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Von aufbereiteten Secondhand-Möbeln fürs Büro bis zum Verwerten von Restwertstoffen: Die Möglichkeiten der Kreislaufwirtschaft für Unternehmen sind enorm.

Ein oranges Steuerungsrad aus Metall vor weißem Hintergrund. Darüber ein gebogener oranger Pfeil, der die Richtung im Uhrzeigersinn anzeigt. Titelüberschrift lautet: ENTSORGEN? BESSER ZURÜCK IN DEN KREISLAUF
Foto: andrey-k;

Das, worüber wir hier schreiben, ist eigentlich ein alter Hut. Dinge so lange wie möglich verwenden und reparieren, Ressourcen wieder verwerten? In früheren Generationen war das selbstverständlich. Mit der Wegwerfgesellschaft änderte sich das. Deren Devise: Gebrauchtes wird entsorgt, dafür rasch Neues beschafft – und zwar immer mehr davon. Und heute? „Unsere Wirtschaft ist immer noch weitestgehend auf Linearität ausgelegt“, sagt Karin Huber-Heim, Nachhaltigkeitsexpertin und Stadt Wien Stiftungsprofessorin für Kreislaufwirtschaft und transformative Geschäftsmodelle an der Fachhochschule des BFI Wien. Das bedeutet: Rohstoffe werden zu Produkten verarbeitet, die nach kurzer Lebensdauer weggeworfen werden. Und doch gehen Unternehmen zunehmend Schritte in Richtung einer zirkulären Wirtschaft, in der Ressourcen, Energie und Produkte in einem Kreislauf gehalten werden. Das entspricht auch dem Zeitgeist. Die Sorge um den Klimawandel, aber auch die Erfahrungen, dass Produkte teurer werden, weil die Preise für Rohstoffe und Energie gestiegen sind, bringt Menschen dazu nachzudenken: Wo kann ich Geld und Ressourcen gleichzeitig sparen? Wie kann die Nutzungsdauer von Dingen verlängert werden? Wie können wertvolle Rohstoffe wieder verwendet werden?

Zwei Frauen stehen vor der bunt bemalten Wand und präsentieren ihr Werk. Jede hält ein Exemplar des Buches in Händen.
Karin Huber-Heim und Franzisca Weder mit ihrem "Praxishandbuch Nachhaltigkeitskommunikation", erschienen im Linde Verlag 2025. Foto: Andreas Scheiblecker/ÖBB

Karin Huber-Heim, erfahrene ESG-Expertin und Stiftungsprofessorin für Kreislaufwirtschaft und transformative Geschäftsmodelle an der FH des BFI Wien, hat, gemeinsam mit Franzisca Weder, Institutsvorständin an der WU und Professorin für Nachhaltigkeitskommunikation, das Praxishandbuch Nachhaltigkeitskommunikation herausgegeben. Es bietet einen umfassenden Überblick über alle ESG-Kommunikationsherausforderungen plus ganz konkrete Hilfestellungen für die Praxis. Das Buch hat das Zeug zu einem Standardwerk der Nachhaltigkeitskommunikation zu werden.

Lesen Sie auch das Interview mit Franziska Weder, in dem die Expertin erklärt, wie Kommunikation über Kreislaufwirtschaft aussehen kann.

Abfall oder Nebenprodukt?

