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Fassade eines Gebäudes mit vielen verschieden großen Glasfenstern mit roten Rahmen. Das Gebäude ist teilweise mit Kletterpflanzen bewachsen. Titel: PFLANZ MICH! Glasfassaden und ihre Schattenseiten
Foto: Oleksil Drozdov

Hohe Transparenz, natürliche Belichtung, vielfältige und repräsentative Gestaltungsmöglichkeiten: Flachglas als Baumaterial erfüllt all diese Ansprüche und kann seit den 1960er-Jahren industriell in großen Mengen kostengünstig hergestellt werden. Gewerbegebäude mit spiegelnden Glasfassaden prägen seither zunehmend das Bild unserer Städte und sind aus einer zeitgemäßen Bauweise nicht mehr wegzudenken.

Damit auch Raumkomfort und Energiebedarf eines Gebäudes stimmen, muss die Anordnung der Glasflächen sorgfältig geplant werden: Die Nutzer*innen müssen sich wohlfühlen und es soll möglichst wenig Energie für Beleuchtung, Heizung, Kühlung oder Belüftung benötigt werden. Auch Sicht- und Schallschutz sind zu bedenken und nicht zuletzt wirtschaftliche Aspekte zu berücksichtigen.

Wo viel Licht, da auch viel Schatten

Sparen bei der Planung oder bei der Ausführung kann teuer werden: Sind etwa keine ausreichend wirksamen Beschattungsmöglichkeiten wie z. B. Außenjalousien vorhanden, dringt das Sonnenlicht ungehindert durch die Glasflächen. Solche Gebäude heizen sich im Sommer stark auf und müssen entsprechend gekühlt werden, um ein angenehmes Raumklima zu erhalten. Der Energieverbrauch erhöht sich, die Stromkosten steigen.

Zusätzlich können Glasfassaden auch für die äußere Umgebung zum Problem werden und eine Gefahr für Verkehrsteilnehmer*innen bergen: Durch das gebündelte Tageslicht kann es zu Blendwirkung kommen.

Lebendige Klimaanlagen

Bäume haben gerade in Städten eine besondere Bedeutung als Klimaregulatoren und ihr Bestand wird (z. B. in Wien seit 1974) durch entsprechende Baumschutzverordnungen geregelt und bewahrt. Doch leider gilt in der Stadt zu oft: Wo kein Baum mehr ist, kann auch keiner mehr werden. Durch die Verdichtung und Versiegelung des Bodens sowie das Einbauen der Infrastruktur unter die Oberfläche geht Platz für große Bäume und deren Wurzeln verloren.

Die Begrünung von Fassaden ist grundsätzlich eine wirksame Alternative, denn die Blätter der Pflanzen können 40 bis 80 Prozent der Sonneneinstrahlung absorbieren bzw. reflektieren.

Allerdings stellen Glasfassaden eine besondere Herausforderung dar, da die Kletterorgane der Pflanzen auf den glatten Flächen keinen Halt finden. Geeignete Rankhilfen direkt an einer gläsernen Gebäudehülle zu installieren, kann zu Schäden am Gebäude führen und auch bei der Wartung problematisch sein.

Zusammen mit dem Projektkonsortium GLASGrün haben Rosemarie Stangl und Anna Briefer vom Institut für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau an der BOKU modulare und übertragbare Standardvarianten zur Gebäudebegrünung entwickelt, die sowohl bei bestehenden Gebäuden und bei der Sanierung als auch im Neubau eingesetzt werden können.

Die ausgewählten Varianten wurden an zwei Standorten errichtet und getestet. Sie laden zum Nachmachen ein!

MPREIS-FILIALE IN SÖLL/TIROL

Bild links: Auf dem Parkplatz vor dem eingeschossigen Supermarktgebäude stehen drei PKW. Die Glasfronten des Supermarktes sind durch bewachsene Rankgerüste verdeckt. Der Himmel ist tiefblau und es herrscht strahlender Sonnenschein. rechts: Seitenansicht d
Fotos: Martin Auer; RATAPLAN

Die exponierte Lage setzt das Gebäude intensiver Sonneneinstrahlung aus. Rundum sind unversiegelte Bodenflächen vorhanden, die ausreichend Wurzelraum bieten. Die Bewässerung der Pflanzen kann über die vorhandene Infrastruktur mittels Leitungen über das Dach ermöglicht werden.

links: durch die vorgebauten Rankgerüste entsteht ein Laubengang. rechts: die stählerne Konstruktion des Rankgerüstes.
Fotos: MPREIS; Martin Auer

Die Entwicklung der 3D-Rank-Konstruktion erfolgt mittels parametrischen Designs und ist optimal auf das Wuchsverhalten der gewählten Pflanze abgestimmt. Weiters können auch individuelle lokale Rahmenbedingungen (erforderliche Dimension und Stabilität) berücksichtigt werden.

Tische und Stühle im Restaurantbereich des Supermarktes, beschattet durch die bewachsenen Rankgerüste vor der Galsfront.
Foto: Martin Auer

Die Erweiterung durch den Laubengang außen lässt auch den länglichen Gastbereich im Inneren deutlich größer wirken und die Schattenmalerei der Pflanzen schafft Wohlfühlatmosphäre.

