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Matthias Neitsch, GF RepaNet

„Wenn viele mithelfen lässt sich der Lauf der Geschichte ändern“.

Matthias Neitsch, Foto: Peter Wagner / RepaNet 2021

Matthias Neitsch ist seit 1990 Pionier für Abfallvermeidung und Re-Use, hat 2004 RepaNet mitgegründet und ist dessen Geschäftsführer. Schon immer ging es ihm um politisches Lobbying, Vernetzung der Akteure (auch europaweit) und Umsetzung von konkreten Projekten für mehr Lebensqualität mit weniger Ressourcenverbrauch.

Wichtige Erfolge: Verankerung der Re-Use-Verpflichtung in der Recycling-Baustoffverordnung und die Aufforderung in der Elektroaltgeräte-Verordnung an Sammelstellenbetreiber, mit sozialwirtschaftlichen Re-Use-Betrieben zusammenzuarbeiten.

Aktuelle Schwerpunkte: Entwicklung des sozialwirtschaftlichen Online-Marktplatzes für Gebrauchtprodukte WIDADO, Neuorganisation und stärkere soziale Ausrichtung der Alttextilsammlung, Verbesserung der Wiederverwendung von Möbeln und Elektroaltgeräten, Stärkung der Reparaturcafés und Reparaturbetriebe, Re-Use im Gebäuderückbau und -Neubau (Social Urban Mining).

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Roswitha Reisinger, BUSINESSART, Matthias Neitsch, RepaNet, Christian Brandstätter, LEBENSART. Foto: Martina Draper

BUSINESSART: Was war das Schlüsselerlebnis dafür, dass du diesen Weg eingeschlagen hast?

Matthias Neitsch: Schon als Kind habe ich die Natur sehr geliebt und war viel draußen. Jedes Mal wenn wieder wo ein Stück meiner schönen Plätze zubetoniert wurde, war ich wütend und traurig, konnte aber nichts machen. Bis zur Aubesetzung in Hainburg 1984, wo ich dann vor Ort miterkämpfen und miterleben durfte: wenn viele mithelfen, lässt sich der Lauf der Geschichte ändern.

Was war die größte Herausforderung?

Aus unbezahltem, fundamentalistischen Umweltaktivismus einen existenzsichernden Beruf zu machen, das gab es ja bis Mitte der 1980er-Jahre noch nicht. Erst dann entstanden diese Umweltberufe und ich hatte Glück. Ich wurde 1990 kommunaler Umwelt- und Abfallberater in der Steiermark, zuerst im oberen Ennstal, dann in Bad Aussee.

Das war dann ja doch eine ganz andere Welt. Wie hast du diesen Umstieg bewältigt?

Das war zum Teil ziemlich bitter: ich musste meine langen Haare, Symbol von Freiheit und Widerstand, abschneiden, um die 17 Bürgermeister des oberen Ennstals zu überzeugen, dass ich der Richtige für den Job bin. Es ist geglückt. Später sind die Haare wieder nachgewachsen und ich konnte trotzdem in dem Beruf bleiben.

Was war dein schönstes Erlebnis auf diesem Weg?

Schwer zu sagen, es gab immer wieder Erfolge und schöne motivierende Erlebnisse, vor allem wenn ich das Gefühl erleben durfte, wertgeschätzt zu werden, auch von nicht Gleichgesinnten.

Was hat sich im Bereich der Kreislaufwirtschaft in den letzten 20 Jahren getan und wie schätzt du diese Entwicklung ein? Hat sich genug getan (im Sinne von fundamentalen Veränderungen) oder reden wir da von ein paar Tropfen auf heiße Steine?

Ich glaube es hat sich zu lange zu wenig getan. Aktuell nimmt die Geschwindigkeit positiver Veränderungen zu, leider auch jene der negativen Veränderungen. Ich könnte derzeit nicht sagen, auf welche Seite die Münze letztlich fallen wird. Wenn wir tatsächlich das 1,5-Grad-Ziel erreichen wollen brauchen wir einen drastischen materiellen Reduktionspfad, und der lässt sich im aktuellen Wirtschaftssystem weder abbilden noch in der Politik erkennen.