Wer an Kreislaufwirtschaft denkt, dem kommt wahrscheinlich zuerst Recycling in den Sinn. Das sei nicht falsch, sagt Karin Huber-Heim, aber längst nicht alles. „Recyceln steht erst ziemlich am Ende der sogenannten R-Strategien in der Kreislaufwirtschaft. „Zuerst sollte man sich fragen: Brauche ich das Produkt überhaupt (refuse)? Wenn ja: Muss ich es unbedingt besitzen oder kann ich seine Funktion auch anders bekommen, zum Beispiel durch Leihen (rethink)? Darf es statt Neuem Gebrauchtes sein (reuse)? Für ein Unternehmen kann das zum Beispiel bedeuten, bei der Neuausstattung der Büros auf Secondhand-Möbel zurückzugreifen. Refurbish-Plattformen, die alte Möbel aufbereiten und verkaufen, gibt es bereits – übrigens auch für digitale Geräte oder Maschinen. Enormes Potenzial liegt laut Huber-Heim bei den Rohstoffen. Geopolitische Veränderungen und Krisen haben gezeigt, wie anfällig Lieferketten sein können. Risiken ließen sich minimieren, wenn man Wege findet, Primärmaterial zu reduzieren. Oder wenn man Materialien auf alternativen Wegen beschaffen kann. „Was für einen Industriesektor Abfall oder Nebenprodukt ist, kann als Restwertstoff wieder in den Kreislauf eines anderen zurückgeführt werden.“ Abwasser, Schleifstaub, Bauteile zum Beispiel. Dazu brauche es Kooperationen, denn: „Vieles kann man nicht allein.“ Schon vor über zehn Jahren testeten zum Beispiel der Autohersteller Ford und Heinz Tomatenketchup eine Zusammenarbeit: Tomatenabfälle bei der Ketchup-Herstellung wurden von Ford zu biobasiertem Kunststoff für die Innenverkleidung verarbeitet.

Systeme umstellen

Kreislaufwirtschaft eröffnet die Möglichkeit für neue Geschäftsmodelle und bietet Unternehmen die Chance, ihr Geschäftsmodell zu erweitern, sagt Huber-Heim. Etwa indem ein reines Verkaufs- durch ein Servicemodell ergänzt wird. „Neue Wege der Kund*innenbindung sind hier gut möglich, wenn man Rücknahmen oder Reparaturen anbietet.“
Karin Huber-Heim räumt ein, dass bei den Versuchen, zirkulär zu wirtschaften, noch lange nicht alles rund laufe. Systeme müssten umgestellt, Abläufe neu durchdacht und organisiert werden. Oft sei der herkömmliche Weg, etwa bei der Beschaffung von Rohstoffen, noch billiger und unkomplizierter. Gesetzliche Rahmenbedingungen – zum Beispiel beim Abfallrecht –, aber auch praktische Fragen wie jene nach geeigneten Lagerflächen für Materialien oder nach digitalen Lösungen für das Teilen von Daten zwischen Unternehmen fordern heraus. „Aber auch das Alte funktioniert nicht mehr so gut“, sagt Huber-Heim. Sie zweifelt nicht daran, dass Unternehmen in Zukunft von zirkulärem Denken profitieren werden. „Die Frage ist: Agieren wir nur im Moment oder schauen wir voraus? Von der Unternehmensführung braucht es strategischen Weitblick.“

Flotte Lotte: Obst- und Gemüseüberschüsse statt in den Müll ins Glas

Daniel Ruttinger, Geschäftsführer der Flotte Lotte GmbH 

Ein Mann mittleren Alters mit kurzen Haaren, Vollbart und freundlichen braunen Augen. Haar und Bart sind dunkel und schon etwas graumeliert. Er trägt ein dunkelblaues T-Shirt.
Daniel Ruttinger sorgt dafür, dass Lebensmittel, die auf dem Mull landen wurden, in den Kochtopf und dann ins Schraubglas kommen. Foto: Rosemarie Winkler

Die Flotte Lotte hat sich auf die Produktion von Glaskonserven aus Obst- und Gemüseüberschüssen spezialisiert. Die Rohwaren für die Eintöpfe, Suppen, Chutneys und Fruchtaufstriche stammen aus dem Handel und direkt von den Bauernhöfen. Die Produkte sind vegan, glutenfrei und ohne Konservierungsstoffe. In Österreich landen jährlich rund zwei Millionen Tonnen oft völlig genießbare Lebensmittel im Müll. Darüber hinaus vernetzt das Unternehmen auch Sozialmärkte und kleine Produktionsbetriebe, initiiert Logistikprojekte und unterstützt Menschen beim Wiedereinstieg ins Arbeitsleben. Ab Herbst startet Ruttinger ein „kleines Herzensprojekt“. Die Flotte Lotte übernimmt vier Obstbaumkulturen mit Erhaltungsbäumen – insgesamt über 200 verschiedene Sorten und 400 Bäume. Zirka die Hälfte der Fläche wäre ansonsten gefährdet, gerodet zu werden.

