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Jugendstudie 2016

Optimierungsstrategien in der Selbst­darstellungskultur: INTEGRAL und T-FACTORY haben die Lebenswelten der 14- bis 29-jährigen untersucht. Daraus ergibt sich ein vielschichtiges Bild junger Menschen.

Foto junge Frauen: Antonio Guillem/Thinkstockphotos
Foto junge Frauen: Antonio Guillem/Thinkstockphotos junge Frauen: Antonio Guillem/Thinkstockphotos

Die Generation der unter 30jährigen: Auf der Suche nach Halt und Orientierung:

Ein großes Thema bestimmt das Leben der Geburtsjahrgänge 1987-2002: Drei Viertel von ihnen suchen Halt und Orientierung in einer unübersichtlich gewordenen Welt – ein deutlicher Anstieg in den letzten fünf Jahren.

Die Welt draußen wird sehr pessimistisch gesehen: nur 18 % glauben an eine positive Zukunft der Gesellschaft (2013 waren es noch 23 %). Seit der Jahrtausendwende ist man mit einer permanenten Krisenstimmung konfrontiert. Die Vervielfältigung der Optionen durch Globalisierung und Digitalisierung bringt Faszination, aber auch Überforderung mit sich. Diese Unsicherheit hat sich über die letzten Jahre noch verstärkt. Das Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit des Staates und die Kompetenz unserer Eliten sind noch weiter gesunken, die Zukunftsängste nehmen zu.

Die Jugendlichen meinen: Die Welt draußen ist zu kompliziert geworden, um sie wirklich verstehen zu können; die negativen Entwicklungen in unserer Gesellschaft lassen sich nicht mehr aufhalten. Dagegen setzen sie einen überraschend hohen (wenn auch aktuell leicht rückläufigen) individuellen Bewältigungsoptimismus: Man selbst wird es schon schaffen, wird sich entschlossen und pragmatisch durch die Wirren des Lebens kämpfen.

Aber nicht alle nehmen die Herausforderungen der komplexen Gesellschaft mit Zuversicht an. Ein Drittel der Jungen ist skeptisch, was ihre persönlichen Zukunftschancen angeht, und zusätzlich fast jeder Zehnte (speziell aus bildungsfernem Elternhaus) fühlt sich abgehängt und ist relativ hoffnungslos.

Flucht in die Vergangenheit, Realitätsverweigerung und egotaktischer Pragmatismus

Jugendliche haben eine schwierige Aufgabe zu bewältigen: Konfrontiert mit vielen Wahlmöglichkeiten müssen sie Entscheidungen treffen, Überkomplexitäten reduzieren, Zukunftsängste wegschieben, um ihren Alltag zu bewältigen. Die wichtigsten Entwicklungsaufgaben, die gelöst werden müssen, sind die Ausbildung einer stabilen Identität sowie die Integration in Gemeinschaft und Gesellschaft.

Die drei Metastrategien der Jugendlichen:

1)    Rückgriff auf Wertsysteme der Vergangenheit: Unsere Gesellschaft bietet einen „Wertevorrat“, aus dem sich Jugendliche im Zuge ihrer Wertesozialisation bedienen können, vermittelt durch Elternhaus, Lehrer und Peergroup. Die drei wichtigsten, milieubildenden Wertesysteme sind…

  • Das Konservativ-Bürgerliche Weltbild (15 % der Jungen) – Das Beharren auf einer alten Ordnung von Glaube, Pflicht und Bescheidenheit, die (manchmal auch aggressive) Abwehr der Zumutungen der beschleunigten Moderne
  • Die Postmaterielle Sicht (10 %) – Die Selbstverwirklichung in sozialer und gesellschaftlicher Verantwortung
  • Die Haltung der Performer (14 %): Die Überzeugung, dass sich die Welt durch Globalisierung zum Positiven weiterentwickelt, und dass man als ICH-AG für sich selbst das Beste herausholen kann

2)    Weltflucht der Hedonisten (21 %) – Die Werte des Mainstreams werden abgelehnt, man selbst sucht das Glück in der Clique in eskapistischer Momentbezogenheit

3)    Anpacken, mitmachen, sich durchsetzen: die egotaktischen Pragmatiker -Die großen, gesellschaftlichen Komplexitäten werden einfach ignoriert, stattdessen konzentriert man sich auf das, was begreifbar und bearbeitbar ist und einen selbst praktisch weiterbringt. Hier finden sich allerdings wieder zwei unterschiedliche Ausprägungen:

  • Die Adaptiv-Pragmatische (20 %), die geprägt ist von defensivem Sicherheitsstreben
  • Die Digital-Individualistische (20 %), welche die Vielfalt der Möglichkeiten offensiv experimentierend annimmt.

