, aber auch langfristigen Maßnahmen sein, die eine nachhaltige Lebensweise befördern.

Zur Studie „Das neue Retro und wie sich unser Land verändern wird von Karmasin Research & Identity und dem Insight Austria Kompetenzzentrum Verhaltensökonomie/Institut für Höhere Studien.

Dr. Sophie Karmasin ist Gründerin und Geschäftsführerin bei Karmasin Research&Identity. Sie ist seit  vielen Jahren in der Markt- und Motivforschung tätig. Von 2013 bis 2017 war sie Bundesministerin für Familien und Jugend in Österreich.