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20 Maßnahmen für Ausstieg aus Öl und Gas

Echte Energie-Sicherheit ist nur mit Öl- und Gas- Ausstieg und klugem Energiesparen erreichbar. Das sagen Umweltschutzorganisationen und Klimaforschung.

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Foto: c-istock_0000065320-alice

Die hohen Energiepreise und der Krieg in der Ukraine zeigen Österreichs gefährliche Abhängigkeit von Öl- und Gaslieferungen. Zugleich beschleunigt sich die Klima- und Naturkrise,
wie der jüngste Weltklimabericht belegt. Anlässlich der zeitgleichen Krisen fordern Umweltschutzorganisationen und Klimaforschung die Umsetzung von 20 Maßnahmen für den Ausstieg aus Öl und Gas.

Österreich solle ein umfassendes Reformpaket für den Ausstieg aus Öl und Gas vorlegen um seine Energie-Sicherheit dauerhaft zu erhöhen und nicht weiter der fossilen Inflation ausgeliefert zu sein, sagen GLOBAL-2000 Klimasprecher Johannes Wahlmüller, WWF Energiesprecher Karl Schellmann und die Umweltökonomin Sigrid Stagl. Besonders wichtig sei ein Gesetz für den verbindlichen Ausstieg aus Öl- und Gasheizungen sowie groß angelegte Energiespar-Programme, damit der viel zu hohe fossile Verbrauch reduziert werden kann.

Die Umweltökonomin Sigrid Stagl: „Es ist kein Zufall, dass die Maßnahmen, welche die latente Krise des Klimas adressieren, auch zur Linderung des Schocks aufgrund des Kriegs in der Ukraine helfen: Verkehrsvermeidung, vermehrte Nutzung des öffentlichen Verkehrs, Elektroautos, elektrische Wärmepumpen, synthetische Treibstoffe für Flugzeuge, Kunststoffe auf Biomassebasis etc. Man hätte die Maßnahmen nur viel früher anfangen müssen, um Unternehmen und Haushalten Zeit für die Umstellung zu geben. Nun zeigen sich die Kosten des Nicht-Handelns klarer denn je. Wichtig ist nun, dass die Maßnahmen so gesetzt werden, dass Klimakrise und Versorgungskrise gemeinsam angegangen werden und keine Rückschritte aufgrund angenommener Bequemlichkeit der Bevölkerung oder mangelndem Innovationswillen der Wirtschaft produziert werden. Neben den Investitionen in nachhaltige Infrastrukturen muss endlich mit dem Energiesparen begonnen werden. Auch die längerfristigen Dekarbonisierungsziele sind nur in Kombination mit Reduktion der Energienachfrage zu schaffen. Und Nachhaltigkeit ist Ressourcensicherheit.”
 

GLOBAL 2000 fordert einen gesetzlich verbindlichen Ausstieg aus 600.000 Ölheizungen und 900.000 Gasheizungen. Bis spätestens 2040 soll der Umbau abgeschlossen sein. Weiters basiert mehr als ein Drittel der Fernwärmeproduktion auf Basis von Erdgas. Auch dort braucht es gesetzlich verbindliche Ausstiegspläne, die von den Energieversorgern einzuhalten sind.

Die Umweltschutzorganisation WWF Österreich fordert ein groß angelegtes Energiespar-Programm von der Politik. Besonders dringend seien der Beschluss eines ambitionierten Energieeffizienzgesetzes und einer zusätzlichen Energiespar-Milliarde pro Jahr. Karl Schellmann: “Wir müssen die Sanierungsrate annähernd verdreifachen, um die Klimaziele zu schaffen”.

Begleitend sollte die Politik eine Fachkräfte-Offensive starten (zum Beispiel für Photovoltaik-Installationen) und die Mobilitätswende beschleunigen. Die 20 Maßnahmenpakete, die der WWF und GLOBAL 2000 aufgelistet haben, sollten noch im ersten Halbjahr 2022 umgesetzt werden.

