"Wie schafft es ein Unternehmen, sich nachhaltig neu aufzustellen?“
Wie Roswitha Reisinger, Eigentümerin des LEBENSART Verlags, zur Nachhaltigkeit kam - und am Thema drangeblieben ist.
BUSINESSART: Wie kam es, dass du dein Berufsleben Nachhaltigkeitsthemen gewidmet hast?
Roswitha Reisinger: Ungerechtigkeit und Umweltverschmutzung sind mir bereits als Kind stark aufgestoßen: die verschmutzten Flüsse, der Smog in der Luft, der Müll in den Wäldern, aber auch die fehlende Chancengerechtigkeit für Mädchen oder Kinder aus armen Familien. Das hat mich betroffen gemacht und geärgert. Bereits als Jugendliche habe ich mich daher zu diesen Themen engagiert.
Eine Art von „Lock-down“ war der Auslöser, mich auch beruflich für Nachhaltigkeit (damals Umweltschutz) zu engagieren. Als Tschernobyl 1986 explodierte, war ich hochschwanger und lebte mit meinem 2,5-jährigen Sohn in einer 35 Quadratmeter-Wohnung. Jeder, der mit Kindern zu tun hat, weiß, dass man mit ihnen raus muss, damit sie sich austoben können. Und wir waren in der Miniwohnung viele Tage lang eingesperrt. Die Sandkiste, Spielen im Wald oder am Bach, das alles war mehr als ein ganzes Jahr lang tabu. Zudem musste die gesamte Ernährung umgestellt werden: Milchpulver, Käse, Obst und Gemüse aus Südeuropa statt vom Bauernmarkt. Man könnte denken, das sei egal. Aber das war es nicht. Mein Sohn hat sich geweigert zu essen, weil ihm das alles nicht geschmeckt hat. Das war heftig.
Genau da habe ich beschlossen, mich nicht nur privat für Umweltschutz einzusetzen, sondern auch beruflich. Ich wollte zumindest meinen Teil zur Verbesserung der Situation beitragen und habe meine beruflichen Stationen entsprechend dieser Grundmotivation ausgerichtet – was mir allerdings erst jetzt in der Retrospektive so richtig bewusst wird.
Später sind zum Umweltschutz auch die sozialen und wirtschaftlichen Themen dazugekommen. Nachhaltigkeit ist ja ein großes Ganzes, das eine ist mit dem anderen unabdingbar verbunden.
Was war die größte Herausforderung für dich?
Die größte Herausforderung war und ist für mich auszuhalten, dass Lösungen, die für alle gut sind, nicht umgesetzt werden, weil Lobbys bzw. die Systeme, die wir uns gebaut haben, das behindern.
Zum Beispiel war bereits Anfang der der 1990er-Jahre klar, dass der Energieverbrauch der Gebäude reduziert werden muss (Stichwort Klimawandel), und das am besten mit guter Dämmung gelingt. Das bringt mehr Wohnkomfort, spart Energie (also CO2 und Geld) und bringt regionale Arbeitsplätze und Wertschöpfung (Es braucht Handwerker vor Ort). Es ist nicht so, dass sich nichts getan hat: Die Vorgaben für Neubauten und die Kriterien für die Wohnbauförderung wurden deutlich verbessert. Trotzdem: 35 Jahre später sind noch immer nicht alle Gebäude saniert – es geht viel zu langsam. Weil es die Vermieter mehr kostet als es ihnen bringt, weil Eigentümer*innen meinen „das rechnet sich nicht“.
Das gleiche gilt, wenn auch viel komplexer, für die Kreislaufwirtschaft, für die Biodiversität oder für soziale Fragen. Dafür müssen mutige, durchdachte Lösungen von der Politik gefunden und stringent umgesetzt werden, es braucht viel Überzeugungsarbeit und Vorbilder. Zudem braucht es eine attraktive Vision und es muss cool sein, nachhaltig zu agieren, damit die Politik auch die Unterstützung der Bevölkerung bekommt. Und alle miteinander müssen wir daran arbeiten, wieder Lösungen und Kompromisse zu finden, statt zu polarisieren. Denn letzteres zerstört zu viel.
Was hat dich ermutigt, dranzubleiben?
