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Wandel ist gesund

Veränderungen sind allgegenwärtig. Trotzdem können sie verunsichern und tatsächlich bergen betriebliche Veränderungsprozesse Gesundheitsrisiken für die Belegschaft. Ein gesundheitsfördernder Führungsstil beugt vor.
Mascha K. Horngacher

Laptop mit Fotos von Menschen in einer Videokonferenz
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Mitarbeiter*innen: von der Ressource zur Source

Von Geburt an sind wir Menschen auf Entwicklung aus. Wir streben nach Wirksamkeit und finden in der Arbeit einen Weg zur Selbstverwirklichung. Diese Sicht auf den Menschen erlaubt Führungskräften, Potenziale zu sehen und zu bergen. Wir können dieses Potenzial als Schatz betrachten, für die jeweilig persönliche, aber auch betriebliche Entwicklung. Menschen sind die Quelle der Wertschöpfung. Das Aufrechterhalten ihrer Gesundheit liegt auf der Hand.

Große Veränderungen im Unternehmen bedeuten für Mitarbeiter*innen aber immer eine Mehrbelastung. Routinen werden verlassen, Fehler und Konflikte können sich häufen und psychosomatische Beschwerden oder persönliche Krisen auslösen. Von den drei Ks – Konflikt, Krise, Krankheit – spricht Dr. Rudolf Karazman, Psychotherapeut und Arbeitsmediziner. Einen Weg der Prävention nennt er zugleich: Human Quality Management – eine menschengerechte Unternehmensführung.
Karazman ist Gründer des IBG – Innovatives Betriebliches Gesundheitsmanagement, ein Beratungsunternehmen, das eine gesunde und nachhaltige Unternehmens- und Personalentwicklung fördert. Der Fokus gilt den Wechselwirkungen zwischen betrieblichem und persönlichem Wachstum. Das Ziel ist eine humane und wirtschaftliche Arbeitswelt.

Drei Zielqualitäten

„Wenn die humanökologische Qualität des Arbeitslebens verwirklicht ist, dann ist die Arbeit selbst gesundheitsfördernd, nachhaltig und mit der besten Produktivität verbunden“, so Karazman. Sein humanökologisches Modell der Arbeit orientiert sich an den sozialen, personalen, psychischen und biologischen Gesetzmäßigkeiten der Menschen und der menschlichen Arbeit. Er verweist auf die drei Zielqualitäten Sinnfindung, soziale (Ein-)Beziehung und psychobiologische Verausgabung. Die beiden ersten Qualitäten sollten bei dem/der Mitarbeiter*in maximal ausgeprägt sein. Letztere, die psychobiologische Verausgabung, sollte im Optimum liegen. Das bedeutet, dass Anforderung und Arbeitsfähigkeit des Menschen übereinstimmen. Zu diesen Qualitäten soll die Führungskraft hinführen.

Führung heißt Co-Führung

Wichtig ist aber, sagt Karazman, Führung immer als „Co-Führung“ zu verstehen: „Mitarbeiter*innen müssen sich selber führen und nicht nur geführt werden. Denn nur ich kann für mich beurteilen, ob ich gut gefordert bin und noch immer Reserven habe oder im roten Bereich arbeite.“ Dieser Selbstevaluierung im Sinn von Selbstverantwortung im Arbeitsprozess muss Raum gegeben werden – eine Führungsaufgabe und Führungsqualität.

Führungsaufgaben gegenüber den Mitarbeiter*Innen:

  • Herausforderungen und soziale Einbeziehung bieten
  • Arbeitsfähigkeit und Anforderungen aufeinander abstimmen
  • strukturierte Personalentwicklung mit Karrieremöglichkeiten und Fortbildungen
  • eine interessante Unternehmenskultur gestalten, die das Abenteuer „Ich“ auch im Arbeitsalltag lebbar macht

Die Rolle der Dirigent*innen

„Als Führungsperson muss man Menschen schon mögen, um Führungsaufgaben zu erfüllen“, zitiert Karazman den ehemaligen Kunden Ing. Heinz Bocksrucker. Gemeinsam mit den Mitarbeiter*innen gelang es ihm während seiner Führungszeit bei Polyfelt Geosynthetics, einem Hersteller von Geokunststoffen, das Unternehmen vom Konkurskandidaten zum Weltmarktführer zu entwickeln. Unter anderem mit einem neuartigen optionalen Schichtmodell. Er machte es ebenso zum Standard, ein Mal im Jahr mit jedem/jeder Mitarbeiter*in zumindest zehn Minuten zu sprechen – an jedem der vier internationalen Standorte.

