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Ein großartiger Ort zum Arbeiten?

Ein vertrauensvolles Betriebsklima wird immer wichtiger.

Foto: Sabine Klimpt

Der Wirtschaftsjournalist Robert Levering war betroffen von den belastenden Arbeitsbedingungen, die Ende der 1980er-Jahre in Kalifornien herrschten. Gemeinsam mit seinem Kollegen Milton Moskowitz beschloss er, die 100 besten Arbeitgeber*innen der USA zu recherchieren und zu publizieren. Das Buch war rasch vergriffen, so relevant war das Thema.

Und noch ein Ergebnis war überraschend: Im Zuge seiner Recherche clusterte die Themen, die für die Zufriedenheit der Mitarbeiter*innen eine große Rolle spielen: Gesundheit, Mobilität, Bezahlung etc. Das ist alles wichtig, aber als verbindendes Element kristallisierte sich „Vertrauen“ heraus. Das war der Beginn von „Great Place To Work“ (GPTW), einem weltweit tätigen Beratungsunternehmen, das 2002 auch nach Österreich kam.

Wir haben die Geschäftsführerin, Doris Palz, nach ihren wichtigsten Erkenntnissen befragt.

BUSINESSART: Was ist Vertrauen? Was macht Vertrauen aus?

Doris Palz: Es ist das vorbildhafte Verhalten der Führungskräfte und ihr respektvoller Umgang mit Mitarbeiter*innen. In den letzten 20 Jahren hat sich das Führungsverhalten verändert: Feedback, die Möglichkeit der Weiterentwicklung, das Gehalt als Komponente der Fairness, aber auch Diversity, Work-Life-Balance oder Gesundheitsförderung sind selbstverständlich geworden.

Daraus erwächst Vertrauen und die Leute lassen sich aufeinander ein, unterstützen sich gegenseitig, entwickeln Lösungskompetenzen. Aus dieser Mischung entsteht eine besondere Kultur. Die Menschen sind stolz auf das, was sie beitragen. Sie wissen, warum sie etwas tun. Der Zweck des Unternehmens ist überall spürbar. Das macht sie zufriedener und stolz. Und das erzählen sie auch weiter. Das ist heute – in Zeiten des Mitarbeiter*innen-Mangels – wichtiger denn je.

Das Beste ist, dass die Unternehmen das alles selbst gestalten können.

Du bist seit 2014 als Chefin von GPTW an Bord. Was hat dich gereizt, diese Aufgabe zu übernehmen?

Genau genommen war es Zufall. Mein Mann hat mir die Ausschreibung von GPTW auf den Tisch gelegt und gemeint: „Das ist genau das Richtige für dich.“ Eigentlich wollte ich mich beruflich nicht verändern, denn ich war mit meinem Job als selbstständige Beraterin sehr zufrieden. Ich kannte Great Place to Work® schon lange und sowohl Mission wie auch Methode begeisterten mich seit langem. Daher: wenn so etwas schon daher flattert,... Und auch der Blick auf das größere Ganze in Unternehmen ist für mich immer schon interessant.

GPTW war bisher ein reines Beratungsunternehmen. Jetzt habt ihr euer Geschäftsmodell geändert. Wieso? Was wird sich ändern?

Wir alle müssen Antworten auf die Veränderung der Welt finden: Digitalisierung, Klimawandel, Armut, autoritäre Systeme etc. fordern uns als Gesellschaft und als Unternehmen. Jeder Teil – von der Produktion bis zum Marketing – verändert sich.

GPTW ist heute ein SaaS-enabled-Unternehmen (Anm. der Redaktion: Software as a Service). Wir nehmen die Unternehmen nicht mehr an die Hand und führen sie durch die Befragung, sondern ermächtigen sie das mit unserer digitalen Plattform Emprising intuitiv selbst zu tun. Die Ergebnisse liegen in Echtzeit vor und dienen für die interne Kommunikation und Weiterentwickung. So werden Mitarbeiter*innen zu Akteuren der aktiven Gestaltung der Unternehmenskultur. Dies entspricht den Erwartungen der Menschen in Unternehmen. Daher sind genau sie dann richtig stolz, wenn ihr Betrieb als Great Place to Work® zertifiziert wird.