Pragmatische und Individualisten: Ihnen gehört die Zukunft

Die „egotaktischen Pragmatiker“ sind die Zukunftsmilieus: Sie werden in unserer Gesellschaft immer wichtiger werden. Hier gibt es aber ein Pardoxon: Die Zukunftsmilieus haben keine klare Vorstellung von „Zukunft“. Sie glauben nicht mehr an die großen Erzählungen vom gesellschaftlichen Fortschritt. Relevant ist für sie vielmehr der eigene, unmittelbare, konkrete Vorteil innerhalb der kleinen Gemeinschaften bzw. im eigenen Netzwerk.

Trotz dieser Gemeinsamkeiten sind die Unterschiede zwischen ihnen groß:

Die Adaptiv-Pragmatischen: Begrenzung

Adaptiv-Pragmatische haben als vorrangiges Ziel Sicherheit und Wohlgefühl im privaten Bereich, im Familien- oder Freundeskreis, in der Abgrenzung von der unübersichtlichen Welt draußen.  Sie bilden den Mainstream der jungen Freizeitkultur und werden in Zukunft das wichtigste Milieu der Mitte sein.

Die Digitalen Individualisten: Entgrenzung

Die Digitalen sind mental und geographisch mobil, definieren sich über immer neue Erlebnisse und kontinuierliche Selbstoptimierung. Ihr Motto ist „Entgrenzung“ – Eroberung der Welt. Sie sind die zukünftige Elite unserer Gesellschaft.

Die Unterschiede zwischen den beiden Zukunftsmilieus lassen sich in den unterschiedlichsten Bereichen darstellen, z.B.:

Während vier Fünftel der Digitalen Individualisten einen Auslandsaufenthalt anstreben, sind es nur ein Fünftel der Adaptiv-Pragmatischen
80 % der Digitalen Individualisten essen gern exotische Gerichte, aber nur 30 % der Adaptiv-Pragmatischen.

„Es ist mir verdammt wichtig, dass mich mein Style repräsentiert“

Jugendliche sind voll und ganz damit beschäftigt, Kontrolle über ihr eigenes Leben zu erlangen. Die Kontrolle über den eigenen Körper ist in diesem Zusammenhang für viele zentral. Das eigene Erscheinungsbild dient der Selbstdarstellung und signalisiert Zugehörigkeit zum richtigen Milieu wie auch Abgrenzung vom falschen. Sechs von zehn interessieren sich für Mode und Styling, am stärksten ist dieses Interesse naheliegender Weise bei der derzeitigen Lifestyleelite, den Digitalen Individualisten, ausgeprägt.

Die Vorstellungen vom „schönen Körper“ sind sicherlich milieuspezifisch differenziert. Fast allen Milieus gemeinsam ist aber letztlich die Unerreichbarkeit des Idealbildes. Nur ein Fünftel der Jugendlichen ist mit dem eigenen Aussehen voll zufrieden. Noch geringer ist die Zufriedenheit mit der eigenen Figur ausgeprägt. Jeder vierte würde Aussehen oder Figur sehr gerne ändern, wenn es nur möglich wäre; insgesamt sind es zwei Drittel, die Änderungen möchten (sehr und eher gern). Die Hälfte hat bereits schon mindestens eine Diät hinter sich. Ein Fünftel kann sich sogar Schönheitsoperationen vorstellen.

„Wenn du mit dir unzufrieden bist, dann musst du halt was ändern“

Speziell für die „Digitalen Individualisten“ ist der eigene Körper ein Projekt. So wie man insgesamt an der Selbstperfektion arbeitet, optimiert man speziell auch das eigene Aussehen und Erscheinungsbild:

  • Drei Viertel möchten Aussehen und/ oder Figur ändern
  • Vier von zehn haben schon mehrere Diäten hinter sich
  • Weiters finden wir hier die höchsten Anteile von Piercings (vier von zehn) und Tattoos (ein Viertel)
  • Ein Drittel kann sich Schönheitsoperationen vorstellen.
     

Die Untersuchung erfolgte auf Basis der Sinus-Milieus® aus 47 Tiefeninterviews und 1.028 Onlineinterviews mit 14- bis 29-jährigen. www.integral.co.at; www.tfactory.com.