Wichtig ist, selber nicht nachzulassen im Engagement und im Glauben, dass es möglich ist, das Ruder rumzureißen. Und dass es auch möglich ist, wenn das Ruder sich nicht (mehr) herumreißen lässt, einen globalen systemischen Kollaps, den ich für immer wahrscheinlicher halte, halbwegs gut zu überstehen. Dann geht es darum, mit dem vielen Wissen und den Netzwerken, die schon jetzt von so vielen engagierten Menschen aufgebaut wurden, auf bescheidenerem Niveau ein gutes Leben für alle zu schaffen. Deshalb ist kein Engagement umsonst, ganz im Sinne Martin Luthers: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen“. Denn nach dem Weltuntergang muss es ja irgendwie weiter gehen…????

Was fördert den sorgsamen Umgang mit Ressourcen, was steht dem im Weg?

Die Menschen würden ihn gerne fördern, die Logik des Kapitals steht dem im Weg.

Was sind die wichtigsten drei Hebel, um in die Kreislaufwirtschaft zu kommen?

Erstens das Steuersystem: Ressourcensteuern und Produktivitätssteuern statt Arbeitssteuern. Zweitens die Umverteilung: Spitzensteuersätze für hohe Vermögen und Einkommen auf das Niveau der 1950er und 1960er Jahre raufbringen, das hat global die Verteilungsungerechtigkeit stark reduziert, bis 1980 die Superreichen angefangen haben, sich ihre Steuerprivilegien wieder zurückzuholen, mit dem Ergebnis, dass wir bei der Verteilungsungerechtigkeit wieder fast dort sind, wo wir vor dem 1. Weltkrieg waren, mit den bekannten Folgen. Und drittens das Eigentum: Eigentum muss dem Gemeinwohl dienen. Dann hört sich Ausbeutung von Natur und Menschen auf und wir brauchen dieses blöde materielle Wachstum zur Kapitalakkumulation nicht mehr, dann ergibt sich Kreislaufwirtschaft ganz von selber.

In vielen deiner Projekte geht es über das Thema Ressourcenschonung hinaus sehr stark um soziale Aspekte. Wie wichtig ist dir bei deinem Tun die soziale Dimension der Nachhaltigkeit?

Natürlich ist mir klar, dass meine radikalen Ansätze nicht umgesetzt werden. Darum halte ich einen systemischen Kollaps für wahrscheinlich. Solche Zusammenbrüche hat es in der Geschichte unzählige gegeben, aber dieser wird wohl der heftigste werden. Solche Umbrüche lassen sich dann besser überstehen, wenn Menschen solidarisch in Netzwerken zusammenhalten. Dieses solidarische Netzwerkverhalten erlebt gerade einen ungeheuren Boom. Das ist gut so und gehört mit allen verfügbaren Mitteln unterstützt: Repaircafés, Food-COOP‘s, Baugruppen, Offene Werkstätten, Kostnix-Läden, Nachbarschaftshilfe bei Pflege, Nachhilfe, häuslicher Unterstützung, Seniorengenossenschaften, Energiegenossenschaften, Bürgerstiftungen, Leihläden, Freiwilligenengagement in NGOs, Urban Gardening, „essbare Städte“, und so vieles mehr: all das sind die Keimzellen einer Post-Wachstums- und Post-Kollaps-Gesellschaft, die mir Mut und Hoffnung geben. Deren gesellschaftlicher Wert ist schon auch Ressourcenschonung, aber viel wichtiger noch soziale kollektive Resilienz. Deswegen werde ich nie müde, den Zusammenhang von Kreislaufwirtschaft und sozialer Teilhabe zu betonen, der auch in den sozialwirtschaftlichen Re-Use-Betrieben von RepaNet im Mittelpunkt steht.

Gibt es so etwas wie einen Leitsatz / ein Leitmotiv deines Lebens?

Der erste Sinn des Lebens ist es, sich selbst und anderen Freude zu schaffen, da reicht es oft schon, ein Lächeln zu verschenken. Der zweite Sinn des Lebens ist es, Wissen zu erlangen und weiterzugeben. Und das Lebenselixier, das dies ermöglicht und all das und einen selbst mit allem und allen anderen verbindet, ist Liebe. Die spürt man dann, wenn man die ersten beiden Punkte praktiziert. Das sind dann die seltenen Glücksmomente, oder auch der „Flow“. Also kurz: Gib Freude und Wissen, dann spürst du Liebe und Glück.

Mmmmh. Ich hätte wohl doch lieber Guru werden sollen, dann hätt‘ ich mir viel Stress erspart. Aber zu spät, was solls.

Firma RepaNet, Wien und Graz

Branche: NGO, Interessenvertretung

Anzahl der Mitarbeiter*innen: 12

www.repanet.at