Pflanzenauswahl:

Amerikanische Pfeifenwinde (Aristolochia macrophylla), Rundblättriger Baumwürger (Celastrus orbiculatus), Hopfen (Humulus lupulus), Rankende Jungfernrebe (Parthenocissus vitacea), Japanischer Blauregen (Wisteria floribunda)

TECHNISCHES BÜRO OBKIRCHER
KREUZGASSE/WIEN

links: das mehrstöckige Bürogebäude in der Wiener Kreuzgasse hat Glasfronten im Eingangsbereich über die ersten drei Geschoße. rechts ein Bild von der Baustelle: in den Gehsteig vor dem Gebäude wurden Betonfundamente für Stahlgerüste und Tröge eingebaut.
Fotos: lichtblauwagner

Eine andere Situation findet sich am Standort dieses Bürogebäudes: Der südseitigen Glasfront wird ein Stahlrohrgerüst in Kombination mit Stahltrögen vorgesetzt, in denen schnellwüchsige Rank- und Schlingpflanzen und trockenheitsverträgliche Blühstauden wurzeln können.

links: Pflanzen werden eingesetzt und an den Rankhilfen befestigt. rechts: Nahaufnahme der Blüten des Roten Sonnenhuts.
Fotos: Anna Briefer

Die Pflanzen werden mittels automatischer Tropfbewässerung nach Bedarf mit Wasser versorgt. Außerdem ist der Standort Kreuzgasse seit Sommer 2023 für die wissenschaftliche Begleitung des Projekts mit einer Sensortechnik zur Datenerfassung von mikroklimatischen Parametern ausgerüstet.

Bild von der begrünten Gebäudefront: die Kletterpflanzen haben sich gut entwickelt und ranken sich üppig an den Gerüsten empor. Vor dem Gebäude halten sich einige Passant*innen im Schatten auf.
Foto: Rosemarie Stangl

Das Gebäude wird nicht nur energie- und klimatechnisch, sondern auch optisch deutlich aufgewertet. Die sicht- und spürbar verbesserte Aufenthaltsqualität hat auch soziale Effekte und fördert die Akzeptanz solcher Maßnahmen, was zur weiteren Verbreitung beiträgt.

Pflanzenauswahl:

Amerikanische Pfeifenwinde (Aristolochia macrophylla), Chinesischer Blauregen (Wisteria sinensis), Breitblättriger Strandflieder (Limonium latifolium), Steppen-Salbei (Salvia nemorosa), Patagonisches Eisenkraut (Verbena bonariensis), Taglilie (Hemerocallis x cultorum), Purpurroter Scheinsonnenhut (Echinacea purpurea)

PROJEKTSTECKBRIEF:

 GLASGrün

Projektlaufzeit: 8/2021–7/2024

Projektpartner*innen: BOKU-IBLB, BOKU-SEC, IBO, GRÜNSTATTGRAU, RATAPLAN, lichtblauwagner, MPREIS, TB Obkircher

Projektziele:

vertikale Begrünungsvarianten für Gewerbegebäude zur Bestandsergänzung, Sanierung oder Neubau

modulare und übertragbare Standardvarianten

standardisierte Kennwerte zu mikroklimatischer Performanz, bauphysikalischen und energietechnischen Effekten als Open Data

Erhebungen über Wahrnehmung, Wohlbefinden, Barrieren und Vorurteile von Kund*innen und Passant*innen

Leitfäden zur Variantenentwicklung und zu Umsetzungsprozessen, Checklisten für Erhaltung und Pflege, Standard-Managementpläne für Betreuung, Bewässerung und Monitoring von vertikalem Grün vor Glasflächen

Vorläufige Erkenntnisse: zum Online-Vortrag

Für ihre Initiative wurden die Projektpartner*innen BOKU-IBLB, BOKU-SEC, IBO, GRÜNSTATTGRAU, RATAPLAN, lichtblauwagner, MPREIS und TB Obkircher von BUSINESSART im Rahmen des ÖGUT-Umweltpreises 2024 ausgezeichnet.

Quellen und weiterführende Links:

„Leitfaden für die Projekteinreichung zum ÖGUT-Umweltpreis 2024“-GLASGrün-Univ.Prof. DI Dr. Rosemarie Stangl, Univ.-Ass. DI Anna Briefer, Institut für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau, BOKU University für das Konsortium GLASGrün

https://www.handwerkundbau.at/sonnenschutz/reportage-ueber-das-ffg-forschungsprojekt-glasgruen-52696

https://gruenstattgrau.at/news/glasgruen-klima-energie-und-wohlbefinden-regulieren-forschungsergebnis/

https://boku.ac.at/baunat/iblb/news-archiv/update-projekt-glasgruen-demostandort-wien

https://rataplan.at/projekt/glasgrun.html

https://www.lichtblauwagner.com/projekte/glasgruen-kreuzgasse/

Sylvia Resel