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Kreislaufwirtschaft

Zauberwort für nachhaltige Geschäftsinnovationen?

Grafik zeigt spektralfarbene Ringe auf anthrazitfarbenem Hintergrund. Text: KREISLAUFWIRTSCHAFT (das Wort ist im Kreis geschrieben) - Zauberwort für nachhaltige Geschäftsinnovationen?

Sie ist ein wesentlicher Baustein, um die globale Klima- und Ressourcenkrise zu meistern und gleichzeitig ein alt bekanntes Konzept: die Kreislaufwirtschaft. Aber warum hat sie sich noch immer nicht durchgesetzt? Und warum soll das nun anders werden?

Die Kreislaufwirtschaft hat das Potenzial, das derzeitige lineare Wirtschaftssystem so zu verändern, dass Abfälle vermieden und Ressourcen so lange wie möglich im Kreislauf geführt werden. Dies trägt substanziell zur Ressourcenwende, zur Energiewende, zum Aufbau resilienter und lokaler Wertschöpfungsketten und damit zur Bekämpfung der Klimakrise bei.

Viele gute Argumente also. Die letzten Jahrzehnte zeigen allerdings eine gegenteilige Entwicklung: Dem Circularity Gap Report zufolge sinkt die weltweite Zirkularität jedes Jahr, da Rohstoffgewinnung und Materialeinsatz steigen. Im Jahr 2019 wurden weltweit erstmals mehr als 100 Mrd. Tonnen Rohstoffe der Natur entnommen. Aktuell stammen nur 7,2 Prozent der Ressourcen aus Recycling und Sekundärmaterialien. Die Nutzung natürlicher Ressourcen – wie Energierohstoffe, Metalle, Mineralstoffe, Biomasse, Wasser und Luft – ist zudem mit erheblichen Umweltwirkungen und enormen CO2-Emissionen verbunden. Rund 70 Prozent aller Treibhausgasemissionen stehen im Zusammenhang mit der Materialwirtschaft.

2020 hat die EU daher ihren zweiten Aktionsplan (Circular economy action plan, CEAP) veröffentlicht, um die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Nutzung endlicher Ressourcen zu schaffen.

Kreislaufwirtschaft als Teil des Green Deals

Die Grundidee der Kreislaufwirtschaft geht auf Kenneth Boulding zurück, einen amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler, der in seinem Aufsatz „The Economics of the Coming Spaceship Earth“ bereits im Jahr 1966 auf die Notwendigkeit einer zirkulären Wirtschaft hinweist.

Für die Europäische Kommission hat sich der Schweizer Architekt Walter Stahel Mitte der 1970er-Jahre mit der Produktlebensdauer und ihrem Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung wissenschaftlich auseinandergesetzt. 1982 beschrieb er erstmals eine „Loop Economy“, die dem heutigen Kreislaufwirtschaftskonzept entspricht. Nach Stahel ist das Ziel der industriellen Kreislaufwirtschaft, den Wert und den Nutzen der Bestände an natürlichen, menschlichen, kulturellen und hergestellten Gütern so lange wie möglich zu erhalten.

Fast ein halbes Jahrhundert später ist die Kreislaufwirtschaft mit dem Circular Economy Action Plan ein wichtiger Baustein des European Green Deals. Auch für die EU-Taxonomie werden Kriterien zur Nachhaltigkeitsbeurteilung von Wirtschaftstätigkeiten erarbeitet.

 

Kreislaufwirtschaft ist mehr als Recycling

Geschäftsmodelle sind dabei zentrale Ansatzpunkte, um Kreislaufwirtschaft in Unternehmen umzusetzen. Besondere Bedeutung erlangen sogenannte zirkuläre Service-Modelle. Ein Produkt „as a service“ bedeutet, dass es sich für Unternehmen rechnet, auf Qualität, Lebensdauer und Reparierbarkeit zu achten. Nur Service-Modelle, die zumindest eine Verdoppelung der (durchschnittlichen) Produkt-Lebensdauer erreichen, leisten jedoch laut dem Entwurf der EU-Taxonomie einen wesentlichen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft. Die zirkulären Geschäftsmodelle etablieren und erweitern neue Material- und Energiekreisläufe, sie verringern den Ressourceninput in die Organisation sowie den Output an Emissionen und Abfall.

Wie werden Geschäftsmodelle zirkulär?

Nach Walter Stahel verändert die Kreislaufwirtschaft die Logik unseres Wirtschaftens substanziell: Suffizienz ist die neue Produktion – es wird wiederverwendet, was möglich ist, recycelt, was nicht wiederverwendet werden kann, repariert, was kaputt ist und wiederaufbereitet, was nicht repariert werden kann.

