Zwischen Shitstorm und Applaus
Die politische Verantwortung von Unternehmen.
Der Krieg in der Ukraine hat ein Thema auf die Agenda gebracht, das normalerweise kaum diskutiert wird: Die politische Verantwortung von Unternehmen, außerhalb gesetzlicher Rahmenbedingungen. Woran sollen sich Unternehmen orientieren, um eine gute Entscheidung treffen zu können?
BUSINESSART hat bei Dr. Nils Kruse, Head und Senior Researcher am Institute for Business Ethics and Sustainable Strategy (IBES) nachgefragt.
BUSINESSART: Was heißt politische Verantwortung von Unternehmen?
Kruse: Zwar gibt es keine einheitliche anerkannte Definition politischer Verantwortung von Unternehmen, aber ich finde die folgende Analogie hilfreich: Wenn man sich ein Fußballspiel ansieht, unterscheidet man zwei Ebenen: die Ebene der Spielzüge und die Ebene der Spielregeln.
Bei politischer Verantwortung von Unternehmen geht es um deren Einfluss auf die Gestaltung der Spielregeln unseres Wirtschaftssystems. Unternehmen können auf zwei Wegen versuchen, die Spielregeln zu verändern: durch Lobbying, also durch gezielte Einflussnahme auf politische Entscheidungsträger*innen, oder durch aktive Beteiligung am politischen Diskurs.
Zu Letzterem zählen Meinungsäußerungen von CEOs zu gesellschaftspolitischen Themen, wie LGBTQIA-Rechten (Beispiel Pride Month), zur Flüchtlingspolitik oder zu rechtlichen Rahmenbedingungen zur Bekämpfung des Klimawandels. Auch Handlungen, wie die Bereitstellung des Satellitennetzwerks Starklink von Elon Musk für das ukrainische Militär, fallen darunter.
Wo beginnt die politische Verantwortung von Unternehmen? Wo endet sie oder wird kontraproduktiv?
In welchen Bereichen Unternehmen politische Verantwortung tragen und wie weit diese reicht, ist eine Frage der Norm. Das bedeutet, dass sie im gesellschaftlichen Diskurs ausgehandelt wird. Wir können gerade beobachten, dass sich Unternehmen mit steigenden Erwartungen an ihre Verantwortung konfrontiert sehen.
Hierin liegt eine Herausforderung für Unternehmen: Unabhängig davon, wie Unternehmen ihre politische Verantwortung selbst einschätzen, sollten sie zu Themen oder Vorwürfen, die an sie herangetragen werden, sprechfähig sein.
Nehmen wir als Beispiel die politische Verantwortung europäischer Unternehmen im Ukraine-Krieg. Hier hat die EU eine Reihe von Sanktionen verhängt, welche es europäischen Unternehmen verbieten, bestimmte Waren wie z.B. Luxusgüter, Maschinen oder Fahrzeuge nach Russland auszuführen. Es gibt allerdings kein generelles Verbot, auf dem russischen Markt aktiv zu sein.
NILS KRUSE
Man konnte allerdings beobachten, dass Unternehmen dazu aufgerufen wurden, sich über die gesetzlichen Anforderungen hinaus dazu zu verpflichten, sich aus dem russischen Markt zurückzuziehen. Unternehmen, die noch in Russland aktiv sind, wie z.B. der Schokoladenhersteller Ritter Sport, sehen sich Boykott-Aufrufen und teilweise massiven medialen „Shitstorms“ ausgesetzt. So führt die Yale School of Management eine „Liste der Schande“, auf der Unternehmen, welche noch in Russland tätig sind, geführt werden.
