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Volle Fahrt voraus!

Von der Notwendigkeit guter Zukunftsbilder mitten im Klimawandel.

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Foto: victoria-duarte-wfjwyrx7fns-unsplash

„Wie bist du selbst vom Klimawandel betroffen?“ So lautete meine Einstiegsfrage als Co-Moderatorin einer Zukunftswerkstatt in Retz. Rund um mich standen sehr unterschiedliche Stakeholder der Region: vom Lehrer an der Landwirtschaftsschule über die Einsatzleiterin vom Roten Kreuz bis zu Gemeindepolitiker*innen, Expert*innen und Vertreter*innen von NPOs und lokalen Initiativen. Ein Vizebürgermeister, der gleichzeitig Feuerwehrkommandant ist, muss nicht lange nachdenken: Das Hochwasser im September 2024 hat ihm viel Arbeit beschert. Eine andere Teilnehmerin berichtet von umgestürzten Bäumen in ihrem Garten durch die herbstlichen Unwetter. Ein Beamter der Landesregierung ist noch immer mit zerstörten Güterwegen befasst, andere Teilnehmer*innen erzählen von der belastenden Hitze und Trockenheit des vergangenen Sommers.

Auf der Habenseite verbucht Österreich ausreichendes Wissen und Pläne zur Klimawandelanpassung. Bereits 2012 wurde die „Österreichische Strategie zur Anpassung an den Klimawandel“ verabschiedet. Sie ist Teil des „2-Säulen-Prinzips“ der österreichischen Klimapolitik, die sowohl auf Klimaschutz als auch auf Anpassung setzt.

Vom Klimawandel sind mittlerweile alle betroffen

Egal, wo in Österreich man Menschen fragt: Zu erzählen haben alle etwas. Die Wissenschaft ordnet die Hauptrisiken in vier Kategorien ein:

  • Die Hitzebelastung, die sich auf die Arbeitsproduktivität, aber vor allem auch auf die Gesundheit und Sterblichkeit auswirkt.
  • Trockenstress und Wasserknappheit, die sich in landwirtschaftlichen Regionen wie den Weinbaugebieten Niederösterreichs besonders negativ auswirken.
  • Sturm- und Lawinengefahr in alpinen Zonen, die Infrastruktur und Tourismus bedrohen.
  • Starkregen und Überflutungen, die Schäden an Gebäuden und Infrastruktur anrichten.

Alles in allem keine angenehmen Aussichten auf die nähere und die fernere Zukunft. Der Druck für Anpassungsmaßnahmen steigt. Auch deshalb, weil sich Europa schneller erwärmt als der Rest der Welt. Auf der Habenseite verbucht Österreich ausreichendes Wissen und Pläne zur Klimawandelanpassung. Bereits 2012 wurde die „Österreichische Strategie zur Anpassung an den Klimawandel“ verabschiedet. Sie ist Teil des „2-Säulen-Prinzips“ der österreichischen Klimapolitik, die sowohl auf Klimaschutz als auch auf Anpassung setzt. Die Strategie verknüpft Analysen des Status quo mit einem Aktionsplan aus über 130 Maßnahmen. Sie wurde seit 2012 auf Basis neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse mehrmals aktualisiert und wird von Bund und Ländern gemeinsam umgesetzt.

Unterschiedliche Risiken in Stadt und Land

Städte und ländliche Regionen haben zum Teil unterschiedliche Risiken und Anpassungsbedarfe an den Klimawandel. Hitze-bedingte Sterblichkeit, Hochwasser in Flüssen und Wildbächen, Überflutung durch Starkregenereignisse sowie Störungen in Ökosystemen – diese Hauptrisiken hat das Team von Wissenschafter*innen rund um Birgit Bednar-Friedl vom Wegener Center der Universität Graz für die Stadt Linz identifiziert. Im ländlich geprägten Retzer Land bestehen die Hauptrisiken in landwirtschaftlichen Ernteverlusten aufgrund von Trockenheit, in Wasserknappheit sowie gleichzeitig in der Überflutung durch Starkregenereignisse.