Die Ellen Mac Arthur Foundation hat grundlegende Strategien zur Implementierung der Kreislaufwirtschaft in Unternehmen identifiziert: Auch einige österreichische Unternehmen setzen diese Strategien bereits um.

KREISLÄUFE ERMÖGLICHEN

80 Prozent der Umweltwirkungen von Produkten werden in der Designphase festgelegt. Wird die Kreislaufführung bereits bei der Entwicklung der Produkte oder Dienstleistungen berücksichtigt, können erneuerbare Ressourcen effizient eingesetzt, Schadstoffe vermieden, Wiederverwendung, Reparatur und späteres Recycling ermöglicht werden. Durch die Abkehr vom klassischen „Verkauf“ entstehen Miet- und Leasingmodelle sowie Dienstleistungsmodelle. Unternehmen verkaufen nicht das Produkt, sondern stellen ihr Produkt zur Verfügung, die Kund*innen zahlen für dessen Nutzung, das Unternehmen übernimmt die Wartung und das End-of-Life-Management und kann so von der Reparierbarkeit und Rezyklierbarkeit profitieren.

BEISPIEL: SALESIANER MIETTEXTILIEN

Das 1916 gegründete Unternehmen bietet seit den 1970er-Jahren Wäschedienstleistungen und Miettextilien für das Gesundheitswesen, die Hotellerie und Gastronomie sowie Berufsbekleidung für Industrie und Gewerbe an. Für das Gesundheitswesen werden Mehrwegsysteme für OP-Textilien angeboten – das bedeutet 80 Prozent weniger Abfälle. Bio-fairtrade zertifizierte Baumwolle wird im Hotellerie- und Gastronomieangebot des Unternehmens anwendet. Wiederverwendbare Textilien können mit Hilfe von RFID (Radio-Frequency Identification) rückverfolgt werden. Salesianer übernimmt die Versorgung, Wartung, Reinigung und Lieferung der Wäsche für seine Mietkund*innen.

„Wir versuchen durch geeignete Maßnahmen, unsere vermieteten Textilien möglichst lange im Kreislauf zu halten, bevor wir diese ausscheiden müssen. Nachdem wir die Textilien ausscheiden müssen, sind wir bemüht, diese einer anderen weiteren Verwendung zuzuführen (2nd life circle).“

THOMAS GITTLER, SALESIANER

www.salesianer.at

Weitere erfolgreiche Beispiele sind die Heinzel-Group, das „Light as a Service Model“ von Signify oder das geplante „Machine as a Service Model“ des Verpackungsmittelherstellers Supaso GmbH - hier werden Maschinen für die Produktion von Verpackungen aus Altpapier am Ort des Anfalls zur Verfügung gestellt.

 

KREISLÄUFE SCHLIESSEN

Produkte, Bestandteile und Materialen werden so lange wie möglich genutzt und dienen am vermeintlichen Ende ihrer Lebensdauer als Inputfaktoren für neue Produkte. Durch Wiederaufbereitung, Reparatur, Einsatz von Rezyklaten werden geschlossene Kreisläufe etabliert.

BEISPIEL: LENZING AG

Lenzing ist weltweit einer der führenden Hersteller von Cellulosefasern. Mit dem Produkt TENCELTM und der REFIBRATM-Technologie ist das Unternehmen führend im Bereich des hochwertigen Recyclings von Naturfasern. Ziel ist, Textilabfällen einen neuen Lebenszyklus zu ermöglichen. Mit der REFIBRA™-Technologie hat Lenzing gezeigt, dass ein Upcycling von Baumwoll-Zuschnittresten zu Zellstoff möglich ist. Lyocellfasern auf Basis dieser Technologie können im großtechnischen Maßstab produziert werden. Im Projekt „Upscale to Circularity“ wird derzeit an der Ausweitung der Rohstoffbasis hin zu Mischtextilien und Post-Consumer-Abfällen gearbeitet.

„Für die Transformation zur Kreislaufwirtschaft ist neben der Entwicklung von technologischen Lösungen vor allem eine umfangreiche Zusammenarbeit notwendig“

JO-ANN INNERLOHINGER, LENZING

www.lenzing.com

Ein weiteres Beispiel für geschlossene Kreisläufe ist Stoelzle Glas.