HIER finden Sie das Paket mit den 20 Maßnahmen für eine funktionierende Energiewende.

Die NGOs schlagen 20 Maßnahmen vor:

1. Ambitioniertes Erneuerbaren-Wärmegesetz beschließen. Mit dem Gesetz soll ein rechtlich verbindlicher Ausstieg aus bestehenden Ölheizungen bis 2030 und für Gasheizungen bis spätestens 2040 verankert werden, der rasch und sozialverträglich umzusetzen ist. Der Einbau und die Bewerbung neuer Öl- und Gasheizungen soll sofort gestoppt werden, bis spätestens 2040 soll auch die Fernwärme frei von fossiler Energie werden. Bund, Länder, Landeshauptstädte und Energieversorger sollen abgestimmte Pläne für den vollständigen Ausstieg aus fossiler Energie bis 2040 vorlegen. Vor allem in den Bundesländern gibt es großen Aufholbedarf.

2. Ein wirksames Energieeffizienzgesetz umsetzen. Die Novelle muss ein absolutes Energiespar-Ziel von 800 PJ festlegen, auf das alle relevanten Maßnahmen ausgerichtet werden. Übergeordnetes Ziel: den Energieverbrauch bis 2030 um zumindest 30 Prozent zu senken und auch in den Folgejahren deutlich zu verringern.
Insgesamt muss der Verbrauch halbiert werden, um die Klimaneutralität zu erreichen und zu sichern. Anders als in der Vergangenheit dürfen daher keine Schein-Maßnahmen ohne Kontrolle und Wirkung angerechnet werden. Je nach Größe und Energieverbrauch sollten Unternehmen dazu verpflichtet werden, ihre Einsparpotenziale systematisch zu erheben und auszuschöpfen: von der Energiebuchhaltung über Audits bis zu Energiemanagementsystemen. Zugleich muss die energieintensive Industrie gezielt unterstützt werden.

3. Ein ambitioniertes Klimaschutzgesetz mit integrierten Energiespar- und Klimaschutz-Maßnahmen beschließen. Die geplante Novelle muss vor allem die folgenden Punkte gewährleisten: Verbindliche Ziele für die Klimaneutralität 2040, jährliche Emissionsziele für jeden Sektor, wissenschaftliche Kontrolle, verbindliche klima- und naturverträgliche Maßnahmenprogramme, wenn Ziele verfehlt werden, klare Verantwortlichkeiten von Bund und Ländern, Rechtsschutz für die Bevölkerung.

4. Attraktive und sozial gerechte Förderungen für Heizkesseltausch, thermische Sanierung sowie kostenlose unabhängige Energieberatungen sollen dauerhaft zur Verfügung stehen. Dieses Paket sichert die Fortführung und Ausweitung des Sanierungsschecks und gewährleistet die Umstellung auf effiziente, klimafreundliche Heizungen. Für energiearme, notleidende Haushalte soll es besonders starke finanzielle Unterstützungen geben: Zum Beispiel sollte das Förderangebot von bis zu 100 Prozent der Kosten für die thermische Sanierung und die Umrüstung der Heizung dauerhaft abgesichert werden.

5. Beschluss eines Sanierungsplans, der klimafitte Gebäude zum Standard macht und den Wandel beschleunigt. Derzeit liegt die thermische Sanierungsrate nur bei etwa 1,4 Prozent statt der nötigen drei Prozent.

6. Entwicklung einer integrierten Strategie für grünen Wasserstoff und erneuerbare Gase durch das Klimaschutzministerium. Langfristig kann etwa die Hälfte des heutigen Gasverbrauchs über erneuerbare Gase aus Österreich gedeckt werden. Bei strikter Priorisierung des Einsatzes auf notwendige Einsatzgebiete und entsprechender Reduktion des Energieverbrauchs ist damit ein Ausstieg aus fossiler Energie möglich. Angesichts der knappen Potenziale von erneuerbaren Gasen ist insbesondere die Priorisierung des Einsatzes essenziell. Zum Beispiel ist es in der Stahlindustrie notwendig, grünen Wasserstoff einzusetzen, um fossile Energieträger zu ersetzen, in der Raumwärme gibt es hingegen andere klimafreundliche Alternativen.

