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Margarete Durstberger, Direktorin Hotel & Seminarkultur Wesenufer

Als sozialökonomischer Betrieb beschäftigt das Seminarhotel in allen Arbeitsbereichen rund 50 Personen mit psychischen Beeinträchtigungen, die eine psychosoziale Begleitung in Anspruch nehmen.

Margarete Durstberger
Margarete Durstberger Foto: Fleischmann

Gleichzeitig erreicht das Hotel die ökonomischen Ziele. Das Seminarhotel Wesenufer ist das erste Hotel in Österreich, das aktive Sozialarbeit auf einem hohen Dienstleistungsniveau integriert. Lehrlinge mit Beeinträchtigungen sind drei Jahre, der Großteil der Teilnehmer*innen in den Beschäftigungsmaßnahmen ist zwischen 12 und 15 Monate im Hotel beschäftigt. Danach müssen laut Vorgaben der Kostenträger 26% in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt sein. In den letzten Jahren erreichte das Wesenufer eine Vermittlungsquote von rund 45%.

BUSINESSART: Sozialarbeit und Tourismuswirtschaft – wie geht das zusammen?

Margarete Durstberger: In der Hotelbranche herrscht ein sehr hoher Dienstleistungsanspruch. Durch die unterschiedlichen Beschäftigungsmaßnahmen für psychisch kranke Menschen ist es uns möglich, die einzelnen Aufgaben deren Fähigkeiten zuzuteilen. Dieser personenorientierte Ansatz führt nach unserer 11jährigen Erfahrung zu einer persönlichen Stabilisierung und Stärkung des Selbstwertes, weil jede/r einzelne im Haus seinen Beitrag für das Gesamtgelingen unmittelbar erlebt. Auch das Hotel hat durch die Mitarbeit dieser 50 Personen einen großen Nutzen. Dadurch wird es möglich, handelsübliche Convenience-Produkte für die Küche, wie auch Mehlspeisen, Marmeladen, Kräutersalz, etc. selbst herzustellen.

Was lernen die Menschen konkret bei ihnen und wie erreichen Sie die hohe Vermittlungsquote, zu der ich ihnen gratuliere!

Im Hotel gibt es viele Bereiche, in denen Menschen mit Beeinträchtigungen eingesetzt werden. In der Küche und im Restaurant, in der Rezeption und in der Verwaltung, in der Etage, in der Wäscherei, bei der Haustechnik bis hin zur Betreuung eines integrierten Nahversorgers. Wir decken damit eine Reihe von Berufsbildern ab. Vor allem trainieren die Menschen die Basics, die es braucht, um in der Arbeitswelt Fuß zu fassen. Da geht es um Pünktlichkeit, Freundlichkeit, Team- und Kritikfähigkeit, Stressresistenz sowie ein gepflegtes Auftreten. Wir sind damit auch Dienstleister für die Wirtschaft, weil wir Facharbeiter*innen wieder in den Arbeitsmarkt zurückbringen.

Das ist sicher eine große Herausforderung für die Führungskräfte. Wie funktioniert die Zusammenarbeit?

Wir achten bei der Einstellung neuer Mitarbeiter*innen sowohl auf die fachliche, als auch auf die soziale Kompetenz. Es geht darum, mit Toleranz und Verständnis gut führen und anleiten zu können. Es erfordert eine hohe Führungsqualität, die Menschen mit Beeinträchtigungen wertschätzend abzuholen, ihre Fähigkeiten zu erkennen und zu fördern. Belohnt werden unsere Führungskräfte durch viele kleine Erfolgserlebnisse auf diesem Weg. Wir haben eine sehr geringe Fluktuation, weil der Sinn der Arbeit so unmittelbar spürbar ist. Es geht bei uns nicht darum, dass einige Menschen viel Geld verdienen, sondern dass es vielen Menschen gut geht. Auch mir geht es ganz genau so. An manchen Tagen haben wir wirklich enorme Herausforderungen zu meistern, wenn etwa 150 Seminargäste im Haus sind und zusätzlich nicht geplante Situationen eintreten. An solchen Tagen spüren auch wir unsere Grenzen und sitzen dann oft noch auf unserem schönen Mitarbeiter-Platzerl an der Donau zusammen und atmen gemeinsam durch. Und wir gehen zufrieden nach Hause, weil wir wieder etwas gut gemeistert haben.

