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Lehrlinge – billige Arbeitskräfte oder Top-Nachwuchs?

In Österreich hat die duale Ausbildung eine lange Tradition, die im deutschsprachigen Raum bis in die Zeit der Zünfte zurückreicht.

Junge Menschen stehen im Kreis und schauen in die Kamera nach unten. Foto: Allzweck-Jack-Photocase
Foto: Allzweck-Jack-Photocase Allzweck-Jack-Photocase

Viele Länder beneiden uns darum und möchten ähnliche Systeme ausbauen, um die Jugendbeschäftigung zu forcieren.Aber wie steht es um die Lehrlinge hierzulande? Und was bringt Unternehmen die Ausbildung von Lehrlingen?

Ursula Oberhollenzer, MSc

Rund 40% der Jugendlichen beginnen in Österreich nach dem Pflichtschulabschluss eine Lehre in einem der rund 200 anerkannten Lehrberufe. Die Berufsmöglichkeiten sind quer über alle Branchen verteilt und reichen von Industrie über den Handel bis hin zu Dienstleistungsbereichen, von traditionellen handwerklichen Ausbildungen zu TischlerIn oder FriseurIn bis hin zu neuen Berufszweigen wie KunststofftechnikerIn oder MechatronikerIn. Lehrlingsausbildungen dauern je nach Berufswahl zwischen zwei und vier Jahre und sind als duales System aufgebaut. Das bedeutet, dass der Praxisteil (80%) in staatlich anerkannten Ausbildungsbetrieben (die über Ausbilder mit speziellen Befähigungsprüfungen verfügen) absolviert und das fachtheoretische Wissen und Allgemeinbildung (20%) parallel dazu in den Berufsschulen erworben wird.

Politische Signale

Mit der neu beschlossenen Ausbildungspflicht bis 18 Jahre will die Regierung sicherstellen, dass junge Menschen auf die Anforderungen des Berufslebens gut vorbereitet werden. Das Lehrlingspaket sei dafür die ideale Ergänzung. Mit 1. Juli kommt die neue Richtlinie zur betrieblichen Lehrlingsförderung, die von Sozialminister Alois Stöger Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner vereinbart wurde. Damit soll die betriebliche Lehre attraktiver werden, um den Fachkräftebedarf der Zukunft zu sichern. Im Lehrlingspaket inbegriffen ist die Übernahme der vollen Kosten für alle Vorbereitungskurse auf die Lehrabschlussprüfungen, die bisher mit € 250,- gedeckelt waren. Zusätzlich wird die Antragstellung für die Rückerstattung erleichtert und erweitert, womit man sich eine Steigerung bei den Anträgen um rund ein Drittel erwartet. Sprachkurse für Auslandspraktika von Lehrlingen und bis zu zwei Wochen Aufenthalt inkl. Sprachschule, Reise- und Aufenthaltskosten und eine Prämie von € 210,- werden ebenfalls angeboten. Der heimische Ausbildungsbetrieb erhält eine aliquote Lehrlingsentschädigung für diesen Zeitraum. Denn internationale Erfahrungen werden auch für Lehrberufe immer wichtiger.

Die Grünen fordern noch weitergehende Maßnahmen, damit EPU und KMU stärker an der Berufsausbildung teilnehmen können. So könnte das Angebot an Ausbildungsplätzen deutlich erweitert werden. Dies scheitert bis dato an hohen Kosten und eingeschränkten Ressourcen der Arbeitgeber. EPU und KMU können oft nicht das komplette Berufsspektrum im Unternehmen abdecken oder bei Auftragsausfällen die Lehrlinge nicht weiter beschäftigen. Eine Rekrutierung und Ausbildung im Verbund sollte dem abhelfen können. Denn Ausbildungskosten im Schulbereich werden zu 100% öffentlich finanziert, Betriebe müssen diese (nur teilweise gefördert) selbst übernehmen. Eine einheitliche Ausbildungsentschädigung für die Jugendlichen, gestaffelt nach Ausbildungsjahr, könnte positiv auf die Gleichstellung von Mann und Frau bei gewissen Berufsgruppen und auf die Gehaltsstrukturen nach dem Lehrabschluss wirken.

