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Stefan Doboczky, Lenzing AG

Die Lenzing Gruppe ist weltweit führend in der klimaschonendenden und nachhaltigen Herstellung holzbasierter Cellulosefasern für Textilien und Vliesstoffe.

Stefan Doboczky
Doboczky-S_Interviewsituation Foto: Lenzing-AG

Lenzing hat sich das Ziel gesetzt, seine spezifischen CO2-Emissionen bis 2030 um 50 Prozent zu reduzieren, 2050 soll ohne Netto-CO2-Emissionen produziert werden. Das Unternehmen investiert daher mehr als EUR 100 Mio. in die Einsparung von Energie, in die weitere Umstellung auf Erneuerbare Energien und in neue Technologien. Lenzing bezieht 99 % des benötigten Holzes aus FSC- und PEFC-zertifizierten und kontrollierten Quellen.

BUSINESSART: Noch vor 30 Jahren waren Lenzing und Umweltschutz zwei unterschiedliche Universen. Heute ist Lenzing ein ökologischer Vorzeigebetrieb. Wie ist das gelungen?

Stefan Doboczky: In den 1980er Jahren war schon klar, dass Lenzing die Umwelt in einer Art und Weise belastet, die das Leben rund um die Firma stark beeinträchtigt, sei es der Schaum auf der Ager, der saure Regen oder die permanente Geruchsbelästigung. Das haben die Menschen nicht mehr akzeptiert, und auch der Gesetzgeber hat nachgezogen. Wir haben daher massiv in Abwasseraufbereitung und in die Reduktion der Luftemissionen investiert. Zug um Zug sind die Ökostandards der Lenzing AG immer besser geworden. Wir waren im internationalen Vergleich das einzige Unternehmen der Branche mit hohen Umweltstandards - so wurden wir zu einem Vorzeige- und mittlerweile Leitbetrieb.

Die Investitionen müssen sich ja auch rechnen. War das nicht ein Nachteil im internationalen Wettbewerb?

Das war durchaus eine schwierige Situation. Wir mussten Emissionen reduzieren damit wir überleben und in Umwelttechnologien investieren, ohne dass die Kund*innen dafür mehr gezahlt haben. Wir mussten viele Jahrzehnte mit diesem Kostennachteil leben. Unsere Positionierung als Leitbetrieb für eine umweltbewusste Faserproduktion ist mittlerweile bei Textilmarken und Kund*innen positiv angekommen. Unser Einsatz wird mittlerweile auch bezahlt.

Ihre Fasern gelten als besonders umweltfreundlich. Wodurch unterscheiden sie sich von Baumwolle, Polyester, usw.?

Nachhaltigkeit in der Textilbranche ist unheimlich komplex – man muss verschiedene Blickwinkel berücksichtigen: Weltweit werden jährlich 106 Mio. Tonnen Fasern produziert, davon rund zwei Drittel auf der Basis von Erdöl – wie zum Beispiel Polyester, Polyacryl oder Polyamid und ein Drittel sind naturbasierte Fasern. 25 Prozent vom gesamten Kuchen macht die Baumwolle aus, rund sechs Prozent die holzbasierten Fasern.

Erdölbasierte Fasern bauen sich nicht ab und das ist ein schwerwiegendes Problem, wenn man weiß, dass von den über 100 Mio. Tonnen Fasern nichts rezykliert wird. Es landet alles auf Müllhalden, in den Ozeanen oder es wird verbrannt. Das Mikroplastik macht noch Jahrzehnte oder vielleicht Jahrhunderte Probleme. Bei Baumwolle oder holzbasierten Cellulosefasern gibt es bereits nach einigen Quartalen keine Rückstände mehr, weil alles natürlich abgebaut wird.

Aus ökologischer Sicht gibt es ja auch Unterschiede innerhalb der naturbasierten Fasern.

