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Michaela Krömer, Rechtsanwaltskanzlei Klimaanwält*innen

Gesetze sind Spielregeln – sie entscheiden, welches Spiel gespielt wird.

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Michaela Krömer, Foto: Mitja Kobal - Greenpeace

Krömer kämpft als Anwältin für Menschenrechte und Klimagerechtigkeit: 2021 hat sie eine der ersten Beschwerden beim Europäischen Gerichtshof gegen den Staat Österreich eingereicht, weil er sich zu wenig um die Klimaziele kümmert und keine rechtlichen Möglichkeiten geschaffen hat, dagegen wirksam Beschwerde einzulegen. Beschwerdeführer ist Mex M., ein junger Mann, der an Multipler Sklerose erkrankt ist und dessen Krankheit durch Wärme schlimmer wird: Bei 25° ist Mex M. auf den Rollstuhl angewiesen, bei 30° kann er diesen nicht mehr selbstständig anschieben. Krömer sieht einerseits das Recht auf Leben und Gesundheit, andererseits das Recht auf eine effektive Beschwerde verletzt.Alles Rechte, die im österreichischen Verfassungsrang stehen.

2020 und 2022 hat sie darüber hinaus beim Verfassungsgerichtshof gegen klimaschädliche Subventionen geklagt.

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Roswitha Reisinger, BUSINESSART, Michaela Krömer, die Klimaanwält*innen, Michaela Reisinger, LEBENSART. Foto: Martina Draper

BUSINESSART: Warum spezialisiert man sich als Anwältin auf Menschenrechte und Klimagerechtigkeit?

Michaela Krömer: Das ist das Ergebnis einer Reise, bei der ich einen Schritt nach dem anderen gesetzt habe. Ich hatte immer schon einen stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinn – und dadurch ein starkes Bedürfnis, dass die Würde und die Rechte von Menschen gewahrt werden. Ich wollte schon als Kind, dass niemand ungerecht behandelt oder gedemütigt wird. Deshalb haben mich die Rahmenbedingungen, die Gerechtigkeit fördern oder behindern und die Hebel, mit denen sie eingefordert werden kann, fasziniert. Rechte sind nicht nur Worte, sondern auch Hebel – zumindest in der Theorie.

Während meines Studiums habe ich ein Praktikum bei Wolfgang Kaleck gemacht, der das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) gegründet und 2006 eine Strafanzeige zu Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen gegen Donald Rumsfeld, den US-Verteidigungsminister, eingebracht hat. So habe ich die Guantanamo-Akten zu Gesicht bekommen. Danach war ich bei einigen NGOs und später als Anwältin im Asylbereich tätig. Dort ist man tagtäglich mit Menschenrechten konfrontiert. Auch die verschiedensten Bereiche des öffentlichen Rechts berühren die Menschenrechte - man muss sie dabei deshalb immer wieder ins Spiel bringen und zeigen, dass diese Komponente relevant sein kann.

Und wenn man sich so mit den Menschenrechten befasst, dann kommt man an der Klimakrise nicht vorbei. Die Klimakrise und die Biodiversitätskrise sind Krisen der Menschenrechte. Bekommen wir diese Krisen nicht gebacken, dann sind auch die Menschenrechte davon betroffen.

Wie kann man sich Ihre Arbeit vorstellen?

Anwältin zu sein, ist ein Handwerksberuf. Man beginnt nicht mit den großen Fällen, sondern im Kleinen damit, die Konstrukte zu verstehen, zu sehen, wie man ein Thema einbringt und auch welche Dimensionen die Rechte haben. Darauf baut man Stück für Stück auf. Es ist auch eine Art Schreibberuf. Alle Verfahren starten schriftlich und viele Verfahren bleiben es auch, besonders im öffentlichen Bereich. Es geht vor allem darum, sich die unterschiedlichen Punkte genau anzuschauen. Viel zu lesen und darüber nachzudenken, mit Zeug*innen und Beschwerdeführer*innen zu sprechen und dann zu versuchen, das so differenziert und klar wie möglich niederzuschreiben. Im Endeffekt muss man auch viel Sitzfleisch und Ausdauer haben.

