zum Inhalt springen

Es ist noch kein Tsunami. Aber Unternehmen denken um.

Christian Plas über den Beitrag der Politik zu neuen Mess-Systemen zur nachhaltigen Entwicklung und der wichtigen Rolle der Rohstoffwende für eine gute Zukunft.

plas-christian-c-denkstatt-klein
Plas-Christian-c-denkstatt

Herr Plas, Sie haben erwähnt, dass wir neben dem Finanzkapital auch das Sozial- und Umweltkapital betrachten müssen. Wie lässt sich das umsetzen?

Christian Plas: Es gibt schon seit Jahrzehnten verschiedene Ansatzpunkte, und jetzt werden sie auch langsam politisch salonfähig. Ein Stichwort ist das „Natural and Social Capital“ – damit ist gemeint, dass ich Auswirkungen auf die Umwelt und das Soziale messe und diesen einen Wert zuschreibe.

Was würde denn da genau gemessen? Gibt es hier schon funktionsfähige Ansätze oder müssen die noch entwickelt werden?

Die Flächenversiegelung ist hier ein gutes Beispiel – die kommt im Bruttosozialprodukt nicht vor, ist aber einfach zu messen und wird auch in den meisten Ländern bereits erhoben. Aber auch Fragestellungen der Biodiversität, wie zum Beispiel die Anzahl der bedrohten Arten in einem Land, lassen sich gut messen. Unversehrte Landschaften könnte man auch definieren und einfließen lassen – die haben übrigens auch nicht nur Einfluss auf die Natur, sondern auch einen Wert für die Gesellschaft und die Wirtschaft. Wenn zum Beispiel in den Alpen alles zubetoniert ist, dann ist das nicht nur für den Steinbock ein Problem, sondern auch für die Menschen, die ein Naherholungsgebiet verlieren, und nicht zuletzt für die Tourismusbranche.

Ist das Natural and Social Capital auf Volkswirtschaften beschränkt? Oder ist dieses Konzept auch für Unternehmen anzuwenden?

Wir sind erst am Anfang, aber es gibt bereits nennenswerte Initiativen von teilweise international agierenden Unternehmen, die sich damit beschäftigten. Die schauen sich bei Neuprojekten nicht nur an, ob sich das rechnet, sondern auch: welche Auswirkungen hat mein Projekt auf die Umwelt und die Gesellschaft?

Warum tun Unternehmen das? Weil sie denken, dass es ohnehin bald gesetzliche Regelungen geben wird? Oder weil das Gutmenschentum ausgebrochen ist? Oder weil die Kinder der Managerinnen und Manager aus der Schule kommen und ihnen kritische Fragen stellen?

Das mit den Kindern aus der Schule ist tatsächlich ein Faktor. Das Gutmenschentum hingegen nicht. Ich glaube aber, dass der stärkste Treiber das Risikobewusstsein der Investoren und der Finanzwirtschaft ist. Wie Sie wissen schreibt Larry Fink, der CEO von Blackrock, dem weltgrößten Asset Management-Unternehmen, jährlich zum Jahresbeginn einen offenen „Letter to CEOs“. Dieser richtet sich an Unternehmen, 2018 trug er die Überschrift „A sense of purpose“. Die Grundaussage war, dass Unternehmen, die nicht so handeln, dass es der Gesellschaft dient, keinen Sinn haben. Und somit auf die Dauer zu einem schlechten Investment werden. Wir beobachten ein Umdenken bei den Unternehmen. Die fragen sich: müssen wir unsere Ziele, unsere Produkte, unser Handeln anpassen an das, was sinnvoll ist?

Ist das denn schon ein breiter Trend bei den Unternehmen?

Es ist noch kein Tsunami. Aber es sind durchaus relevante Unternehmen, die sich damit auseinandersetzen. Und die Erfahrung zeigt, dass es am Anfang vielleicht nur eine kleine Gruppe ist, die sich da als Pioniere betätigen, aber diese auch schnell als Vorbild von anderen gesehen werden. Das wird noch dauern. Beschleunigen kann dies die Politik, indem sie hier Regeln und Ziele festlegt.