Gibt es eine spezielle sozialpädagogische Ausbildung für die Führungskräfte?

Wir bieten in den ersten drei Jahren im Rahmen der Arbeitszeit 200 Stunden Weiterbildung zu den Themen der psychiatrischen Krankheitsbilder, Medikamente, Konfliktprävention und all den rechtlichen Aspekten an. Unsere Schlüsselkräfte lernen mit psychischen Krisen umzugehen und gleichzeitig die Qualität der Dienstleistung aufrecht zu erhalten. Der Gast entscheidet sich zwar für den sozialen Mehrwert, den unser Haus für die Gesellschaft bietet. Das darf sich jedoch nicht negativ auf unser Qualitätsniveau auswirken. Bei uns ist sogar das Gegenteil der Fall: Gäste erzählen uns, dass sich der wertschätzende Umgang der Mitarbeiter*innen untereinander auch auf die Stimmung der Gäste überträgt. Und jeder Gast ist wieder ein Botschafter für die gute Sache.

Das Hotel Wesenufer liegt in einer sehr kleinen Gemeinde direkt an der Donau. Wie wurde die Einrichtung im Ort aufgenommen?

Am Anfang gab es schon eine hohe Schwellenangst in der Bevölkerung. Wie begegne ich Menschen mit psychischen Erkrankungen? Was genau ist bei ihnen anders? Dazu gab es kaum Vorwissen, wenige positive Bilder oder Erfahrungen. Wir haben jede Gelegenheit genutzt, die regionale Bevölkerung von unserem Konzept zu überzeugen. Mit den unterschiedlichsten Kulturevents und Vereinsveranstaltungen, wie z.B. der Sportlerball, der Weihnachtsmarkt oder Vereinsversammlungen, sowie durch das Angebot unseres Nahversorgers mit Produkten des täglichen Bedarfs und Geschenken aus den Werkstätten der pro mente und weiteren non-profit-Organisationen ist uns dies auch gelungen. So kommt fast jeder aus der Gemeinde einmal über die Schwelle des Hauses. Heute spüren unsere Gäste wie auch die Bevölkerung, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen genauso liebenswert und wertvoll sind. Mitarbeiter*innen wie Teilnehmer*innen kommen auch aus der Region, sie erzählen daheim den erlebten Arbeitsalltag, wie es bei uns so ist, das hat die Sicht der Menschen verändert. Durch die heute mittlerweile eingeschränkten Möglichkeiten der öffentlichen Erreichbarkeit und des reduzierten organisierten Fahrtdienstes durch das Land OÖ können wir nicht mehr allen Interessierten eine Beschäftigungsplatz zur Verfügung stellen, was zu Enttäuschung und Unverständnis auf allen Seiten führt.

So ein Hotel ist ja auch wirtschaftlich eine Aufwertung für die Region.

Das ist richtig. Wir haben rund 12.000 Nächtigungen und 10.000 Tagesgäste im Jahr. Dadurch schaffen wir wichtige Arbeitsplätze in der Region, auch weil wir größtmöglich regional einkaufen und Instandhaltungsaufträge regional vergeben.

Sie sind ja nicht nur sozial aktiv, das Hotel ist auch mit den Österreichischen Umweltzeichen und dem europäischen Eco Label ausgezeichnet und ist ein Klimabündnis-Betrieb. Was machen Sie konkret für den Umweltschutz?

