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Menschenrechtsverletzungen in der Elektronikindustrie

Neue Südwind-Studie zeigt große Missstände in wichtigsten Ländern für Elektronikproduktion

Ein Arbeiter führt Lötarbeiten an einer Elektronikplatine durch.
Foto: Quang Nguyen Vinh / Pexels

Eine neue von Südwind beauftragte Studie gemeinsam mit Electronics Watch bietet einen umfassenden Überblick zu arbeitsrechtlichen Problemen in der Elektronikindustrie. Demnach zeigen sich in einigen der weltweit wichtigsten Produktionsländern alarmierende Zustände:

Löhne weit unterhalb des jeweiligen Existenzminimums, gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen und fehlende soziale Absicherung für die Beschäftigten.

„Menschenrechtsverletzungen sind im Elektroniksektor weit verbreitet. IT-Unternehmen aus dem Globalen Norden verlagern ihre Produktion systematisch in Länder mit niedrigen Arbeitsrechtsstandards. Dadurch entstehen intransparente Lieferketten, die geprägt sind von ausbeuterischen Verhältnissen“, erklärt René Schuster, Experte für faire Lieferketten bei Südwind. „Die lasche Gesetzgebung im Globalen Norden verstärkt die Missstände. Auch in Österreich müssen wirksame Schritte gesetzt werden, um gegen Ausbeutung in Ländern des Globalen Südens vorzugehen.“

Die Menschenrechtsorganisation Südwind fordert daher ein gesetzliches Regelwerk für verbindliche Sorgfaltspflichten entlang der gesamten Lieferkette und mehr Engagement für nachhaltige Elektronik auf allen Ebenen.

„Angefangen von der öffentlichen Beschaffung bis hin zum privaten Konsum müssen Reparierbarkeit, Wiederverwendbarkeit und fachgerechte Entsorgung von Geräten zu Leitprinzipien werden. Gleichzeitig muss in ganz Österreich eine lückenlose Infrastruktur für Sammlung, Aufbereitung, Recycling und Wiederverkauf von Elektrogeräten bereitgestellt werden“, sagt Südwind-Experte Schuster.

Öffentliche Beschaffung als wichtiger Hebel

Ein großer Teil der gesamten Elektronik-Produktion wird von öffentlicher Hand eingekauft. Für einen Wandel hin zu faireren Arbeitsbedingungen kann somit die öffentliche Auftragsvergabe eine wichtige Rolle spielen.

„Öffentliche Ausschreibungen müssen konkrete Beschaffungskriterien für die Einhaltung von Arbeits- und Menschenrechten entlang der gesamten Lieferkette enthalten“, fordert René Schuster. Auch Richtlinien auf EU- und UNO-Ebene unterstützen öffentliche Auftraggeber dabei, solche Kriterien festzuschreiben.

Gleichzeitig müssen in den Produktionsstätten seriöse Kontrollen und unabhängige Beschwerdemechanismen vorgeschrieben werden. Bereits über 900 öffentliche Einrichtungen nutzen dafür Electronics Watch, die mit Arbeitsrechtsexpert*Innen im Globalen Süden zusammenarbeiten.

Überstundenzwang, Schuldknechtschaft, Kündigungsverbote

Die Fertigung von Elektrogeräten findet zu großen Teilen in asiatischen Ländern statt. Die Daten zur Studie stammen aus Interviews mit Arbeiter*innen, Gewerkschafter*innen und Vertreter*innen von zivilgesellschaftlichen Organisationen. Damit bietet sie wichtige Einblicke in die Realität der Beschäftigten in der Elektronikindustrie und zeigt den enormen Verbesserungsbedarf auf:

Rauchender Lötkolben.
Foto: Egor Avsyukov / Pexels
Beschäftigte in China, Taiwan, Vietnam, Philippinen, Indonesien, Thailand und Indien berichteten allesamt von erzwungenen Überstunden sowie  mangelhaftem Schutz vor giftigen Chemikalien. Arbeitszeiten von 70 Stunden pro Woche sind eher die Regel als die Ausnahme und die Aufklärung über den sicheren Umgang mit Chemikalien fehlt meist.

In Thailand und Taiwan ist etwa Schuldknechtschaft ein Problem.

Arbeitnehmer:innen aus Nachbarländern sind nach hohen Zahlungen an Vermittleragenturen hochverschuldet oder arbeiten dort ohne Papiere oder nach Abnahme von Reisedokumenten in der ständigen Angst, abgeschoben zu werden.

Ein besonderes Problem in China und Indonesien sind Zwangspraktika für Studierende in Firmen, die nichts mit ihrer Ausbildung zu tun haben. In China ist die Elektronikproduktion zudem geprägt von Beschränkungen des Kündigungsrechts, Täuschungen über Löhne bis hin zu staatlich verordneter Zwangsarbeit ethnischer Minderheiten.

In europäischen Produktionsländern wie Polen oder Tschechien werden oft bewusst ausländische Arbeiter*innen mit unsicherem Aufenthaltsstatus eingesetzt, die sich aus diesem Grund schlechter gegen die Arbeitsbedingungen zur Wehr setzen können.

Konfliktfeld Gewerkschaftsfreiheit – Fallbeispiel Phillipinen

Die Philippinen zählen zu den wichtigsten Ländern in der Elektronikproduktion. Arbeiter*innen erhalten etwa sechs US-Dollar für acht Stunden Arbeit – zu wenig, um ihre Familie zu ernähren.

Gewerkschaften engagieren sich zwar für Lohnerhöhungen, Mitglieder sind jedoch oft Repressionen ausgesetzt, erzählt Julius Carandang, Mitglied der Metal Workers Alliance of the Philippines. Carandang berichtet von Schikanen, unrechtmäßigen Verhaftungen und Morden an Gewerkschaftsmitgliedern. Die seit 40 Jahren auf den Philippinen aktive Gewerkschaft Metal Workers Alliance of the Philippines konnte trotz allem in ihrem Betrieb während des Corona-Lockdowns einen bezahlten Pandemieurlaub durchsetzen.

Hände halten einen Lötkolben, ein Tropfen Lötzinn löst sich gerade von der heißen, dampfenden Spitze, darunter liegt bereits ein Tropfen auf der Arbeitsunterlage.
Foto: Thisisengineering / Pexels
Laut Jessica Bonus, die seit 19 Jahren als Löterin bei MEC Electronics arbeitet, erhalten Angestellte nur 210 US-Dollar pro Monat. Das entspricht etwa einem Drittel des existenzsichernden Lohns.

Sie arbeitet dafür zwölf Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche. In der Fabrik werden Elektrogeräte, Kabel und Drähte produziert.

Die Bedingungen sind heiß, eng und Arbeiter*innen berichten von Lungenerkrankungen durch das Löten. Der Beitritt zur Gewerkschaft ist von der Geschäftsleitung verboten. Viele Gewerkschaftsmitglieder bei MEC haben Angst vor Repressionen.

Forderungen für Lohnerhöhungen sind bisher gescheitert.

DOWNLOADS:

Factsheet: „Elektronik fair produziert?“

Gesamtstudie: „Bericht zu den Arbeitsbedingungen in der Elektronikindustrie“