Daniel Ruttinger mangelt es in seinem Arbeitsalltag nicht an Spannung. Die große Frage, die sich dem Waldviertler täglich stellt: Was wird heute reinkommen? Ein paar hundert Kilo Paprika? Rote Rüben? Zwei große Rollcontainer Salatköpfe? Ruttinger ist Geschäftsführer von Flotte Lotte. Das Unternehmen in Zwettl verwertet Obst- und Gemüseüberschüsse und macht daraus Eintöpfe, Aufstriche, Suppen und Chutneys. Lebensmittel, die auf dem Müll landen würden, kommen in den Kochtopf und dann ins Schraubglas. Vegan, glutenfrei und ohne Konservierungsstoffe. Nur wissen Ruttinger und seine Mitarbeiter*innen eben nie so genau, womit sie rechnen können. Aber Ruttinger und sein Team haben in den vergangenen Jahren eines gut gelernt, nämlich zu improvisieren. Ihre Rezeptdatenbank ist gut bestückt. „Momentan haben wir sehr viele Tomaten und Paprika, die wir zu Sugo verarbeiten.“

Fast ein Drittel landet im Müll

Die Flotte Lotte entstand aus einem Verein, den eine Bekannte von Daniel Ruttinger vor fast zehn Jahren gegründet hatte. Ruttinger, damals noch in einem Ausbildungsprojekt für Jugendliche beschäftigt, half regelmäßig mit seinen jungen Klient*innen beim Einkochen der Lebensmittel. Als der Verein zur GmbH wurde, wurde Ruttinger ihr Geschäftsführer. Sieben Mitarbeiter*innen, darunter Menschen, die die Flotte Lotte beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt unterstützt, sind heute angestellt.
Das Thema Lebensmittelverschwendung treibt Ruttinger schon lange um. Wie kann es sein, dass dreißig Prozent des produzierten Obstes und Gemüses weggeworfen werden? Nicht nur weil sie verdorben sind, sondern weil sie den Ansprüchen des Marktes nicht genügen oder überschüssig produziert wurden. „Es geht dabei ja nicht nur um die Mengen an Obst und Gemüse, da steckt ja viel mehr dahinter – verlorene Arbeitskraft, Düngemittel, Flächenbedarf, Wasser.“ Allein in Österreich werden jährlich 635.000 Tonnen Lebensmittelabfälle entsorgt. Davon wären rund 358.000 Tonnen vermeidbar. Nach Brot und Backwaren ist es vor allem Obst und Gemüse, das noch genießbar im Müll landet.

Zusammenarbeit mit dem Großhandel und Landwirt*innen

Obst und Gemüse erhält die Flotte Lotte vom nahen Großhandelsmarkt Kastner als Spende. Dieser erspart sich dadurch die Entsorgungskosten. Mittlerweile arbeitet das Unternehmen auch mit Bäuerinnen und Bauern aus der Umgebung zusammen. Das ist logistisch mehr Aufwand, weil die Lebensmittel zum Unternehmensstandort transportiert werden müssen. „Den Versand der fertigen Produkte haben wir an externe Transportunternehmen ausgelagert, weil es anders für uns nicht mehr machbar war.“ Und das Thema Lagerung? Die Flotte Lotte ist in einer ehemaligen Molkerei untergebracht und verfügt über 600 Quadratmeter an Lagerflächen. Nicht immer kann der Betrieb alles verwerten, was in den Rollcontainern reinkommt. „Manchmal sind es nur zehn, manchmal 90 Prozent.“ Genießbare Überschüsse gibt die Flotte Lotte an Sozialmärkte weiter.
Das Unternehmen hat keine Großinvestor*innen im Hintergrund. Das Geschäftsmodell: „Wir gehen bewusst nicht in den Handel, sondern setzen auf nachhaltige Partner*innen und wachsen organisch.“ Das klappt gut, denn: „Gute Produkte setzen sich bei den Kund*innen durch.“ Daniel Ruttingers Favorit ist der libanesische Linseneintopf mit Linsen, Mangold und Tomaten.