Zur Veranschaulichung des Zusammenspiels von Führungskraft und Belegschaft zieht Karazman gerne das Bild eines Orchesters heran: Die Mitarbeiter*innen sind der Mittelpunkt, sie spielen, sorgen für Produktivität und Qualität. Die Führungskraft dirigiert, damit die Zusammenarbeit zu allen Stakeholdern gut funktioniert. Voraussetzung dafür ist das Einbeziehen in die „Schönheit der Aufgabe“. Dafür sorgen eine klare Zielvorgabe von der Führungsperson und die Freiheit der Mitarbeiter*innen, den Weg dorthin selber zu wählen. „Dann“, erklärt Karazman, „entsteht vom Ziel her eine Anziehungskraft, eine Intentionalität. Das ist die Dynamik der Sinnfindung.“
Wenn eine monotone Arbeit selber keinen Sinn erlaubt, ist die Herausforderung, das Arbeitsleben so zu gestalten, dass die Belegschaft außerhalb der Arbeit Sinnpotenziale entfalten kann – über die Förderung von Freundschaften, sportlichen Betätigungen oder Gesundheits- und Zufriedenheitszirkeln.

Wie lässt sich die humanökologische Qualität messen?

Der Human Work Index® ermittelt Arbeitsvermögen und Führungsvermögen. Der Fragebogen umfasst 32 Fragen:

  • Arbeitsvermögen-Analyse durch die drei Dimensionen Arbeitsbewältigung, Arbeitsinteresse und Zusammenarbeit
  • Analyse des Führungsvermögens über den Führungsprozess
  • Analyse der Lebensführung mittels der drei Dimensionen Gesundheit, Wohlbefinden und Lebensqualität

Problemfall(e)

Gesundheit definiert Mediziner Karazman als etwas, das durch äußere Umstände erhalten werden kann. Krankheit ist die zweitbeste Lösung für Widersprüche zwischen Person und Anforderung. Vor der Ansicht, der Mensch sei das Problem, warnt er. Konflikt, Fehler, Stillstand, Überforderung, Unfall oder Widerstand sind Symptome hinter denen sich Produktivitätspotenziale verbergen. „Im Problemfall soll klar sein, dass es nie ein gordischer, sondern ein menschlicher Knoten ist, der zwischenmenschlich aufgelöst werden kann.“
Eine gesundheitsfördernde (salutogene) Führung verbessert die Arbeitsprozesse und beseitigt Schwachstellen, „weil sich so ein leichterer und schönerer Weg zum Ziel finden lässt.“

Veränderungsprozesse gestalten

Vom Veränderungsprozess überzeugt, kann die Führungsperson eine Vision vom Ziel kreieren. Erst mit dieser ist es möglich, betroffene Mitarbeiter*innen in diese Zukunft miteinzubeziehen, ihr Feuer dafür zu entfachen. Die Hälfte des Erfolgs ist der Bewusstseinsaufbau für den Veränderungsprozess: Durch Aussicht kann Einsicht entstehen. Vorausgesetzt die Mitarbeiter*innen sind ohne Sorge um ihren Arbeitsplatz. „Wandel ist gesund, wenn er interessant erlebt und mitgestaltet werden kann“, resümiert Karazman. Eine kurze Erfolgsformel lautet: Nachvollziehbarkeit + Teilhabe + Sinnerleben = Kohärenz

Wandel: Gesundheitsfördernde (Co-)Führung

  • Sich selber von Veränderung überzeugen, Vision gestalten, Ziel(e) definieren, Ressourcen sicherstellen
  • Kommunikation: Einführung in Veränderungsprozess, Ziel(e) vorstellen anhand Vision, Strategie erklären, Vereinbarungen treffen (Jobsicherheit geben), in Diskussion gehen
  • Wege zum Ziel von Mitarbeiter*innen selber wählen lassen
  • Veränderungsprozess begleiten, partizipative Mitarbeitergespräche führen
  • Engmaschige Evaluierung (monatlich), eventuell anhand Human Work Index, Ergebnisse berichten
  • Beschwerdebriefkasten, offene Tür
  • Jährliche Zufriedenheitszirkel als partizipativer Prozess

Literatur Tipp & Links

Rudolf Karazman: Human Quality Management – eine menschengerechte Unternehmensführung, 2015, Springer Gabler Verlag, 250 Seiten, 46 Euro

Innovatives Betriebliches Gesundheitsmanagement: www.ibg.at