Selbstverständlich. Die Produktion von Baumwolle braucht im Vergleich zu unserem Lyocell um den Faktor 20 mehr Wasser. Bewässerungssysteme für den Anbau von Baumwolle trocknen ganze Regionen regelrecht aus, etwa rund um den Aral- oder Baikalsee. Ein weiteres Problem ist der Einsatz von Pestiziden. Der Baumwollanbau erfolgt weltweit auf rund vier Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche, er verbraucht dabei jedoch 15 bis 17Prozent der weltweit eingesetzten Pestizide. Für holzbasierte Cellulosefasern braucht es keine Pestizide. Wir nehmen die Buche aus den Wäldern, die nur mit dem vorhandenen Boden und dem Regen gewachsen ist. Lediglich bei den Eukalyptuswäldern braucht es etwas Dünger, aber ansonsten keinen Einsatz von Chemie. Auch der Energieeinsatz bei der Produktion von holzbasierten Fasern ist deutlich niedriger als bei Baumwolle.

Stefan Doboczky mit Urkunde
Stefan Doboczky wird als Nachhaltiger Gestalter 2019 ausgezeichnet.

Woher kommt das Buchenholz für die Lenzing-Fasern?

Alles kommt aus Regionen in einem Radius von etwa 300 bis 400 Kilometern. Sehr viel aus Österreich, Tschechien, Slowakei, auch Bayern ist ein großer Lieferant. Manchmal gibt es Situationen, so wie in den letzten Quartalen, dass wir weiter entfernt einkaufen müssen.

Gibt es einen Engpass beim Buchenholz?

Nein, ganz und gar nicht. Der Buche geht es gut, die Rohstoffverfügbarkeit ist hervorragend. Das Problem ist, dass das massive Fichtensterben durch den Borkenkäfer die Kapazitäten der Forstwirtschaft bindet. Das Schadholz muss schnell aus dem Wald gebracht werden, damit sich der Schädling nicht weiter ausbreitet. Wir mussten daher bis nach Frankreich gehen, um Buche zu kaufen.

Wie werden holzbasierte Textilfasern hergestellt und wo wird in diesem Prozess Energie eingesetzt?

Das Holz besteht im Wesentlichen aus zwei Komponenten, Zellstoff und Lignin als Bindemittel. Dieser „Kleber“ muss herausgekocht werden, der Zellstoff wird dann gepresst, getrocknet und danach mit einem Lösungsmittel aufgelöst. Das Material hat anschließend die Konsistenz eines Honigs. Daraus werden die Fäden gezogen, behandelt und getrocknet, das Lösungsmittel kommt wieder in den Kreislauf zurück. All diese Schritte benötigen mehr oder weniger Energie.

Welche Energieträger werden verwendet?

Das hängt vom Standort ab. Hier in Österreich verwenden wir größtenteils Bioenergie. Die Reste des Holzes, die nicht zu Fasern verarbeitet werden, verbrennen wir und machen daraus Dampf und Strom. In China produzieren wir heute noch mit Kohle. Dort werden wir aber auf Gas umstellen. Im neuen Werk in Thailand werden wir auch gleich von Beginn an Bioenergie verwenden, auch in Brasilien werden wir Bioenergie einsetzen.

Lenzing will in nur 10 Jahren die CO2 Emissionen halbieren? Wieviel können Sie einsparen und wieviel an fossiler Energie können Sie durch erneuerbare ersetzen?

Dazu haben wir ein  detailliertes Maßnahmenpaket auf den Weg gebracht, für das wir rund 100 Mio. Euro einsetzen werden. Es beinhaltet drei wesentliche Stoßrichtungen. Erstens: die Substitution von umweltbelastender Energie mit Alternativenergie und damit die Veränderung des Energiemix. Zweitens: wir gehen Zug um Zug aus Produkten raus, die sehr CO2 intensiv sind. Das Wachstum soll mit Produkten generiert werden, die weniger Energie brauchen und die an Standorten produziert werden können, die eine bessere CO2 Bilanz haben. Drittens haben wir ein konzernweites Programm, das sich auf die Reduktion der Energieintensität der Prozesse fokussiert. Alles zusammen bringt uns das bis 2030 ganz sicher zu dem vorgegebenen Ziel. Bis zur absoluten Klimaneutralität braucht es sicher noch einige technologische Meilensteine, aber da haben wir ja auch noch ein wenig Zeit.