Die Tätigkeit als Klimaanwältin unterscheidet sich aber auch vom klassischen Anwaltsberuf: Die Fälle werden weniger an mich herangetragen, weil es strategische Verfahren sind – Verfahren, bei denen man das System ändern und dieses mit professionellem Handwerk besser gestalten will.
Wenn es um so eine grundlegende Änderung geht, ist viel mehr Ausdauer und Kreativität, viel mehr Mut und Konzeption gefordert, weil die Lösungen nicht offenkundig sind und neue Aspekte in den rechtlichen Diskurs eingebracht werden. Oft fehlen grundsätzliche Entscheidungen, deshalb versucht man etwas zu erschaffen, das dem Handwerk und dem juristischen Anspruch gerecht wird.

Wem sitzt man bei einer Klimaklage gegenüber?

Meistens ist es eine David-gegen-Goliath-Struktur. Im öffentlichen Bereich sitzt man dem Staat, der Republik, oder einzelnen Behörden gegenüber – natürlich schon den Vertreter*innen dieser Institutionen, aber man weiß nicht, ob es ein, zwei, zehn Personen sind – je nach Größe des Verfahrens, je nach Fall, ist das sehr unterschiedlich. Bei Klagen gegen Unternehmen ist man oft mit einer Armada von Anwält*innen konfrontiert.

Es ist eine Kunst ist, sich darauf einzustellen, weil man nicht genau weiß, was da passiert. Das ist aber bei den Klimaklagen letztlich nicht viel anders als in anderen Verfahren.

Was war die größte Herausforderung?
Am schwierigsten ist für mich noch immer das Durchhalten. Sehr oft braucht man enorm viel Ausdauer: Ausdauer, um das richtige Thema und die Personen zu finden, die das mit einem machen wollen. Ausdauer, um die Finanzierung aufzustellen. Ausdauer, im juristischen Apparat nicht die Hoffnung aufzugeben. Weil man natürlich langsamer agiert, als das Tempo der Krisen, die uns gegenüberstehen, vorgeben würde. Weil man mit formellen Hürden konfrontiert ist, die nicht immer nachvollziehbar sind. Und weil auch nicht jede Entscheidung fachgerecht und qualitativ hochwertig, sondern manchmal auch motiviert ist. Man ist mit viel Widerstand konfrontiert und muss oft über Jahre durchhalten. Bei einem Verfahren, das ich gewonnen habe, war die Rechtssituation eigentlich seit 17 Jahren klar – trotzdem hat es über drei Jahre hinweg viele Verhandlungen gekostet, bis es durch war. Man muss immer wieder aufstehen.

Das schafft man nicht alleine. Es ist wichtig, dass man Mitstreiter*innen und ein Team hat, mit denen man sich austauschen kann. Viele Menschen, die gestalterisch tätig sind, brauchen so viel Ausdauer –sich gegenseitig aufzubauen ist sehr wichtig. Und man muss auch immer wieder Pausen einlegen, seinen Hobbys und anderen Dingen, die Freude machen, nachgehen.

Sie arbeiten ja stets in Konfliktfeldern – wie hält man das aus?
Ich finde persönliche Konflikte viel schwieriger auszuhalten, weil man dabei viel unmittelbarer in einer zwischenmenschlichen Konfliktsituation steht. Ich arbeite mit einer generellen Konfliktsituation, die wir alle haben und kennen. Für mich ist es fast beruhigend zu wissen, dass ich meinen Beitrag leiste. Dass ich kein schlechtes Gewissen haben, und es auch nicht verdrängen muss, was Menschen manchmal machen, die sich nicht unmittelbar beruflich Themen widmen können, die ihnen wichtig sind. Das ist für mich auch ein Privileg: Ich darf hinschauen, ich darf etwas tun. Auch wenn das keine einfachen Themen sind. Es ist nicht immer leicht, die Bedrohungen unmittelbar vor Augen zu haben. Das ist auch eine der großen Herausforderungen des Berufs, ein permanenter Balanceakt, den man finden muss. Es ist immer eine neue Aufgabe, die Zuversicht nicht zu verlieren, dass alles noch in eine positive Richtung gehen kann. Auch wenn man mit Gegenmeinungen konfrontiert ist. Wenn Verfahren erfolgreich sind, sind ein großer Hebel um Fakten zu schaffen. Und wenn sie nicht erfolgreich sind, sind sie trotzdem ein Hebel, weil sie eine Diskussion gestartet haben.