Bewegt sich die Politik denn hier schon?

Es ist im österreichischen Regierungsprogramm festgeschrieben, dass man zusätzliche Messsysteme entwickeln will.

Kritisch gefragt: Sind es nur Messsysteme – oder auch Ziele?

Ziele, die mit Messsystemen hinterlegt sind. Ich bewerte das als durchaus ernsthaften Versuch der Politik, das Thema anzugehen.

Nun haben wir also erfahren, dass das Thema Klimaschutz gerade in der Gesellschaft ankommt, viele Akteurinnen und Akteure sich engagieren, und dass wir etwas an den Rahmenbedingungen verändern müssen. Was muss konkret auf der Maßnahmenebene passieren, damit wir beim Klimawandel noch die Kurve kriegen?

Das Stichwort lautet Dekarbonisierung. Das ist die größte gesellschaftliche Herausforderung der kommenden Jahrzehnte. Und diese würde ich in drei Themen einteilen, die wir mehr oder weniger gut bereits jetzt angehen.

Was ist das erste Thema?

Die Energiewende. Wir wissen, dass wir aus den fossilen Energieträgern aussteigen müssen, wir haben eigentlich auch die Technologie, es ist nur noch eine Frage der Umsetzung. Wir sind da in Europa auf einem guten Weg. Die Welt wird nachziehen. Es ist auch nicht auf Europa beschränkt: Der größte Investor in erneuerbare Energien weltweit ist China.

Ok, Thema Nummer zwei?

Die Mobilitätswende. Ein großer Teil der fossilen Rohstoffe wird als Treibstoff genutzt. Wir müssen hier raus, einerseits über den Technologiewechsel, hin zu Elektromobilität oder auch Wasserstofftechnologie, andererseits über eine Verhaltensänderung in der Gesellschaft. Wir müssen von privaten Fahrzeugen in den öffentlichen Verkehr umsteigen, gerade in Ballungszentren. Da reicht es nicht, den Diesel durch ein E-Mobil zu ersetzen. Was wir momentan massiv sehen, ist ein starker Anstieg der Radnutzung, was ich auch sehr positiv finde.

Und was ist das dritte große Thema?

Das dritte Thema ist die Rohstoffwende. Davon ist alles betroffen, was von den fossilen Rohstoffen derzeit in Produkte umgewandelt wird, darunter fällt auch das Thema Kunststoffe.

Die Rohstoffwende ist vielen noch gar nicht bekannt.

Die Europäische Union beschäftigt sich schon länger damit, und die Staaten ziehen jetzt langsam nach. Bei der Rohstoffwende geht es darum, dass wir die Rohstoffe zur Herstellung von Produkten nicht mehr aus dem Öl beziehen, sondern aus nachwachsenden Rohstoffen.

Wenn wir mehr nachwachsende Stoffe aus der Natur beziehen, um sie zu Produkten umzuformen – das wäre die so genannte Bioökonomie - belasten wir die Natur natürlich auch stärker als bisher. Und damit steigt der Druck auf die Biodiversität.

Den ersten Teil des Interviews finden Sie hier zum Nachlesen.

Herr Plas, ist Gründer und Geschäftsführer der denkstatt Gruppe, einem international agierenden Beratungsunternehmen für Nachhaltigkeit, Umwelt und Klimaschutz.

www.denkstatt.eu

Das Interview führte Falko Müller.

Was die große Herausforderung im Bereich der Rohstoffwende ist, wie Dekarbonisierung dazu beiträgt den Klimawandel eindämmen und welche Rolle die Kreislaufwirtschaft dabei spielt, erfahren Sie im dritten und letzten Teil des Interviews mit Christian Plas am 5. Februar 2021: „Es geht nicht darum, ob ich einen SUV oder besser einen Mittelklassewagen fahre, sondern darum, gar kein Auto mehr zu haben.“