In den 1980er-Jahren gab es den politischen Willen und den Druck der Bevölkerung, der Wasserverschmutzung und dem Waldsterben ein Ende zu setzen. Viele Industriebetriebe mussten Luft- und Wasserfilter einbauen. Ich kann mich noch gut an die Kassandrarufe von damals erinnern: „Das bringt die Unternehmen um.“
Interessanterweise ist genau das Gegenteil passiert. Österreichische KMU haben Umwelttechnologien entwickelt, die weltweit gefragt sind. Ähnliches gilt für die Biolandwirtschaft in Österreich. Es hat sich gezeigt, wenn Politik, Unternehmen und Bürger*innen an einem Strang ziehen, dann geht etwas weiter.
Wir haben im Umweltbereich in Österreich enorme Stärken. Diese sollten wir weiter ausbauen und die Flexibilität und Innovationskraft der vielen KMU nutzen und kombinieren. Das gilt natürlich auch für andere Themen, für die Österreich steht. Wichtig wäre aus meiner Sicht eine klare Positionierung, stringente, planbare Rahmenbedingungen und entsprechende politische Unterstützung. Wir sind kein Billiglohnland (und wollen es auch nicht sein). Daher müssen wir vorangehen und neue Lösungen finden, damit unsere Unternehmen resilient, wettbewerbsstark und zukunftsfähig bleiben bzw. wieder werden.
Welches der vielen Themen war dir besonders wichtig und warum?
Nachhaltiges unternehmerisches Handeln. Das kommt aus meiner Geschichte als Umwelt- bzw. als Unternehmensberaterin. Mich fasziniert die Frage: Wie schafft es ein Unternehmen, einige der bisherigen (nicht-nachhaltigen) Gesetzmäßigkeiten der Branche zu verändern, sie neu (nachhaltig) zu definieren und dadurch auch wirtschaftlich erfolgreich zu sein? Wenn da eine neue Antwort gefunden wird – das fasziniert mich. Und hat meinen größten Respekt: Denn dafür braucht es Kreativität, Innovationskraft, den Wunsch und die Fähigkeit, über den Tellerrand hinauszudenken, viel Mut und zudem Überzeugungskraft, um andere mitzunehmen.
Worauf bist du besonders stolz, was du in Sachen Nachhaltigkeit erreicht hast?
Ich tu mir immer ein wenig schwer mit dem Begriff „stolz“. Stolz bin ich vielleicht darauf, dass ich meine Stärke, die Innovationskraft, in all meinen beruflichen Stationen eingesetzt habe und so Meilensteine setzen konnte, die genau in die jeweilige Zeit gepasst haben und die Welt ein Stückchen besser gemacht haben. Und dass ich immer mutig genug war, auch schwierige Entscheidungen unter großer Unsicherheit zu treffen. Das war nicht einfach. Aber ohne diese schwierigen Entscheidungen wäre ich nicht da, wo ich heute bin.
Gelungen ist das immer auch mit den richtigen Menschen rund um mich. Ohne sie wäre das nicht möglich gewesen. Das ist eigentlich das größte Geschenk in meinem Leben und das macht mich glücklich und zufrieden, wenn ich zurückschaue.
Gibt es einen Leitsatz in deinem Leben? Wenn ja, wie lautet er?
Da gibt es mehrere. Zwei, die mich sehr gut charakterisieren:
- Die Herausforderungen sind groß – noch größer ist aber unsere Fähigkeit, die richtigen Lösungen zu finden.
- Just try it! Geh ins Handeln, probiere, lerne und mach weiter.
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Begründung für die Auszeichnung:
Roswitha Reisinger engagiert sich seit 1988 auch beruflich für eine nachhaltige Entwicklung in Österreich. Sie war am Aufbau der Umweltberatung maßgeblich beteiligt und orchestrierte danach als Geschäftsführerin des Ernte-Verbandes den Zusammenschluss zahlreicher Bioverbände zum Dachverband Bio Austria. 2005 gründete sie, gemeinsam mit ihrem Mann den Lebensart-Verlag, und spezialisierte sich auf das Thema Wirtschaft und Nachhaltigkeit. Mit einem Business-Newsletter (seit 2008), mit der Auszeichnung der „Nachhaltigen Gestalter*innen“ (seit 2009) und dem nachhaltigen Wirtschaftsmagazin BUSINESSART (seit 2012) setzte sie Meilensteine in der Kommunikation nachhaltiger Wirtschaftsthemen und schaffte eine Bühne für zahlreiche nachhaltig agierende Manager*innen und Unternehmer*innen in Österreich.
Die Nachhaltige Gestalterin
Roswitha Reisinger, Eigentümerin und Herausgeberin
Lebensart VerlagsGmbH
Branche: Verlag
Mitarbeiter*innen: 6
www.lebensart-verlag.at