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Natalie Glas, Umweltbundesamt

Die Green-Finance-Pionierin.

Foto: Karin Kamiki

Als Green Finance Pionierin leitete sie das erste österr. Forschungsprojekt zu Klimarisiken im Finanzsektor und motivierte über 200 Stakeholder*innen aus Finanzsektor, Aufsichtsbehörden u. NGOs an den Dialogformaten zum Kapazitätsaufbau teilzunehmen. Sie hat den Bereich Green Finance im Umweltbundesamt aufgebaut. Ihr Team gilt mittlerweile auch über die Grenzen hinaus als Green Finance Knowledge-Hub. Auf internationaler Ebene gehört sie zu den Gründungsmitgliedern der „EPA Interest Group Green Finance“ der europäischen Umweltagenturen sowie der „DACH+LIE+LUX Arbeitsgruppe für grüne Finanzen“. Im Rahmen der „EU Platform on Sustainable Finance“ berät sie u.a. die EU-Kommission und setzt sich für eine wissenschaftsbasierte Taxonomie ein.

Natalie Glas ist am Land aufgewachsen. Als Kind war sie mit ihren Eltern und Geschwistern viel in den heimischen Wiesen, Wäldern und Bergen unterwegs. So entwickelte sie früh einen Sinn für die Leistungen der Natur. Sie studierte Landschaftsplanung und absolvierte zusätzlich Kurse der Studienrichtungen Forstwirtschaft und Technischer Umweltschutz an der Universität für Bodenkultur und an der TU Wien. Später folgten Ausbildungen für Marketing und Risikomanagement.

„Als Umwelt-Expertin war ich in diesen Lehrgängen vielfach eine Exotin. Umso größer war mein Antrieb, auf das zu setzen, was ich gelernt habe und meine große Leidenschaft ist: Wissen gemeinsam weiterentwickeln, Lösungen für knifflige Situationen finden und Menschen vernetzen. Also bin ich gezielt auf Expert*innen aus dem Finanzsektor zugegangen und habe mit ihnen diskutiert, wie Klima- und Umweltrisiken ins Risikomanagement integriert werden können und einzupreisen sind. Dabei bin ich erst einmal auf viele taube Ohren gestoßen und es gab nicht wenige frustrierende Erlebnisse.“

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Roswitha Reisinger, BUSINESSART, Natalie Glas, Umweltbundesamt, Michaela Reisinger, LEBENSART. Foto: Martina Draper

BUSINESSART: Bei so viel Gegenwind: Wie haben Sie es geschafft, motiviert zu bleiben?

Natalie Glas: Ich gebe nicht schnell auf. Wenn ich etwas wirklich wichtig finde, dann kann ich sehr ausdauernd sein. Zum Durchhalten haben mich auch Kolleg*innen bewegt, und natürlich meine Vorgesetzten. Sie haben mein Engagement von Anfang an wohlwollend toleriert, obwohl das Thema noch ein Nebenschauplatz im Umweltbereich war. Sie haben mir vertraut, dass es wichtig ist und dass es etwas bringt. Dadurch konnte ich Wissen aufbauen und Projekte an Land ziehen. Das war sehr ermutigend.

Auf der Suche nach offenen Ohren und Verbündeten begegnete ich zudem faszinierenden Menschen, sehr viele davon waren Frauen. Wir gründeten informelle und formale Netzwerke, wie z.B. die „DACH+LIE+LUX Arbeitsgruppe für grüne Finanzen“ und die „EPA Interest Group Green Finance“ des Netzwerkes der Europäischen Umweltagenturen (European Network of the Heads of Environment Protection Agencies, EPA Network). 

Gab es auch Rückschläge?