Durch eure Studien, Zertifizierungen und Auszeichnungen hast du einen guten Überblick über die Bedürfnisse von Mitarbeiter*innen. Wie haben sie sich in den letzten 20 Jahren verändert?

Der Arbeitsplatz hat sich stark verändert. Auch im produzierenden Bereich nehmen wissensbasierte 4.0-Tätigkeiten zu. 1994 war lebenslanges Lernen ein EU-Schwerpunkt, um das Thema in die Breite zu bringen. Heute geht es nicht mehr anders. Wer nicht bereit ist, kontinuierlich zu lernen, kommt nicht mit. Wer konnte vor drei Jahren ein Zoom-Meeting durchführen?

Ad New Work: Früher hatte man einen fixen Arbeitsplatz, ging jeden Tag zur Arbeit, 40 Stunden pro Woche. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf war etwas Besonderes. Heute haben wir einen flexiblen Arbeitsplatz und flexible Arbeitszeiten. Kollaboratives Arbeiten ist viel häufiger geworden.

Doris Palz sitzt vor einem Bücherregal in einem hellgrünen Lehnstuhl.
Doris Palz, Geschäftsführerin von Great Place To Work. Foto: Sabine Klimpt
Wenn das die Unternehmen nicht mitmachen, stehen ihre Chancen, gute Mitarbeiter*innen zu bekommen, nicht so gut. Bei der Kinderbetreuung haben wir noch immer Aufholbedarf. Sie ist nicht in ganz Österreich gewährleistet. Dabei ist das entscheidend für den Wirtschaftsstandort!

In vielen Unternehmen wurde die Vertrauensarbeitszeit eingeführt, denn es geht um Ergebnisse. Dafür brauchen wir Vertrauen und einen anderen Führungsstil. Es gibt aber noch viele Unternehmen, die das nicht beherrschen. Sie machen beides: Aufzeichnung und Kontrolle. Dabei ist Kontrolle in den seltensten Fällen eine gute Maßnahme, weil dies für Misstrauen steht.

Das Schlüsselwort
ist Vertrauen.

Der Blick auf die Mitarbeiter*innen ist ein ressourcensuchender geworden. Diese Haltung braucht es, um die Bedürfnisse der Mitarbeiter*innen zu erkennen und nach ihren Stärken Ausschau zu halten. Das müssen kommunizierende Gefäße sein. Wenn Aufgabe und Stärken nicht zusammenpassen, braucht es Veränderungen. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels ist das hoch relevant.

Die Mitarbeiter*innen sind aufgrund der aktuellen Verunsicherungen (Corona, Krieg, Klimawandel, Energiepreise) wesentlich weniger bereit, den Arbeitsplatz zu wechseln. Das wäre grundsätzlich positiv. Aber wenn sie sich aufgrund von mangelnder Förderung und Wertschätzung in einem verunsicherten Modus befinden und lieber wechseln würden – dann bekommen die Unternehmen nicht jene Leistung, die sie bekommen könnten. Die Mitarbeiter*innen sehen sehr viele Dinge, aber sie bringen sie nicht mehr ein. Wenn Unternehmen diese Situation als Chance erkennen können – auch wenn es weh tut –, dann steigen Loyalität und Freude an der Zusammenarbeit. Mitarbeiter*innen-Feedback einholen ist ein kluger erster Schritt.

Wo liegen die großen Herausforderungen?

In der demographischen Entwicklung. Wir haben bereits 2008/2009 eine Demographie-Plattform entwickelt, auf der man sehen konnte, dass wir auf einen Arbeitskräftemangel zusteuern. Das hat leider zu lange niemanden interessiert. Jetzt sind wir im Reparaturmodus.