NEUE KREISLÄUFE SCHAFFEN

Durch die Nutzung von bisher nicht genutzten Sekundärmaterialien oder Abfällen können neue Wertschöpfungskreisläufe entstehen. Oft gelingt dies, indem sich Unternehmen vernetzen und die Abfälle des einen als Inputfaktoren für neue Produkte dienen.

BEISPIEL: REPLOID VALUE SOLUTIONS GMBH (ehemals Insektianer)

Ein österreichisches Start-up, das sich mit der Aufwertung von organischen Reststoffen aus der Lebensmittelproduktion durch die Zucht von Insekten befasst. reploid.eu

 

KREISLÄUFE VERLÄNGERN

Wiederverwendung, die auf möglichst langen Werterhalt setzt, aber auch Sharing, das die Produktnutzung intensiviert, tragen wesentlich dazu bei, die Lebensdauer von Produkten und Materialien zu verlängern. Die Reparatur, der Verkauf von Ersatzteilen oder die Aufrüstungsmöglichkeiten sind dabei wichtige Erfolgsfaktoren.

BEISPIEL: ELOOP

ELOOP ist eine Carsharing-Plattform in Österreich, die sich auf Elektrofahrzeuge spezialisiert hat. Sie nutzt ein zirkuläres Geschäftsmodell, indem sie Fahrzeuge im Rahmen von drei- bis 48-monatigen Abos inklusive Versicherung und Service anbietet. Seit April 2023 ermöglicht Eloop seinen Kund*innen auch eine finanzielle Teilhabe an Fahrtumsätzen über Tokens. eloop.app/de

BEISPIEL: COMPURITAS

Compuritas ist ein österreichisches Unternehmen, das gebrauchte Computer, Laptops, Smartphones aufbereitet und verkauft. Ausgemusterte Business-Hardware wird professionell aufbereitet und zu leistbaren Preisen weiterverkauft, z.B. an Schulen, NGOs oder Private. shop.compuritas.at

Weitere Beispiele: refurbed, Secontrade.

Wieso nützen noch wenige Unternehmen die Potenziale der Kreislaufwirtschaft?

Mit dem klassischen Marktmodell ist es für Unternehmen unattraktiv, langlebige Produkte zu designen. Aufgrund der unzureichenden Kostenwahrheit fehlen ökonomische Anreize für die Umsetzung von neuen kreislauffähigen Geschäftsmodellen. Mit den klassischen Bewertungsmethoden wird der Wert von zirkulären Geschäftsmodellen nicht abgebildet, besonders von Servicemodellen. Zirkulare Lösungen und Technologien rechnen sich daher oft noch nicht – damit fehlt der Wille zur Umsetzung. Die Einstellung der Unternehmensleitung zur zirkulären Wirtschaftsweise spielt eine Schlüsselrolle bei der tatsächlichen Umsetzung zirkulärer Geschäftsmodelle. Der Aktionsplan der EU hat die ökonomischen Rahmenbedingungen für zirkuläre Geschäftsmodelle ein Stück weit verbessert.

Denken in Kreisläufen hat heute darüber hinaus für Unternehmen große Vorteile: Durch die Verringerung des Materialeinsatzes, der benötigten Energie (um neue Produkte herzustellen) und durch geringere Entsorgungskosten sparen Unternehmen Kosten, die Resilienz der Lieferkette steigt und die Abhängigkeit von Lieferant*innen reduziert sich. Das Unternehmen verringert seine Umweltbelastungen und verbessert seine CO2-Bilanz. Und ganz besonders interessant: Die „neuen“ Geschäftsmodelle erhöhen vielfach die Kund*innenbindung.

Karin Granzer-Sudra, Veronika Reinberg, ÖGUT.

Quellenangaben
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Finanzielle Unterstützung

Dritte Ausschreibung der FTI-Initiative: Bis zum 28. Juni 2023 bzw. 27. September 2023 (je nach Schwerpunkt) läuft die mit 14,5 Mio. Euro dotierte dritte Ausschreibung. Gesucht werden Projekte, die die Entwicklung von innovativen Technologien und systemischen Innovationen entlang des gesamten Wertschöpfungskreislaufs vorantreiben. nachhaltigwirtschaften.at/de/ausschreibungen

Förderkompass Kreislaufwirtschaft: Sie finden einen Überblick über nationale und regionale Förderangebote zur Finanzierung von Initiativen und Maßnahmen zur Umsetzung der Kreislaufwirtschaft, auch in den Bereichen Unternehmensberatung, Fortbildung, Unternehmensgründung und für die Finanzierung von Infrastrukturvorhaben für die Umsetzung der Kreislaufwirtschaft. nachhaltigwirtschaften.at/de/themen