Natürlich. Die größte Herausforderung war, dass es damals noch keine Regulatorik gab. Für die Politik und auch für die Aufsichtsbehörden haben die Themen Priorität, die von der EU gesetzlich geregelt sind und daher umgesetzt werden müssen. Für Klima- und Nachhaltigkeitsrisiken im Finanzsektor gab es damals nur wenig Verständnis und teils auch eine Auslegung von Gesetzen und Mandaten, die in Zeiten des Wandels nicht mehr zeitgemäß ist. Wie zum Beispiel dass die Europäische Zentralbank bestrebt war, , Preisstabilität durch eine “marktneutrale“ Geldpolitik zu wahren. Dies führte dazu, dass  die großen fossilen Konzerne vom Unternehmensanleihen-Ankauf durch die EZB übermäßig profitierten, da einerseits der Großteil der am Markt verfügbaren Anleihen aus diesem Sektor stammte und andererseits die Rating-Agenturen Klimarisiken nur unzureichend berücksichtigten. Das galt auch für Unternehmen der Finanzwirtschaft, wie unsere Analysen im Forschungsprojekt RiskFinPorto zeigten: Nur 30 % der Befragten Finanz-Expert*innen gaben an, dass Aufsichtsräte und Vorstände sich für das Management von Klimarisiken interessierten. Und lediglich 12 % wussten, dass Vermögensverwalter aufgrund der damals bestehenden Rechtsvorschriften verpflichtet waren, Klimarisiken bei ihren Anlageentscheidungen zu berücksichtigen. Das heißt, 88 % schätzten den erforderlichen Umgang mit diesen Risiken nicht korrekt ein. Eine weitere Analyse zeigte, dass österreichische Aktien- und Unternehmensanleihen-Fonds im internationalen Vergleich eine signifikant höhere CO2-Intensität aufwiesen als die Benchmark. Das war erst einmal eine herbe Enttäuschung, aber gleichzeitig wurden auch Viele wachgerüttelt. Es folgen zahlreiche herausfordernde Diskussionen. Letztendlich haben mich diese aber stärker gemacht. Ich vertiefte mich in die wenige Literatur, die es damals dazu gab, vernetzte mich mit Expert*innen, die zu diesem Thema forschten, aber auch mit Rechtsanwälten um Umwelt- und Klimarisiken als anerkanntes Risiko in der Finanzbranche zu etablieren.

In Zeiten des Umbruchs ist es wichtig, seine Strategie immer wieder zu hinterfragen, die Klimaszenarien und Transformations-Pfade anzusehen und zu überlegen, was es in den nächsten 10 oder 20 Jahren braucht. Denn langfristige Stabilität kann es nur geben, wenn die Ziele des Europäischen Grünen Deals und des notwendigen wirtschaftlichen Wandels nicht konterkariert, sondern unterstützt werden. Mittlerweile hat die EZB bekannt gegeben, ihre Strategie für den Ankauf von Unternehmensanleihen anzupassen und künftig klimabezogene Kriterien, wie etwa die Treibhausgasemissionen von Unternehmen, Transformations-Pläne und die Qualität der Klimaberichterstattung in ihre Entscheidungen einzubeziehen. Auch auf nationaler Ebene gab es in den letzten Jahren große Fortschritte. So hat beispielsweise die Finanzmarktaufsicht einen Leitfaden zum Management von Nachhaltigkeitsrisiken veröffentlicht und das Klimaschutzministerium hat die Green Finance Alliance gegründet.   Auf EU-Ebene legte der EU-Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums im Jahr 2018 den Grundstein für einschlägige Regulatorien, wie beispielsweise für die Taxonomie und die Offenlegungsverordnung. Heute kann man sagen, dass das Managen von Klimarisiken im Mainstream angekommen ist. 

Eine große Herausforderung ist allerdings immer noch, dass Politik und Wirtschaft sehr vom Tagesgeschäft und von kurzfristigen Erfolgen getrieben sind. Sie denken noch zu kurzfristig und zu wenig nachhaltig. Daher muss man immer die besseren Argumente und aktuelle Zahlen parat haben, um Gehör zu finden und Bewusstsein zu schaffen.

Gab es besondere Ereignisse, die das Thema vorangebracht haben?

Ein Schlüsselmoment war für mich die Rede „Breaking the Tragedy of the Horizon – climate change and financial stability“ von Mark Carney, dem damaligen Gouverneur der Bank of England, im September 2015. Er war der erste, der die physischen Risiken, aber auch die Transitions- und Haftungs-Risiken des Klimawandels aufgezeigt hat und klar machte, dass die Klimakrise den Finanzsektor im großen Stil treffen kann, zum Beispiel durch Stranded Assets. Ich war erleichtert, dass endlich ein hoch angesehener Entscheidungsträger aus dem Finanzbereich die Herausforderungen durch die Klimakrise öffentlich adressierte. Mit seiner Rede hat er sich leider nicht nur Freunde gemacht, sondern wurde von internationalen Finanzgrößen und Medien damals teils stark kritisiert.