magdas: Ein neues altes Hotel

Gabriela Sonnleitner, Vorstandsvorsitzende von magdas Social Business und des magdas Hotel 

Gabriela Sonnleitner
Gabriela Sonnleitner Foto:Peter Barci

Gabriela Sonnleitner kam vor mehr als 10 Jahren zu magdas und hat seither gemeinsam mit einem engagierten Team magdas Hotel aufgebaut. Im ersten Social Business Hotel Österreichs erhalten vor allem Menschen, die aus ihren Herkunftsländern fliehen mussten, die Chance auf einen sinnstiftenden Arbeitsplatz. Vielfalt wird als Stärke gesehen – dies ist auch im kulinarischen Angebot erlebbar. Dafür wurde Sonnleitner 2015 als Nachhaltige Gestalterin ausgezeichnet.

Doch es ging weiter: 2017 wurde ein eigener Lehrlingsschwerpunkt für junge Menschen mit Fluchterfahrung gesetzt. Parallel werden etwa zehn junge Menschen in drei Lehrberufen ausgebildet. Seit dem Frühjahr 2025 wird auch das Haus am Prater erneuert. Man hat sich bewusst nicht für einen Abriss, sondern für eine Generalsanierung entschieden, um Ressourcen zu sparen. Dabei soll die Struktur des Hauses erhalten und so wenig Abrissmaterial wie möglich produziert werden. Bei der Inneneinrichtung setzt man auf Secondhand-Möbel, Möbel aus Altholz und andere Recycling-Materialien. In zwei Jahren soll magdas Hotel Vienna Prater eröffnet werden.

Gabriela Sonnleitner, Geschäftsführerin bei magdas Hotel, und ihr Team hätten es sich einfacher machen können. Hotel abreißen, neu bauen – fertig. Denn hochwertig ist er nicht, der 1970er-Jahre-Bau am grünen Prater, in den das magdas Hotel 2015 eingezogen war. Ein Social Business, das geflüchteten Menschen einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz ermöglicht. Eine Generalsanierung des Gebäudes würde aufwendig werden, das wussten Sonnleitner und magdas-Träger, die Caritas der Erzdiözese Wien. Dennoch entschieden sie sich dafür. „Der CO2-Fubabdruck soll so niedrig wie möglich gehalten werden. Und Studien zeigen, dass ein Abriss und Neubau viel CO2-intensiver wären“, sagt Sonnleitner. Von 2015 bis 2022 beherbergte das Haus am Prater das zunächst als Pop-up geführte Hotel. Im Herbst 2022 bezog das Team ein eigens renoviertes ehemaliges Priesterwohnhaus in der Ungargasse im dritten Bezirk, das auch nach der Eröffnung des Standorts am Prater erhalten bleiben wird. Seit dem Frühling wird das Haus am Prater nun erneuert.