Müll vermeiden, weniger Plastik, eine ökologische Reinigung, all das hat bei uns einen hohen Stellenwert. Wir nutzen auch technische Weiterentwicklungen, um den Wasser- und Energieverbrauch zu optimieren. Der Nutzen ist auch ökonomisch spürbar. Ein besonderes Anliegen ist uns eine umfassende Verwendung von Nahrungsmitteln damit möglichst wenig weggeworfen werden muss. Im letzten Jahr haben wir einen eigenen biologischen Kräutergarten eingerichtet. Garteln ist eine Beschäftigung, die ganz besonders erdet, speziell für krisenanfällige Menschen ist das ein Arbeitsfeld mit win-win Charakter. All diese Maßnahmen ermöglichen es uns heute bereits, Veranstaltungen mit dem „green-meeting“ Label anzubieten.

Wie können wir den Klimawandel stoppen?

Nur dadurch, dass der Klimawandel ein weltweites Thema ist und alle notwendigen Maßnahmen abgestimmt umgesetzt werden.

Wer ist dafür besonders in der Pflicht zu nehmen?

Politische Entscheidungsträger und die Bevölkerung, die diese Maßnahmen dann auch mitträgt.

Was sagen Sie zu Friday for Future?

Unsere Generation hat sehr viel zum Wohlstand beigetragen und dafür viel Lebensenergie eingebracht. Wir sind dafür verantwortlich, dass es uns so gut geht. Die Erbengeneration, die jetzt protestiert, ist grundversorgt und muss sich nicht mit den Themen beschäftigen, mit denen ich und meine Eltern konfrontiert waren. Dafür möchte ich nicht pauschal angeklagt werden. Auf der anderen Seite ist es gut, dass es diese Bewegung gibt, dass sie mobilisiert und hohe Aufmerksamkeit auf das Thema Klimaschutz erzeugt. Als Großmutter will ich natürlich, dass meine Kinder und mein Enkerl ein gutes Leben vor sich haben.

Wo liegen die Wurzeln für Ihr nachhaltiges Engagement?

Ich habe in meinem Leben einige Chancen bekommen. Ich habe Menschen getroffen, die mir auch noch eine zweite Chance gegeben haben, und die mich ein Stück weit dabei begleitet haben, den Zugang zu meinen Fähigkeiten zu entdecken und auf diese zu vertrauen. Als Jugendliche war es mir oft peinlich, dass ich von einem Bauernhof komme. Das hat sich aber rasch in Stolz verwandelt: Die Verbundenheit mit der Natur, zu sehen, was wächst, wie der Kreislauf funktioniert aber auch was nicht rund läuft, wenn der Lebensraum zerstört wird. All das hat mich sicher geprägt. Meine Erfahrungen über die Ressourcenverschwendung in der Hotellerie (da denke ich an den täglichen Handtuchwechsel oder an überbordende Buffets) haben mich zum Umdenken animiert und wir versuchen bei uns, einen anderen Weg zu gehen.

Welche Werte braucht es für eine gute Zukunft?

Visionen, Rücksichtnahme, Wertschätzung und Respekt. Es freut mich natürlich sehr, dass ich diese Auszeichnung „Nachhaltige Gestalterin“ bekommen habe, aber ich bin das alles nicht alleine. Die Auszeichnung gebührt auch meinem exzellenten Team, das sich mit vielen Ideen einbringt, mit Umsicht, Professionalität und Freundlichkeit. Genau das braucht es für eine lebenswerte Zukunft – wenn Menschen wohlwollend miteinander umgehen.

Der Satz Ihres Lebens?

Es gibt eine Zeit des Säens und eine Zeit des Erntens!

Margarete Durstberger
Hotel & Seminarkultur Wesenufer
Gegründet: 2008
Sitz: Waldkirchen an der Donau
Mitarbeiter*innen: 38
Website: www.hotel-wesenufer.at

Das Hotel Wesenufer ist eine Einrichtung von pro mente OÖ. Der gemeinnützige, überkonfessionelle und überparteiliche Verein existiert bereits seit rund 50 Jahren. Ziel ist die Arbeit mit und für psychisch kranke Menschen. pro mente beschäftigt rund 1500 Mitarbeiter*innen in 200 Standorten und betreut, berät und begleitet jährlich über 30.000 Menschen mit psychosozialen Problemen.