2015 wurde auch das Übereinkommen von Paris von 196 Vertragsparteien beschlossen. Für mich war damals endgültig klar: „Green Finance“ wird mich nicht mehr loslassen.

Worauf sind Sie stolz?

Rückblickend bin ich stolz darauf, neben meinem Job das Studium abgeschlossen zu haben. Stolz bin ich auch, wenn es mir gelingt, Menschen zu motivieren, Brücken zu bauen und wissenschaftliche Erkenntnisse über Klima und Umwelt in die Sprache der Finanzwirtschaft zu übersetzen. Dass ich damit zu den Green Finance Pionierinnen zähle, freut mich. Das erste österreichische Forschungsprojekt zu Klimarisiken im Finanzsektor, das ich geleitet habe, hat gezeigt, dass dieser Sektor ein wichtiger Hebel auf dem Weg zur Klimaneutralität ist und welches Potenzial darin liegt. In meiner Funktion im Umweltbundesamt kann ich die Initiativen der österreichischen und europäischen Green Finance Agenda (z.B. Green Finance Alliance, EU Taxonomie) mitgestalten und ein großartiges Team leiten, das mittlerweile weit über die Grenzen hinaus als Green Finance Knowledge-Hub wahrgenommen wird.

Was ist Ihre größte Herausforderung?

Die größte Herausforderung war und ist, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Privat habe ich nach wie vor oft ein schlechtes Gewissen, weil ich zu wenig Zeit mit meiner Familie verbringe. Aber ich arbeite in einem familienfreundlichen Unternehmen und habe den Kindern beigebracht, wie man Essen kocht. Das beruhigt zwar nicht das schlechte Gewissen, hilft ihnen aber jetzt und in Zukunft.

Sehr fordernd war auch die Zeit, in der Green Finance im Finanzsektor noch kein Thema war und ich als “One-Woman-Show“ bei den Verantwortlichen Bewusstsein dafür schaffen musste, dass es sich bei Green Finance um kein Nischen- sondern ein wichtiges Zukunftsthema handelt. Beruflich hat es mir geholfen, Vertrauen aufzubauen, Kolleg*innen für das Thema zu begeistern, Netzwerke zu gründen, konsequent dranzubleiben, mich nicht entmutigen zu lassen, viel zu arbeiten und Projekte zu akquirieren, die Mitarbeiter*innen finanzieren. Was mich motiviert ist, zu beweisen, dass Green Finance hochrelevant und auch ökonomisch tragfähig ist.

Was sind Ihre nächsten Schritte?

Ich möchte auch in Zukunft Finanzunternehmen Mut machen, ihre Portfolios am 1,5°C Klimaziel gemäß Übereinkommen von Paris auszurichten und Mitglied der Green Finance Alliance zu werden. Diese Initiative des Klimaschutzministeriums wird maßgeblich vom Umweltbundesamt mitgestaltet und mit Trainings und Vorträgen unterstützt, z.B. zur Implementierung von Klimazielen, zu Maßnahmen zur Eindämmung der Klimakrise und der ökologischen Krise, zur EU Taxonomie, zu Szenarien und Methoden u.v.m. Zudem arbeiten wir im Team daran, aktuelle inhaltliche Schwerpunkte zu verankern und weiterzuentwickeln, etwa zu den Themen Green Finance & Impact oder Green Finance & Biodiversität.

Wie lautet der Leitsatz Ihres Lebens?

Change tomorrow today. Ich habe ihn mir ausgeliehen. Er stammt von Angie Rattay.

Klar ist, wenn man was ändern will, muss man selber was tun. Man kann nicht auf die Politik warten, denn Politik muss Kompromisse aushandeln und bezogen auf die erforderliche Geschwindigkeit der Energiewende mahlen die Mühlen zu langsam. Man kann Vieles tun, erzählen, vorleben, begeistern, andere motivieren, ihnen Mut machen. Wenn jede und jeder Teil der Lösung sein will, dann schaffen wir die Transformation.

Umweltbundesamt

Branche: Expert*innen-Organisation für Umweltthemen

     Anzahl der Mitarbeiter*innen: 541 Mitarbeiter*innen am Umweltbundesamt. Das Green Finance - Kernteam besteht aus 7 Expert*innen.

     www.umweltbundesamt.at, www.bmk.gv.at/green-finance/alliance/