Struktur des Hauses erhalten

„Herausforderungen gab und gibt es bei diesen beiden Sanierungsprojekten vom Keller bis zum Dach“, erzählt Sonnleitner, die gerade viel auf der Baustelle unterwegs ist. Letztens half sie, alte Betten aus dem Hotel zu tragen. Nicht alles lasse sich ganz so verwirklichen, wie geplant. Die Duschen zum Beispiel. Die dafür vorgesehenen Schächte sind nun doch schmäler als gedacht. Die Duschen werden im Haus im Prater also um ein paar Zentimeter enger werden. Die Haustechnik wird aufwendig installiert: „Wir heizen und kühlen das Haus mit Grundwasser und brauchen dafür im Keller eine Wärmepumpe. Dafür mussten wir den Keller an einigen Stellen absenken.“ Die Wände hingegen bleiben großteils stehen. Die Struktur des Hauses soll erhalten bleiben und so wenig Abrissmaterial wie möglich produziert werden. Was Sonnleitner wichtig ist: Die Sanierung soll den Geist des Hauses erfassen. „Das Haus steht im grünen Prater, Grün muss also eine Rolle spielen, genauso wie Holz.“

Suche nach geeignetem Holz

Aktuell ist Sonnleitner stark in die Interieur-Ausstattung des Hotels involviert. Die Idee: Für die Einrichtung soll Altmaterial verwendet werden. Alte Sofas und Fauteuils werden mit neuen Möbelstücken kombiniert, die wiederum, soweit es geht, aus Altholz hergestellt werden. In welchem Umfang das möglich sein wird, wird sich zeigen. „Das Holz muss zum richtigen Zeitpunkt in guter Qualität daherkommen.“ Sonnleitner und das Team improvisieren. Dann, wenn sie wieder einmal einen Anruf bekommen mit der Frage: Wir haben diese oder jene Möbel – könnt ihr die brauchen? „Wir haben vier Lager, auf die Material und Möbel verteilt sind.“ Eingelagert sind etwa auch die alten Kirchenbänke aus der Kapelle vom zweiten Standort in der Ungargasse. Schönes, hochwertiges Holz – viel zu schade zum Wegwerfen. Voraussichtlich wird es für Möbel im Lokalbereich des Hauses am Prater verwendet werden. Aber auch ganz neue Recycling-Materialien kommen zum Einsatz: für die Rezeption gestopfte Lehmziegel, für die Bar Ziegel aus Holzresten. 

Cooles Hotel in guter Lage

magdas zeigt seit einem Jahrzehnt, dass sich wirtschaftliche und soziale Ziele nicht ausschließen. Mit den Generalsanierungen der zwei Standorte wurde ein starker Fokus auf Nachhaltigkeit gelegt – und das muss sich wirtschaftlich tragen. Das funktioniere dann, wenn das Produkt stimmt. „Niemand kommt zu uns, weil wir eine soziale Vision haben. Die meisten kommen, weil wir ein cooles Hotel in guter Lage sind“, sagt Sonnleitner. „Viele Firmen buchen bei uns, weil sie für den eigenen Nachhaltigkeitsbericht Pluspunkte sammeln.“ Win-win-win also. 

Circularful macht Schluss mit Matratzenabfall

Verena Judmayer und Michaela Stephen, Gründerinnen und Geschäftsführerinnen der Circularful GmbH 

Zwei junge Frauen in schwarzen Anzügen, unter denen sie das selbe weiße T-Shirt mit der Aufschrift
Von der Unternehmensberatung in die Matratzen-Entwicklung - Michaela Stephen und Verena Judmayer gingen diesen Weg. Foto: Lisi Specht

Mit MATR entwickelten Verena Judmayer und Michaela Stephen die erste Kreislaufwirtschaftsmatratze speziell für Hotels. Im Gegensatz zu herkömmlichen Matratzen, von denen 80 Prozent auf Deponien landen oder verbrannt werden, ist die Matratze der Circularful GmbH modular aufgebaut. Sie besteht aus recycelbaren Materialien und erfüllt die EU-Ökodesign-Kriterien. Damit ist eine vollständige Aufarbeitung, Wiederverwendung und Remanufakturierung möglich – ganz ohne Abfall. Mit dazu gehören ein Rücknahme- und Recyclingservice, Beratung sowie flexible Finanzierungsmodelle. Zwar wurden seit der Markteinführung 2023 noch keine Matratzen retourniert, die Wiederverwertbarkeit aller Materialien aber umfassend getestet.