Hierbei ist es keineswegs trivial, eine pauschale Grenze politischer Verantwortung zu ziehen. Am Ende spielen Faktoren, wie die jeweiligen Einflussmöglichkeiten des Unternehmens auf die Spielregeln sowie das jeweilige Produkt, eine Rolle. Bleiben wir beim Beispiel des Exports von Produkten nach Russland. Es sollte nachvollziehbar sein, dass der Export sogenannter „Dual-Use-Güter“, also Produkten, welche sowohl zivilen als auch militärischen Zwecken dienen, derzeit eindeutig unverantwortlich wäre. Aber wie sieht es mit medizinischen Gütern wie z.B. Diabetes-Medikamenten aus? Hier ist die Trennlinie deutlich unschärfer. Es gibt durchaus berechtigte ethische Einwände, wenn durch Unternehmensentscheidungen die medizinische Grundversorgung am Krieg unbeteiligter russischer Diabetes-Patient*innen gefährdet wäre, weil europäische Unternehmen sich aus dem russischen Markt zurückziehen.
Wie kann ich als Unternehmer*in gut und systematisch an die Frage der politischen Verantwortung herangehen?
Die Debatte zeigt, dass Unternehmen sich zunehmend mit steigenden gesellschaftlichen Erwartungen konfrontiert sehen, welche sich auf unterschiedliche Bereiche erstrecken – vom Klimawandel bis zum Boykott von Exporten in bestimmte Märkte. Hierdurch kommt es zu einer Überforderung, wie ich im Kontakt mit Unternehmen beobachten kann. Es mangelt Unternehmen oft an der jeweiligen Expertise, um die Vielzahl verschiedener Fragestellungen ausreichend zu behandeln.
Gerade für KMU gestaltet es sich schwierig, neben der für das Kerngeschäft benötigten Expertise eigene personelle Ressourcen aufzubauen, die sich sowohl mit den Auswirkungen unternehmerischen Handels auf den Klimawandel, den Ukraine-Krieg, die Menschenrechte in China, Geschlechtergerechtigkeit und weiteren Themen zu beschäftigen.
In jedem Fall ist es sinnvoll, sich als Unternehmen mit den eigenen Unternehmenswerten auseinanderzusetzen und bezüglich des eigenen Handelns sowie der Kommunikation dieser Werte authentisch zu bleiben. Darüber hinaus haben Unternehmen die Möglichkeit, sich zeitweise externe Expertise einzukaufen, ohne dafür im eigenen Unternehmen permanent Ressourcen bereitzuhalten.
Rechnet es sich oder schadet es, als Unternehmen politische Verantwortung zu übernehmen?
Die Frage ist so pauschal nicht zu beantworten. Studien haben gezeigt, dass die Realisierung möglicher Reputationsgewinne oder monetärer Vorteile wesentlich davon abhängt, wie die jeweiligen Stakeholder-Gruppen zu der vom Unternehmen kommunizierten Position stehen. Sprich: Wenn ein Großteil Ihrer Kund*innen konservative Positionen vertritt, kann sich das Vorantreiben gesellschaftspolitisch progressiver Positionen nachteilig auf Ihre Absatzzahlen auswirken. So erging es jüngst der U.S. Biermarke „Bud Light“, welche sich Boykottaufrufen seitens ihrer konservativen Käufer*innenschicht ausgesetzt sah, nachdem das Unternehmen eine Social-Media-Kooperation mit einer Transgender-Aktivistin eingegangen war. Bei „Ben & Jerry’s“ gab es solche Reaktionen nicht, obwohl das Unternehmen sowohl den Wahlkampf des ehemaligen US-Präsidenten Barak Obama unterstützt als sich auch mit einem Rebranding einer Eissorte für gleichgeschlechtliche Ehen eingesetzt hat.
Klar ist, dass finanzielle Überlegungen für Unternehmen wichtig sind, allerdings sollten sie sicherstellen, dass die Unternehmenskommunikation authentisch und ehrlich bleibt. Durch die steigenden Erwartungen an das politische Handeln von Unternehmen werden Anreize für Greenwashing geschaffen, nämlich, dass sich Unternehmen in Bezug auf ihr politisches Handeln besser darstellen, als sie es tatsächlich sind. Dies ist für Unternehmen problematisch, da verschiedene Studien zeigen, dass Stakeholder wie Kund*innen oder Mitarbeiter*innen unter Umständen sehr negativ auf scheinheiliges Handeln reagieren.