Dementsprechend sind für Städte und ländliche Regionen unterschiedliche Maßnahmen-Mixes erforderlich. Wie komplex Planungen im Bereich der Klimawandelanpassung sind, zeigen exemplarisch die Handlungsempfehlungen für die Bereiche Landwirtschaft sowie Hitze & Gesundheit in der Stadt.

Urbane Hitze(notfall)pläne

Die zunehmende Zahl an Hitzetagen in Städten ist eine enorme gesundheitliche Belastung, die immer öfter tödlich endet. Im Jahr 2023 sind in Europa mehr als 47.000 Menschen an den Folgen hoher Temperaturen gestorben. Bis zum Ende des Jahrhunderts rechnen Expert*innen insbesondere in Städten mit einer weiteren Zunahme von Hitzetoten.

Dem kann und muss durch Abkühlungsmaßnahmen entgegengearbeitet werden. Dabei geht es zuvorderst um Begrünung – also um den Erhalt bestehender Grüngürtel, Parks, Straßenbäume und kleinerer städtischer Grünflächen sowie um Neupflanzungen. Zunehmend ins Bewusstsein rückt die große Bedeutung von Frisch- und Kaltluftschneisen, die es zu schaffen und zu erhalten gilt.

Eine wichtige Frischluftschneise in Linz ist zum Beispiel der Haselgraben, der sich vom Norden der Stadt ausgehend ins Mühlviertel hinein erstreckt. Vor allem nachts zieht die kühle Luft aus diesem Tal durch Linz. Wenn neue Gebäude in solche Schneisen hinein gebaut werden, kann das negative Auswirkungen auf die Wohnqualität großer Stadtgebiete haben.

Zu den wichtigen Anpassungsmaßnahmen im Bereich Hitze und Gesundheit zählt die Ausarbeitung eines Hitze(notfall)plans. Die Maßnahmen reichen vom Bau zusätzlicher Trinkbrunnen über die Öffnung von gekühlten Räumen für vulnerable Bevölkerungsgruppen bis hin zu Evakuierungsplänen von besonders hitzebelasteten Menschen, die in ihren Wohnstätten ansonsten gesundheitlichen Schaden erleiden würden.

Städtische Hitzepläne müssen ganzheitlich gedacht und magistratsübergreifend erarbeitet und umgesetzt werden. Städtischen Verkehrsbetrieben fällt zum Beispiel die Aufgabe zu, Haltestellen zu beschatten und für Kühlung innerhalb von Bus und Tram zu sorgen. Kommunale und gemeinnützige Wohnbauträger sind aufgefordert, die Kühlung von Wohnungen mitzudenken und beispielsweise durch Fassadenbegrünungen oder Erdwärmepumpen erträgliche Wohntemperaturen auch bei längeren Hitzeperioden zu garantieren.

Weitere Handlungsempfehlungen in diesem Bereich sind:

  • Öffentlichkeitsarbeit und Bewusstseinsbildung zu den gesundheitlichen Folgen des Klimawandels
  • Aus-, Fort- und Weiterbildung zu klimarelevanten Themen im Gesundheits-, Pflege- und Sozialbereich
  • Verknüpfung und Weiterentwicklung bestehender Monitoring- und Frühwarnsysteme

Lange Hitzeperioden in Städten werden mittelfristig immer häufiger als Katastrophenfälle einzustufen sein, für die es Kriseninfrastruktur und Einsatzpläne braucht.

Anpassungsmaßnahmen in der Landwirtschaft

Oberstes Ziel aller Klimawandel-Anpassungsmaßnahmen in der Landwirtschaft ist es, die Versorgungssicherheit aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig müssen die Ökosystemleistungen der Landwirtschaft erhalten, verbessert und die Resilienz gegenüber dem Klimawandel gestärkt werden.

Um dies zu erreichen, muss die Ressource Boden stabilisiert, die Bewirtschaftung zum Teil adaptiert und die Eignung von Kulturpflanzen immer wieder überprüft sowie neue ausprobiert und gezüchtet werden.