Es gibt keine Alternative, als das positive Ziel im Blick zu haben. Man kann sich nicht aussuchen, zu welcher Zeit man geboren wird, sondern muss mit dem, was man hat, das Beste machen und Verantwortung übernehmen. Für mich ist dieser Auftrag einfach da. Zu sagen: „Das ist jetzt, was Sinn macht, auch wenn es nicht leicht ist.“ Es hilft, dass man in einer immer wieder in einer Gemeinschaft ist. Wenn man sieht, dass andere auch in ihrem Rahmen tun und kämpfen, dann kommt die Zuversicht.

Was war Ihr schönstes Erlebnis auf diesem Weg?
Ein schönes Erlebnis war, als wir mit Fridays for Future mit unserer Crowd-Funding Kampagne zur europäischen Klimaklage an die Öffentlichkeit gegangen sind und gezeigt haben, dass wir diese Klage einbringen werden. Das war ein großer medialer Erfolg – wir waren in der Washington Post, in Zeitungen in Indien und Taiwan, und wir haben uns alle gemeinsam über diesen ersten gemeinsamen Erfolg unglaublich gefreut.
Die schönen Momente sind vor allem, wenn man gemeinsam an etwas gearbeitet hat und merkt, dass es die ersten Früchte trägt. Ein schöner Moment war sicher auch, wie ich das Verfahren zum Zugang von Asylwerber*innen zum Arbeitsmarkt gewonnen habe – ein Moment, in dem man merkt, man hat wirklich etwas bewegt, man hat wirklich gewonnen. Das ist schon ein kleiner Rausch.

Wo braucht es rechtliche Mittel für mehr Nachhaltigkeit?
Nachhaltigkeit ist nach wie vor ein undefinierter Begriff. Letztlich bedeutet Nachhaltigkeit, dass alle Lebensbereiche transformiert werden. Bildlich gesprochen brauchen wir jeden Gesetzestext grün eingefärbt. Wir müssen uns in jedem Bereich überlegen, was es bedeutet, ihn tatsächlich nachhaltig anzugehen.

Das zweite, was es braucht, sind die grundsätzlichen Rahmenbedingungen – ein Klimaschutzgesetz, vielleicht auch ein Biodiversitätsschutzgesetz – die sagen, wo die Reise hingeht. Sie sind der Entwicklungsdruck und die Planungssicherheit für alle Akteur*innen – die Grundlage für die Transformation. Gesetze sind die Spielregeln, und Spielregeln entscheiden, welches Spiel gespielt wird.

Sind die rechtlichen Rahmenbedingungen für Klimagerechtigkeit mittlerweile ausreichend? Besonders das Konzept der Gerechtigkeit fehlt. Die Klimakrise ist da, und die Folgen spüren jene am stärksten, die am wenigsten dazu beigetragen haben. Das wird vernachlässigt, weil wir uns dazu die Vermögensverteilung anschauen müssen. Das betrifft einerseits den globalen Norden und Süden, was die Lieferkettenrichtlinie viel besser in den Griff bekommen könnte, wenn sie besser gestaltet wäre. Andererseits müssen wir auch innerhalb Österreichs überlegen, wie wir einen Ausgleich schaffen und uns steuerlich in eine andere Richtung bewegen können. Darum geht es beim Steuerrecht – um das Steuern. Und es geht auch um Anpassungsmaßnahmen. Da sind Kosten, die auf uns zukommen und die nicht für alle gleich sind: Hat man in Österreich ein gut saniertes Haus, kann man sich vor Hitze oder Kälte viel besser und kosteneffizienter schützen, als wenn man im schlecht sanierten Altbau mit einem Gaskonvektor und ohne Außenbereich wohnt. Wer zahlt die Zeche und wer hat sie verursacht? Wer zahlt Schutzmaßnahmen für Gemeinden in fragilen Gebieten, damit diese schadensminimierend agieren können? Wer zahlt die Aufbaukosten in Gegenden, die zukünftig von Tornados niedergefegt werden?
Global betrachtet bekommt das noch eine viel größere Dimension, weil die Schäden ja bereits vorhanden sind. Überlegt man sich, wer die Schäden verursacht hat, dann sollte der- oder diejenige zumindest dafür zahlen und auch angehalten werden, weitere Schäden zu verhindern.