7. Vollständige Überarbeitung des Gaswirtschaftsgesetzes und ein Ende der Gasanschlusspflicht. Derzeit müssen Energieversorger, Kundinnen und Kunden, die das wünschen, an das Gasnetz anschließen. Aufgrund der Dringlichkeit des Ausstiegs aus Gasheizungen darf diese Bestimmung nicht länger aufrecht bleiben.

8. Jährliche Energiespar-Milliarde (zusätzlich zu bestehenden Mitteln). Die effizienteste Kilowattstunde ist jene, die gar nicht erst verbraucht wird. Daher muss Energiesparen mit einem langfristigen Sonderbudget ausgestattet werden. Mit einer zusätzlichen Milliarde pro Jahr könnten insbesondere die folgenden Maßnahmen geschaffen bzw. beschleunigt werden: eigene Energiespar-Gutscheine für alle Haushalte sowie Klein- und Mittelbetriebe, Finanzierung von Energiesparmaßnahmen in der Industrie und danach Mittelrückfluss aus den Einsparungen (Contracting Modell), sofortige Abschreibemöglichkeiten für Energiespar-Investitionen etc.

9. Mobilitätswende beschleunigen, mit jährlichen CO2 -Reduktionszielen und dem Beschluss der dafür notwendigen Maßnahmen - sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr. Der Verkehr ist weiter von den Klimazielen entfernt als jeder andere Sektor und daher besonders stark von importiertem Erdöl abhängig. Daher müssen Bund, Länder und Gemeinden das Mobilitätssystem entlang des Prinzips „vermeiden – verlagern – verbessern“ umgestalten und Sofort-Maßnahmen setzen, darunter zum Beispiel niedrigere Tempolimits, um den Diesel- und Benzinverbrauch rasch zu reduzieren. Der Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel und einer sicheren Rad-Infrastruktur muss absolute Priorität bekommen.

10. Vorbildwirkung der öffentlichen Hand. Klare Beschaffungsregeln für ein Bestbieterprinzip mit strengen Effizienz- und Nachhaltigkeitskriterien.

11. Erneuerbaren-Ausbau entlang von Naturschutz-Kriterien vorantreiben: Der jüngste Sachstandsbericht des Weltklimarats zeigt sehr klar, dass Klima- und Naturschutz Hand in Hand gehen müssen. Daher müssen auch Erneuerbare Energien konsequent entlang von Naturschutz-Kriterien ausgebaut werden. Während die Wasserkraft ihr Potenzial abseits von Effizienzsteigerungen bereits ausgeschöpft hat und es daher nur mehr sehr wenige freifließende Flüsse gibt, bestehen zum Beispiel bei der Windkraft und vor allem bei der Photovoltaik noch große Ausbaupotenziale in Österreich.

12. Photovoltaik massiv ausbauen: Verpflichtendes Nutzungskonzept für Sonnenenergie, inklusive einer Photovoltaik-Anlage für alle Neubauten und Sanierungen in den Bauordnungen (hoher Wirkungsgrad); grundsätzliche Verpflichtung zur PV-Installation im Falle einer Neuversiegelung von Flächen; Prüfung und schrittweise Umrüstung des Bestandes, naturverträgliche Nutzung der Potenziale auf Freiflächen.

13. Fachkräfte-Offensive starten: Die Energiewende leidet unter einem Mangel an Fachkräften. Daher sollten Wirtschafts-, Klimaschutz- und Arbeitsministerium gemeinsam mit den Bundesländern ein neues Fachkräfte-Paket vorlegen, das die Umsetzung der notwendigen Energiewende-Projekte sicherstellt.