Lässt sich dieses neuerliche Engagement in Sachen Nachhaltigkeit heute auch wirtschaftlich darstellen?

Ja, ich denke das hat mit zwei Dingen zu tun. Kleidung zu kaufen ist mit mehr Emotion verbunden als bei anderen Produkten. Die Konsument*innen werden wacher und realisieren mehr und mehr, dass das, was sie kaufen, möglicherweise auch die Umwelt belastet. Sie fragen zunehmend, wie die Produkte hergestellt wurden. Das zweite, und das ist ein Spezifikum unserer Branche, ist die Transparenz. In jedem Kleidungsstück finden Sie die Information eingenäht, aus welchem Rohstoff es gemacht wurde – aus Baumwolle, Wolle, Polyester oder eben Lyocell. Bewusste Konsument*innen suchen nach umweltfreundlichen Produkten und können sie durch die Kennzeichnung auch finden.

Gibt es auch persönliche Wurzeln für Ihr nachhaltiges Engagement?

Wenn man durch Borneo fährt und nur mehr Palmölplantagen sieht, wenn man am Great Barrier Reef in Australien war und sieht, wie die Korallen ausbleichen –das ist schon etwas, das sehr, sehr weh tut.

Wie können wir den Klimawandel stoppen und was müssen wir dafür tun?

Wir brauchen deutlich höheres Engagement von Entscheidungsträger*innen in Unternehmen und in der Politik. Und wir brauchen eine deutlich höhere Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung, dass der Klimawandel ein veritables Thema ist und die Entscheidungen Konsequenzen für einen selbst haben. Es geht um die Frage, was man kauft, wie viel man kauft oder worin man investiert. Wir brauchen wachere und lebendigere Konsument*innen. Auf alle Fälle brauchen wir eine Form des CO2 Pricings. Da gibt es viele mögliche Schienen, aber CO2 muss preislich spürbar werden.

Wie stehen Sie zu Friday for Future?

Ich finde es extrem toll, eine interessierte Jugend zu haben, die sich für ihre Zukunft engagiert. Viele von uns sind Eltern oder Großeltern und wir wollen nichts mehr, als dass es unseren Kindern und Enkelkindern gut geht. Neben der ganzen Emotionalisierung und Mobilisierung ist aber wichtig, dass Wirtschaft, Wissenschaft und Politik Dinge tun, die auch wirklich einen Effekt haben und sich nicht mit Scheinaktionen begnügen.

Welche Werte braucht es für eine gute Zukunft?

Verantwortungsgefühl, das weit über ein Quartal hinausgeht, wirklich langfristig, auch wenn man weder als Politiker*in noch als Unternehmenslenker*in einen persönlichen Nutzen davon hat. Es ist wichtig, zukunftsfähige Entscheidungen zu treffen, auch wenn das schwer ist. Auch Mut brauchen wir, zu unpopulären Entscheidungen, zum Risiko und auch dahinter zu stehen. Ein hohes Maß an Empathie für Völker und Kulturen, die in einem viel schwierigeren Umfeld sind als wir und ganz anders unter dem Thema leiden. Und dass man nicht notwendigerweise meint, wo die Landesgrenze aus ist, ist auch das Problem aus.

Der Satz Ihres Lebens:

Was Du nicht vorlebst, erwarte nicht von Anderen.

Dr. Stefan Doboczky, MBA, Vorstandsvorsitzender
Lenzing AG
Gegründet: 1938
Sitz: Lenzing
Mitarbeiter*innen: 6.800
Website: www.lenzing.com