Robert Frasch ist seit 2012 unermüdlicher Kämpfer für Lehrlinge und ihre Ausbildner. Er hat mit seinen Online-Plattformen „lehrlingspower.at“ und „ausbilden.co.at“ eine Informationslücke geschlossen. Das Netzwerk sieht sich als Servicestelle, die Informationen und Unterstützung zum Thema Lehre bietet. Absolute Praxisorientierung und Aktualität der Themen ergeben sich aus dem ständigen Austausch mit den Mitgliedern und NetzwerkpartnerInnen, wobei natürlich auch Vertraulichkeit gewährleistet wird.

Das Problem mit dem Image

Leider sind Lehrberufe und Lehrlingsausbildung in Österreich für viele junge Menschen und deren Eltern kein adäquater Berufseinstieg mehr. Frasch sieht einen Teil der immer wieder angesprochenen Lehrlingsmisere hausgemacht: „Wir haben in den letzten 15 bis 20 Jahren einen immer stärkeren Trend zu höherer Ausbildung und Akademisierung erlebt. Laut Gewinn gibt es derzeit über 400 Fachhochschul-Studiengänge! Jugendliche werden mit hohem Nachhilfeaufwand durch die Schulen gedrückt. Immer im Glauben, dass höhere Ausbildung vor Arbeitslosigkeit schützt.“ Dazu komme der demografische Knick mit immer weniger Kindern pro Familie.

Die Wirtschaft reagierte mit dem Angebot einer Matura mit Lehre, „Aber das löst das Kernproblem nicht“, meint Frasch. Denn was die Wirtschaft brauche, sind Facharbeiter, die den erlernten Beruf tatsächlich ausüben. Ein Grundproblem liege laut Frasch in der Zersplitterung der Verantwortlichkeiten zwischen drei Ministerien: Bildung (Berufsschulen), Wirtschaft (Lehre) und Soziales (Arbeitsmarkt). In der Schweiz wird die Berufsbildung insgesamt durch das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation an einer Stelle koordiniert. Der Erfolg gibt ihnen Recht: 48 % der Jugendlichen absolvieren dort eine Lehre, da diese nicht als „one-way-ticket“ gesehen wird. Zudem hilft ein Berufsvorbereitungsjahr, wo in wichtigen Fächern wie Deutsch, Mathematik und Englisch nachgeschult wird. Bei positivem Abschluss winkt ein Vorlehrvertrag.

Ein Vorschlag des Experten: Betriebe, die Facharbeiter brauchen, sollten sich regional zusammenschließen und die Nachschulungskosten aufteilen, um geeignete Fachlehrlinge aufzubauen. Das käme mittel- und langfristig billiger und würde allen nützen. Und es brauche unbedingt eine Markenkampagne für die Lehre insgesamt, auch wenn Markenbildungsprozesse Zeit und Geld kosten. Die Frage sei, ob uns die anhaltende Jugendarbeitslosigkeit mit allen Konsequenzen nicht noch teurer komme.

Aufwertung der Lehre

„Eine Aufwertung der Lehre ist für den Österreichischen Gewerbeverein seit vielen Jahren ein wichtiges Thema. Jeder vierte Firmenchef ist ein ehemaliger Lehrling!“ berichtet der für das Programm zuständige Vizepräsident Dr. Stefan Radel. Als Hilfestellung für Jugendliche und Mitgliedsbetriebe organisiert der Gewerbeverein regelmäßige „Lehrlings-Sparrings“, in denen jährlich mehr als 1.600 14-15-jährige SchülerInnen Bewerbungsgespräche mit UnternehmensvertreterInnen simulieren und so auf die Herausforderungen bei der Berufswahl und im Bewerbungsverfahren vorbereitet werden. Der krönende Abschluss ist der „Matching-Tag“, an dem sich die besten BewerberInnen direkt bei Unternehmen, vorwiegend Mitgliedern, aktiv bewerben können.

Eine zeitgemäße Art der Unterstützung bietet die Plattform „whatchado“. Sie spricht die sogenannten „digital natives“, wie die heutige Jugend auch oft bezeichnet wird, an. Tausende Berufe werden via Videos vorgestellt. Jungen Menschen können sich ein Bild über beinahe jeden Beruf machen – und welche Stärken und Talente dafür notwendig sind. Das hilft bei der Berufsorientierung, zusätzlich können Unternehmen zu überschaubaren Kosten rekrutieren.

Weiterführende Links:

Lehrlingspower

Gewerbeverein - Lehrlinge

Whatchado

IBW-Qualität in der Lehre

Berufsausbildungsgesetz (Förderungen)