14. Bodenverbrauch eindämmen: Der Flächenverbrauch liegt mit 11,5 Hektar pro Tag weit über allen Nachhaltigkeitszielen und erhöht damit auch den Energie- und Ressourcenverbrauch des Landes. Daher muss die im Bund zuständige Landwirtschaftsministerin
bis spätestens Herbst gemeinsam mit Ländern, Städten und Gemeinden einen Bodenschutz-Vertrag mit konkreten Gegenmaßnahmen vorlegen. Auch das Umweltbundesamt sieht ein Raumordnungskonzept für kurze Wege als wichtigen Effizienz-Baustein.

15. Umweltschädliche Subventionen abbauen: Der Finanzminister sollte bis Juni 2022 einen Kassasturz samt Reformplan vorlegen und dafür die ersten Ergebnisse der laufenden WIFO-Studie berücksichtigen. 2016 hatten die Wirtschaftsforscherinnen in ihrer Analyse ein Volumen von 3,8 bis 4,7 Milliarden Euro an umweltschädlichen Subventionen pro Jahr errechnet – und das nur für die Bereiche Energie, Verkehr und teils Wohnen. Das WIFO spricht selbst von einer „Untergrenze“, weil es nur die Bundesebene erfasst hatte und Sektoren wie die Landwirtschaft fehlen. Im Herbst 2019 hat wiederum das Finanzministerium auf Anfrage des WWF rund 3,25 Milliarden Euro als jährliches Volumen genannt. Es handelt sich aber um ein sehr lückenhaftes Regierungsdokument.

16. CO2-Bepreisung klimagerecht umsetzen und mit Öko-Bonus für sozialen Ausgleich verbinden. Die Bundesregierung sollte an diesem zentralen Instrument unbedingt festhalten, wie es auch das WIFO empfiehlt, und die CO2-Bepreisung samt Öko-Bonus in den
kommenden Jahren schrittweise weiter ausbauen, um die Abhängigkeit von Öl und Gas zu reduzieren. Zugleich müssen Bund und Länder ihren Einsatz gegen die Energiearmut verstärken. Für besonders betroffene Unternehmen im Nicht-Emissionshandelssektor ist eine Härtefallregelung vorgesehen, die treffsicher auszugestalten ist.

17. Kurzfristig kann eine Windfall-Profit Steuer, wie von der EU-Kommission vorgeschlagen, wichtige Klimaschutzmaßnahmen finanzieren helfen. Besteuert werden dabei hohe “Zufallsgewinne” von Energiekonzernen in Zeiten hoher Energiepreise. EU-weit rechnet die Internationale Energieagentur mit “Windfall-Profits” in Höhe von 200 Milliarden Euro. Die Steuer würde auch preisdämpfend wirken, weil damit der Anreiz für Preiserhöhungen sinkt.

18. Umweltrecht qualitativ stärken: Mehr Ressourcen für Behörden und Gerichte, Vorlegen besserer Unterlagen sowie von klima- und naturverträglichen Planungen durch Projektbetreiber in der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP).

19. Ökosysteme schützen und renaturieren: Die Bundesregierung sollte bis Juni 2022 ein eigenes Maßnahmenpaket für den Schutz und die Renaturierung wertvoller Lebensräume vorlegen (Wälder, Moore, Flüsse etc.). Dies würde nicht nur die Biodiversitätskrise eindämmen, sondern auch das Potenzial zur CO2-Aufnahme erhöhen. Um die Klimaneutralität zu schaffen, muss das CO2-Senken-Management in Österreich deutlich verbessert werden.

20. Klimagerechten Wandel sicherstellen: Alle Maßnahmen müssen sozial gerecht und treffsicher sein. Arbeitnehmer*innen sind bei der Umsetzung des Ausstiegs aus Öl und Gas und des Umstiegs auf klimafreundliche Lösungen im Sinne einer “Just Transition” einzubinden.