Es ist nicht so, dass Verena Judmayer und Michaela Stephen die Mission für ihr Business mit MATR so schnell vergessen würden. Trotzdem, sie hängt gut sichtbar an der Wand ihres Büros, vor fünf Jahren gekritzelt auf ein gelbes Post-it: „End mattress waste“, Schluss mit Matratzenabfall. Die Jungunternehmerinnen, zu dieser Zeit Kolleginnen in einer Beratungsfirma, waren damals auf eine Statistik gestoßen, die sie schockierte: Jedes Jahr werden allein in Europa 30 Millionen Matratzen entsorgt. „Das ergibt Müllberge so groß wie 81-mal der Großglockner“, sagt Verena Judmayer. Sie landen auf Deponien oder werden verbrannt. Aber nicht allein die Menge an Abfall fanden die beiden skandalös, sondern auch die Tatsache, dass diese Müllberge kaum jemanden zu kümmern schienen. „Jede*r von uns verbringt rund ein Drittel der Lebenszeit auf seiner Matratze, aber niemanden interessiert, was mit diesem Produkt, das man jeden Tag verwendet, passiert, wenn man es nicht mehr braucht.“

Wie die Materialien verbinden?

Judmayer und Stephen hatten mit Matratzen – außer während des eigenen Schlafs – vorher nichts am Hut. Die Idee, ein nachhaltiges Business zu gründen, das einen sinnvollen Impact hat, hatte sie aber immer schon gereizt. Sie gründeten ihr Unternehmen Circularful, steckten ihre Ersparnisse in die Firma, holten Investoren an Bord und arbeiteten fieberhaft an einer Matratze, die den Abfall aus der Matratzenindustrie reduzieren sollte. Die in Hotels ein erstklassiges Schlaferlebnis bietet und Ressourcen möglichst effizient nutzt. Drei Jahre dauerte es, bis sie eine Kreislaufwirtschaftsmatratze entwickelt hatten und 2023 mit dem Namen MATR auf dem Markt einführten.
Das Komplizierteste bei der Entwicklung war die Verbindung der einzelnen Materialien. Oft sieht man im Geschäft Matratzen im Querschnitt und damit all das, was in ihnen steckt: verschiedene Materialien, meist mit Klebstoff verbunden. „Aber genau dieser Klebstoff macht es so schwierig, klassische Matratzen zu recyclen.“ Für MATR-Matratzen suchten Judmayer und Stephen deshalb nach einer anderen Lösung. Ihre Matratzen sind modular aufgebaut. Je nach Modell werden die Materialien gar nicht verklebt, sondern zusammengesteckt. Oder sie werden mit Klebstoff verbunden, der sich durch Erhitzen leicht aus den Materialien lösen lässt und diese nicht verunreinigt. Voilà: Jede Matratze kann in ihre Materialienbestandteile zerlegt werden, wenn ihre Lebensdauer abgelaufen ist. „Das Besondere: Die Materialien müssen nicht downgecycelt, sondern können zum gleichen Wert wiederverwendet werden.“

Rücknahmeversprechen für Hotels

Das große Ziel von Judmayer und Stephen ist es, den Materialkreislauf im eigenen Unternehmen zu schließen, die Materialen aus alten Matratzen wieder für neue zu verwenden. Noch ist das nicht möglich.
Wofür sich die beiden sonst noch auf die Schulter klopfen können? Der Schaumstoff für die Matratzen wird direkt in Österreich produziert, der Bezug besteht aus schon recyceltem Material, ihr Produkt erfüllt EU-Ökobilanzkriterien und sie geben Hotels ein Rücknahmeversprechen: Alte Matratzen werden von ihren Partner*innen abgeholt und in Recycling-Anlagen gebracht. Die Bilanz: Jede MATR-Matratze spart im Durchschnitt 40 Prozent CO₂ gegenüber herkömmlichen Matratzen. 38 Hotelkunden konnte Circularful schon überzeugen und natürlich schlafen auch Judmayer und Stephen auf einer ihrer Kreislaufmatratzen.