Viele Unternehmer*innen finden keine*n Nachfolger*in. Da braucht es neue Strategien. Zum Beispiel das Beisl, das als Gemeinschaftsprojekt von Älteren weitergeführt wird. Manche Auflagen behindern da leider das unternehmerische Tun.

Unser Bildungssystem bereitet nicht ausreichend auf die Anforderungen einer transformierenden Wirtschaft vor. Wenn es nicht gelingt alle jungen Menschen mitzunehmen, gehen wichtige Kräfte am Arbeitsmarkt ab. Gleichzeitig ist es genau für diese Menschen zunehmend schwierig einen Arbeitsplatz zu finden.

International sehen wir eine Art „great resignation“. Besser gesagt eine „great reflection“. Viele Menschen wollen Eigenverantwortung und Flexibilität leben und wählen die Selbstständigkeit. Die Freelancer-Plattformen sind extrem angewachsen. Unternehmen, die nicht mehr genug Mitarbeiter*innen finden, die bleiben wollen, müssen sich eine neue Strategie überlegen, und sich die Frage stellen: Wie kann ich ineinandergreifende, gut funktionierende Arbeitsformen schaffen?

Was ist das Wichtigste, um gute Mitarbeiter*innen zu halten?

- Betrachten Sie die Mitarbeiter*innen als Individuen, mit ihren Stärken.

- Haben Sie ein offenes Ohr für ihre Bedürfnisse, vor allem was die Arbeitsbedingungen betrifft.

- Entscheiden Sie. Mitarbeiter*innen schätzen es, wenn Entscheidungen getroffen werden, vor allem, wenn es unangenehm ist. Sie schätzen Führungskräfte, die auch sagen, was nicht geht.

- Unterstützen Sie die persönliche Entwicklung der Mitarbeiter*innen, zeigen Sie Wertschätzung, damit der/die Mitarbeitende sieht, was er/sie alles kann.

- 6 von 10 Mitarbeiter*innen finden keinen Sinn in ihrer Beschäftigung. Schaffen Sie Jobs mit Impact und Purpose.

- Bieten Sie Vertrauen und Unterstützung: Tun sie alles, damit die Mitarbeiter*innen gut arbeiten können. Nehmen Sie Vorschläge ernst. Auch Mitarbeiter*innen wollen erfolgreich sein.

- Setzen Sie auf Feedback – regelmäßige Mitarbeiter*innen Befragungen geben Auskunft darüber, wie es Ihren Mitarbeiter*innen geht

Was sind absolute No-Gos in der heutigen Zeit?

- A sagen und B tun. Versprechen, die nicht eingehalten werden.

- Bevorzugungen einzelner Mitarbeiter*innen, sodass kein Teamgefüge entstehen kann.

- Eine*n Mitarbeiter*in vor anderen scharf kritisieren.

- Wenn Familie und Beruf nicht zusammenpassen können und sich Mitarbeiter*innen in einem Korsett wiederfinden, in dem sie den anderen Lebensbereich nicht mehr leben können.

- Unfaire Bezahlung.

Ihr habt dieses Jahr die Initiative „Better Together“ gegründet ...

Als Gesellschaft, aber auch als Unternehmen, sind wir vielfach gefordert. Sehen wir uns den Klimawandel an: Ende der 1990er-Jahre wurde das Kyoto Protokoll unterzeichnet. Aber was wurde bis heute umgesetzt? Viel zu wenig. Wir stehen an einer Schwelle, wo wir uns ernsthaft fragen müssen, wie es weiter geht – ökologisch und sozial! Wir brauchen diejenigen die handeln. Daher haben wir heuer die „Better Together“-Initiative ins Leben gerufen und laden alle nachhaltig handelnden Unternehmen ein, auf einer gemeinsamen Markt-Plattform sichtbar zu werden.

Interview: Roswitha M. Reisinger