Ein Problem ist auch, dass wir an Klimaschutz denken, obwohl es eigentlich ein Menschenschutz ist. Wir denken an die Reduktion von Treibhausgasen, aber überlegen uns nicht, wie wir Ökosysteme schützen können und müssen. Die Biodiversität und die Gerechtigkeit haben wir nicht am Schirm. Diese Themen gelangen erst langsam in den Diskurs – sie zeigen, wie sehr sich unser System ändern muss. Dass es nicht nur um eine Reduktion geht, sondern auch um einen Ausgleich. Das ist immer das schwierigste Thema.

Ändert sich etwas im Rechtssystem – z. B. durch die Klimaklagen?

Das kommt sehr stark auf die Länder und auf die Klagen an, aber grundsätzlich schon. Natürlich bewegt sich auch etwas durch die Energiekrise und den Krieg – wir nehmen nun den Ausbau der erneuerbaren Energien ernst und denkt über Energiesparen, Gebäudedämmung und -sanierung nach. Ein großes, schwieriges Thema ist der Verkehr, der Individualverkehr ist ein sehr emotional besetztes Thema. Das Klimaticket ist für Österreich ein guter Start. Auf der europäischen Kommissionsebene gibt es viele Vorschläge – es passiert also schon etwas.

Es ist wichtig, das auch zu kommunizieren, damit die Menschen mitmachen. Es braucht noch viel mehr, und das wichtigste, das jeder dazu beitragen kann, ist politisches Engagement – zu Klimastreiks zu gehen, sich ein bisschen einzubringen. Das individuelle Verhalten muss auf das Kollektiv ausgerichtet sein, um das Ganze schaffen zu können. Die Menschen müssen hören, dass etwas passiert. Und dass auch noch sehr viel möglich ist, wenn noch mehr Leute anschieben.

Das beste Beispiel sind Fridays for Future. Sie wurden 2018 gegründet, bis dahin wurde kaum über das Klima geredet. Es war nicht präsent. Innerhalb kürzester Zeit hat sich die ganze Agenda, haben sich die Themen und nun auch die Gesetze geändert. Auf einmal hat das Thema Klima eine Wahl beeinflusst. Das sollte uns allen zeigen, wie es geht und was es noch braucht.

Es ist für Österreicher*innen vielleicht schwer greifbar, dass es wirklich wertvoll ist, wenn man sich die Zeit nimmt und zwei Stunden auf eine Demo geht, sich engagiert, vielleicht selber eine organisiert. Natürlich ist der Gesetzgeber am Zug, aber er muss verstehen, dass das vom Souverän – dem Volk – gewollt ist. Wenn die Menschen aber nicht zeigen, dass sie das wollen, dann wird weniger passieren.

Wenn viele Menschen dabei sind, geht vieles durchaus ganz schnell. Natürlich gibt es noch viele andere Möglichkeiten sich kollektiv auf lokaler Ebene zu organisieren – mit Foodcoops oder anderen Initiativen durch die man eine Shared Economy einmal leben kann. Es ist auch wichtig, Dinge lokal zu beginnen – denn diese lassen sich dann global kopieren. Da gibt es sehr viele Möglichkeiten, die gar nicht so aufwändig sind.

Noch eine persönliche Frage: Gibt es so etwas wie einen Leitsatz Ihres Lebens?

„If you shoot to the moon and miss it, you still end up amongst the stars.”

Die Klimaanwält*innen (in Gründung), Wien

Branche: Recht

Anzahl der Mitarbeiter*innen: im Aufbau, geplant 2-3 MAs

www.michaelakroemer.com