Kreislaufwirtschaft-Uniformen: Dienstkleidung recyceln

Isabella Schütz (Umweltmanagementsystembeauftragte der ÖBB-Personenverkehr AG), Sabine Krispel (Leitung Betriebsmittel Post), Barbara Fuchs (Gruppenleitung Wirtschaft) und Rebecca Harbusch (Technikerin Ressourcenmanagement), Dragana Serdar (Bekleidungstechnikerin, Wiener Linien),  Leonie Marie Landmann (Uniform Manager & Tailor Austrian Airlines),   Thomas Krautschneider (Geschäftsführender Gesellschafter, Salesianer Miettex Miettex) und Mathias Nell (Head of Sustainability, Salesianer Miettex),  Miguel Centenero (Projektkoordinator City Airport Train – CAT): Uniform-Recycling Pioniere

6 Personen, 4 Frauen und 2 Männer, posieren in Uniformen und Dienstkleidung der Post, Wiener Linien, Austrian Airlines, ÖBB, CAT und Salesianer Miettex. Vor ihnen stehen zwei Kartons, aus denen weitere Uniformstücke quellen.
Die Dienstkleidung von 31.500 Mitarbeiter*innen bei den OBB, Austrian Airlines, City Airport Train, Post, Salesianer Miettex und den Wiener Linien wird bereits recycelt. Foto: ÖBB / Lukas Leonte

Zweites Leben für 1er-Panier: Sechs Unternehmen – Austrian Airlines, CAT, ÖBB, Post, Salesianer Miettex und Wiener Linien – haben als Uniform-Recycling Pioniere ein Pilotprojekt zur textilen Kreislaufwirtschaft gestartet. Gebrauchte und nicht mehr einsatzfähige Dienstkleidung von rund 31.500 Mitarbeiter*innen wird gesammelt und sortiert, anschließend recycelt und zu neuen Garnen verarbeitet. Über 50 Tonnen Textilmüll sollen so jährlich vermieden werden. Das gemeinsame Vorgehen der sechs Unternehmen hilft nicht nur, Ressourcen zu sparen, sondern unterstützt gleichzeitig den Auf- und Ausbau der heimischen Recyclingindustrie.

Die Mitarbeiter*innen bei den österreichischen Unternehmen Austrian Airlines, CAT (City Airport Train), ÖBB, Post, Salesianer Miettex und den Wiener Linien tragen ihre Dienstkleidung ein paar Jahre. Doch was passiert mit den Blusen, Hosen, Sakkos, Hemden und Röcken, wenn ihre Lebensdauer ein Ende erreicht hat? Für den Secondhand-Markt eignen sie sich eher weniger, sind doch die meisten Uniformen mit Firmenlogos versehen. Ein Großteil der Dienstkleidung wurde bisher thermisch verwertet, also verbrannt. So wie der überwiegende Teil aller Textilabfälle in Europa. Mit ihrem enormen Ressourcenverbrauch und den von ihr verursachten Müllbergen gilt die Textilbranche als besonders problematisch für die Umwelt. Das soll sich ändern. Sechs österreichische Betriebe setzen dafür erste Schritte: Auf Initiative der ÖBB haben sich die Unternehmen Austrian Airlines, CAT, Post, Salesianer Miettex und die Wiener Linien zusammengetan und ein Pilotprojekt zur textilen Kreislaufwirtschaft gestartet. „Ein zweites Leben für unsere 1er-Panier“ lautet der Slogan für das Projekt der Uniform-Recycling-Pioniere, bei dem die Dienstkleidung von rund 31.500 Mitarbeiter*innen gesammelt, sortiert, recycelt und zu neuen Garnen verarbeitet wird. Über 50 Tonnen Textilmüll soll so jährlich eingespart werden.