Wie schaut das praktisch in einer Region wie dem Retzer Land aus? Das nördliche Weinviertel ist eines der trockensten Gebiete Österreichs, wo zusätzlich zum fehlenden Niederschlag auch noch starke Winde die Bodenerosion verstärken. Daher wird in der Region um jeden Tropfen Wasser gekämpft und in Windschutz investiert, zum Beispiel durch neu gepflanzte Sträucher und Hecken, die den Bodenabtrag durch Wind bremsen. Zudem soll Wasser so lange als möglich „behalten“ werden, indem zum Beispiel Hangwasser, wie es bei den seltenen Niederschlägen an Güterwegen entlang in Graben und Bäche rinnt, in Wasserreservoirs aufgefangen wird. Oder indem alte Rückhaltebecken wieder instand gesetzt werden. Neu angelegte Sickermulden helfen, Regenwasser vor Ort versickern zu lassen, anstatt es über die Kanalisation aus der Region abzuleiten.

Die Beispiele aus dem Retzer Land zeigen gut, welche vielfältigen, kleinteiligen, gleichzeitig aber auch leicht machbaren Maßnahmen gegen die zunehmende Trockenheit gesetzt werden können. Ein positiver Synergieeffekt dabei ist, dass alle Maßnahmen, die für die Speicherung und „regionale Versickerung“ des Wassers getroffen werden, gleichzeitig vor Überschwemmungen im Fall von Starkregen schützen.

Die Anpassungsmaßnahmen in der unmittelbaren landwirtschaftlichen Arbeit sind ähnlich divers. So helfen Begrünungen im Weinbau, mehr Wasser im Boden zu speichern, die Verdunstung zu verringern und den wertvollen Humus aufzubauen. Auch das Laubmanagement ist zu bedenken. Lange dachte man, dass eine höhere Laubwand die Qualität der Trauben steigere. Mehr Laub verbraucht aber auch mehr Wasser - daher ist Umdenken angesagt. Die höheren Temperaturen haben schon in den letzten Jahren den Geschmack des für diese Region typischen Veltliners verändert. Ob und, wenn ja, welche adaptierten oder neuen Rebsorten in Zukunft im Retzer Land angebaut werden sollen, ist offen. Experimente mit neuen Kulturpflanzen sind immer langwierig und die Ergebnisse schwer vorherzusagen. Hier braucht es nicht nur im Retzer Land, sondern in ganz Österreich noch viel Forschung.

Gute Zukunftsbilder finden

Viele Klimawandel-Anpassungsmaßnahmen stehen außer Streit und werden von einem Großteil der Bevölkerung unmittelbar als sinnvoll und notwendig erlebt. Gleichzeitig machen diese Maßnahmen deutlich, was alles „nicht mehr in Ordnung ist“. Die spürbaren Auswirkungen des sich rasant verändernden globalen Klimas machen vielen Menschen Angst und lassen düstere Zukunftsbilder entstehen – das ist eine schlechte Voraussetzung für Engagement und Motivation.

In der eingangs erwähnten Zukunftswerkstatt in Retz im Rahmen des wissenschaftlichen Projekts „A-Levers“ wurde daher am Beginn gemeinsam mit Stakeholdern eine Vision für ein bestmöglich an den Klimawandel angepasstes Retzer Land erarbeitet. Das Ergebnis hat viele berührt. „Mir fällt erst jetzt auf, dass kaum mehr jemand positiv in die Zukunft schaut“, meinte eine Teilnehmerin. „Es tut so gut, hier einmal zu hören, dass wir trotz aller Herausforderungen gemeinsam viel schaffen können!“ In diesem Sinn ist auch Kooperation ein Gebot der Stunde. Die notwendigen Anpassungsleistungen schaffen wir nur gemeinsam. Die vielleicht wichtigste Maßnahme zur Klimawandelanpassung ist daher die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und des Miteinanders.

Barbara Ruhsmann, ÖGUT

Quellen und weiterführende Informationen

Anpassungsstrategie für Österreich: https://www.bmimi.gv.at/themen/klima_umwelt/klimaschutz/anpassungsstrategie/oe_strategie.html

Projekt „A-Levers“: https://www.klimafonds.gv.at/projekt/a-levers/