Erste Akzente im Textilrecycling

„Weltweit werden derzeit weniger als ein Prozent aller Textilabfälle wieder zu Textilfasern verarbeitet“, sagt Isabella Schütz von den ÖBB. Rechtliche Weichenstellungen sollen diesen Anteil in Zukunft zwar erhöhen – durch ein Pilotprojekt wie dieses können aber bereits jetzt schon erste wertvolle Akzente im Textilrecycling gesetzt werden.

Mit der Sammlung und Wiederaufbereitung der Textilien wurde das Unternehmen TURNS, Expert*innen im Faser-zu-Faser-Recycling, beauftragt. Koordiniert wird das Projekt von der Unternehmensberatung EY denkstatt. Besonders herausfordernd war im Vorfeld die Implementierung der innerbetrieblichen Sammellogistik aufgrund der großen Streuung der Standorte. „Durch die Kooperationsbereitschaft aller projektbeteiligten Unternehmen konnten wir das erfolgreich lösen“, sagt Isabella Schütz.

Zweites Leben für die Uniformen -
Welche Schritte umfasst der Recyclingprozess nun?

Die Textilien werden dafür von den Unternehmen im niederösterreichischen Drasenhofen zusammengetragen und dort entsprechend ihrer Faserzusammensetzung und Verarbeitungsform manuell in vier Güteklassen sortiert. Der Anteil, der sich nicht zum Recycling eignet, sondern thermisch verwertet wird, ist nun der geringste. Der verwertbare Anteil der Dienstkleidung wird mit der Bahn zu Recyclingstandorten nach Deutschland und Portugal gebracht. Dort werden die Alttextilien, die sich nicht zur Faserrückgewinnung eignen, zu Füllmaterial – etwa für Polsterungen oder Schallschutzwände – downgecycelt. Höherwertige Alttextilien werden mechanisch zu Recyclingfasern weiterverarbeitet und anschließend mit Frischfasern vermischt und zu neuem Garn versponnen. Diese Garne werden zur Herstellung neuer Flächen- oder Bekleidungstextilien verwendet – die 1er-Panier erhält damit ein zweites Leben.

Sandra Lobnig

10 R: DIE GRUNDSÄTZE DER KREISLAUFWIRTSCHAFT

Intelligente Herstellung und Nutzung:

Refuse (ablehnen): Produkte gar nicht erst kaufen oder nutzen. Zuerst überlegen, ob man sie überhaupt braucht. 

Rethink (überdenken): statt eines Neukaufs überlegen, ob man ein Produkt auch leihen, tauschen oder leasen kann.

Reduce (reduzieren): den Ressourcenverbrauch in der Herstellung oder Nutzung reduzieren.

Lebensdauer verlängern:

Re-use (wieder verwenden): funktionsfähige Produkte wiederverwenden, nicht entsorgen.

Repair (reparieren): Kaputtes reparieren und weiterverwenden.

Refurbish (wiederaufbereiten): veraltete Produkte auf den neuesten Stand bringen, kaputte Teile ersetzen.

Remanufacture (wiederaufbereiten): Teile von defekten Produkten für neue Produkte benutzen, die dieselbe Funktion erfüllen.

Repurpose (anders weiternutzen): gebrauchte oder defekte Produkte oder Teile davon für neue Produkte nutzen, die andere Funktionen erfüllen.

Materialien wiederverwerten:

Recycle (aufbereiten): Materialien neu aufbereiten und als Sekundärrohstoffe in den Kreislauf zurückführen.

Recover (thermische Verwertung): Ist kein Recycling mehr möglich, werden die Materialien verbrannt und daraus Energie gewonnen.